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geschrieben 2016 von Fritzi von Frankfurt (Fritzi von Frankfurt).
Veröffentlicht: 17.10.2016. Rubrik: Unsortiert


Der Zahn

Ich erwachte aus einem komatösen Schlaf mit einem derart trockenen, klebrigen Mund, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihn zu öffnen. Der Versuch meinen Kopf anzuheben, scheiterte kläglich, weil dieser sich anfühlte, wie eine riesengroße, tonnenschwere Hantel. Ich versuchte zu ergründen, warum ich mich in diesem derart jämmerlichen Zustand befand und es fiel mir wieder ein. Gemeinsam mit einer Freundin hatte ich am Vorabend eine billige Flasche Wein von der Tankstelle getrunken, die mir bereits während des Trinkens den Schmerz in den Kopf hämmerte. Es war glücklicherweise noch früh am Morgen. Vielleicht würde er bis zum Vormittag verschwinden, denn ich hatte ich mich im Glauburg Café verabredet, ein Date, das erste auch noch! Ich schleppte mich ins Bad und sah mein Spiegelbild. Ich sah wirklich schlimm aus, blass, müde und hatte Augenringe bis zu den Kniekehlen. Das konnte ich niemandem antun. Vor allem weil der arme Kerl aus Gießen kam und fluchen würde, wenn er einer Frau gegenüber sitzen würde, die einer Alkoholleiche glich.

Zum Duschen war ich zu kaputt, also legte ich mich in die Wanne und hatte Mühe, mich wachzuhalten. Ich sah schon die Schlagzeilen der lokalen Zeitungen „Frau mittleren Alters in der Badewanne ertrunken. Waren Drogen im Spiel?“ Ich wechselte daraufhin die Musik von Rachmaninov zu Metallica. Das warme Wasser bekam mir nicht gut. Ich musste gegen Übelkeit ankämpfen und schnappte mir daraufhin mein Telefon und tippte folgende Nachricht in mein Handy: „Guten Morgen, können wir uns um 12 treffen? Ich habe schlimme Kopfschmerzen und versuche nochmal zu schlagen. Schlafen.“ Peinlich, jetzt hatte ich mich auch noch vertippt. Die Antwort kam eine Stunde später „Ja klar… Und wenn du dich nicht wohl fühlst, können wir es auch verschieben.“ Doch ich hasse es, das erste Date zu verschieben, es signalisiert, dass man kein Interesse hat, deshalb versuchte ich mich zusammenzureißen und die Verabredung wahrzunehmen.

Ich wusste gar nichts über den Mann, mit dem ich mich einige Stunden später treffen sollte, außer dass er in Gießen lebte und am Vorabend bei Freunden in Frankfurt war. Er war jedoch ausgesprochen höflich und aufmerksam, weil er ein Café vorschlug, das in der Nähe meiner Wohnung lag. Unser Chat lag bereits einige Wochen zurück und ich konnte mich an den Inhalt unserer Schreiberei nicht mehr erinnern. Eines wusste ich jedoch. Wenn wir Telefonnummern ausgetauscht hatten, konnte er kein Dummkopf sein. Er kannte sich in Orthografie aus, hatte das Thema Sex während unseres Chats nicht erwähnt und muss sympathisch auf mich gewirkt haben. Trotzdem beschlich mich ein komisches Gefühl. Was wäre, wenn wir keine Gesprächsthemen finden würden? Wenn wir schweigend aneinander vorbeischauen würden. Wenn die Stille zu einem unangenehmen, hämmernden Geräusch werden würde? Wenn er schmatzte, komisch roch, sich kratzen und schnauben würde? Dann würde ich irgendwann auf der Toilette verschwinden, eine Freundin anrufen und sie bitten, mich in fünf Minuten zurückzurufen. Ich würde etwas von einem Drama erzählen, von meiner aufgelösten Freundin, die ihren Freund gerade mit einer anderen Frau im Bett erwischt hatte, weil sie von einer anderen Freundin versetzt wurde, mit der sie eigentlich zum Brunch verabredet war. Ich würde mich entschuldigen, weil ich ihr jetzt zur Seite stehen müsste, meinen Teil der Rechnung bezahlen und die Flucht ergreifen.

Auf dem Weg zum Café wäre ich am liebsten wieder umgedreht. Ich hatte keine Lust. Ich hasse Small-Talk und bin furchtbar schlecht darin. Hoffentlich war er kein Versicherungsvertreter und versuchte mir als chronisch unterversicherte Person, eine Hausrat-, Berufsunfähigkeits-, Risikolebens- oder Silikonimplantatunfallversicherung aufzuschwatzen bzw. darüber zu reden, wie immens wichtig Versicherungen seien.
Das Café war überfüllt und ich suchte einen Platz. Irgendwann sah ich ihn oben auf der Empore sitzen. Er stand auf und wir begrüßten uns. Er wirkte auf den ersten Blick durchaus sympathisch auf mich. Er war groß und hatte eine gute Statur. Weder dünn, noch dick, aber breite Schultern, so wie ich es mag. Ein Mann und kein Hemd. Wir wählten das Frühstück aus und schwankten zwischen zweien, den gleichen. Gut, dachte ich. Dann kann ich von beiden naschen und so bestellten wir sie.

Die Unterhaltung verlief etwas zäh und schleppend. Wir redeten über unsere Kinder und Berufe. Er erzählte, dass er eine Versicherungsagentur hätte, mir stockte der Atem. „Bitte fang jetzt nicht davon an“, dachte ich, doch er sprach kein Wort über seine Arbeit. Stattdessen fragte er mich nach meinem Job und ich redete über meine Schüler, was ich wiederum nicht besonders gern tue. Die Bedienung brachte den Brötchenkorb und meinte, dass das Besteck unten drunter wäre. Wir sahen uns an und griffen beide unter den Tisch und suchten die Besteckschublade, die jedoch nicht vorhanden war. Wir lachten, da das Besteck unter den Brötchen lag. Plötzlich geschah etwas Magisches. Sein Gesicht hatte sich durch sein Lachen völlig verändert. Er sah so liebenswert und humorvoll aus. Ein kleiner, schiefer Eckzahn blitzte aus seinem Mund heraus. Er hatte einen Vampirzahn, den ich einfach sexy fand. Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn zum Lachen bringen könnte, um nochmals einen Blick auf den Zahn werfen zu können. Doch mir fiel nichts Passendes ein.

Der Schmerz in meinem Kopf hatte sich immer noch nicht gelegt. Was also tun? „Konterwein“, dachte ich, „ist das beste Gegenmittel“. Ich schlug vor zum Erzeugermarkt an der Konstablerwache zu fahren und gab vor, etwas einkaufen zu müssen. Da ich aber nicht wusste, was ich kaufen sollte außer Brot, denn ich hatte bereits alles am Vortag besorgt, gingen wir zum Weinstand. Ich bestellte Sekt, der ihm nicht schmeckte. Jedoch tauten wir endlich etwas auf, es war richtig angenehm mit ihm. Gerne wäre ich bis abends mit ihm sitzen geblieben, doch er wollte nach Hause fahren und so begleitete ich ihn zu seinem Auto. Durch Zufall kamen wir auf ein bevorstehendes Konzert der Red Hot Chili Peppers zu sprechen. Ich hatte bereits zwei Karten gekauft; er hatte keine bekommen. Und so versprach ich ihm, dass ich ihn unter Umständen vielleicht zum Konzert mitnehmen würde.

An diesem Abend schrieben wir uns eine ganze Weile Nachrichten und ich schickte ihm zwei meiner Geschichten als Audiodatei. Sie gefielen ihm. Am nächsten Morgen erhielt ich eine zuckersüße Nachricht: „Guten Morgen, ich bin gerade aufgewacht…Habe aber auch unruhig geschlafen…Musste an unsere Begegnung denken, deine Geschichten, wie es ist, dich wieder zu sehen. Hier scheint die Sonne, ich koche mir einen Kaffee und dann…Wie ist dein Plan?“ Ich gab ihm zu verstehen, dass ich nichts für den Tag geplant hätte und er schlug vor, dass er zu mir kommen könnte, wir etwas gemeinsam unternehmen oder auch nichts tun könnten, ganz egal…einfach den Tag miteinander verbringen. Was ich davon halten würde. Ich freute mich. Sehr gerne würde ich ihn besser kennenlernen wollen. Ich war neugierig.

Wir saßen mittags in meiner Küche, tranken Sekt, den er mitgebracht hatte und unterhielten uns. Ich erfuhr von ihm, dass er sportlich war, überaus gern kochte sowie guten Wein und gutes Essen liebte. „So wie ich“, dachte ich, „ein Genießer!“. Toll, ein Mann, der gern den Kochlöffel schwingt. Ich dachte an meine letzte Beziehung. Er konnte weder kochen, noch hatte er einen Sinn für gutes Essen. Er aß anfangs nur das, was er von seiner Mutti kannte und es kostete mich arge Überredungskunst, dass er Neues probierte. Auch kochte ich immer allein in der Küche, während er vor dem Fernseher saß und Unmengen von Kaffee trank. Für ihn war essen, einfache Nahrungsaufnahme. Er konnte darin nichts Sinnliches entdecken. Im Gegensatz zu dem Mann, der nun neben mir in der Küche saß.

Er schien ebenfalls ein Allesesser zu sein, jedoch hasste er Leber. Mein Kindheitstrauma besteht darin, dass meine Mutter gelegentlich Leber zubereitete und sie mir als Rind „verkaufte“. Das „Rind“ schmeckte allerdings zum Kotzen, was ich in der Regel danach immer musste.

Das Gespräch verlief ganz und gar nicht mehr holprig. Wir hatten uns viel zu sagen und ich genoss seine Anwesenheit. Das Wetter zog uns nach draußen. Wir gingen eine Weile spazieren und ich erzählte ihm von einem Mann, mit dem ich ein Date hatte, der nicht in der Lage war, zehn Minuten mit mir spazieren zu gehen. Ständig fragte er mich, wann wir endlich da wären. Wir lachten darüber, denn ich erledige alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Ein Mann, der nicht gern läuft, passt definitiv nicht zu mir. Er brachte mich zum Lachen, indem er zu humpeln begann und sein Bein hinter sich herzog.

Mein Magen knurrte bereits und ich schlug vor zum Adolf Wagner essen zu gehen. Es war Sonntagnachmittag und die Apfelweinwirtschaft war recht überfüllt. Wir setzten uns nach draußen, damit ich rauchen konnte. Ich schämte mich für meine idiotische Sucht. Ich sollte in Angriff nehmen, sie endlich zu bekämpfen. Wir schauten in die Speisekarte. Ich schwankte zwischen der Ochsenbrust mit Frankfurter „Grüner Soße“ sowie Bratkartoffeln und dem Wurstsalat ebenfalls mit Bratkartoffeln. „Was nimmst du?“, fragte ich ihn. „Ich nehme entweder die Ochsenbrust mit Frankfurter „Grüner Soße“ und Bratkartoffeln oder den Wurstsalat mit Bratkartoffeln“. Ich lächelte und sagte ihm, dass ich mich auch nicht zwischen den beiden Gerichten entscheiden könnte. Also bestellten wir beides, jedoch gab es keinen Wurstsalat mehr und er bestellte sich ein Wiener Schnitzel. Wir hatten wohl gleiche Vorlieben beim Essen und Trinken. Nachdem wir kugelrund das Lokal verließen, fragte ich ihn, ob er noch ein Eis von der Eisdiele wollte. Er verneinte. „Hast du eine Lieblingseissorte?“ „Ja“, antwortete er, „dunkle Schokolade und Mango“. Ich lächelte, Bingo! Das waren auch meine Lieblingseissorten. Wir stellten noch einige Gemeinsamkeiten fest und ich fühlte mich mehr und mehr zu ihm hingezogen.

Den restlichen Abend verbrachten wir bei mir in der Küche. Wir redeten den ganzen Abend. Es war kein übliches Gespräch, das man führt, wenn man sich gerade kennenlernt. Er stellte mir sehr persönliche Fragen. Das gefiel mir. Es fühlte sich anders an, als alle anderen Dates, die ich in diesem Jahr hatte. Keine Floskeln, kein cooles Gehabe, keine oberflächliche Unterhaltung. Irgendwann begann er etwas zu zappeln und wirkte nervös. Er rückte mit seinem Stuhl nah an meinen, beugte sich vor und küsste mich. „Das geht aber schnell“, dachte ich. Danach kam ich nicht mehr zum Denken, ich fühlte einfach nur noch, ließ es zu. Obwohl es mir viel zu schnell ging, konnte ich es genießen. Als seine Hände ins Spiel kamen, hielt ich sie fest. Das wollte ich nicht. Irgendwann, nach gefühlten hundert Küssen später und rotem, rauem von seinen Bartstoppeln aufgeriebenem Kinn, verabschiedete er sich.

Ich war völlig aufgewühlt. Was war das denn? Keine Stunde später erhielt ich eine Nachricht. „Bin gelandet…Wünsche dir schöne Träume! Und ich freue mich auf dich! Bonne nuit!“ Am nächsten Morgen las ich folgenden „Guten-Morgen-Gruß“: „Hoffe, du hast gut geschlafen. Liege schon länger mal wieder wach, meine Gedanken kreisen um den Tag und um dich, wie es weiter geht mit uns. Du hast mich sehr berührt, strahlst so viel Liebe und Wärme aus und dann auch wieder Distanz und Vorsicht, eine schöne Mischung…Genieße den Montag! Stelle mir gerade vor, wie du im Bademantel in der Küche sitzt mit dem ersten Kaffee. Freue mich darauf, dich wieder zu sehen!“

An diesem Montag im Oktober, der sich wie ein Sonntag anfühlte, spielte sich vor meinen Augen immer wieder dasselbe Kopfkino ab. Unser Spaziergang, die Gespräche, unsere Küsse und sein Lächeln. Ich sah sein Gesicht und seinen kleinen Vampirzahn vor mir, der ihm die Tür zu meinem Herzen geöffnete hatte.

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