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geschrieben 2015 von Manfred Siebenrock (heuberger) (heuberger).
Veröffentlicht: 20.07.2015. Rubrik: Unsortiert


Das Geständnis im Altersheim

DAS GESTÄNDNIS IM ALTERSHEIM
ODER
DIE MÜHSAL, SICH IM LEBEN ZURECHTZUFINDEN


Unsere Fähigkeit zu denken hilft uns, die Dinge um uns herum zu begreifen und einzuordnen. Dabei vergessen wir aber gerne, dass wir vorwiegend in Schablonen denken. Diese Eigenschaft unterstellen wir zwar nur allzu gerne anderen, politischen, gesellschaftlichen oder künstlerischen, Erscheinungen und Gruppierungen, vor allem aus der Vergangenheit, die unser Missfallen erregen. Uns selbst sprechen wir dafür selbstverständlich frei von derlei einfachem und einfältigem Denken. Dass wir aber selbst andauernd mit geradezu fanatischer, selbstlos-grundgütig verdorbener Lüsternheit Menschen in die althergebrachten, dümmlichen Kategorien „gut“ und „böse“ einteilen und aggressiv darauf bestehen, wird kategorisch abgestritten.
Wir Menschen sind anscheinend unfähig, die Dinge in ihrer Vielfalt zu sehen und so zu akzeptieren, wie sie sind. Unser Realitätssinn ist einfach nur rudimentär ausgebildet, und wird es auch so bleiben.
Wenn wieder einmal gemeldet wird, ein hoher Kirchenführer sei im Bordell einem Herzinfarkt erlegen und zu Tode gekommen, so reagieren wir entweder fassungslos, so etwas überstiege unser Vorstellungsvermögen, oder wir brechen in schadenfrohes Gelächter aus, dass die Heuchler endlich „entlarvt“ würden. Dass es in Wirklichkeit im Leben und unter uns Menschen kein Schwarz-Weiß gibt, sondern nur Grauabstufungen, dies einzusehen, fällt uns äußerst schwer.
Dabei kennen wir doch alle das alte, in seiner Bösartigkeit oft weit übertreibende Sprichwort: „Die größten Huren werden später im Leben die größten Betschwestern, und umgekehrt!“ Auf dass die Schlussbilanz stimmt, nur darauf kommt es an! Wer es in der Jugend nicht wild treibt, der muss das im Alter nachholen, und dann wird´s oft peinlich!
Dies zeigt uns auch, in abgeschwächter Form, die folgende Begebenheit aus dem ehemals streng evangelisch-pietistischen Trossingen. Pikanterweise tätigte diese Aussage eine hochbetagte, freundliche und höchst ehrsame Bewohnerin des dortigen Altersheims einem Pfleger gegenüber.
Es begann damit, dass beim Herrichten zur Nachtruhe die alte Dame plötzlich fragte: “Ischd Eahne scho a mol uffg´falla, dass ma im Schbiagel älles seitaverkehrt sieht, aber it a mol glei merkt?
Erscht, wenn ma äbbes G´schriebenes aguckt, nocha sieht ma´s in Schbiagelschrift, ond nocha woiß ma ´s au g´wieß, dass ma in ´n Schbiagel neiguckt.“ (Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass man im Spiegel alles seitenverkehrt sieht, dass uns dies aber nicht mal sofort klar wird? Erst, wenn man etwas Geschriebenes anschaut, sieht man´s in Spiegelschrift, und dann weiß man auch gewiss, dass man in einen Spiegel hineinsieht.)
Als der Pfleger dies bestätigte, fuhr sie fort: „Sell ischd scho elend lang her. Wo i no a jungs Mädle g´wäa bi, do send mir so arme Leit g´wäa, dass mir Kender it jedes a oiges Zimmer g´het hond. Also han i mit meinera nägschd jüngera Schwester a Zimmer toila messa, wo mir z´sema g´schlofa hond. Trossenga isch sellmol no koi reiche Schtadt gwäa, bloß a arms Dorf, mit zwoi oder drei Fabrikantafamilia. Dia hond a wengele Geld g´het, aber au it viel.“ ( Das ist schon furchtbar lange her. Als ich noch ein junges Mädchen war, da waren wir so arme Leute, dass wir Kinder nicht jedes ein eigenes Zimmer hatten. Also musste ich mit meiner nächst jüngeren Schwester ein Zimmer teilen, in dem wir zusammen schliefen. Trossingen war damals noch keine reiche Stadt, sondern bloß ein armes Dorf, mit zwei oder drei Fabrikantenfamilien. Die haben ein bisschen Geld gehabt, aber auch nicht viel.)
Und dann fuhr sie fort, sie sei damals gerade 17 gewesen, ihre Schwester 15. „Ond ma war halt no reacht jung, ond hot wissa wella, wia des so lauft mit dera Liab ond so. Etzat war des aber it oifach in Trossinga sellmol: Do hond d´Eltera streng uffpasst, dass ma friah am Obed wieder dahoim gwäa ischd. Do hot´s koine Fisimatenta geah derfa oder so. Dia Buaba ond Mädla sind streng trennt wora. Dabei hot ma sich scho scheene Auga g´macht ond so. Aber `s hot koin Platz g´gäa, wo ma des älls a mol hätt ausprobiera kenna. Niamed hot a Zimmer für sich alloi g´het, in d´Scheuer hot ma it ganga könna, do hot d´Mutter aufpasst, wia `n Wachhund. Ond im Schdall hot ma ´s it treiba wella. Im Wald wär ma au ällaweil verwischd wora, ond noch hättet´s d´Eltera au glei g´wisst. Also hot´s für junge Leit koi Chance g´gäa, zom d´Liab ausz´probiera. Drum hond dia Trossinger Mädla au so elend lang als Jungfraua rumrenna messa, ond d´Buaba hond au it viel meh rausg´funda g´het.“ (Und wir waren damals noch sehr jung und wollten wissen, wie das so geht, mit der Liebe und so. Jetzt war das aber nicht einfach , damals in Trossingen: Da haben die Eltern streng aufgepasst, dass man früh am Abend wieder zuhause war. Da hat es keine Ausreden geben dürfen oder so. Die Jungen und Mädchen sind streng getrennt worden. Dabei hat man sich schon schöne Augen gemacht und so. Aber es gab keinen Platz, wo man dies alles mal hätte auprobieren können. Niemand hatte ein Zimmer für sich allein, in die Scheuer konnte man nicht gehen, da hat die Mutter aufgepasst wie ein Wachhund. Und im Stall wollte man es nicht treiben. Im Walde wäre man auch dauernd erwischt worden,und dann hätten die Eltern sofort davon erfahren. Also gab es für junge Leute keinerlei Chance, die Liebe auszuprobieren. Drum mussten die Trossinger Mädchen auch so furchtbar lange Zeit Jungfrau bleiben, und die Jungen hatten auch nicht viel mehr zuwege gebracht.)
Und so herrschte damals in Trossingen erotische Hochspannung in einer sexuellen Wüste.
Aber, wie es so verheißungsvoll versprochen wird: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Busch!“
Also hören wir unserer Heimbewohnerin weiterhin zu bei ihrem Bericht, wie sie ihre Absicht in die Tat umsetzte.
„ An ma Obed im Sommer bin i a mol schbäd hoimkomma, ´s ischd scho dunkel gwäa. Damit dr Vaddr nix merkt, bin i durchs Fenschdr eig´schtiega, mei Schweschdr hot me rei lau. Wo-n-i me auszoga hao, do frogt se me uff oimol, wa i do uff m Buckel häb. Des sei wia a Druckschdell. Ond nocha hot se sogar behauptet, do sei äbbes g´schrieba, aber se könnt ´s it leasa. Ond wieder noch a ra Weile moint se, des sei Schbiagelschrift, ond etzat wet se ´s doch wissa, wa do schdoht.“ Eines Abends im Sommer kam ich spät heim, es war bereits dunkel. Damit der Vater nichts merkte, stieg ich durchs Fenster ein, meine Schwester ließ mich herein. Als ich mich auszog, da fragte sie auf einmal, was ich da auf dem Rücken hätte. Das sähe aus wie eine Druckstelle. Und dann hat sie sogar behauptet, da stünde etwas geschrieben, aber sie könne es nicht lesen. Und wieder nach einer Weile meinte sie, das wäre Spiegelschrift, und jetzt wolle sie doch wissen, was da stand.)
Also blieb keine andere Wahl, als den Rücken mit der aufgedrückten Spiegelschrift zur Entzifferung des Inhalts vor dem Schrankspiegel zu platzieren.
Auf die Frage des Pflegers kam dann die Antwort:
„Do ischd g´schdanda:

R. I. P.
HIER RUHET
DIE EHR- UND TUGENDSAME JUNGFRAU
Euphrosyne Messner
*1836 + 1914
RUHE SANFT“

Als der Pfleger loslachte, meinte die Bewohnerin: „Sia hond des glei g´schpannt, aber mei Schweschdr ischd halt a blede Kuah gwäa, dia hot des oms Verrecka it g´schnallt. I ha-n-e-ra ´s bröckelesweis verklickera messa.
Nochdem ´s in dr ganza Schdadt koin andera Platz g´gäa hot zom Ausprobiera, noch send mr halt uff da Friedhof g´ganga, do ischd ma sellmol am Obed o´g´schdörd gwäa. Ond i han me halt uff `n Grabschdoi g´legt, der war sowieso scho umg´heit.“ (Sie haben das sofort verstanden, aber meine Schwester war halt sehr begriffsstutzig, die hat es einfach nicht begriffen. Ich musste es ihr dann brockenweise erklären. Nachdem es in der ganzen Stadt keinen anderen Platz gab zum Ausprobieren, da sind wir eben auf den Friedhof gegangen, dort war man damals des Abends ungestört. Und ich habe mich auf einen Grabstein gelegt, der war eh bereits umgefallen.)
„Ja, ond ischd ´s noch wenigschdens no an scheena Obed wora?“
(Und, wurde es dann wenigstens noch ein schöner Abend?)
„A wa! Hot sich äbbas mit schee ond romantisch! Kalt isch´s g´wäa, dr Schdoi ischd hart g´wäa, dr Kerle ischd og´schickt g´wäa, also oi oinzige Entteischong.“ (I wo! Hat sich was mit schön und romantisch! Kalt war´s! Der Stein war hart, der Junge war ungeschickt, also eine einzige Enttäuschung!)
Und dann platzte es aus ihr heraus: „Der verdammte Grabschdoi, kalt ond härt, ond nocha au no total verloga: vo wäga RUHE SANFT - nix do, ´s Kreuz hot mr weh dao, wia soll ma do sanft ruha könna?“ Der verdammte Grabstein, kalt und hart, und dann auch noch voll verlogen: von wegen RUHE SANFT - nichts da, das Kreuz hat mir weh getan, wie soll man da sanft ruhen können?)
Die alte Dame freute sich, durch ihre späte Beichte im Altersheim ihren ganzen Ärger endlich losgeworden zu sein. Der Pfleger aber grinste und fragte sich, ob es sein könnte, dass es bereits in den Fünfziger Jahren eine Art früher Gothic Scene gab - und das auch noch ausgerechnet in Trossingen, damals als ein Mekka bürgerlicher Wohlanständigkeit und pietistischer Frömmigkeit geradezu verschrien. Und für besonders lüsterne Zeitgenossen: Wozu denn gleich auf die Sündigen Meilen und Szenen von Hamburg und Berlin schielen? Was können die schon bieten im Vergleich zum Altersheim in Trossingen? Dort gibt es alles in allen Varianten, und das garantiert zu einem unschlagbar günstigen Preis! (Man ist ja schließlich im Schwäbischen!)
Wir aber sollten die jungen Leute ermuntern, ihre ersten derart wichtigen Erfahrungen an einem angenehmen, freundlichen Orte zu machen. Friedhöfe sind dazu dann doch wohl nicht so gut geeignet!

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Svenson am 01.03.2017:

Dieses köstliche Stück voller Humor in fordernder Mundart habe ich gern gelesen.

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