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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2017 von Jens (Jens Richter).
Veröffentlicht: 04.01.2024. Rubrik: Aktionen


Der 2te Wächter

Um ehrlich zu sein, passte es mir überhaupt nicht in den Kram, dass dieser Notarbrief auf meinem Küchentisch lag.
Mein Onkel mütterlicherseits hatte seinen letzten Weg angetreten und ich wurde als alleiniger Erbe auserkoren.
Was bedeutete das für mich?
Ein uraltes Siedlungshaus entrümpeln, einigermaßen herrichten, um es noch für einen vernünftigen Preis verticken zu können.
Ich wusste so gut wie nichts über Onkel Otto.
Das letzte Mal war ich mit meiner Oma, als junger Mann Anfang der neunziger Jahre bei ihm zu Besuch.
Da war er noch gar nicht so alt.
Er hatte damals ungefähr das Alter wie ich heute, Mitte Fünfzig.
Zu Lebzeiten hatte er, so war es jedenfalls mein Eindruck gewesen, keine Reichtümer angehäuft.
Es gab im Haus eine Küche, die gute Stube, ein Schlafzimmer, das Waschhaus mit Plumpsklo und einen Stall.
Alles war spartanisch eingerichtet auf 80 Quadratmeter.
Otto war Bauer mit Leib und Seele, hatte damals ein Schwein, Karnickel, Gänse und einen riesigen Garten.
#
Ich fuhr also in sein 120-Seelen-Dorf ins Brandenburgische.
Kein Mensch war auf der Straße.
Es gab in dem Nest verlassene LPG-Anlagen, einen Teich der staatlichen Fischereiwirtschaft, eine barocke Kirche und eine Schlossruine mit Rittergut.
Ottos Haus fand ich gar nicht gleich auf Anhieb und so musste ich einige Ehrenrunden im Dorf drehen.
Das Navi behauptete aber felsenfest, "Sie haben ihr Ziel erreicht."
Ich stieg aus meinem Nemo aus und setzte die Suche zu Fuß fort.
Hinter einer unscheinbaren Durchfahrt zwischen zwei ehemaligen Rinderställen befanden sich einige Grundstücke mit Einfamilienhäusern, die in den frühen Jahren der DDR gebaut wurden waren.
Ich schloss das Haus auf, ein muffiger Gestank schlug mir entgegen.
Wer weiß wie lange hier keiner mehr drin war.
Nachdem ich alle Fenster geöffnet hatte, begann ich mit der Sichtung der Hinterlassenschaft.
Alles, wirklich alles war auf einem Stand der frühen fünfziger Jahre.
Otto hatte auch nichts weiter an persönlichen Wertgegenständen, außer einer Glashütte-Uhr und die Hochzeitsringe von seiner ersten Ehe.
Ansonsten hatte er einen guten Anzug, ein Paar italienische Designerschuhe und Arbeitswäsche für jedes Wetter.
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Noch am gleichen Abend fuhr ich zurück nach Hause.
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Ich hatte mir eine Holzkiste mit vergilbten Fotos, Tagebüchern, Briefen und Zeichnungen mitgenommen.
Da im GEZ-finanzierten Fernsehen erwartungsgemäß nur Müll flimmerte, hatte ich genügend Zeit, um mir den Inhalt der Kiste anzuschauen.
Mir fielen handgemalte Grundrisse des Rittergutes sowie des Schlosses ins Auge, letzteren nahm ich mir genauer unter die Lupe.
Dabei handelte sich um das Kellergewölbe der Schlossruine.
Hinter dem Kohlenkeller musste sich ein kleiner Raum befinden, der laut Zeichnung zugemauert war.
Dieser verschlossene Raum war mit einem blauen X markiert.
Was hier wohl verborgen war?
In meinem Kopf ratterte es und ich malte mir allerlei wilde Spekulationen aus.
Außerdem fiel mir Ottos Tagebuch aus den Jahren 1944/ 45 in die Hände.
Das war jetzt doch interessant!

Hier einige Auszüge daraus:

Max von Sternberg (der Sohn des Schlossbesitzers) zeigte mir einen Tunnel, der vom Schloss bis zum Wäldchen führte, das an unseren Garten grenzte.
Max sagte mir, dass sein Urur...großvater den Tunnel während des dreißigjährigen Krieges graben ließ, um in größter Not fliehen zu können.

Heute verabschiedete ich mich von Max.
Seine Familie wollte unser Dorf noch vor dem drohenden Einmarsch der Roten Armee verlassen.
Ihr Ziel war die Schweiz.
Auf meine Frage, ob er bald zurückkehren würde, antwortete er, 'Vielleicht, wenn der Krieg einmal vorbei ist.'

Heute kam ein Transporter der Wehrmacht im Dorf an.
Hektisch luden die Soldaten Kisten ab und brachten sie ins Schloss.

Es wurde tagelang im Schloss gewerkelt.

Ich hatte nicht schlecht gestaunt, dass die Soldaten wieder verschwunden waren, als hätte sie der Erdboden verschluckt.
Das Schloss ist verriegelt und verrammelt.
Auch der Tunnelausgang am Waldrand ist mit großen Gesteinsbrocken zugeschüttet.

Seiten weiter:

Die Russen sind jetzt in unserem Dorf.
Ein Major wohnt im Schloss und seine Soldaten in den Gesindehäusern.
Der Krieg, so sagen die Russen, ist vorbei.
Mutter arbeitet als Köchin bei ihnen.
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Aus den Aufzeichnungen reimte ich mir meinen Teil zurecht.
Was ist, wenn die deutschen Soldaten Kriegsbeute im Schloss versteckt hatten?
Das musste ich unbedingt erkunden.
Für die nächsten Wochen hatte ich mir Urlaub genommen, um Ottos Haus zu entrümpeln.
Dazu hatte ich extra einen Container bestellt.
Außerdem hatte ich einen Termin mit einer Maklerin zwecks Hausbesichtigung vereinbart.
#
Wenn in einem Dorf ein neues Gesicht auftaucht, dann hast du stets das Gefühl, dass alle Augenpaare auf Dir ruhen.
Anfangs tuschelte man, ob der Neue wohl, gemeint war natürlich ich, sich im Ort dauerhaft niederlässt.
Immerhin war ich jetzt schon einige Wochen präsent.
Im Vorfeld hatte ich mich erst einmal nicht mehr um Aufträge für meinen Einmannbetrieb bemüht, weil ich Ottos Haus so herrichten wollte, dass ich es nicht für ein Äppel und ein Ei verkaufen musste.
Zwischenzeitlich sah die Hütte richtig schmuck aus.
Die Maklerin hatte mir da einige gute Tipps gegeben.
Und nicht nur das!
#
Ich war mir sicher, dass jemand mein Treiben ganz intensiv beobachtete.
Da gab es immer mal wieder reflektierende Strahlen wie von einem Fernglas erzeugt oder einen Schatten, der blitzschnell hinter den Büschen verschwand, wenn ich nur in die Richtung schaute.
Vielleicht war ich auch schon schizophren.
#
Irgendwann war ich auch mal zur Ruine gegangen, besser gesagt in das Kellergewölbe hinabgestiegen.
Ich wollte die Ecke erkunden, wo der Tunnel herauskommen musste.
Wie ich es bereits vermutet hatte, war eine zweite Wand davor gemauert wurden.
Sehr professionell, denn ein ungeschultes Auge hätte die Veränderung nicht so ohne weiteres erkennen können.
Wenn ich heraus bekommen wollte, welches Geheimnis sich hinter der Wand verbarg, musste ich den Tunnel vom Waldrand her freilegen.
Als ich die Ruine verlassen wollte, hörte ich oben Schritte, traf aber wieder keine Menschenseele an.
Sicher bildete ich mir das alles wieder nur ein.
#
In der abendlichen Dämmerung machte ich mich daran, den alten Tunnelzugang freizulegen.
Dabei war ich so in die Arbeit vertieft, dass ich nicht bemerkte, dass sich jemand von hinten an mich herangeschlichen hatte.
Erst als es laut klickte, zuckte ich zusammen und drehte mich um.
Ein älterer Herr im Jägeranzug und Schiebermütze auf dem Kopf stand vor mir.
In seiner Hand hielt er einen Colt, den er auf mich gerichtet hatte.
Instinktiv hob ich beide Hände.

"Ich will ihnen nichts böses", begann er gleich, "aber ich denke, dass sie nicht das finden werden, was sie zu finden erhoffen."

"Einen Schatz?", rutschte es mir heraus.

"Schütten sie bitte das Loch wieder zu oder ich überlege es mir doch noch anders."

Mist, die ganze Schufterei für die Katz.
Ich verfüllte das Loch wie geheißen.
Den Kerl musste ich loswerden.
Meine Kampfkunsterfahrung nutzte mir hier gar nichts, denn ich fand keine Möglichkeit, den Alten außer Gefecht zu setzen, ohne selbst eine Kugel in den Bauch zu kassieren.
Nachdem ich fertig war, steckte er die Waffe in die Jacke.

"Kommen sie bitte mit.", befahl er forsch.

Wir gingen zum Rittergut, besser gesagt in das Gesindehaus.
Zu meinem Erstaunen war dieses komfortabel wie eine Villa eingerichtet.
Er wies mir einen Platz im Arbeitszimmer zu und holte eine Thermoskanne mit Tee sowie zwei Tassen aus der Küche.

"Herr Georgi, sie heißen doch so oder?"

Ich nickte.
Woher wusste er, wer ich bin?
Dorf eben, da spricht sich alles herum.
Was hatte ich auch anderes erwartet?

"Entschuldigen sie bitte, dass ich sie mit der Waffe bedroht habe.
Ich versichere ihnen, dass ich niemals auf sie geschossen hätte.
Ich bin Max, Freiherr von Sternberg.
Mir gehört das Anwesen und ich wache über das Schloss."

Ich wache über das Schloss, schien mir eine seltsame Formulierung zu sein.
Abwarten, was der Alte mir jetzt offenbart.

"Sie und das wusste ich von ihrem Onkel Otto sind ein recht pfiffiges Kerlchen.
Es stand zu befürchten, dass sie, wenn sie an die Unterlagen ihres Onkels gelangen würden, eins und eins zusammen rechnen und unserem Geheimnis auf die Schliche kommen.
Eins im Vorab, es ist im Schloss ein Schatz versteckt.
Aber keinen Schatz wie sie ihn sich vorstellen, aus silbernen Besteck, Gold und Edelsteinen.
Nein, es ist Wissen!"

"Wissen?", fragte ich. "Das versteckt man doch nicht. Wissen muss der Menschheit dienen."

Er lachte.

"Herr Georgi, das haben sie schön gesagt. Und sie haben damit auch recht. Sie vergaßen nur dazu zu sagen, einer freien Menschheit."

"Sind wir denn keine freien Menschen?"

"Die einzige Freiheit der Menschen besteht zur Zeit darin, eine freie Entscheidung zu treffen, dem Mammon zu dienen und sich damit freiwillig zu versklaven oder fernab von jeder Zivilisation in einer Einöde ein karges Leben zu fristen."

"Mmh!", knurrte ich. "Da haben sie vermutlich recht."

"Im Verlauf der letzten zweitausend Jahre haben verborgene Kräfte ein perfektes System installiert, um alle Menschen freiwillig als Sklaven dienen zu lassen.
Das geschieht in unserer Zeit durch das Einreden von Schuld, dem Erzeugen von Mangel, beim Bedarf an Energie und zukünftig vielleicht auch beim Trinkwasser.
Gerade letzteres sollte doch der Menschheit frei zur Verfügung stehen.
Aber gerade mit Energie verdienen sich ein paar Wenige eine goldene Nase.
Diese Herrschaften sind auch nicht gewillt, ihre sprudelnden Geldquellen aufzugeben.
Glauben sie mir, Herr Georgi, um wieder auf das Wissen zurückzukommen.
In der Ära des dritten Reiches gab es genügend fortschrittliche Köpfe, die die Zeit nach dem Krieg im Auge behielten.
Sie hatten an der Nutzung freier Energien geforscht und alles Wissen zusammengefasst, dass es unserem Land ab einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung steht.
Ich rede da von Technologien beruhend auf den Erkenntnissen von Nikola Tesla, der Forschung zum Thema Nullpunktenergie oder die Nutzung der kalten Fusion.
Leider ist der 2te Weltkrieg bis zum heutigen Tag nicht beendet.
Der Einfluss der verborgenen Kräfte dauert unverändert an."

Er holte tief Luft und sprach sogleich weiter.

"Nun aber auch mal eine gute Nachricht. Es existiert auch eine lichte Seite."

"Also befinden sich hinter dem Tunnel nichts als Akten?"

"Wenn sie so wollen, ja.
Es sind Bau- und Konstruktionspläne aller Art für die Gewinnung und Nutzung freier Energien, die sich auf Fotorollen befinden.
Unseren nachfolgenden Generationen steht wahrlich ein goldenes Zeitalter bevor.
Wenn eines Tages die deutschen Völker aus ihrem hundertjährigen Dauerschlaf aufwachen und ihre spirituelle sowie technologische Verantwortung gegenüber der Menschheit wahrnehmen, dann dürfen sie, Herr Georgi oder auch ihr Nachfolger, das gesamte Archiv der Öffentlichkeit übergeben.
Sie haben doch sicher schon den Ausspruch: 'Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen!' gehört?
Denken sie bitte mal über diese Aussage nach!"

"Herr von Sternberg, was soll ich ihrer Meinung nach jetzt tun?"

"Ganz einfach, Verantwortung übernehmen.
Ich denke, dass es in den nächsten zwanzig Jahren Veränderungen auf der Erde geben wird, die die Menschheit in eine neue Epoche führen wird.
Prophezeiungen sprechen vom 1000jährigen Friedensreich Gottes.
Ich werde dann Geschichte sein, aber sie, Herr Georgi können bis dahin als Wächter (dabei lachte er) den Schatz im Auge behalten.
Wenn die Zeit des Wandels gekommen ist, werden die Wissenden an sie herantreten und erst dann darf der Tunnelausgang geöffnet werden."

Ich musste mich sammeln.
War das eine Verschwörungstheorie?
Meiner Meinung nach nein.
Der Freiherr brachte seine Ausführungen so ruhig und überzeugend rüber, dass meine innere Stimme zu mir sagte, 'Vertraue ihm!'

"Reden sie mit ihrer Frau.
Wenn sie wollen, können sie bereits ab dem nächsten Monat Verwalter über das Rittergut sein.
An Geld soll es nicht fehlen.
Meine Familie hat alles organisiert.
Sie werden nach ihrem Onkel der 2te Wächter sein.
Und falls sie nicht an dieser Aufgabe interessiert sind, dann erwarte ich von ihnen gegen eine ordentliche Abstandszahlung absolute Diskretion.
Ihr Onkel war sich jedoch sicher, dass man sich auf sie 100prozentig verlassen kann.
Ich denke, dass sie ihn nicht enttäuschen werden."
#
Was gab es sonst noch zu erzählen?
Meine Frau, mein Sohn und ich hatten uns schnell entschieden.
Noch vor Ende des Jahres zogen wir ins Brandenburgische.
Freiherr von Sternberg ging wieder in die Schweiz zurück.
Wie versprochen, standen uns reichlich finanzielle Mittel zur Verfügung, um das Rittergut zu verschönern.
Das Schloss sollte, so war mein Zukunftsplan, ein Hort der Wissenschaften werden. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.
Hin und wieder kamen wildfremde Leute zu uns, gesellschaftlich vom Stand Sternbergs, gut gebildet oder Nachfahren von Rittern wie sie behaupteten.
Wir wussten dann ganz genau, dass es die Wissenden waren, die uns ihrerseits im Auge behielten.

(C) Jens Richter im Dezember 2017

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