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geschrieben 2022 von DerUnbekannte.
Veröffentlicht: 12.07.2023. Rubrik: Fantastisches


Der fünfte Wind

Es begab sich zu einer Zeit, als die Erde gerade geschaffen war. Die Menschen lebten in Frieden untereinander und sprachen eine Sprache. Es gab kein Übel, keinen Krieg, keinen Streit. Doch es gab auch keine Bewegung auf der Erde, alles war an seinem Platz. Berge, Flüsse, Meere, das alles war an seinem Platz. Kein Sandkorn wurde durch die Luft getragen, kein neuer Baum wuchs, keine Wellen brandeten auf das Ufer. Alles war, verging nicht und blieb so. Und den Himmel langweilte es, darum fand alsbald ein großer Rat statt. Die Diener des Himmels beratschlagten sich, was zu tun sei. Schließlich entschloss man sich Abgesandte auf die Erde zu schicken, die die Welt beleben sollten. Viele Freiwillige sprachen vor und bewarben sich für diesen Auftrag, denn jeder wollte gerne auf der Erde sein und unter der neuen Schöpfung leben. Am Ende wählte man vier Vertreter des Rates aus und beauftragte sie auf die Erde zu gehen und dort für Bewegung zu sorgen.
Das jüngste Kind des Himmels aber war über diese Entscheidung sehr traurig, denn es wurde nicht ausgewählt. Und es sehnte sich sehr nach der Erde und den Menschen. Also sprach es beim Obersten des Himmels vor und bat ihn mit den vieren gehen zu dürfen. Doch der Herr des Himmels sprach: „Der Ratsschluss steht fest und die vier Gesandten sind nach ihren Fähigkeiten ausgewählt worden. Sie sollen auf die Erde gehen und niemand sonst.“ Doch das Kind bat ihn ein zweites Mal: „Bitte sende mich mit ihnen auf die Erde, lass sie alle dorthin gehen, aber schicke mich als fünften mit ihnen.“ Doch der Herr erwiderte erneut: „Nur für vier ist Platz, denn es gibt vier Richtungen, in die sie gehen können. Vier ist die Zahl und nicht Fünf.“ Doch das Kind erwiderte ein drittes Mal: „Bitte ich will dir beweisen, dass auch ich helfen kann, ich will nur dahin gehen, wo noch Platz ist, und niemandem werde ich sein Reich streitig machen.“ Da sprach der Herr: „Wenn dies dein Wunsch ist, so gehe dann. Aber wisse, dass dies nicht mein Wunsch ist. Du wirst keine Freude auf der Erde haben, denn wohin du gehst, da wird bereits ein anderer sein. Doch sehe ich schon, dass du mir nicht glaubst. Nun denn! Gehe und lerne dies für dich selbst. Am Ende, wenn du klug geworden bist, werde ich dich wieder bei mir aufnehmen.“ Das Kind aber hörte bereits nicht mehr zu und stürmte freudig von dannen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vier bereits auf die Welt gekommen. Sie waren hinabgestiegen und landeten miteinander auf dem höchsten der Berge auf der Welt. Von dort nun waren sie losgezogen, ein jeder in eine andere Richtung. Auf jenem Berg nun landete das Kind des Himmels und blickte sich um.
Von der Höhe aus blickte es zuerst nach Norden. Und siehe: Dort streifte der Nordwind durch die Wälder und an der Küste entlang, kühl, aber belebend durchstreifte er die Luft und die Menschen freuten sich über ihn. Und von der Höhe aus blickte das Kind nach Westen. Und siehe dort wehte der Westwind durch die Wüste und trug den Sand von einem Ort zum anderen. Und er begrub mit Sand Felsen und Wiesen und es war schwer dort zu leben. Doch dort, wo er den Sand wegnahm, da kam das Wasser im Boden hervor und Oasen entstanden und sie waren eine Freude, für alle die dort wohnten. Und von der Höhe aus blickte das Kind nach Süden. Und siehe dort war der Südwind und er brachte warme Luft und die Menschen freuten sich über ihn, denn er brachte Freude und Frohsinn. Und er versetzte das Meer in Wallung und spülte Wellen ans Ufer. Und von der Höhe aus blickte das Kind nach Osten. Und siehe dies war das Reich des Ostwindes, der durch die Gebirge wehte. Und er war schneidend und gefährlich, denn er brachte bittere Kälte und wehte mit unerwarteten Böen und Wanderer stürzten in ihren Tod. Er war nicht geliebt, aber auch er übte eine wichtige Aufgabe aus, denn er verbreitete die Samen der Bäume, die auf den Berghängen wuchsen und sorgte so für neues Leben in den Tälern und ebenen.
Und das Kind überlegte, wohin es gehen sollte, und es entschloss sich zunächst in den Norden zu gehen. Doch als es dahin kam, sprach der Nordwind mit harter Stimme: „Was willst du hier? Dies ist mein Reich.“ Das Kind aber sprach: „Lass mich dir helfen, ich will wie du durch die Wälder ziehen.“ Der Nordwind war zwar nicht zufrieden, aber er gewährte den Wunsch. Doch nach kurzer Zeit wurde er des Kindes überdrüssig und sprach: „Verschwinde von hier. Ich bin stärker und schneller als du, und du bist mir stets im Weg.“ Da verschwand das Kind gekränkt aus dem Norden.
Und es kam in den Westen. Argwöhnisch betrachtete der Westwind das Kind, aber auch er gewährte ihm zunächst den Wunsch: „Die Wüste ist groß.“, sprach er, „Groß genug für uns beide. Also suche dir einen Platz und tue dort dein Werk. Ich will mich von dir nicht beirren lassen.“ Und das Kind freute sich und ging in die Wüste und es bemühte sich es dem Westwind gleichzutun. Und für kurze Zeit wehten zwei Winde durch die Wüste. Doch das Kind merkte schnell, das ihm der raue Sand zusetzte und dass es nicht stark genug war, um so viel von einem Ort zum anderen zu schaffen. So plagte es sich einige Zeit in der Wüste, bis der Westwind zu ihm sprach: „Geh fort von hier. Du bist nicht für das harte Leben in der Wüste gemacht. Dieser Ort ist zu viel für dich. Suche dir einen Platz, der deinen Fähigkeiten gerecht wird.“ Und das Kind war traurig und schämte sich und zog von dannen.
Und es kam in den Osten. Dort zog der Ostwind durch die schroffen Grate. Als er das Kind erblickte fauchte er es an: „Was suchst du hier? Verschwinde aus meinem Gebiet. Verschwinde oder ich werde dich hinfort wehen.“ Und er rempelte das Kind an und es stürzte tief hinab. Da verschwand das Kind schnell aus dem Osten und kehrte nicht mehr hierhin zurück.
Und es kam schließlich in den Süden. Dort traf es den Südwind, der sich darüber freute, es kennenzulernen. Und es erzählte ihm seine Geschichte. Da sprach der Südwind freundlich und voller Mitleid: „Bleibe doch hier bei mir. Der Süden ist groß und wir beide haben hier Platz. Auch ist der Süden freundlicher als die Wüste. Mir macht es nichts aus, mein Reich mit dir zu teilen. Du sollst die gleichen Rechte hier haben wie ich.“ Und das Kind freute sich über das Angebot des Südwindes und es ließ sich im Süden nieder. Und der Südwind war freundlich zu ihm und ließ dem Kind seinen Platz. Einige Zeit wehten sie beide durch den Süden und verbreiteten Wärme. Und dem Kind ging es gut.

Doch mit den Jahren merkte es, dass keiner der Menschen es zu beachten schien, denn wann immer sie über den Wind sprachen lobten sie nur den Südwind für sein Werk, aber niemals es. Und der Südwind schien das nicht zu merken. Da beschloss das Kind, das es größer und stärker sein müsste, damit es beachtet würde. Und es wuchs und wurde schneller und stärker. Doch nun wehten zwei starke Winde durch den Süden und den Menschen wurde der Wind zu viel, sie murrten über den Wind. Der Südwind sah dies alles und war betrübt, doch weil er dem Kind sein Wort gegeben hatte, sagte er nichts. Und als der fünfte Wind immer stärker wurde, da beschloss der Südwind für eine Weile zu ruhen. Und er legte sein Werk nieder, denn die Menschen klagten über den Wind.
Da freute sich das Kind insgeheim, denn plötzlich bekam es Beachtung. Und voller Stolz wuchs es noch weiter an. Doch nun war der fünfte Wind sogar allein zu stark geworden und die Menschen klagten wieder und verfluchten den Wind. Denn hohe Wellen brandeten an die Ufer und überschwemmten die Strände. Und das Kind verstand nicht warum sie murrten und wurde noch größer und stärker. Da nahm sich der Südwind ein Herz und sprach zu dem Kind: „Ich habe dir versprochen mein Reich mit dir zu teilen, doch nun bist du zu groß geworden. Im Süden ist kein Platz mehr für uns beide. Ich habe mein Wort gegeben, deshalb kann ich dich nur bitten: Gehe fort, denn siehe die Menschen leiden unter dir!“ Da war das Kind zutiefst betrübt und es verstand nicht, warum es gehen sollte, aber da es gekränkt war, zog es weinend von dannen und wo es langzog, da regnete es. Und es hasste sich selbst, denn es fühlte sich schuldig. Doch der Hass war leichter zu ertragen als die Schuld. Bald wurde es so wütend, dass sich seine Wut nicht mehr bei ihm blieb und es dachte bei sich: „Daran sind nur all die anderen Schuld, die mir keinen Platz bieten konnten. Ich war zu klein und schwach? Nun sollen sie sehen, wie ich wirklich bin!“
Und wutentbrannt zog es nach Osten und auf dem Weg wurde es noch größer und wandelte sich zu einem regelrechten Sturm. Es erklomm die Berge und stieg über die Gipfel und es spürte den Ostwind auf und sprach: „Hinfort wehen wolltest du mich? Siehe, hier bin ich wieder!“ und es stieß ihn gegen eine Felswand. Der Ostwind taumelte und konnte sich nicht zur Wehr setzen. Und das Kind bemerkte mit einem Mal, wie stark es geworden war. Ursprünglich hatte es geplant es bei diesem Denkzettel zu belassen, doch in dem Moment, wo der Ostwind hilflos an der Wand zusammensackte, war ein nie gekanntes Feuer der Wut entbrannt. Es packte den Ostwind und warf ihn den Hang hinab ins Tal. Krachend und schreiend schlug er unten auf. Und der Sturm stürzte ihm hinterher und hob ihn wieder empor und schleuderte ihn auf einen der Scharfkantigen Gipfel. Der Stein barst und der Ostwind schrie und jammerte. Das Kind packte die Trümmer und schleuderte sie wutentbrannt auf den Ostwind, der sich mittlerweile kaum noch bewegen konnte. Doch das Kind hörte nicht auf und setzte ihm zu, bis er Tod war. Und es schrie voller Wut und Verzweiflung zum Himmel: „Warum hast du mich nicht zurückgehalten? Wusstest du, dass ich so etwas tun würde? Warum hast du mir diese Wut gegeben?“ Und es brach weinend zusammen und Blitze zuckten im Gebirge. Doch dann kehrte wieder Ruhe in seinem Gemüt und es rief erneut zum Himmel, weniger verzweifelt, dafür umso zorniger: „Also gut, dann sieh nun, was du davon hast. Alle sollen mich kennenlernen!“
Und vom Gebirge aus brach der fünfte Wind hinab ins Tal. Und als riesiger Wirbelsturm zog er über die Länder und vernichtete alles, was in seinen Weg kam. Und in diesem Sturm seines Hasses war das Kind gefangen und es schrie voller Verzweiflung und unbändigem Zorn. Sieben lange Jahre tobte der Sturm und viele Menschen wurden getötet und immer weiter wuchs er an.
Da versammelten sich die verbliebenen Winde und besprachen was zu tun sei. Der Westwind war sich unschlüssig. Der Nordwind war der Meinung, sie müssten das Kind töten, doch der Südwind hielt dagegen: „Ich kannte es, als es noch klein und jung war. Es hatte damals keine bösen Absichten. Eine schreckliche Tragödie ist dies. Und niemand leidet mehr darunter als dieses arme Kind.“ Doch der Nordwind erwiderte: „Es mag leiden, ja, aber viele Menschenleben sind ihm zum Opfer gefallen. Mir ist es nicht egal, wie schlecht es ihm geht. Aber mich kümmern auch die, die es täglich tötet. Oder unser Bruder, den es ermordet hat. Willst du auch sagen, es sei da das Opfer gewesen?“ „Der Ostwind hat ihm einiges angetan.“, sagte der Südwind traurig, „Wir alle tragen eine Mitschuld an diesem Unglück. Dennoch hast du Recht: Das, was es jetzt tut, ist nicht rechtens und ich wünschte es wäre niemals auf diese Welt gekommen, das wäre besser für es und für uns gewesen. Dennoch kann ich es nicht übers Herz bringen ihn zu töten.“ „Dann versuche du mit ihm zu reden“, warf der Westwind ein, „und wenn es dir gelingt, dann werden wir alle glücklich sein. Aber wenn es dir nicht gelingt das Kind von seinem unglücklichen Wege abzubringen, dann dürfen wir nicht zögern zu handeln.“ Und so zogen Nord-, West- und Südwind aus und suchten nach dem fünften Wind.
Dieser war auf dem Weg zu einer der großen Städte, die er bislang noch nicht gewagt hatte anzugreifen. Lange schon hatte das Kind vergessen, warum es damit eigentlich begonnen hatte, aber wann immer es anfing seine Taten zu hinterfragen wurde es nur noch wütender auf sich selbst und die Welt. Es riss die Mauern der Stadt nieder und zerfetzte Menschen und Häuser. Leid und Tod kamen an diesem Tag über einen Großteil der Menschen. Da sprang ihm der Südwind in den Weg und rief: „Halt ein, Kind des Himmels. Wir wollen dir nicht wehtun. Lass ab von deinem Treiben und ich verspreche dir, wir werden dir helfen können.“ Doch lange schon war der Wind kein Kind mehr, und er legte den Kopf schief und dachte nach, wer es war, der mit ihm sprach. Da viel es ihm urplötzlich wieder ein und er schrie: „Keiner von euch hat mir damals geholfen! Warum sollte das jetzt anders sein! Ihr habt mich vertrieben, geschlagen, ausgelacht…niemand von euch hat die Absicht mir zu helfen!“ „Ich habe dich nicht vertrieben!“, sprach der Südwind ernst, „Ich nahm dich auf und bot dir Platz. Ich war dir stets wohlgesonnen!“ Und in der Nacht seiner Verzweiflung brüllte das Kind: „Du warst mir so lange wohlgesonnen, wie ich schwächer war als du! Zweifellos hattest du kein Problem damit zuzuschauen, wie du keinen Finger rühren musstest um mich zu demütigen! Nur allzu gerne hast du den großzügigen Gönner gespielt! Doch ich wurde stark, wie du! Da war es mit einem Mal aus mit der Großzügigkeit! Und nun bin ich stärker als ihr alle und du sollst mich kennenlernen! Norden, Süden, Osten und Westen, das waren eure Reiche, aber meines ist größer! ICH BIN DER WELTENWIND!“ Und er packte den Südwind und riss ihn entzwei. Da schrien Nord- und Westwind entsetzt auf, und der Westwind stürmte voller Schrecken davon. Der Nordwind aber stürzte sich voller Wut auf den fünften Wind und wollte ihm seinen eisigen Speer direkt ins Herz rammen. Doch der fünfte Wind riss ihm den Speer aus der Hand. Höhnend lachte er den Nordwind aus und packte ihn und zerschmetterte ihn am Boden. Dann jagte er dem Westwind nach und fand ihn in seiner Wüste. Und als er dort ankam entstand ein riesiger Sandsturm. Und er warf den Westwind zu Boden und hielt ihn dort fest. Und er umhüllte ihn ganz und gar und der Sand schliff dem Westwind die Haut vom Leib. Der Westwind schrie und wand sich in Schmerzen. Schließlich sackte er leblos zusammen.
Nun war der fünfte Wind allein, er war wahrhaft der Weltenwind. Und er kehrte zur Stadt zurück, um sein Werk fortzusetzen. Voller Vorfreude malte er sich aus was er alles tun könnte. Doch als er die Stadt sah, da lag sie bereits in Trümmern, denn ohne, dass er es mitbekommen hatte, hatte er sie bereits vollends vernichtet in seinem wilden Kampf mit dem Winden.
Und das Kind sah, was es getan hatte, und es sah die Leichen von Nord- und Südwind. Und es erinnerte sich daran, wie der Ostwind krachend ins Tal gestürzt war und wie der Westwind unter der Sandfolter geschrien hatte.
Da begriff es am Ende seine Taten. Und es gab seinen Lebenswillen auf und der Herr im Himmel erbarmte sich seiner und nahm es wieder zu sich. Sein Geist war gebrochen, es lebte noch, doch war nunmehr eine leere Hülle, einzig von Trauer noch gefüllt. Und so weint es auch heute noch im Himmel. Und der Herr des Himmels seufzte, denn er hatte dies alles vorausgesehen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von .Eichhörnchen. am 13.07.2023:

So lange Gedchichten sieht man selten, hier, auf dieser Website. Aber das heißt nicht, dass die Gedchichte schlecht ist, ganz im Gegenteil: Sie ist sehr interessant, auch wenn die traurig ist. Je weiter man liest, desto größer wird das Interesse. VG Eichhörnchen




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 13.07.2023:

Hallo Unbekannter,

auch ich finde deine Geschichte bis zum dritten Absatz gut.

Sei doch bitte so nett und lese unter der Rubrik "News" meinen Beitrag "Eine Bitte".

Eine schöne Zeit
jüro


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