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geschrieben 2024 von Jens (Jens Richter).
Veröffentlicht: 03.02.2024. Rubrik: Menschliches


Eine verhängnisvolle Entführung

Wann sich diese Geschichte ereignete, spielt heute keine Rolle mehr.
Es muss in der Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts irgendwo in Andalusien in einem kleinen Städtchen gewesen sein, dessen Namen ich vergaß.
Es war ein trostloser Ort mit engen, stinkenden Gassen, einer gotischen Kirche und einer Herberge für Handelsreisende.
In dieser Herberge begann jedenfalls die Geschichte.
Emilio Rodrigez schaute durch das vergilbte Fenster zur anderen Seite der Gasse.
Es war zur Mittagszeit.
Die Sonne brannte unerbittlich hernieder, sodass sich selbst die letzte Menschenseele ins Schattige zurückzog.
Rodrigez verließ die Herberge, überquerte die Gasse und trat die Tür des gegenüberliegenden Hauses ein.
Ein Blick ins Innere genügte ihm.
Er gewahrte die junge Senorita Verona, packte sie und zerrte sie aus dem Haus.
Als ihr Vater hinzu kam, zog Rodrigez seinen Dolch und stieß ihm diesen in den Unterleib.
Veronas Vater sackte tödlich verletzt auf das Pflaster.
Rodrigez schaffte Verona vom Tatort fort, zu einem Stall, in dem sein Pferd stand.
Kurzerhand warf er die junge Frau über den Rücken des Pferdes, saß auf und galoppierte aus der Stadt.
Leonardo, Veronas kleiner Bruder beobachtete die Szenerie.
Er merkte sich nur ein auffälliges Detail.
Der Umhang des Reiters und die Satteldecke des Pferdes war mit einem Adlerkopf bestickt.
Er schwor, dass er dieses Wappen niemals vergessen würde.
#
Als Leonardos Mutter vor Gram verstarb, sie hatte den Verlust der Tochter und ihres Ehegatten nie überwunden, kam der Junge in die Familie des berühmten Fechtmeisters Castellofiore, die ihn dankbar annahm.
Er bekam eine solide christliche Erziehung, erlernte lesen und schreiben sowie das historische Fechten.
Als Leonardo ins Mannesalter kam, war er bei jedermann angesehen und beliebt.
"Was möchtest du jetzt tun, Leonardo?", fragte ihn der alte Castellofiore.
"Vater, ich werde deinem Wunsch nachkommen und in der königlichen Garde dienen, aber vorher möchte ich meine Schwester Verona finden. Ich fühle, dass sie am Leben ist."
"Leonardo, tue was dein Herz dir befiehlt. Mutter und ich werden dich nicht daran hindern. Wisse, dass wir dich lieben wie unseren eigenen Sohn."
#
Leonardo zog in die Welt.
Ein reichliches Jahr suchte er bereits nach seiner Schwester.
In dieser Zeit hatte er das Land von Süden nach Norden und von Osten nach dem Westen durchkämmt.
In jedem noch so kleinen Ort befragte er die Menschen, nach einem Mann, dessen Wappen einen Adlerkopf enthielt.
Nichts.
Er weitete seine Suche nach Portugal aus, mit ähnlichem Ausgang.
Doch Verona lebte, er fühlte es tief im Inneren seines Herzens.
Dieses Gefühl ließ ihn weiter suchen.
In der Zwischenzeit erreichte er die Hafenstadt Porto.
Wenn er hier nicht fündig wird, würde er seine verzweifelte Suche abbrechen und es dem Schicksal überlassen, dass er seine Schwester je wiedersah.
Er war finanziell angeschlagen, hatte beinahe sein gesamtes Erspartes während der Suche aufgebraucht.
In einer Hafenspelunke erfuhr er, dass ein Edelmann in Begleitung einer jungen Dame in Porto untergekommen war und beide morgen Früh eine Reise nach Brasilien antreten werden.
Genau dieser Edelmann trug einen Umhang mit einem Adlerkopf.
War das ein Wink des Schicksals?
Jetzt war für Leonardo Eile geboten.
Er suchte die Anlegestelle auf, an der die Caravelle vor Anker lag, die nach Brasilien auslaufen sollte.
Mit Capitano Alvarez wurde sich Leonardo schnell einig.
Für dessen letzte Silbermünzen würde er den jungen Senor mit an Bord nehmen.
#
Am nächsten Morgen schreckte Leonardo hoch, war er doch über dem Würfelspiel und dem reichlichen Genuss von schwerem Rotwein tief und fest eingeschlafen.
Es war bereits taghell.
Hektisch stürzte er aus dem Gastraum.
Von der Caravelle, die ihn nach Sao Paulo bringen sollte, war im Hafen nichts mehr zu sehen.
Er schrie vor Wut und sackte auf die Knie.
Erschöpft und traurig sah er aufs Meer.
Der Edelmann und seine Schwester Verona waren an Bord der Caravelle.
Würde er Verona jemals wiedersehen?
Jetzt musste ein Wunder geschehen.
#
Wochen später.
Leonardo hatte noch nie in seinem jungen Leben eine derart grauenvolle Reise unternehmen müssen.
Aber ihn zog es nach Sao Paulo und so blieb ihm keine andere Wahl, als auf diesem Totenschiff als Aufseher anzuheuern.
Für eine warme Mahlzeit, Rum und einem Silberling Lohn pro Tag, hatte er seine Seele an Capitano Ramirez verkauft, der die männlichen, afrikanischen Sklaven in die neue Welt verschiffte.
Diese jungen, starken Afrikaner hockten wie Vieh zusammengepfercht in den Laderäumen der Caravelle.
Dort unten stank es wie die Hölle.
Dazu das Ungeziefer, dem die Gefangenen ausgesetzt waren.
Ging man so mit Menschen um?
Und immer dann, wenn wieder ein Sklave jämmerlich gestorben war und in den Fluten des Atlantiks versenkt wurde, musste sich Leonardo übergeben.
Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass vielleicht ein paar von den Schwarzen von anständigen Menschen gekauft wurden.
Leonardo zählte die Tage.
Die wochenlange Überfahrt näherte sich ihrem Ende.
Sobald es die Situation zulässt, würde er sich ins Landesinnere absetzen, um nach Rodrigez und seiner Schwester zu suchen.
#
Dann sah er vor sich in der Ferne bereits den Zuckerhut auftauchen.
#
Nachdem das Schiff von Capitano Ramirez angelandet war, brachte man die Sklaven zunächst in ein Lagerhaus.
Hier wurden sie gewaschen, frisiert und frisch eingekleidet.
In dem traurigen Zustand, in dem sie sich noch an Bord befanden, hätte kein Interessent auch nur einen von ihnen abgekauft.
Wenn man bedachte, dass gut ein Drittel der Sklaven auf See verstorben waren, musste der Erlös für die Überlebenden so hoch sein, dass der Sklavenhandel für Ramirez immer noch ein profitables Geschäft war.
Leonardo war sichtlich entspannter.
Er war an Land.
Nachdem die Sklaven morgen auf den Marktplatz von Sao Paulo getrieben und versteigert wurden sind, ist sein Vertrag beendet.
Die Caravelle würde auf ihrer Rückreise Kakao und Kaffeebohnen nach Portugal transportieren, begehrte Rohstoffe für die Produktion von Genussmitteln, die im alten Europa immer mehr in Mode kamen.
Aber da würde er nicht mehr an Bord der "Estella" sein.
Hier in Sao Paulo musste er die Fährte seiner Schwester Verona neu aufnehmen, sich durchfragen.
Dank seiner Heuer war er auch wieder flüssig.
Leonardo ahnte in diesem Augenblick nicht, dass die Suche für ihn ausgerechnet auf dem Sklavenmarkt einen positiven Ausgang nehmen würde.
#
Leonardo war überrascht, dass er Rodrigez und seine Schwester auf dem Markt entdeckte.
Beide hatten sich trotz der verstrichenen Jahre kaum verändert.
Sie ersteigerten acht starke Männer.
Er musste unbedingt handeln, wenn er die Beiden nicht aus den Augen verlieren wollte.
"Senor", sprach er Rodrigez zu dessen Verwunderung an, "diese Sklaven sind sehr widerspenstige Männer. Ich bezweifle, dass ihr mit denen fertig werdet, falls sie versuchen zu rebellieren oder gar fliehen wollen. Darf ich ihnen meine Hilfe anbieten?"
"Wer sind sie?", fragte der Angesprochene.
Leonardo verneigte sich.
"Oh, ich muss mich für diesen Fauxpas entschuldigen. Ich bin Don Leonardo."
Er vermied es, Rodrigez seinen vollständigen Namen zu nennen und erfand einen, mit dem er vorerst gut leben konnte.
"Don Leonardo, ihr Name erinnert mich an einen Jungen in Spanien."
"Oh, da verwechseln sie mich sicher. Leonardos gibt es zuhauf in Portugal und Spanien. Aber ja, ich bin Spanier."
"So fern weg von Spanien?"
"Si, Senor, ich unterlag dem Lockruf in die neue Welt, suchte das Abenteuer. Um nach Brasilien zu gelangen, hatte ich als Aufseher auf einem Sklavenschiff angeheuert. Und jetzt, da meine Heuer beendet ist, bin ich frei."
"Ah, ich verstehe. Sie suchen eine neue Anstellung?"
"Si, Senor."
Rodrigez schlug ein.
#
Der Tross verließ Sao Paulo.
Rodrigez und Verona ritten voran.
Ein Aufseher lief, eine lange Peitsche schwingend neben den Sklaven.
Hin und wieder ließ er die Peitsche durch die Luft sausen, wenn der Zug ins stocken geriet.
Leonardo bildete die Nachhut.
Wie schon auf dem Schiff war er mit seinem Säbel und einer langen Vorderladepistolen bewaffnet, die in einer grünen Schärpe steckte.
Am späten Nachmittag erreichten sie eine alte Hazienda, die wie es schien, innerhalb kürzester Frist wieder hergerichtet wurden war.
Lange konnten die Beiden die Hazienda noch nicht besitzen.
Leonardo erkannte gleich, dass hier Kakao angebaut werden sollte.
Die Sklaven wurden von einer zusammenhängenden Gliederkette, die an deren Hals befestigt war, befreit.
Sie hatten jetzt nur noch Fußfesseln, die ihnen ein halbwegs normales Laufen ermöglichte.
Sie kamen in einem geräumigen Gesindehaus unter.
Senorita Verona sprach zu den Afrikanern, "Wenn ihr euch friedlich verhaltet, habt ihr bei uns nichts zu befürchten. Wir renovieren unsere Hazienda und kultivieren die alten Kakaopflanzen. Ihr werdet von morgens bis zur Abenddämmerung alle Arbeiten verrichten, die hier anfallen.
Dafür bekommt ihr gutes Essen, zu trinken und anständige Kleidung. Solltet ihr krank werden, bezahlen wir euch den Medico. Wir werden darauf verzichten, euch mit Gewalt anzutreiben. Darauf habt ihr mein Wort."
Die Sklaven entspannten sich.
"Und", ergänzte sie. "Wir wollen uns darum kümmern, dass wir noch Weiber aufkaufen können. So dürft ihr Familien gründen. Aber alles zu seiner Zeit. Wir stehen erst am Anfang unserer Bemühungen."
Leonardo staunte über seine Schwester.
Offenbar war sie der menschliche Pedant zum herzlos auftretenden Senor Rodrigez.
#
Bis auf den Aufseher, der mit im Gesindehaus wohnte, gingen die drei Spanier zum Hauptgebäude der Hazienda.
Eine junge, hübsche Sklavin hatte bereits eine rustikale Tafel für die Herrschaften und Leonardo eingedeckt.
"Nehmen sie doch Platz!", bat Rodrigez.
Es gab eine grobe Suppe von Kartoffeln, Gemüse und Fleisch.
Dazu goss die Sklavin Rotwein in tönerne Becher.
Sie aßen, tranken, scherzten und lachten.
Leonardo fiel auf, dass sich Verona trotz der angeregten Gespräche der beiden Männer deutlich zurückhielt.
Ahnte sie etwas?
Der junge Castellofiore wollte das Versteckspiel beenden, daher suchte er bewusst die Konfrontation.
"Senorita, sie sind meiner verschollenen Schwester zum Verwechseln ähnlich, welche witzigerweise ebenfalls Verona heißt.", begann er.
Augenblicklich fror die Stimmung ein.
"Erzählen sie doch", forderte Rodrigez lauernd.
Leonardo erzählte seine Geschichte von der Entführung seiner Schwester, dem Tod seines Vaters, dem Wappen mit dem Adler und seiner jahrelangen Suche bis nach Sao Paulo.
Er schloss seinen Bericht mit den Worten, "Wenn ich den Mörder meines Vaters finde, so werde ich ihn zu einem Duell herausfordern. Er hat kein besseres Schicksal verdient."
Verona sackte ohnmächtig zusammen.
Die Sklavin eilte herbei, um die Senorita aufzufangen.
"Was hat sie?", fragte Leonardo.
"Don Leonardo oder auch Senor Castellofiore, ich habe ihren Vater erschlagen. Und Senorita Verona ist tatsächlich ihre Schwester."
Leonardo atmete erleichtert auf.
"Jetzt ist die Wahrheit also heraus."
Verona kam wieder zu sich.
Sie flehte, "Leonardo bitte verschone meinen Onkel!"
"Onkel? Warum? Dieser Mann hat unseren leiblichen Vater getötet und du nennst ihn Onkel, als wäre das die normalste Sache der Welt. Ich verstehe dich nicht,"
"Höre bitte auch seine Geschichte an, damit du seine Tat verstehen kannst."
"Ich wüsste nicht warum. Die Dinge liegen doch klar auf der Hand.
"Tue es für mich. Ich liebe ihn wie unseren leiblichen Vater. Verstehe bitte, dass unser verstorbener Vater nicht ganz unschuldig an der Tragödie unserer Familien war."
Der junge Senor nahm wieder Platz.
"Ich höre also!"
#
"Gut, junger Senor, einst hatte die Familie Rodrigez große Ländereien in Spanien besessen.
Mein Vater, Don Rodrigez war zweimal verheiratet.
In der ersten Ehe gebar meine Mutter uns Zwillinge, meinen Bruder Luis und darauf mich, Emilio.
Leider verstarb meine leibliche Mutter kurz nach meiner Geburt.
Mein Vater verliebte sich darauf in seine schöne Haushälterin, die Witwe Senora Munoz.
Senora Munoz brachte einen Sohn in die zweite Ehe mit, der gleichaltrig mit uns Brüdern war.
Dieser Junge war euer Vater.
Wir drei Jungen waren unzertrennlich bis zu jenem Tag, als wir übermütig loszogen, um Adlereier in den Bergen zu stehlen.
Es kam an einem Felsen zur Tragödie.
Ich kletterte als erster zum Adlerhorst hinauf, dann folgte ihr Vater, zum Schluss mein Zwillingsbruder Luis.
Wir drei waren an nur einem Seil miteinander verbunden.
Kaum hatte ich den Horst erreicht, attackierten die Altvögel mich heftig.
Dabei löste sich das Seil vom Felsen, dass ich gerade sichern wollte und glitt mir durch die Hände, ehe ich noch das Ende festhalten konnte.
Ich klammerte mich mit einer Hand an den Felsen, meine andere Hand hielt das Seil mit den Beiden.
Lange konnte ich das Gewicht nicht aushalten.
Ihr Vater nahm sein Messer und schnitt das Seil unter ihm durch.
Luis stürzte in die Tiefe.
Irgendwie schaffte ich es am Felsen halt zu finden.
Ebenso ihr Vater.
Wir stiegen dann ab und fanden Luis am Boden nur noch tot auf.
Um den toten Bruder vor den Adlern zu verbergen, deckten wir ihn mit der Reitdecke ab, die mit dem bekannten Wappen bestickt war.
In den folgenden Jahren zerbrach unsere Familie.
Mein Vater ertrank seinen Kummer mit schwerem Rotwein und Senora Munoz ging freiwillig aus dem Leben.
Ihr Vater und ich gingen uns fortan aus dem Weg, später als Männer hassten wir uns.
Ich bandelte als junger Mann mit unzähligen Frauen an, aber mit keiner konnte ich Kinder haben.
So fraß der Neid an mir, denn ihr Vater hatte gleich zwei Kinder.
Ich ertrug sein Glück nicht und hatte gleichzeitig Angst, dass mit mir die alte Familie Rodrigez aussterben würde.
So fasste ich diesen unheilvollen Plan.
Glauben sie mir bitte, es war der puren Panik geschuldet, dass ich ihren Vater niederstreckte, als er mich von der Entführung ihrer Schwester abhalten wollte.
Als ihre Mutter kurz darauf vor lauter Gram verstarb, hatte ich aus einem Schuldgefühl heraus veranlasst, dass sie von den Castellofiores liebevoll aufgezogen wurden.
Den Castellofiores erging es ähnlich wie mir, das Paar konnte gemeinsam keine Kinder haben.
Da ich Don Castellofiore von der königlichen Garde her kannte, wusste ich, dass sie in die besten Hände kommen."
"Also ist mein bisheriges Leben auf einem Fundament aus Lügen aufgebaut?", fragte Leonardo traurig. "Wann hätte ich denn die Wahrheit erfahren sollen?"
"Wären sie damals in dem Haus gewesen, so hätte ich sie mitgenommen.
Ich war in dieser Hinsicht nicht allzu wählerisch.
Aber lassen sie mich bitte weiter erzählen, Senor Castellofiore.
Verona kennt die alte Geschichte und weiß, dass ich sie wie meine leibliche Tochter liebe.
Sie akzeptiert mich als Onkel.
Als mir von guten Quellen zugetragen wurde, dass sie aufgebrochen waren, um die Suche nach Verona aufzunehmen, mussten wir Beide bei passender Gelegenheit Spanien verlassen.
Denn gegen einen Castellofiore hätte ich zu keiner Zeit im Zweikampf bestehen können.
Diese Chance ergab sich durch eine glückliche Fügung, da der ehemalige Besitzer diese Hazienda verkaufen wollte.
So hat sich der Kreis geschlossen.
Leonardo, ich habe jeden Tag meines Lebens bereut, dass wir als Jungen aufgebrochen waren, um den Adlerhorst auszuplündern.
Und der meinen Bruder Luis aus dem Leben riss.
Außerdem bete ich Tag für Tag zu Gott und flehe ihn um Vergebung an, weil ich ihren Vater erschlagen habe.
Jetzt, da sie die gesamte Geschichte kennen, lege ich mein Schicksal in ihre Hände."
Verona ergriff nun endlich das Wort.
"Leonardo, ich habe Rodrigez längst verziehen. Deswegen bitte ich dich, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Die alten Wunden müssen endlich heilen."
"Denkst du denn nie an Mutter und Vater zurück?"
"Doch sehr oft, aber es hilft keinem von uns, wenn weiteres Blut vergossen wird. Du hast mich gefunden, nimm es als Gottes Geschenk an."
Leonardo stand vom Tisch auf, zog seinen Säbel und hielt ihn Rodrigez an den Hals.
"Ich verbringe die Nacht draußen auf der Terrasse und muss das Gehörte in Ruhe verarbeiten. Morgen Früh lasse ich euch wissen wie ich mit Senor Rodrigez weiter verfahre."
#
Als Verona in der Morgendämmerung des anbrechenden Tages auf die Terrasse trat, um ihrem Bruder ins Gewissen zu reden, sah sie eine Nachricht auf dem Schaukelstuhl liegen.
'Geliebte Verona,
ich gebe Dir Recht, wir lassen die alte Geschichte endlich ruhen.
Und so wünsche ich Dir, dass Du in der neuen Welt glücklich und zufrieden leben kannst.
Ich gehe nach Spanien zu den Castellofiores zurück und bewerbe mich als Offizier bei der königlichen Garde.
Du weißt also wie Du mich jederzeit finden kannst.
Eine große Bitte habe ich dennoch.
Geht mit euren Sklaven menschlich um.
Ich habe gesehen, was diese Menschen für ein unermessliches Leid erfahren mussten.
Das wünsche ich niemandem.
Vielleicht schenkt ihr ihnen ja irgendwann die Freiheit!
In Liebe, Dein Bruder Leonardo.'
#
Sie blickte die Straße hinunter und lächelte.
"Er hat die Güte unserer Eltern. Gott schütze ihn!"

(C) Jens Richter im Januar 2024

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Marlies am 04.02.2024:
Kommentar gern gelesen.
Lieber Jens,
Mich hat deine Geschichte sehr zum Nachdenken angeregt.
Ich glaube Unrecht verzeihen ,ist erst möglich wenn ausreichend Zeit vergangen ist.
Selbst dann ist es oft noch schwer nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit dem Herzen zu verzeihen.

Liebe Grüße
Marlies




geschrieben von Jens Richter am 05.02.2024:

Liebe Marlies,
sicher hast Du recht.
Aus Deinen autobiografischen Texten, habe ich eine leise Ahnung wie Du mit Vergebung, Vergessen und Verzeihen umgehst.
Es ist ein ständiger innerer Kampf, den jeder für sich ausfechtet.
Meine Figur musste nur vergeben, um die alte Blutfede zu beenden.
Ob er vergessen oder verzeihen konnte, habe ich bewusst offen gehalten.
Viele Grüße, Jens

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