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geschrieben von Markus Luthardt (Lutti).
Veröffentlicht: 29.10.2023. Rubrik: Grusel und Horror


Der Springteufel Teil 4

Ein Bellen ertönte. Im nächsten Moment sprang die Gestalt eines angriffswütigen weißen Pudels um die Ecke. Es war Cherry, die ihre liebenswürdige Wesensart ablegte und knurrend die Lefzen zurückzog. Nur einen knappen Meter vor dem Springteufel verharrte die Hündin in der Vorwärtsbewegung, um ihre Vorderbeine zu verlagern und eine leicht geduckte Abwehrposition einzunehmen. Mutig stellte Cherry sich der Bedrohung entgegen, die in Form eines Spielzeugs in das Haus der Gibsons gelangt war. Ihr Focus lag darauf, das böse Wesen an seinem weiteren Vorankommen zu hindern und somit die Gefahr von ihren menschlichen Herren fernzuhalten.
In dem Bewusstsein, dass er kampflos nicht an dem Pudelweibchen vorbeigelangen würde, stieß der Narr ein Fauchen aus, das bei jedem, der es hören würde, nur kalte Gänsehaut hinterlassen konnte. Den winzigen Dolch stoßbereit vor sich haltend, machte er einen abrupten Satz auf den Pudel zu. Zeitgleich fuhr Cherrys Maul vor, um nach der fleischgewordenen Puppe zu schnappen. Die Stoßgeschwindigkeit des Narren war um einen Sekundenbruchteil schneller. Die Klinge des Dolchs drang oberhalb des linken Beins in den Körper der Hündin ein, als der Boxteufel ihren Atem über sich spürte. Schmerzgequält stieß Cherry ein Jaulen aus, während sie instinktiv zurückging, wobei die Dolchklinge aus der Verletzung gezogen wurde. Auch wenn die Schneide des Dolchs nur wenige Zentimeter lang war, genügte dies, um bei der kleinen Hündin eine blutende Wunde zu hinterlassen, die dazu noch einen stechenden Schmerz zur Folge hatte. In der fluchtartigen Rückwärtsbewegung achtete Cherry nicht darauf, wo sie hinlief. Ihr Hinterleib stieß mit einem Bein des keinen Glastisches in der Ecke des Korridors zusammen. Durch den Zusammenstoß geriet die Schirmlampe auf der Tischplatte ins Wanken und stürzte nach mehrmaligen vor- und zurückwackeln nach vorne über. Wuchtvoll stürzte die Lampe auf Cherry, wobei der Lampenschirm ihren Hinterkopf traf. Wieder jaulte das Pudelweibchen auf. Sie begann zu schwanken, während ihr Blickfeld allmählich trüber wurde. Schließlich überkam ein Schwächeanfall die Hündin und sie brach neben der heruntergestürzten Schirmlampe besinnungslos zusammen.
Hoch zufrieden mit dem aus seiner Sicht erfreulichen Verlauf einer unerfreulichen Begegnung, entfuhr dem Narr ein höhnisches Kichern. Nach kurzer Konzentration musste er allerdings feststellen, dass von der Hündin immer noch Puls und Atmung wahrzunehmen waren. Sie war nicht tot, sondern nur bewusstlos. Ohne das sein dämonisches Grinsen erstarb, sah der Springteufel auf die mit Hundeblut befleckte Dolchklinge hinab. In der Absicht dem besinnungslosen Vieh die Bauchdecke aufzuschlitzen, ging der Narr direkt darauf zu, als aus dem Korridor hinter der Gangbiegung plötzlich schnelle Schritte laut wurden. Jemand war von den nicht zu vermeiden gewesenen Geräuschen aufmerksam geworden. Um nicht entdeckt zu werden, lief der winzige Dämonennarr eilig zur Seite, um sich an die Wand zu drücken. Nur einen Augenblick später erschien ein Schatten, dem ein großer bulliggebauter Mann folgte. Es handelte sich wohl um einen Personenschützer im Nachtdienst. Ähnlich wie seine zwei Kollegen, die die Gibsonkinder und ihren Butler auf dem Volksfest begleitet hatten, trug er einen dunklen Anzug, unter dessen Jackett sicherlich eine in einem Schulterhalfter steckende Waffe verborgen war. Dem Mann vom Securitydienst entgleisten die Gesichtszüge, als er in unmittelbarer Nähe zu dem ausgestopften Fuchs, den bewusstlosen Pudel neben der vom Tisch gestürzten Schirmlampe am Boden liegen sah. „Was ist hier bloß geschehen?“, fragte der Bodyguard sich, als er Cherry entdeckte.
Die Stimmung des Narren schlug um. Mit einemmal brandete Wut in ihm auf. Genau das vor dem er sich gefürchtet hatte, war eingetreten. Dieser Kerl musste auf der Stelle unschädlich gemacht werden, bevor er Robert Gibson und seine Frau alarmierte, was zugleich bedeutete, dass der ganze Plan ein jähes Ende finden würde.
Ohne von dem Bodyguard bemerkt zu werden, trat der Narr wieder auf die Mitte des Korridors zurück. Dabei ließ er den Mann nicht aus den Augen, auf dessen Gesicht sich Verwirrung abzeichnete. Eine seiner Hauptkräfte beschwörend, die von schwarzer Magie herrührte, verlagerte die lebende Puppe ihre Körperhaltung. Plötzlich wuchs der Schatten, den die Erscheinung des Springteufels warf, um ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe an. Es war, als ob sich ein eigenes Schattenwesen manifestierte, das sich darauf in rasender Geschwindigkeit auf den noch arglosen Mann zu bewegte. Das ganze beobachtend, vollführte der Narr ein paar Bewegungen, bei denen er die Arme in die Höhe riss. Es schien so, als ob er mit seinen eigenen Bewegungen, die Bewegungen des Schattenwesens lenkte. Als er seinen Mund aufriss, riss auch der Schatten seinen Mund auf. Der Schatten des Springteufels gelangte unbemerkt hinter den Bodyguard, als dieser sich gerade aus der Hocke erheben wollte. Weiter die Bewegungen des Riesenschattens koordinierend, sorgte der Narr dafür, dass sich die rechten Schattenhand um eine Schulter des Personenschützers legte, die diesen im nächsten Moment von den Füßen riss. Die andere Hand griff gleich darauf nach Mund und Kinn des Opfers. Die übermenschliche Kraft, die sie dabei in einem zunehmenden Maß entwickelte, sorgte dafür, dass ein erschrockener Aufschrei im Keim erstickt wurde. Unterdessen wurde der sich windende Leib des überwältigten Mannes weiter in die Höhe gezogen. In der Rückwärtsbewegung lenkte der Narr den Schatten mitsamt Opfer in den Korridor, in dem er sich befand. Dann blieb er plötzlich stehen und vollzog mit Armen und Händen eine ruckartige Bewegung, die zeitgleich auch von dem Schatten vollführt wurde. Unter einem Knacken von Knochen brach das Genick des Mannes, dessen Körper gleich darauf erschlaffte. Schließlich brachte die Narrenpuppe ihren Schatten dazu, dass er den leblosen Leib auf dem roten Teppichboden ablegte.
„Jeder kriegt was er verdient“, dachte der Narr bei sich, als er an dem Leichnam des Bodyguards vorbeischlich. Nach einem Moment des kurzen Verschnaufens setzte er seinen Weg in den anderen Korridor fort. Aufgrund der durchgemachten Aufregung vergaß er den Pudel, der noch immer ohne Bewusstsein in der gegenüberliegenden Ecke lag.
Nachdem der Narr ein Stück um die Ecke gegangen war, fiel ihm rechts die offenstehende Tür eines Zimmers ins Auge. Vorsichtig schlich er sich heran, um in den dahinter liegenden Raum zu blicken. Ein weißer Ohrensessel und ein eingeschalteter Fernseher, auf dem die Wiederholung eines Footballspiels lief, befanden sich unter anderem in dem Zimmer. Die Vermutung lag nah, dass sich der Bodyguard vorher hier drin aufgehalten hatte.
Schritte und das Schließen einer Tür in einiger Entfernung, ließen den Narren aufgeschreckt herumfahren. Sogleich verbarg er seine kleine Gestalt hinter dem Rahmen der offenen Tür. Auch sein Schatten verschmolz mit den unförmigen Schatten an den Wänden. Achtsam lugte der Narr hinter dem Holztürrahmen her. So ziemlich am anderen Ende des Gangs war eine blonde Frau in einem seidenen Morgenmantel aus einem der Zimmer getreten. Sie schien in Gedanken versunken zu sein, was dem Springteufel zugutekam, denn sie bemerkte weder ihn noch das entfernte Chaos. Die Frau, die Mitte Vierzig war, aber wesentlich jünger aussah, ging ein paar Meter auf den versteckten Narren zu, bevor sie vor einer Tür auf der linken Seite anhielt, die sie öffnete. Es war Ellen Gibson, die in einem der drei Badezimmer des Hauses verschwand. Seine freie Hand zu einer Faust ballend, verzog sich das Gesicht des Narren zu einem mordlüsternen Ausdruck. Der Zeitpunkt zur Erfüllung seines Auftrags war gekommen. Die Frau von Robert Gibson sollte vor ihrem Mann sterben und nun wusste der Springteufel, wo er sie fand. Mit einem für seine kleinen Beine zügigen Schritt schlich er auf das Badezimmer zu, dessen Tür einen spaltbreit angelehnt war. In seinem Innern breitete sich dabei ein Gefühl von diabolischer Erregtheit aus.

Ellen blickte in den großen Badezimmerspiegel. Sie nahm die Bürste von der Ablage, die ein Stück oberhalb des Waschbeckens angebracht war. Gedankenverloren bürstete sie sich damit durch ihre langen blonden Haare. Ein langer anstrengender Tag lag hinter ihr. Es war inzwischen kurz nach Mitternacht und eine zunehmende Müdigkeit nahm von ihr Besitz. Trotzdem widerstrebte es Ellen im Moment zu ihrem Mann ins Bett zu steigen. Ihre Ehe hatte sich in den letzten Jahren verändert. Ellen war längst nicht mehr so glücklich, wie damals vor fast zwanzig Jahren, als sie Robert kennen gelernt hatte. Kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes hatte es angefangen. Ihr Mann Robert war von seinen politischen Ämtern immer mehr eingespannt worden. Zunächst seine jahrelange Arbeit als Gouverneur. Nun strebte Robert seit einer geraumen Zeit das höchste aller Ämter an. Ein Ziel, von dessen Erreichen ihr Mann niemals näher gewesen war als in dieser Zeit. Roberts stetiges Aufwärtsstreben hatte Reichtum und Ruhm zur Folge gehabt. Die Schattenseite an dem ganzen war, dass sie nicht nur für die Presse zur Zielscheibe geworden waren. Egal wo Mitglieder ihrer Familie auch hingingen, sie wurden immer von mindestens zwei Personenschützer begleitet. So auch der Ausflug ihrer Kinder heute auf den Rummelplatz. Einer dieser Bodyguards befand sich sogar nachts im Haus, auf der gleichen Etage. Robert hatte ihn ein Fernsehzimmer einrichten lassen. Viel schlimmer als die ständige Gegenwart fremder Menschen in ihrem Leben, war für Ellen die zunehmende Entfremdung ihres Mannes. Schon lange sah Robert sie nicht mehr mit jener bedingungslosen Liebe an, wie damals als sie ein junges Paar gewesen waren, das sich an der Hochschule kennen gelernt hatte, die Köpfe noch voll von naiven Träumen. Heute war sein Blick oft von einer gleichgültigen Gefühlskälte erfüllt, die alles um ihn herum als selbstverständlich ansah. Ellen konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann Robert ihr zum letzten Mal ein ernstgemeintes Kompliment gemacht hatte. Ihr Zusammenleben war zu einer reinen ehelichen Routine geworden. Manchmal glaubte Ellen, dass ihr Mann durch den Fokus auf das politische Amt, das er innehaben wollte, alles andere was ihm einst wichtig gewesen war, mehr und mehr verdrängte.
Ellen bereute es nicht geheiratet zu haben. In den ersten Jahren war Robert ein wunderbarer Ehemann gewesen. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder und dieses große Landhaus, fern von dem Trubel der nächsten Großstadt. Wie fast alle Eheleute fragte sie sich jedoch hin und wieder, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie damals während des Studiums an der Universität nicht Robert Gibson kennen gelernt hätte. Mit wem wäre sie dann zusammengekommen? Vielleicht wäre Ellen die Frau eines einfachen Arbeiters geworden oder sie würde auf einer Farm ein wesentlich bescheideneres Leben führen? Was auch gewesen wäre, am Ende hatte das Schicksal einen anderen Lebensplan gehabt. Die Entscheidung, die sie als junge Frau getroffen hatte, war die richtige gewesen, anderenfalls wären Jamie und Kathy nie geboren worden. Letztendlich waren es ihre Kinder, die ihr die Kraft gaben, trotz aller Sorgen jeden Tag weiterzumachen und sich in ihre Rolle als Ehefrau zu fügen. Insgeheim hegte Ellen die Hoffnung, dass Robert nur eine Phase in einer für die Gibsons ereignisreichen Zeit durchmachte. Wenn die Zeit der Anspannung, die das ständige Stehen in der Öffentlichkeit mit sich brachte, irgendwann durchgestanden war, würde Robert sich vielleicht wieder besinnen und zu jenem zärtlichen Mann werden, den sie einst kennen und lieben gelernt hatte. So lange wollte Kathy treu an seiner Seite stehen.
In der Absicht die düsteren Gedanken für heute abend aus ihrem Kopf zu verbannen, neigte Ellen ihren Oberkörper ein Stück zum Waschbecken hinab, um den Wasserhahn halb aufzudrehen und sich vor dem Zubettgehen noch einmal die Hände zu waschen. Noch, bevor sie damit fertig war, drang von hinten das Knarren der angelehnten Badezimmertür an ihre Ohren. Sogleich blickte Ellen Gibson in den Spiegel, der vor ihr an der gekachelten Wand hing. Wie von Geisterhand schwang die Badezimmertür auf, ohne dass jemand im Türrahmen stand. Überrascht fuhr Ellen auf der Stelle herum. „Ist da wer?“, fragte sie instinktiv. Kurz überlegend runzelte sie die Stirn. Ihr Sohn kam Ellen in den Sinn, der vermutlich wieder versuchte ihr einen seiner blöden Streiche zu spielen, obwohl es bis zum nächsten Halloween noch einige Wochen hin war. „Bist du das etwa Jamie?“, fuhr sie mit streng klingender Stimme fort. „Hör mal junger Mann, falls du dich hinter der Tür versteckt hast, um mir mal wieder einen gehörigen Schrecken einzujagen, statt im Bett zu liegen und zu schlafen, dann war das heute erst einmal der letzte Ausflug, den die für eine längere Zeit mitgemacht haben wirst!“
Erbost wollte Ellen Gibson auf die offene Tür zugehen, als plötzlich etwas von der Seite durch den Türrahmen in das Badezimmer sprang. Das Ding, das auf einmal vor ihr stand war wesentlich kleiner als Jamie. Es war eine sich bewegende Puppe, gekleidet wie ein Narr. Augenblicklich fiel Ellen der widerliche Boxteufel ein, den Jamie vom Rummelplatz mit nach Hause gebracht hatte. „Nein, das kann nicht sein“, flüsterte Ellen diesmal zu sich selbst. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Bis auf die Beine, die ihr gewachsen waren, glich die laufende Narrenpuppe dem Springteufel bis ins kleinste Detail. Der einzige Unterschied, der dafür ins Auge sprang, war die boshafte Mordlust, die dem Narren in seinem mit Narben und Furchen übersätem Gesicht geschrieben stand.
„Was ist das für ein Ding?“, sagte Ellen mit vor Angst entfachtem Entsetzen in der Stimme. Das ungute Gefühl in ihrer Magengrube nährte die Gewissheit, dass die Puppe aus dem schwarzen Kasten kein Spielzeug ihres Sohns mehr war. Sie hatte sich in eine lebende Kreatur verwandelt, die weder eine Seele besaß noch irgendwelche Skrupel kannte. Ihre Wesensart war durch und durch böse. Erschaffen wurde sie zu dem Daseinszweck, einem noch dunkleren Herrn zu dienen und in dessen Auftrag Bluttaten zu vollstrecken.
Die Badezimmertür knallte hinter dem Schreckensnarren zu, ohne dass sie auch nur berührt wurde. Finster grinsend riss der Springteufel einen Gegenstand in seinen Händen empor, den Ellen als Dolch mit winziger Klinge identifizierte. Eine Waffe dieser Größe musste einem ausgewachsenen Menschen schon sehr nahekommen und mit äußerster Präzision geführt werden, damit eine ernsthafte Gefahr von ihr ausging. Doch der Narr war längst nicht mehr allein mit Ellen. Der Schatten, den die Puppe warf, nahm immer mehr an Größe zu und ragte wenige Atemzüge später fast bis zur Badezimmerdecke vor Ellen auf. Mit ihm war auch der Schatten des Dolchs in seiner rechten Hand auf unnatürliche Weise gewachsen. Der Schatten, der den Narren um ein sechsfaches überragte, schien allein von dessen Bewegungen gesteuert zu werden. So ließ der Springteufel seinen linken Arm mit der freien Hand vorschnellen, dessen Finger er in einer Greifbewegung spreizte. Seine riesige Schattenversion tat es ihm gleich und bekam den Hals des menschlichen Opfers zu packen. Ein Entsetzensschrei, den Ellen aus ihrer Kehle ausstieß, erstickte nach einem einzigen Sekundenbruchteil wieder, als sich die übermenschengroße Schattenhand um ihren Hals legte, als bestünde sie aus Fleisch und Blut. Die immer kraftvoller zugreifenden Finger drückten dabei Ellens Kehlkopf ein, worauf jeder Laut den sie absonderte, verstummte. Ihre in seidenen Pantoffeln steckenden Füße verloren den Kontakt zu dem gekachelten Badezimmerboden, als sie von dem Arm, der ihr an Körperkraft weit überlegen war, mehrere Zentimeter emporgehoben wurde. Dem Monsterschatten ausgeliefert, schlug und trat Ellen verzweifelt um sich. Ihre vergebliche Gegenwehr erstarb jedoch schnell wieder, denn sie wurde erbarmungslos mit dem Rücken gegen den Badezimmerspiegel geschmettert. Augenblicklich explodierte ein überaus intensiver Schmerz in Ellen, der ihr fast das Bewusstsein raubte. Der Spiegel hinter ihr erlitt dadurch mehrere Sprünge und an zwei Stellen stürzten Glassplitter klirrend zu Boden. Kraftlos erschlaffte der Körper der Frau, den der Schatten allerdings nicht aus seiner Gewalt entließ.
Aus der sicheren Distanz vollführte der Narr sämtliche Bewegungsabläufe, die auf den Schatten übertragen wurden. Als die günstige Gelegenheit für ein tödliches Finale gekommen war, fuhr er mit der Dolchklinge hinab, als ob er etwas mit ihr zerschneiden wollte. Wie eine echte Schneide aus Stahl schnitt die Spitze des Schattendolchs oben durch den Stoff von Ellens Morgenmantel. Nachdem die Schattenklinge einmal durch die edle Seide geschnitten hatte, fiel der Morgenmantel in zwei Hälften auseinander. Ellens Brüste und das übrige Vorderfleisch wurden freigelegt. Etwas lüsternes schimmerte in den Augen des Narren auf, als er kurz innehielt und die freigelegten Körperstellen seines Opfers betrachtete. Noch immer war Ellen Gibson eine ungewöhnlich schöne Frau, die einen knackigen Körper mit strammer Haut besaß. Dabei war sie von den Skalpellen jeglicher Ärzte unberührt geblieben. Nie hatte Ellen es nötig gehabt sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen.
„Eigentlich ist es sehr schade drum“, dachte der Narr. Allerdings wusste er, dass er nicht länger mit der Vollstreckung des Auftrags warten durfte.
Als ob sie aus echtem Stahl bestand, fuhr die vergrößerte Schattenversion der Dolchklinge über die nackte Haut des weiblichen Oberkörpers hinweg, der von Angstschweiß bedeckt war. An einer Stelle weniger als einen Zentimeter rechts neben Ellens linker Titte verweilte die kalte Klingenspitze kurz. Dann riss die Narrenpuppe ihrem rechten Arm hoch, was der Schatten ihr gleichtat. Spürend, dass ihr Ende gekommen war, verkrampfte Ellens Körper sich noch mehr. Der erstickte Schrei aus ihrer Kehle wurde zu einem Röcheln, bis der Schmerz in ihrer Brut explodierte. In dem Moment als der Narr seinen Dolcharm hinabstieß, schwang auch die Schattenklinge auf ihr Opfer hinab. Zielgenau drang sie durch die Haut und das darunter liegende Fleisch, zwischen den Knochen des schützenden Brustkorbs hindurch. Das von Todesangst rasende Herz wurde verletzt, bevor die Schattenklinge aus der Wunde zurückgezogen wurde. Wieder und wieder stieß die Puppenhand des Springteufels mit dem Miniaturdolch hinab, was ihm sein im Vergleich riesiger Schatten gleichtat. Fontänen von Blut spritzten aus der größer werdenden Stichwunde. Blutstropfen spritzen auf die Kacheln und das Waschbecken, wo sie ein chaotisches Muster hinterließen. Von dem erneut auf einen Höhepunkt zusteuernden Blutrausch in Ekstase versetzt, verdrehte der Springteufel die Augen. Noch immer wiederholte er besessen die Stichbewegungen des Dolchs, obwohl das Leben längst aus Ellen Gibson gewichen und ihr Körper erschlafft war. Als der Narr aus der Gewalttrance erwachte, hatte sich auf den Bodenkacheln eine Blutlache gebildet. Nachdem er seinen Puppendolch in dessen Scheide zurückgesteckt hatte, sorgte der Springteufel dafür, dass sein Schatten Ellen Gibsons Leichnam ablegte. Bei dem Anblick der Getöteten, die in ihrem eigenen Blut lag, verengten sich seine Augen. So sehr die Zeit auch dränge, für all seine Mühe verlangte auch ein Dämonenpuppennarr einen Lohn. Gierend nach frischem Menschenblut ging er zu dem halbnackten Frauenleib. Das machtvolle Gefühl der Ekstase, die er empfunden hatte, als sein Schatten das Opfer erdolchte, war mit Vollendung der Tat vorübergegangen. Nun gelüstete es ihn nach mehr. Eine Art Luststöhnen absondernd, kletterte der lebendige Boxteufel auf Ellen Gibsons Leiche. Der Mund in seinem grauenhaften Gesicht öffnete sich und eine schmale Zunge fuhr daraus hervor, die vorne wie bei einer Schlange gespalten war. Die Zunge wuchs, bis sie länger als die Gestalt der Puppe war. Langsam strich die gespaltene Zungenspitze über die Haut hinweg, die um die klaffende Stichwunde in der Nähe der Brüste lag. Der salzige Geschmack von Angstschweiß, der einen Moment vor Todeseintritt von den Hautporen abgesondert wurde, gepaart mit der leicht metallischen Note von Blutspritzern, erzeugten auf den Zungenknospen des Narren ein höchst ekstatisches Kribbeln. Gerade als seine Augen sich während der Befriedigung seiner Gelüste verdrehten, wurde er durch ein lautes Pochen von der Badezimmertür in das jetzt und hier zurückgerissen.
„Ellen?“, ertönte eine aufgebracht klingende männliche Stimme hinter der Badezimmertür. Sie gehörte Robert Gibson. „Ist alles in Ordnung bei dir? Ich habe Gepolter und Schreie gehört.“ Es klopfte erneut. Als niemand antwortete wurde die Türklinke hinuntergedrückt. Da die Tür weder verschlossen war noch etwas sie versperrte, wurde sie nach innen geöffnet. Zornig darüber, bei der Lohneinstreichung für die Auftragsbluttat vor der Vollendung gestört worden zu sein, zog der Puppennarr seine Zunge wieder ein. Sein diabolisches Grinsen aufsetzend drehte er sich auf der Leiche seines ersten Opfers um.

(Teil 5 in baldiger Bälde)

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