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geschrieben 2009 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 01.08.2013. Rubrik: Fantastisches


Rod Taylor rückwärts

Rod Taylor rückwärts

Ich schüttelte den Kopf. „Bitte, tu mir das nicht an. Du weißt, was ich von solchen Filmen halte.“
Gardram der Heiler hob verwundert seinen Blick. „Aber das ist doch ein Film von diesem Asimov, den du so toll findest...“
Ich machte mir nicht die Mühe Gardram zu erklären, wie wenig dieser Film mit den Büchern zu tun hatte, die ich in der Tat sehr gerne mochte. Sollte ich ihm erzählen, dass es in Asimovs Romanen überhaupt keine Rapper gibt, die eine Jagd auf Roboter veranstalten? Würde er verstehen, was ich daran so toll finde, über Kapitel hinweg irgendwelche Wissenschaftler zu erleben, die in abgedunkelten Konferenzräumen sitzen und ausschweifend über das Schicksal der Menschheit debattieren? Ich wollte Gardram nicht damit langweilen. Immerhin hatte er mir vor einer Stunde noch das Leben gerettet.
   „Ich mag halt Will Smith nicht“, sagte ich statt dessen.
   „Wir könnten ja einen anderen Film angucken“, versuchte Groll der Zwerg zu vermitteln.
   Ein kurzer Blick in das Bücherregal genügte Gardram. „Ne, der hat doch nur voll die alten Filme.“

Manchmal blieben die Teilnehmer aus der Rollenspielgruppe noch etwas länger. Manchmal auch die ganze Nacht. Mit einer Wohnung voller Computer ist es meist auch kein Problem, einige unterhaltsame Stunden mit jüngeren Leuten zu verbringen. Ein Will Smith Film, der rein zufällig den Titel einer Sammlung von Asimov Kurzgeschichten trägt, gehört definitiv nicht dazu.

Groll hatte eine Idee. „Machen wir doch einen längeren Filmabend daraus. Wir schauen erst einen der alten Filme und danach ´I Robot´.“
   Die Idee gefiel mir. „Du meinst, zunächst darf ich euch quälen und dann geht es mir an den Kragen.“
   „Ja, ähm. So ungefähr.“
   Meine Gedanken waren sofort bei den Science-Fiction Stummfilmen von Fritz Lang, welche unbestreitbar dem Begriff einer „Qual“ für die Jungs genüge getan hätten. Doch im Grunde konnte ich den jungen Leuten ja dankbar sein, dass sie in Zeiten der Multiplayer-Computerspiele jene Pen & Paper Szenarien mit mir spielten, für die ich meine eigene Generation wohl noch viel weniger hätte begeistern können. Und außerdem – wie schon zuvor bemerkt - hatte mir Gardram vor einer Stunde auch das Leben gerettet. Ich musste die beiden also nicht auch noch mit einem Stummfilm langweilen.

„Ok, einverstanden. Aber ihr guckt auch wirklich hin, wenn der Film läuft.“
„Na klar.“
„Und keine Gespräche über das Leveln und die Rüstung Eurer Helden aus irgendwelchen Online-Spielen nebenher.“
„Hey, das ist gemein.“
„So, ich muss jetzt in den Keller.“
„Oh“, machte Groll. „Das wird wohl wirklich ein verdammt alter Film.“
„Nicht so schlimm“, meinte ich. „Aber den hab ich nicht auf DVD.“
„Oh“, wiederholte Groll.

Ich brauchte nicht lange um die Kiste mit den alten Videokassetten zu finden. Irgendein Farbeimer auf dem Kellerregal muss sowohl unbefriedigend geschlossen wie auch schief aufgestellt gewesen sein. Sehr unwahrscheinlich, dass einem beides mit dem selben Eimer passiert, aber die meisten Videokassetten waren dennoch voller weißer Farbe. Welch ein Verlust der Filmkunst um all jene Schätze die ich vor Jahren aufgezeichnet und gesammelt hatte. Doch egal. Erstens mögen all diese Filme mitterweile längst jederzeit auf digitalem Medium zu erwerben sein und zweitens neige ich ohnehin dazu, mir einen einmal medial konservierten Film nie wieder ein zweites mal anzusehen. Außer natürlich er läuft zufällig gerade im Fernsehen. Die Kassette, die ich in den Händen hielt, schien zumindest inwändig von der Farbe verschont geblieben zu sein.

„Nimm doch wenigstens den Beamer“, meinte Gardram.
„Wenn du möchtest, dass ein Drittel des Filmes auf den Fußboden und ein weiteres Drittel an die Decke projeziert wird, dann gerne.“ Die Filme wurden früher im Fernsehen nicht immer im Breitbildformat ausgestraht. Keine Ahnung, ob das auch für diesen Film zutraf, aber ich hatte gewiss nur wenig Lust, unzählige fein säuberlich nach musikalischen Epochen sortierte Musik-CDs aus dem Regal zu räumen, nur um das alte Videoabspielgerät (ich hatte nicht einmal mehr einen funktionsfähigen vollständigen Rekorder) in der Nähe des Beamers zu platzieren, um dann festzustellen, dass kein passendes Kabel vorhanden war um beides miteinader zu verbinden.
   „Was für einen Film müssen wir uns überhaupt angucken?“, fragte Groll.
   „Bitte nicht einen von diesen alten Star Wars Filmen. Die sehen voll billig aus“, fügte Gardram hinzu.
   Bei diesem Thema verstand ich keinen Spaß. Wären wir noch mitten im Rollenspiel gewesen, hätte ich nun eine Jähzorn-Probe gewürfelt. „Billig? Das waren noch echte Modelle damals, und keine Zeichentrick-Special Effects wie heute. Im Hintergrund standen noch Kulissen, heute wird einfach alles mit einer Farbe ausgefüllt. Damals galten noch die Regeln der Schwerkraft und die Charaktere konnten noch nicht acht Meter hoch springen...“
   „Ganz ruhig“, versuchte Groll meine Rede zu beenden. „Also? Was für ein Film?“
   „Die Zeitmaschine. Den kennt ihr bestimmt noch nicht.“
   „Doch den kenn ich“, meinte Gardram. „Der ist gar nicht mal so alt.“
   Das Remake! – schoss es mir durch den Kopf. Warum musste man solch geniale Filmklassiker so herzlos neu verfilmen? „Du meinst doch bestimmt die Neuverfilmung, wo die Morlocks alle wie Michael Jackson aussehen, oder?
   „Das ist eine Neuverfilmung? Wusste ich gar nicht. Und der Film, wo alle Affen wie Michael Jackson aussehen, das ist der Planet der Affen.
   „Oh“ - und das meinte ich ehrlich. Noch so eine überflüssige Neuverfilmung. „Was ich hier in den Händen halte“, die Wandfarbe klebte bereits an meinen Fingern, „ist die richtige Zeitmaschine aus dem Jahr 1960. Da spielt eine Frau mit, in die war schon mein Großvater verliebt.“ Ich übertrieb um mindestens eine Generation.
   „Ach du Scheiße“, konnte ich in zwei unterschiedlichen Stimmlagen hören.

   Ich saß mangels Fernbedienung für das alte Videoabspielgerät auf dem Boden und spulte den Pilotfilm von „Kampfstern Galactica“ bis zum Ende. Was waren das noch für Zeiten, als man zwei Filme auf einem Datenträger speichern konnte! Warum sind die Innovationen nur immer so viel schlechter als ihre Vorgänger? Und warum nennt man den schnellen Vor- oder Rücklauf einer DVD immer noch „spulen“, obwohl dabei gewiss nichts mehr gespult wird?
Zur Mitte des Bandes begann der gewünschte Film. Die schlechte Bildqualität überraschte mich und ich neigte zu überlegen, ob einem das in jenen vergangenen Glanzzeiten der Videokassette nicht aufgefallen war oder ob nicht auch die jahrelange Lagerung der Kassette unterhalb eines Kellerregals mit tropfenden Farbeimern hierfür in die Pflicht genommen werden konnte. Nein, entschied ich, so schlecht war die Bildqualität damals nicht.

„Mann, ist das billig“, meinte Gardram, als wolle er damit seine Aussage von vorhin belegen.
„Was soll hier billig sein?“
„Na, diese Special Effects.“
Es war die erste Szene. Und es war bereits jetzt zum verzweifeln. „Da sind überhaupt keine Special Effects. Das sind nur tickende Uhren. Nichts weiter.“
„Naja, Uhren halt“, brummelte Groll.
„Immerhin der zweite Film hat Action“, fügte Gardram hinzu.
Das konnte noch ein toller Abend werden. Das wurde er auch. Zumindest für mich, wie ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte.

„Die alten Männer sehen aus wie Affen mit ihren Bärten.“ Rod Taylor, Alan Young und die namenlosen gelehrten Herren hatten im Wohnzimmer des Erfinders Platz genommen und würden gleich Zeuge sein, wie das verkleinerte Modell der Zeitmaschine seine Reise in die Zukunft begann.
„Nun hör mal auf dauernd zu stänkern“, vermittelte Groll. „So hat es halt in Findurs Jugendzeit ausgesehen.“ – Findur war der Name meines elfischen Alter Egos in der Pen & Paper Welt der Rollenspiele.
„Für wie alt hältst du mich?“, fragte ich entsetzt. „Erstens wurde der Film Jahre vor meiner Geburt gedreht und zweitens“, und das sagte ich mit sehr ernster Stimme, „spielt der Film am Silvesterabend zum Jahreswechsel 1900. Hast du denn überhaupt nichts mitbekommen?“
„Ach die reden ja nur“, kam die Antwort.

„Wer macht Kaffee?“
„Wer ist denn dran?“
„Ich hab heute schon einen Kaffe gemacht“, meinte ich. „Und außerdem kommt gleich die Stelle, in der Rod Taylor in die Zukunft reist.
„Ich hab auch schon einen Kaffee gemacht. Und wer ist Rod Taylor?“
„Der alte Mann in dem roten Sessel“ Vermutlich war Rod Taylor in jenen Zeiten nicht älter als ich heute, aber vielleicht konnte ich den erheblichen Altersunterschied zu meinen Gästen durch diesen Kommentar ein bisschen mildern.
„Ich hab auch schon einen Kaffe gemacht“, meinte Groll. „Wir können ja drum würfeln.“

Natürlich verlor ich. „Ok, ich bin dann mal in der Küche. Aber wenn die Reise in die Zukunft beginnt, haltet ihr den Film an. Das will ich sehen.“
Ich ging in die Küche und konnte bald aus dem Wohnzimmer die üblichen Gespräche hören: „Gehst du nachher noch auf die Jagd?“ – „Welche Rüstung hast du zur Zeit?“.
In der Kaffeedose steckten mittlerweile drei Teelöffel, aber der Kaffee roch sehr gut. Ich rieche nur am Kaffee, das Trinken vertrage ich nicht.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam beobachtete Rod Taylor bereits argwöhnisch durch sein Fenster wie die Schaufensterpuppe des ihm gegenüberliegenden Modegeschäftes in Zeitrafferaufnahme ihre Erscheinung wechselte.
„Ihr wolltet doch anhalten, sobald er in die Zukunft reist“, protestierte ich mit einem verzweifelten Unterton.
„Ach das ist schon die große Reise?“ antwortete Gardram.
„Außerdem wissen wir doch gar nicht wie man diesen alten Kasten anhält“, fügte Groll durchaus nicht frei von Sarkasmus hinzu.
„Selber schuld“, meinte ich. „Dann müsst ihr jetzt die Szene halt nochmal sehen“. Ich setzte mich wieder auf den Boden und drückte die Rückspul Taste, um mit aktiviertem Bild die Zeit im Film noch einmal zurückzudrehen. Ich konnte hören, wie ein tatsächliches Band sich von einer Spule herunter auf eine andere Spule aufspulte. Das nenne ich Spulen!
Ich erhob meinen Blick auf das Fernsehbild, um nachzusehen, wann ich den Moment mit dem Beginn der Reise Rod Taylors erreicht hätte. Doch dieser kam nicht.

„Bist du bald soweit?“ fragte Gardram hörbar gelangweilt.
Ich erhob mich um das Phänomen leichter fassen zu können. Doch ich verstand es noch immer nicht.
„Da passiert ja nicht mehr viel“, meinte Groll.
„Ist ja vorher auch schon nicht viel passiert“, setzte Gardram lachend hinzu.
Ich schüttelte den Kopf. „Was ist da los?“
„Was soll da schon los sein?“, antwortete Gardram. „Der fliegt in die Zukunft und braucht tierisch lange dafür.“
„Ja echt“ stellte Groll fest. „Die Szene hätte man viel kürzer machen können. So ist das doch langweilig. Der fliegt und fliegt und fliegt...“
So hatte ich den Film nicht in Erinnerung. Und noch immer hörte ich das Videoabspielgerät zurückspulen. Auch Rod Taylor schien bereits sichtlich entnervt. Nichts mehr ging voran.

„Soll das jetzt ewig so weitergehen?“, gähnte Gardram.
„Das ist einer deiner Scherze, Findur. Hab ich Recht? Es gibt keinen Film wo so lange nichts mehr passiert.“
„Lasst mich mal überlegen, was hier geschieht.“
„Gar nichts geschieht hier.“
„Rod Taylor versucht in die Zukunft zu reisen.“
„Mehr als ein Versuch war das bisher wohl auch nicht.“
„Ich spule gleichzeitig den Film in die Vergangenheit.“
„Dann hör halt auf zu spulen.“
Ich nahm die Antworten von Gardram und Groll kaum wahr. „Was sagst du? Nein, auf keinen Fall anhalten.“
„Dann eben nicht.“
„Ich glaub ich habs!“ Ich ging noch ein paar Schritte zurück um das Phänomen begreifen zu können. „Durch einen unglaublichen Zufall spult dieses Videogerät genauso schnell rückwärts, wie sich Rod Taylor im Film vorwärts in der Zeit bewegt.“
„Ach langsam spinnst du aber wirklich.“
„Ich kann den Film nicht zu der Szene zurück spulen, in der die Reise beginnt, weil Rod Taylor sich gleichzeitig in der Zeit nach vorne bewegt. Und Rod Taylor kann nicht in der Zukunft ankommen, weil ich zurückspule.“

„Wir gehen jetzt nach Hause.“
„Was? Ok.“
„Ich glaub, wenn wir in vierzehn Tagen wieder zu Besuch kommen, hängt der immer noch vor dem Fernseher und labert irgendwas vom zurückspulen.“
„Hey Findur, vergiss aber nicht. Du musst dann noch den I Robot mit uns gucken.“
„Jaja, geht klar.“

Irgendwann stellte ich das Videoabspielgerät ab. Zur Beruhigung meiner Nerven und derer von Rod Taylor, wie ich vermutete. Die Jungs hatten wahrscheinlich recht. Das, was ich erlebt hatte, war zu verrückt. Wem sollte ich davon erzählen? Und vor allem was sollte ich erzählen? Etwa: „Ich kann mit meinem Videoabspielgerät machen, dass Rod Taylor im Film ´Die Zeitmaschine´ stehen bleibt“?
Was wäre wohl die Antwort? „Na und? Mein DVD Player hat auch eine Pause-Taste“. Ich würde das Erlebte wohl für immer für mich behalten müssen.

Egal. Es war trotzdem ein lustiger Abend gewesen. Und in vierzehn Tagen würde ich mir wohl diesen Film mit Will Smith ansehen müssen. Das war ich zumindest Gardram schuldig. Er hatte mir schließlich vor einigen Stunden noch das Leben gerettet. Asimov möge es mir verzeihen.

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Titelbild: ThomasWolter / pixabay.com (public domain)

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