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geschrieben 2017 von Svenson (Svenson).
Veröffentlicht: 26.01.2017. Rubrik: Märchenhaftes


Windflüchter

Einst lebte in einem Dorf am großen Meer ein junger Fischer namens Joost. Er besaß kein eigenes Boot sondern arbeitete bei dem alten Klaas, der ebenfalls Fischer war. Klaas bezahlte Joost einen kleinen Lohn für seine Arbeit und war mit ihm zufrieden. Joost freute sich über Lohn und Arbeit beim alten Klaas, denn ein eigenes Boot konnte er sich noch nicht leisten.
Nun hatte der alte Klaas eine Tochter, die Imke hieß. Joost kannte Imke seit seiner frühen Kindheit. In ihrer Jugend verliebten sie sich ineinander und wollten heiraten. Doch zeigte sich, dass es mit dem Heiraten nicht so einfach war, denn mit dem wenigen Gelde, das Joost verdiente, konnte er keine Familie ernähren.
So saß er oft am Meer, schaute auf die Wellen und dachte nach.
„Ach, hätte ich doch ein Boot und könnte auf eigene Rechnung hinausfahren“, sagte er zum Meer. „Ach, könnte ich doch meine Imke heiraten, endlich ein Haus bauen und zu Wohlstand kommen. Ach, wüsste ich doch, wo die Heringsschwärme stehen, mein Leben würde ich dafür geben.“
So sprach er und rief seine Klage weit auf das Meer hinaus. Doch das Meer antwortete ihm nur mit dem ewigen Rauschen seiner Wellen.
Die Zeit verging und immer wieder kam Joost am Abend ans Meer und rief seine Not und seine Wünsche in den Wind.

Klaas gab sich Mühe mit dem jungen Joost, zeigte ihm wo die Schwärme ziehen, lehrte ihn mit den Netzen umgehen und guten Fang machen. Doch reichte der Lohn aus der Fischerei längst nicht aus, um ordentlich zu heiraten.
„Warte nur ab, Joost“, sagte Imke oft, wenn sie abends beim Schein des Feuers im Hause des alten Fischers zusammensaßen. „Ich flicke die Netze und du gehst weiter auf Fang. In drei Jahren reicht unser Geld für ein kleines Häuschen und ein Stück Feld.“
Aber Joost dachte verbittert an die lange Zeit, die vor ihm lag und er dachte an die geringe Hoffnung, ein Leben in Wohlstand zu führen.
Abend für Abend ging er hinunter an das Meer und rief seine Klage weit hinaus auf das Meer. Der Wind trug seine Worte fort.

Eines Abends nun sah Joost ein schwarzes Stück Holz in den Wellen treiben. In seinen Fischerstiefeln stieg er in das flache Wasser und fand eine kleine Kiste aus festem Holz. Er griff nach dem Kästchen und wollte es an das Ufer ziehen. Jedoch zogen die Wellen mit ungeheurer Kraft an der Kiste und im Rauschen des Meeres klang ein leises Stöhnen. Doch ließ Joost nicht nach in seinem Bemühen. Er zerrte und zog an dem Holz und mit einem lauten Seufzer gaben die Wellen die Kiste frei. Joost trug sie an Land und fand sie gefüllt mit Goldstücken.
Oh nein, er fragte sich nicht, wie das Wasser eine so schwere Kiste tragen konnte. Er hob die Kiste auf und hörte beim Fortgehen nicht das drohende Rauschen der aufgewühlten See. Er sah nicht, wie die Möwen ihn kreischend umkreisten, spürte nicht das Unwetter, das um ihn losbrach, fühlte nicht den Sturm an seinen Kleidern zerren. Er trug die Kiste zum Haus des alten Klaas und stellte sie vor seiner Liebsten auf den Tisch.
„Sieh, was mir das Meer geschenkt hat!“, rief er voller Freude. „Nun hat unser Warten ein Ende. Ich lasse unser gemeinsames Haus bauen, ich kaufe Land mit Feldern und Wald. Ich werde ein großes Boot besitzen. Imke, endlich können wir heiraten. Wir leben von nun an ohne Not und Armut.“
Lachend umarmte er seine Braut und schwenkte sie in der Stube umher. Nur der alte Fischer, der hinzutrat, machte ein bedenkliches Gesicht.
„Höre, was ich dir sage, Joost“, sprach er. „Das Meer gibt uns zum Leben genug. Aber schenkt es Gold? Glaub mir, es geht nicht mit rechten Dingen zu. Gold schwimmt nicht und erst recht nicht zu rechtschaffenden und armen Leuten, wie wir es sind. Tu es zurück ins Meer.“
Joost sah den alten Fischer verwundert an. Dann lachte er. „Ich soll mein Glück wieder ins Meer werfen? Nein guter Klaas, das werde ich nicht. Sieh, ich kaufe ein neues Boot und du setzt dich zur Ruhe. Geld genug haben wir.“
Der alte Fischer schwieg nachdenklich und sah traurig vor sich hin.

Für Joost und Imke begann ein neues Leben. Das Glück führte die Hand des jungen Fischers. Er kaufte ein großes Haus und Felder, besaß das größte und schönste Boot weit und breit und wusste immer, wo die Heringsschwärme ziehen. Hatten andere Fischer nur einen spärlichen Fang, waren seine Netze stets prall gefüllt. Die Hochzeit zwischen Imke und Joost war ein Fest, wie es noch keines im Dorfe gab. Das Paar lebte glücklich und zufrieden, ganz ohne Armut, ohne Not und Sorge um den nächsten Tag. So gingen die Tage.
Im Dorfe schüttelten die Menschen den Kopf über das Glück und den schnellen Reichtum des jungen Fischers. Einige dachten, dass Joost sich ändern würde, dass ihm sein schneller Reichtum in den Kopf stieg. Viele Menschen verändern sich durch zu viel Geld. Sie werden abweisend, ihre Herzen verhärten sich und sie geben nichts von ihrem Reichtum ab. Sie lassen andere für sich arbeiten, liegen auf der faulen Haut und zählen nur noch ihr Geld. Sinn ihres Lebens wird die Mehrung des Reichtums.
Joost aber blieb freundlich gegenüber jedermann, gab einen großen Teil seines Reichtums den Armen und ließ für die Kinder des Dorfes eine Schule bauen. Er arbeitete fleißig, fuhr Tag für Tag auf das Meer hinaus und ging auf Fang. Fuhr er hinaus, so konnte man Imke am Ufer stehen sehen. Sie winkte und rief ihm jeden Morgen zu: „Komm wieder!“
Joost stand am Steuerrad seines Bootes und lachte.
„Versprochen!“, rief er gegen den Wind.
Kam er abends mit seiner kleinen Mannschaft zurück, hatte er stets einen Berg Fische auf den Planken liegen. Schon von fern sah er seine Frau am Hafen stehen.
„Da bin ich wieder!“, rief er ihr zu. „Versprochen ist versprochen.“
Imke bekam einen kleinen Sohn und bald sah der junge Fischer zwei Menschen am Ufer stehen und winken.
So lebten sie glücklich und zufrieden drei lange Jahre.

Eines Tages nun standen die Boote der Fischer weit vor der Küste und warfen ihre Netze. Plötzlich verdunkelten Wolken den Himmel. Das Meer lag still wie ein Spiegel und über aller Welt herrschte eine unheimliche Ruhe.
„Das gibt einen Sturm wie selten!“, rief Joost. „Sehen wir zu, dass wir rasch an Land kommen.“
In Eile zogen alle Boote ihre Netze auf und nahmen Kurs auf die Küste. Langsam fielen erste, dicke Tropfen vom Himmel.
Plötzlich brach das Unwetter los. Der Himmel färbte sich pechschwarz, es begann, wie aus Eimern zu regnen und ein Sturm raste über das Meer. Er trieb das Wasser über die Planken und ließ das Holz stöhnen. Wellen warfen sich mit ungeheurer Kraft gegen die Boote und brachen sich über dem Deck. Die Männer jagten mit voller Kraft in Richtung Hafen. Auch Joost hatte sein Boot gut in Fahrt.
„Bindet euch fest!“, rief er seinen Leuten zu, doch in diesem Moment schlug eine besonders hohe Welle von der Seite über sein Boot und riss einen Jungen aus der Mannschaft über die Reling. Verzweifelt hielt sich der junge Kerl an einem Seil fest. Das sah Joost und kam ihm zu Hilfe. Er zog den Jungen wieder an Bord und band ihn fest. Als er aber den letzten Knoten zusammenzog schlug eine weitere Welle über das Boot und spülte nun Joost über die Planken. Instinktiv packte er die Reling, während das Wasser über ihn hinwegströmte und hielt sich fest. Er zog sich hoch, um wieder an Bord zu kommen, aber in diesem Moment brach das Holz. Joost verschwand, das Stück Reling in der Hand, im stürmischen, grauen Meer.
Nach einigen Stunden legte sich der Regen und der Sturm verschwand, wie er gekommen war. Die Fischer suchten das Meer nach Joost ab, aber so sehr sie auch suchten, blieb doch alle Anstrengung erfolglos.
Nach einem weiteren Tag vergeblicher Suche liefen die Boote wieder im Hafen ein. Alle Fischer hatten den Sturm unbeschadet überstanden. Nur Joost blieb verschwunden. Im Dorf herrschte Trauer.
Joosts Frau war verzweifelt. Tagelang stand sie am Ufer und blickte auf das Meer. „Du hast es mir versprochen“, sagte sie leise. „Du hast doch versprochen, dass du wiederkommst.“
Joost kam nicht wieder. Das Meer hatte sich das Glück der jungen Familie bezahlen lassen.
Doch Imke ließ sich nicht beirren. Tag für Tag lief sie ans Ufer und schaute auf das Meer hinaus.

Einige Tage nach dem furchtbaren Unwetter spülte eine hohe Welle ein Stück hölzerne Reling an Land und ein plötzlicher Wind warf das Holz hinauf zum Rand des Waldes. Wie durch eine Laune der Natur trieb das Holz, schlug Wurzeln und wurde ein kleiner Baum. Der harte Nordwestwind blies in die dünnen Zweige, Hitze und Kälte plagten den Baum, doch wuchs er langsam, von der Faust des unbarmherzigen Windes geformt zu einem jener Bäume heran, die von den Menschen am Meer Windflüchter genannt werden. Diese besonderen Bäume bieten der unwirtlichen Natur die Stirn und sind doch ein besonderer Teil von ihr.

Jahr um Jahr verging, der Baum wuchs und auch starke Stürme konnten ihm nichts mehr anhaben. Er wurde größer, stark und fest. So stand er, immer dem Winde abgewandt und sich in Richtung des Dorfes neigend.
Von ihrem Fenster aus konnte Imke die Küste, den Wald und auch den Windflüchter sehen.

Jahre später, als Imkes Haare weiß waren und ihr Sohn wie sein Vater als Fischer auf das Meer fuhr, fegte ein schwerer Sturm über das Land. Die Wellen schlugen gegen den Weststrand und spülten die Wurzeln vieler Bäume frei. So holte sich das Meer auch den Baum, der vor langer Zeit aus dem Stück Reling von Joosts Boot entstanden war. In dieser Nacht stand Imke am Fenster und sah in die stürmische Nacht hinaus. Der Regen klatschte an die Scheiben und ihr schien es, als ob sich eine Gestalt aus dem fallenden Baume löste und vom Meer her zu ihrem Hause hintrat. Sie sprang im ersten Moment erschreckt zurück, jedoch ließ sie ein unheimlicher Zwang zur Tür treten und sie öffnen. Da sah sie die Gestalt Joosts, der aus dem Garten auf sie zu trat. Sie erinnerte sich genau an den Tag, an dem er zum letzten Mal auf das Meer hinausfuhr. Joost trug dieselben Sachen wie damals, lächelte Imke an küsste sie auf die Wange.
„Da bist du ja wieder“, sprach Imke leise, „Wie sehr habe ich dich all die Jahre vermisst.“
„Nun bin ich wieder da“, sagte er und nahm sie in seine Arme. „Ich habe dir doch versprochen, dass ich wiederkomme.“
„Bleibst du für immer?“ fragte Imke.
„Ich bin gekommen, um dich zu holen“, flüsterte Joost und küsste seine Frau. Und während Imkes Körper an der Tür zurück blieb, fassten sie sich an den Händen. Sie flogen fort, durch den Sturm, weit weg. Und wohin sie flogen, wissen wir noch nicht.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Anna Rösing am 16.01.2018:

gute Formulierungen und Ideen




geschrieben von Susi56 am 18.01.2021:

Eine sehr schöne Liebesgeschichte und ganz im Stil alter Märchen. Da wünsche ich mir mehr. 😊

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