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4xhab ich gern gelesen
geschrieben von Markus Luthardt (Lutti).
Veröffentlicht: 20.06.2023. Rubrik: Fantastisches


Krümel und die geheimnisvolle Sternenechse

(Fantasy/Tiergeschichte/Science Fiction)

Die letzten Strahlen der am westlichen Horizont untergehenden Sonne, färbten den Himmel über der Savanne in ein feuriges Rot. Ein flirrend heißer Tag neigte sich seinem Ende zu und die meisten Tiere hofften auf eine abendliche Abkühlung. So auch das Tüpfelhyänenrudel, das sich um den frischgerissenen Kadaver einer Gazelle scharrte. Da in einem Tüpfelhyänenclan stets die Weibchen, die größeren dominanten Tiere waren, sprang als erste das Alphaweibchen Sereinia auf den frischgerissenen Kadaver. Von ihrer erhöhten Position aus, ließ die große Hyäne den Blick ihrer durchdringenden Augen über die übrigen Clanmitglieder schweifen, die sich hungrig um die tote Thomson-Gazelle scharten. „Hört meine Schwestern und Brüder“, begann das Alphaweibchen. „Gemeinsam haben wir die Jagd erfolgreich durchgeführt. Fresst euch an dem Fleisch der Gazelle satt, damit ihr eure vollen Kräfte erlangt, die für den Zusammenhalt des Clans von hoher Bedeutung sind. Doch vergesst dabei nicht den Respekt für dieses Wesen, das die Hatz gegen uns verlor und sein Leben gab, damit wir von seinem Fleisch zehren, das uns die Energie für unser eigenes Leben verleiht.“
Berührt von Sereinias Ansprache senkten die mehr als zwanzig Hyänen kurz ihre Köpfe und stimmten mit ihren Stimmen zu einem Gedenkspruch an.
   
„Mach Dich auf die Reise,
Zu den ewigen Gräsern               
Graziler Sprinter,
Gehörnter Springer,
Wir bewunderten Deinen Mut,
Dein Andenken tragen wir im Herzen,
Es soll uns die Kraft verleihen,
Die der Clan für sein Dasein benötigt.“

Zwischen den zum Großteil ausgewachsenen Hyänen sprang verspielt ein deutlich kleineres Fellknäul hin und her, bei dem es sich um ein von kindlicher Neugier beseeltes Jungtier handelte. Es war das jüngste Mitglied des Clans und wurde daher von allen anderen Hyänen Krümel genannt. Krümel war ein Sohn des Alphaweibchens und Sereinias Liebling. Da die Anführerin des Hyänenclans wusste, dass Jungtiere es schwer hatten an frischgerissene Beute heranzukommen, in der Regel durften sie erst als letzte nach den ausgewachsenen Männchen fressen, riss sie mit ihren scharfen Zähnen einen Streifen Fleisch aus dem Rücken der toten Gazelle und sprang mit einem Satz ins Gras hinab, wo sie direkt neben Krümel landete. Sie warf Krümel den Streifen Fleisch hin und stupste ihn mit der Schnauze an.
„Hier friss mein Kleiner, damit du groß und stark wirst“, forderte die große Tüpfelhyäne ihren Sohn auf. Krümel tat wie ihm geheißen wurde und kaute auf den Streifen Rückenfleisch herum, was ihm noch etwas schwerfiel, da er sich noch bis vor nicht allzu langer Zeit von Muttermilch ernährt hatte und die Umstellung auf feste Nahrung bedurfte einiges an Gewöhnung.
Sereinia hingegen wandte sich wieder dem frischen Kadaver zu, von dem sie mit den anderen Weibchen gierig fraß. Ein Stück abseits liefen die ebenso hungrigen Männchen ungeduldig umher, die warten mussten, bis sie mit fressen an die Reihe kamen. Dabei waren sie ständig auf der Hut, da sie die Angriffe von konkurrierenden Raubtieren befürchteten, die den Hyänen ihre Beute nur allzu gerne streitig machen würden. Am meisten fürchtete der Clan das Löwenrudel, das in diesem Teil der Savanne ansässig war. Da Krümel sich vor nicht allzu langer Zeit mit Bombo, dem Sohn des Alphamännchens angefreundet hatte, herrschte zwischen Löwen und Hyänen eine Art Friedenspakt, weshalb die Mitglieder des Clans es sich recht unbekümmert schmecken ließen.
Da die Sonne längst am westlichen Horizont untergegangen war, breitete sich am Himmel über der weiten Savanne allmählich eine von funkelnden Sternen übersäte Nacht aus. Nachdem Krümel endlich aufgefressen hatte, beschloss er sein Schnuppernäschen in den Wind zu strecken, um sich auf nahe Gerüche zu konzentrieren, die nicht von seinem Rudel oder dem Kadaver stammten. In seiner kindlichen Unbedarftheit entfernte der Hyänenjunge sich weiter als erlaubt, was in dem allgemeinen Fressrausch von keinem der erwachsenen Tiere bemerkt wurde.
Nach einiger Zeit stieg Krümel eine vertraute Witterung in die Nase. Neben dem Stamm eines Leberwurstbaums blieb er konzentriert schnuppernd stehen. Ein Stück weiter wurde das Gras merklich höher und dichter. Unerschrocken tapste Krümel darauf zu. Plötzlich begann das hohe Gras sich schräg vor dem Hyänenjungen zu teilen, worauf eine katzenhafte Gestalt aus dem Feld sprang und unmittelbar neben Krümel samtpfotig landete.
„Ich wusste es, die Fährte, die ich witterte, war die eines Servals“, sagte Krümel stolz. „Umso glücklicher bin ich, dass du es bist, Koba.“
Jener Serval namens Koba befand sich wohl auf seiner allabendlichen Pirsch, denn ihm hing noch der Schwanz einer Maus aus dem Maul, den er wie eine Spagetti einsog. Nachdem Koba seine erjagten Happen heruntergeschluckt hatte, setzte er sich neben den Tüpfelhyänenjungen hin und legte dabei seinen Kopf schief. „Wen haben wir denn hier? Einen kleinen Krümel wie ich sehe“, beantwortete der Serval mit einem freundlichen Lächeln die eigene Frage.
„Koba!“, freute Krümel sich. „Schön dich zu sehen, alter Rumtreiber.“
Koba zwinkerte der kleinen Hyäne zu. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Aber was machst du so ganz allein entfernt von dem Schutz deines Rudels?“
„Die sind mit fressen beschäftigt“, entgegnete Krümel. „Ich habe nur einen kleinen Erkundungsspaziergang gemacht und kehre gleich um.“
„In der Nacht wimmelt es in der Savanne von noch mehr Gefahren als am Tag“, mahnte Koba. „Ich denke, ich werde dich ein Stück begleiten, zu mindestens bis das Hyänenrudel in Sichtweite kommt, denn mit dem möchte ich mich nicht anlegen.“
Die beiden ungleichen Freunde wollten sich gerade auf dem Weg machen, als der Serval mit seinen Pinselohren plötzlich beunruhigt aufhorchte. Koba glaubte ein Wehklagen gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen zu hören.
„Hörst du das auch, Krümel? Von wem stammen diese Laute?“
Krümel musste sich schon etwas mehr anstrengen als der erfahrene Serval, doch als er eine Weile konzentriert lauschte, hörte auch der Hyänenjungen das weinende Schluchzen.
Statt sich auf dem Weg zum Hyänenclan zu machen, beschlossen Krümel und Koba erst einmal nachzusehen, wer da so traurig war. Sie folgten den Geräuschen und jenen Witterungen, die ihnen in die Nasen stieg, dabei bewegten sie sich nicht geradeaus, sondern schräg von dem Hochgrasfeld weg. Wenig später entdeckten die beiden in der Deckung eines aufragenden Felsbrockens drei unterschiedlich große Tiergestalten. Zwei von ihnen fielen durch ihre langen gefleckten Hälse ins Auge, die sie als Giraffen auszeichneten. Wobei das erwachsene Tier für seine Art auf untypische Weise regungslos im halbhohen Gras lag. Die große Giraffe schien verletzt oder krank zu sein. Ihre Augen waren nur halbgeöffnet und sahen so trübe aus, als ob aus ihnen jegliche Lebenskraft gewichen war. Neben dem liegenden Giraffenweibchen stand weinend ein kleineres Jungtier, das mit seinem Maul immer wieder den Hals seiner Mutter anstupste. Unweit daneben stand die Gestalt einer Ginsterkatze, die optisch gar nicht zu den Giraffen passte. Nach einigen vorsichtigen Schritten waren sich Krümel als auch Koba sicher, dass es sich bei dem katzenartigen Wesen um ihre Freundin Momo handelte, die dem verzweifelten Giraffenkalb Mut zusprach.
Als der Serval mit dem Hyänenwelpen durch die nächtliche Savanne auf die drei Tiere zu schlich, fuhr das Großfleckenginsterkatzenweibchen nervös in ihre Richtung herum. Der von geweiteten Augen erkennbar dominierte Ausdruck des Schreckens, der Momos Gesicht anfänglich angstverzerrt aufblicken ließ, entspannte sich, als sie erkannte, dass dort zwei ihrer guten Freunde angeschlichen kamen.
„Koba, Krümel, ich bin mehr als froh, dass ihr es seid“, sagte die sanfte Stimme der Ginsterkatze.
Momo, die anders als der Serval keine echte Felidae war, sondern zur Familie der Schleichkatzen gehörte, begrüßte die Zwei mit einem kurzen Anschmiegritual.
Nachdem die erste Wiedersehensfreude abgebt war, wandte Momo ihre Aufmerksamkeit wieder der sterbenskranken Giraffenmutter und ihrem Kalb zu.
„Was ist hier geschehen?“, fragte Koba, der die Antwort bereits erahnte.
„Das Giraffenweibchen Kira ist von der geheimnisvollen Schorfkrankheit befallen“, erklärte Momo. „Darüber hinaus hat sie sehr hohes Fieber. Ich befürchte, sie wird diese Nacht nicht lebend überstehen. Was wird dann bloß aus ihrem kleinen Sohn Marvin?“
Sorgenvoll besahen Koba und Krümel sich das Muttertier, deren Hals und die Beine an verschiedenen Stellen mit dickem gräulichem Schorf bedeckt waren.
„Oh je, die Situation ist vor allem für den kleinen Marvin sehr gefährlich“, sagte Koba. „Wenn Raubtiere Kira entdecken oder sie in ihrem schwachen Zustand wittern, werden sie hierhereilen. Sereinias Tüpfelhyänenclan hält sich hier ganz in der Nähe auf. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das ansässige Löwenrudel um Gandor auf nächtlicher Jagd befindet und sich irgendwo rumtreibt, ist sehr hoch. Dazu kommen Räuber wie Leoparden, Geparden oder Wildhunde. Spätestens im Morgengrauen werden sich am Himmel Geier sammeln. Die Chancen stehen für Kira und ihr Junges mehr als schlecht.“
Die Worte des Servals trugen nicht gerade zur Beruhigung bei. Traurig schmiegte Krümel sich an Marvin an. „Das mit deiner Mama tut mir so leid“, versuchte der Welpe Trost zu spenden. „Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.“
Während Koba und Momo sich ihre Schädel darüber zermarterten, was sie bloß unternehmen sollten, sah Krümel auf der Suche nach einem Wunschstern zum Himmel auf. Von dem alten Brom, dem Geschichtenerzähler einer Erdmännchenkolonie, die in diesem Teil der Savanne ansässig war, hatte Krümel gehört, wenn man einen sich schnell bewegenden Punkt mit einem Schweif am Nachthimmel sah, ganz fest an einen Wunsch gedacht werden sollte, der wenn man dran glaubte, in Erfüllung ging.
Die Nacht war sternenklar und der aufgegangene Mond fast voll. Krümels Augen suchten den dunklen Himmel mit seinen tausenden Lichtpunkten ab, die in den meist wolkenlosen Nächten, hier draußen in der Savanne in ihrer ganzen Pracht zu sehen waren. Zunächst entdeckte der Hyänenjunge nichts was sich dort oben bewegte. Enttäuscht wollte Krümel seine Suche aufgeben, als er plötzlich einen schnell fliegenden Schweifstern gewahrte. Den Wunsch vor Augen schloss Krümel kurz die Augen.
„Bitte, lass Marvins Mutter wieder gesund werden, damit sie lebt und sich um ihren kleinen Sohn kümmern kann“, flüsterte Krümel, so leise, dass es außer ihm niemand hörte. Als der Tüpfelhyänenjunge seine Augenlider wieder aufschlug, flog der Schweifstern immer noch am Nachtfirmament. Statt zu verglühen, raste er weiter in Richtung Erde. Mit einem schalldurchdringenden Knall stürzte ein außerirdischer Gesteinsbrocken, der einen knappen Meter Durchmesser besaß, in einiger Distanz zu ihnen, in das Savannengras. Ein Beben folgte, bei dem sich alle Tiere in der Umgebung, in der Erde unter dem Gras festkrallen mussten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Krümel stützte Marvin, der mit seinen Hufen der Erderschütterung ausgeliefert war. Zum Glück schaffte er es den Giraffenjungen auf den Beinen zu halten.
Aus dem Krater, den der schwarze Steinbrocken beim Aufprall geschaffen war, schoss eine bläuliche Flamme, die so plötzlich wie sie erschien, wieder kleiner wurde und verschwand. Als ob nichts geschehen war, kehrte das mondbeschienende Halbdunkel zurück. Die zerstörerische Feuersbrunst, mit der die Tiere rechneten, die Zeugen des einzigartigen Ereignisses geworden waren, blieb zur Erleichterung aller aus.
„Bist du in Ordnung?“, fragte Krümel besorgt.
„Ich bin unverletzt“, entgegnete Marvin. Der Giraffenjunge sah sogleich wieder zu seiner schwer kranken Mutter hinab. „Aber Mama.“ Erneut brach Marvin in Tränen aus.
„Ich habe mir gewünscht, dass deine Mutter wieder gesund wird, doch das war kein gewöhnlicher Schweifstern.“ Seinen Worten ließ Krümel eine Art leises Jaulen folgen.
Koba und Momo sahen gebannt zu der Stelle, an der der Gesteinsbrocken vom Himmel eingeschlagen war. Auch Krümel musste immer wieder in die Richtung sehen. Plötzlich erschien dort ein sich dicht über den Boden bewegender Lichtpunkt, der mehrmals hintereinander hellerstrahlte, um dann wieder weniger intensiv zu leuchten. Von Neugier gepackt beschlossen Koba und Momo darauf zu zuschleichen. Krümel, der glaubte, Marvin und seine Mutter kurz alleinlassen zu können, folgte ihnen. Beim Anpirschen stellte der unerfahrene Hyänenjunge sich allerdings nicht ganz so geschickt an wie der Serval und die Ginsterkatze. Von den Geräuschen die Krümel machte, konnte eine Kreatur mit gutem Hörsinn gewarnt werden.
Nach einer Weile gelangten die Drei in die unmittelbare Nähe der Einschlagstelle. In dem frischen Krater lag ein pechschwarzer Gesteinsbrocken, an dem keinerlei Spuren von Glut oder irgendetwas anderes, was auf seine kosmische Reise hinwies, zu erkennen war. Der schwarze Stein lag einfach so da, als ob er sich schon ewig an diesem Ort befand.
Plötzlich huschte etwas an Krümel, Koba und Momo vorbei. Es war eine Art Echsenwesen, nicht größer als ein Chamäleon, doch es leuchtete pulsierend auf. Wenige Augenblicke, nachdem es weggehuscht war, kehrte es zurück. Dieses Mal blieb das Geschöpf stehen, wobei es die drei verschiedenartigen Tiere mit funkelnden Augen musterte. Krümel, Koba und Momo starrten ihrerseits die Sternenechse voller Faszination an. Keiner von ihnen brachte zu Beginn auch nur ein einziges Wort hervor.
Nach einer Phase abwartenden Schweigens, richtete das Echsenwesen sich auf seine Hinterbeine auf und breitete das vordere Beinpaar wie zwei Arme aus. Unter den Beinen befanden sich schuppige Hautlappen, die wie der Rest des Körpers pulsierend leuchteten. Sie erfüllten wohl den Zweck von Schwingen und ermöglichten dem Wesen bei gutem Wind durch die Luft zu gleiten.
„Seid gegrüßt, Bewohner dieses Planeten, ich fühle mich geehrt Eure Bekanntschaft machen zu dürfen“, sprach die Sternenechse in der Gemeinsprache der Tiere, die von allen Drei verstanden wurde.
„Uns ist es ebenso eine Ehre“, überwand Momo ihre Scheu. Gleichdarauf verfiel die Ginsterkatze allerdings wieder in staunendes Schweigen.
„Hallo, bist du mit dem großen schwarzen Stein von den Sternen gekommen?“, fragte Krümel in seiner Kindlichen Neugier. Das Wesen überlegte kurz, wobei seine Augen wie geschliffene Diamanten zu funkeln begannen. „Ich bin ein kosmischer Wanderer“, entgegnete die Sternenechse. „Ja, ich bin auf dem schwarzen Stein durch das Weltall auf diesen Planeten geflogen.“
Krümel legte den Kopf schief. „Aber wie ist so etwas möglich?“
Die Sternenechse machte eine nickende Kopfbewegung. „Ich verstehe deine Verwunderung. Für die Bewohner dieser Welt, muss eine Reise durch den Kosmos unmöglich erscheinen.“
„Das tut es tatsächlich“, bestätigte Koba. Ungläubig kratzte der Serval sich mit der rechten Hintertatze das Fell.
„Meine Spezies stammt von einer Welt, die viele tausend Lichtjahre von hier in einem fernen Sternensystem liegt“, begann die Sternenechse zu erzählen. „Wir sind mit einer Lebensspanne gesegnet, die für die Geschöpfe auf diesem Planeten wohl unendlich erscheinen würde. Wenn wir nach den ersten zehntausend Jahren unserer Existenz in die sogenannte zweite Lebensphase übergehen, haben wir einige Fähigkeiten entwickelt, die uns das Überleben draußen im Weltall ermöglichen. Unsere Spezies ist dazu fähig, mit jeder festen Materie zu verschmelzen. Das schließt auch kosmisches Gestein ein. Dank magischer Kräfte, die im Laufe der Zeit in unseren Körpern reifen, ziehen wir durch geistige Konzentration Gesteinsbrocken aus dem Weltall an, die wir dann in einem Zustand der Symbiose als Flugmittel durch Raum und Zeit nutzen. Bevor ein Wesen die Reise durch den Kosmos antritt, verschmilzt es mit dem Gestein. Wenn einer von uns diesen Daseinszustand erreicht, kann er existieren ohne Nahrung oder Flüssigkeit aufzunehmen. Die kosmische Strahlung, der wir draußen im Weltall ausgesetzt sind, kann uns während der Zeit der Verschmelzung nichts anhaben. Allein durch die Kraft unserer Gedanken kann ein jeder von uns seinen Gesteinsbrocken durch die dunklen Weiten des Weltalls lenken. Wenn die Zeit gekommen ist, brechen die Auserwählten meines Volkes in alle Richtungen der Galaxie auf. Während auf diesem Planeten Generationen geboren wurden und wieder starben, um Platz für neues Leben zu machen, dauerte meine kosmische Reise an. Resistent gegen eisigste Kälte und höchster Hitze, flog ich vorbei an unzähligen Sternen, unbewohnten Planeten und deren Monden. Asteroiden kreuzten meine Bahn und aus der Ferne sah ich schwarze Löcher, die alles verschlangen, was ihnen zu nahekam. Letztendlich erreichte ich die Grenze dieses Sonnensystems. Dort erspürte ich diesen Planeten, der voll von den unterschiedlichsten Lebensformen ist, die es wert sind, gesehen und erforscht zu werden. Das Ziel eines jeden kosmischen Reisenden meines Volkes ist es, einen Planeten mit Leben zu finden und zu studieren. Mich hat es hierher auf eure Welt verschlagen.“
„Heu“, entgegnete Krümel. „Das nenne ich mal eine Reise. Dagegen sind die täglichen Jagdzüge des Hyänenclans nur kleine Ausflüge in die Nachbarschaft.“
Hin dessen tauschten Momo und Koba Blicke aus, die sowohl Staunen als auch Zweifel ausdrückten. Dieses wundersame Wesen stammte von einer anderen Welt, die nach ihrem sterblichen Vorstellungsvermögen, unendlich weit von der Erde entfernt lag. Sicherlich mochten auf jener fremden Welt andere Naturgesetze gelten, als auf der Heimaterde, die ihnen allen den vertrauten Lebensraum bot, aber konnte dies auch bedeuten, dass die Sternenechse neben ihren unendlich langen Leben auch über solche überdimensionalen Fähigkeiten verfügte, die sie mit der Materie außerirdischen Gesteins verschmelzen ließ, mit der sie sich auf Reisen begaben, die wie die Sternenechse sagte, viele Lichtjahre dauerte. Wenn die Erzählung wahr war, existierte das leuchtende Geschöpf bereits zu einer Zeit, als die Urvorfahren aller Tiere, die hier lebten, durch die Savanne streiften.
„Eine wahrhaft eindrucksvolle Geschichte“, sagte Momo. „Aber warum nimmt dein Volk die Strapazen so weiter Reisen auf sich, um zu entfernten fremden Welten zu gelangen?“
„Weil wir dazu auserkoren sind, fremde Welten und ihre Geheimnisse zu erforschen“, erwiderte die Sternenechse. Unsere Fähigkeiten, die sich über Äonen von Jahren entwickelt haben, verdanken wir unseren Forscherdrang, der uns antreibt, allen uns verborgenen Geheimnissen des Lebens auf den Grund zu gehen. So konnten wir uns zu Experten der Elemente entwickeln. Wir sind Philosophen, deren Wissen legendär ist. Außerdem verfügt ein jeder von uns über große Heilkräfte, da wir von allen Welten, in denen wir waren, Proben der besten Dinge sammeln.“
Bei dem Wort Heilkräfte horchte Krümel auf. Wenn man einen Schweifstern sah, die Augen schloss und sich inständig etwas wünschte, sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Hatte der Hyänenjunge vielleicht doch nicht umsonst darum gebeten, dass die Mutter des kleinen Marvin wieder gesund wurde? Vielleicht war es eine Fügung des Schicksals, dass die Sternenechse heute Nacht, genau an dieser Stelle gelandet war?
Seine anfängliche Scheu vergessend, trat Krümel dicht an die geheimnisvolle Sternenechse heran. Schnuppernd nahm die Nase des Hyänenjungen den Geruch des außerirdischen Wesens auf, der mit keinem der üblichen Gerüche, die einem sonst in der Savanne in die Nase stiegen, zu vergleichen war. „Du sagst, dein Volk besitzt die Fähigkeit zu heilen?“, harkte der Hyänenjunge nach. „Vielleicht auch Krankheiten? Krankheiten die Tiere in einer Welt befallen, die dir bisher fremd ist.“
Momo und Koba, die sich dessen bewusst wurden, worauf Krümel hinaus war, gaben ihrerseits die Distanz zu der Sternenechse auf und setzten sich rechts und links an die Seite der kleinen Tüpfelhyäne. Das pulsierende Leuchten des Wesens nahm an Intensität zu, als ob etwas sich in ihm regte.
„Neben der Gabe der Wundheilung, ist es uns unter höchster Konzentration möglich, lebenskraftraubende Antienergie aus einem Lebewesen herauszuziehen“, entgegnete die Sternenechse. „Dabei handelt es sich allerdings um eines der aufwendigsten Rituale, die all unser Können erfordern und nicht ohne Risiko sind.“
In den Glauben, dass auch Krankheiten zu dem zählten, was die Sternenechse unter Antienergie verstand, schöpften die drei Tiere Hoffnung für das Überleben des Giraffenweibchens.
„Unweit von hier liegt eine Giraffenmutter im Gras und ringt mit dem Tod“, erklärte Momo an Krümels Stelle, der sich wegen eines pelzigen Gefühls auf der Zunge gehemmt sah, eine Bitte an die Sternenechse zu richten. „Kira lautet ihr Name. Sie benötigt dringend ein Wunder. Wenn sie von ihrer Krankheit geheilt werden könnte, bedeutete dies auch das Überleben ihres Kalbs.“
Das Pulsieren der außerirdischen Echse nahm an Leuchtkraft zu. Krümel deutete dies als Zeichen, dass sie nachdachte. „Die kosmische Reise hat mich sehr erschöpft. Bevor ich nicht zu meiner alten Verfassung gelange, verfüge ich nur über einen Teil meiner Energie.“
Krümel, der wusste, dass alles darauf ankam die Sternenechse davon zu überzeugen, dass ihre Hilfe überlebenswichtig war, legte erneut seinen Kopf schief und versuchte besonders niedlich dreinzublicken. „Bitte, der kleine Marvin hat niemanden außer seiner Mutter. Wenn Kira stirbt, bedeutet das auch sein Todesurteil“, flehte der Hyänenjunge.
„Du bist wirklich süß“, gab die Sternenechse mit einem Seufzen zu. „Also gut, ich werde mir diese Giraffenmutter ansehen, um zu tun, was mir möglich ist.“
„Hurra!“, freute Krümel sich und sprang zweimal in die Luft.
Gemeinsam mit der Sternenechse machten sich Krümel, Momo und Koba auf den Weg zu der Stelle, wo das Giraffenweibchen unter der Bewachung ihres Sohns im Gras lag. In dem Versuch seine kullernden Tränen zu unterdrücken, musterte Marvin voller Neugier jenes seltsame Tier, dessen Schuppenhaut wie ein schlagendes Herz aufleuchtete.
„Es wird alles gut werden, Marvin“, tröstete Momo mit sanfter Stimme. „Dieses weise alte Wesen besitzt die Macht deiner Mutter zu helfen. Du wirst sehen, Kira wird wieder gesund werden und sich um dich kümmern können.“
Die Augen der Sternenechse funkelten, während sie den Körper des Giraffenweibchens von oben bis unten und von allen Seiten musterte. Um herauszufinden was der Giraffenmutter genau fehlte, nahm sie mit Kiras im Delirium befindlichen Geist telepathisch Kontakt auf. Nachdem die Sternenechse das Giraffenweibchen mehrmals umkreist hatte, kletterte sie auf das sterbenskranke Tier und ließ sich auf einen der Schorfhügel nieder.
„Ihr solltet mit dem kleinen Marvin ein Stück zurücktreten“, riet das weise Wesen. „Die Kräfte, die ich gleich freisetze, breiten sich über den gesamten Körper der Giraffenmutter und der direkten Umgebung aus. Die Heilung ist allein für sie bestimmt. Wenn jemand von euch davon berührt wird, kann es passieren, dass ihre Macht am Ende nicht ausreicht, um die tückische Krankheit vollends zu besiegen.“
Die Tiere taten wie ihnen geheißen wurde. Selbst Marvin trat ohne Widerstand zum ersten Mal seit Tagen, von seiner führsorglichen Mutter zurück. Die Aussicht, dass Kira wieder gesund werden würde, vertrieb bei den Vieren jegliche Zweifel und sie vergrößerten den Halbkreis, den sie um das Giraffenweibchen eingenommen hatten.
Die durchdringenden Augen der Sternenechse funkelten im silbrigen Glanz auf, wie es die Sterne am Nachtfirmament taten. Die sanfte Stimme des außerirdischen Wesens stimmte einen mystisch klingenden Gesang in der uralten Sprache seines wundersamen Volkes an. Während die Gesangszeremonie andauerte, entströmte der Sternenechse ein schnell anwachsender Lichtkreis, der auf den Körper des im Fieberdelirium daliegenden Giraffenweibchens überging. Das ganze wiederholte sich noch sechsmal. Mit jedem Lichtkreis der Kiras langhalsigen Leib durchfuhr, löste sich ein Schorfhügel an ihr auf, bis am Ende keiner mehr übrigblieb. Dann endete auch der Gesang der Sternenechse.
„Die Giraffenmutter ist von ihrer todbringenden Krankheit geheilt“, gelobte die Sternenechse, wobei ihre Stimme wie zuvor und nicht mehr ganz so mystisch klang. „Das Fieber wird bald von ihr weichen. Mehr kann ich nicht tun. So erschöpft habe ich mich bestimmt seit fünftausend Jahren nicht mehr gefühlt. Meine Energie werde ich in vielen Sonnenstunden auf eurer Welt zurückgewinnen müssen.“
Gebannt starrten die Tiere auf Kira, die nach Momenten angespannter Stille, allmählich die Augen aufschlug. Am Anfang noch benommen, wurde der Blick ihrer Augen schnell klar. Kiras Kopf wandte sich zu ihrem Kind um, das sie sogleich erkannte. „Kleiner Marvin“, sagte die Giraffe. „Oh, mein Kleiner, komm zu mir.“
„Mama!“, freute Marvin sich nach langer Zeit wieder. Freudig berührt lief Marvin zu seiner Mutter, die ihm mit ihrer Zunge behutsam über sein Gesicht leckte. Fröhlich lachend sprang Marvin um das Muttertier herum, das im Begriff war langsam aufzustehen. Als Kira am Anfang noch wackelig, danach immer sicherer auf ihren vier Beinen stand, schmiegte Marvin sich an sie. „Du bist wieder die alte Mama. Du bist wieder gesund.“
„Ich fühle mich auch wieder richtig gut“, entgegnete die Giraffe. „Wem auch immer ich diese unverhoffte Genesung zu verdanken habe, soll nicht nur meinen, vor allem auch Marvins besten Segen empfangen.“
Erschöpft fleuchte die Sternenechse zwischen Kobas und Momos Pfoten entlang. „Habt vielen Dank, Wanderer der Sterne, wir stehen tief in Eurer Schuld“, lobte Momo ehrfürchtig. Die Sternenechse ließ sich auf einer Stelle im flachen Gras nieder. „Keiner von euch steht in meiner Schuld“, erwiderte das außerirdische Echsenwesen. „Auch die Giraffenmutter und ihr Kalb nicht. Betrachtet das ganze als Gastgeschenk eines aus weiter Ferne Reisenden. Das was ich vollbracht habe, hat mich fürs erste geschwächt, aber nichts von meiner Wissbegier geraubt. Um die ersten Schritte zu machen diese Welt zu erkunden, würde ich mir wünschen, wenn ich mich einem von euch in den nächsten Tagen als Gefährte anschließen dürfte.“
Wohlwollend sprang Momo mit den Vorderpfoten in die Höhe. „Es wäre mir eine wahre Ehre.“
Als in dieser wunderbaren Nacht im bleichen Licht des Mondes und dem Funkeln der Milchstraße sich die Wege der Gemeinschaft trennten, nahm Momo die Sternenechse auf ihren Rücken und zeigte ihr das Leben einer Ginsterkatze in diesem Teil der Savanne. Über die Abenteuer, welche die beiden erlebten, soll an anderer Stelle berichtet werden.
Kira und Marvin lebten ihr friedliches Leben weiter. Schützend konnte das Giraffenweibchen ihr Kalb aufwachsen sehen, bis es groß genug war, um sein Leben selbstständig bestreiten zu können. Niemals wieder wurde Kira lebensbedrohlich krank.
Was Krümel und Koba betraf, so begleitete der Serval den Welpen, bis plötzlich zwei der jüngeren Tüpfelhyänenweibchen aus Krümels Rudel in Sichtweite erschienen. „Die Zwei dort werden dich das letzte Stück zu deinem Clan bringen“, flüsterte Koba in Krümels rechtes Ohr. Als stets auf der Hut befindlicher Serval, bevorzugte es Koba niemals viel weiter als auf Sichtweite an größere Raubtiere heranzukommen. „Ich bin weg, mach‘s gut, Kleiner“, sagte er zum Abschied.
„Bis zum nächsten Mal mein Freund!“, rief Krümel den eilig verduftenden Serval hinterher. Kurz darauf waren die zwei Hyänenweibchen, die von Sereinia zur Suche ausgesandt worden waren, bei ihm.
„Hey Krümel, du kleiner Rumtreiber!“, rief eine der Hyänen, deren Name Tarja lautete. „Endlich haben wir dich gefunden. Der gesamte Clan ist verrückt vor Sorge. Wohin hast du dich nur wieder davongeschlichen?“
„Ich habe meinen Wunschschweifstern gesucht und gefunden“, erwiderte der Welpe.
Die zwei Hyänenweibchen mussten laut lachen. Es war nicht jenes grelle Kichern, das Hyänen arttypisch zur Verständigung ausstießen, sondern ein Lachen, das von Herzen kam. „Oh, Krümel, du und deine Märchen, die du bei deinen Freunden oder irgendwelchen Erdmännchen aufschnappst“, entfuhr es Tarjas Schwester Soca, die nicht minder amüsiert war.
Entschieden schüttelte Krümel den Kopf. „Nein, das ist kein Märchen.“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 20.06.2023:


Hallo Markus,

wirklich gute Geschichte.

Dann freue ich mich was die Echse so alles auf unserem Planeten erlebt.

Eine schöne Zeit
jüro






geschrieben von Lutti am 21.06.2023:

Dankeschön! Auch im Namen von Krümel, seinen Freunden und der Sternenechse.




geschrieben von Nordlicht am 22.06.2023:

Schöne Geschichte mit ungewöhnlichen Protagonisten. Hat mich neugierig gemacht, was die Sternenechse noch so für Abenteuer erlebt (und auf anderen Planeten bereits erlebt hat).

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