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geschrieben 2013 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 18.09.2013. Rubrik: Satirisches


Virtueller Firlefanz

Virtueller Firlefanz

„Nicht schlecht“, staunte ich über das leere Bücherregal. „Sie sind einen großen Schritt voran gekommen.“
   „Na ja, ein bisschen viel weiße Wand. Meinen Sie nicht?“
   Ich zeigte auf das Lesegerät, das in der linken, oberen Ecke des Regals verweilte. „Hier stehen nun alle Ihre Bücher. Und die fürchterliche Platzverschwendung hat ein Ende.“
   „Hm“, murmelte der alte Mann. „Wenn ich nur wüsste, was ich jetzt mit dem Platz anfangen soll...“
   „Das wird sich finden“, meinte ich. „Willkommen in der modernen Zeit. Sie sind jetzt ein digitaler Leser.“
   „Von wegen“, hörte ich seine Frau aus der Küche rufen. „Du hast doch schon seit Wochen kein Buch mehr gelesen.“
   „Na ja“, murmelte mein Klient.
   Rasch führte ich das Gespräch wieder in eine geordnete Bahn: „Das ist gar nicht so ungewöhnlich, wissen Sie?“ Ich zwinkerte dem alten Mann freundlich zu. „Nicht wenige digitale Leser werden auch zum imaginären Leser. Entscheidend ist nicht, wie oft Sie Ihr Lesegerät tatsächlich nutzen, wichtig ist, dass Sie diesen alten Papierkram los sind. Sie sparen nicht nur Platz, Sie sparen jetzt auch Zeit!“
   „Ach.“ Der alte Mann setzte sich langsam auf seinen Stuhl. „Sie haben ja Recht.“
   „Und je weniger Sie Ihr Lesegerät tatsächlich nutzen“, fügte ich hinzu, „desto länger hält der Akku.“
   „Deine Bücher früher brauchten überhaupt keinen Akku“, meinte die Frau ärgerlich, als sie den Kuchen servierte. Sie war eindeutig ein Störfaktor in der virtuellen Modernisierung des Lebens meines Klienten.
   „Ach, wenn ich nur wüsste, was ich nun in mein Bücherregal stellen soll“, seufzte dieser.

SatirepatzerSatirepatzerDer Kuchen schmeckte hervorragend. „Vermutlich selbst gebacken?“, scherzte ich. „Nicht schlecht, aber was für eine Verschwendung von Ressourcen.“
   „Sie scheinen aber viel Vergnügen an dieser Verschwendung zu haben“, versuchte die Alte mich zu provozieren.
   Ich bedauerte den Virtualisierungsberater, der sich dieser Frau annehmen würde, schon jetzt. Meine Aufmerksamkeit galt jedoch ihrem Mann: „Mit den Büchern haben Sie einen ersten Schritt getan. In Ihrem Leben gibt es aber noch einiges mehr zu virtualisieren, bis Sie den Anschluss an die moderne Zeit wieder gefunden haben.“
   „Aha?“, meinte der Mann verlegen mit kuchengefülltem Mund.
   „Mir ist da etwas zu Ohren gekommen“, sagte ich mit strenger Stimme und erhobener Kuchengabel. „Sie besuchen einmal im Monat ein Konzert der hiesigen Sinfonie.“
Seine Ohren wurden rot. „Oje, sagen Sie bloß, das ist jetzt auch was Schlimmes?“
„Schlimm ist gar kein Ausdruck“, antwortete ich, nachdem ich das zweite Kuchenstück auf meinem Teller platziert hatte. „Das ist doch alles viel zu teuer. So viele Musiker für eine handvoll Senioren. Wissen Sie eigentlich, dass das vor allen aus Steuergeldern bezahlt wird?“
„Ich zahle aber auch meinen Eintritt“, widersprach er mir mit verlegenem Blick zu seiner Frau. Sie wurde selbst dann zu einem Problem, wenn sie selber gar nichts sagte.
„Geschenkt“, antwortete ich konsequent. „Sie können das doch viel bequemer haben.“ Ich legte meine Hand auf seine. Beide waren kuchenverschmiert. „Warum den alten Anzug anziehen, das Haus verlassen und auf unbequemen Stühlen im Konzertsaal sitzen, wenn Sie das alles auch zu Hause haben können?“
Seine Augen wurden weit: „Wir hören aber auch zu Hause Musik...“
„Oh mein Gott“, hörte ich mich ereifern. „Jetzt zeigen Sie mir bestimmt Ihren alten Plattenspieler.“
„Nein, nein.“ Auf den Tisch gestützt stand er auf. „Da kommen Sie mal mit.“
Seine Einladung konsequent ignorierend blieb ich sitzen während er eine Schublade öffnete. „Da schauen Sie mal. Sind wir nicht recht modern?“
„Sie haben noch viel zu lernen“, schüttelte ich den Kopf. „Eine Audio CD ist ein Relikt aus den Anfangstagen der Virtualisierung. Wenn Sie wirklich den Anschluss an die moderne Zeit finden möchten, dann sollten wir schon ein paar Schritte weiter gehen.“
„Oh“, meinte der alte Mann verlegen und ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen.
„Musik hört man heute über die Cloud auf seinem Tablet“. Ich öffnete meinen Koffer. „Nun packen Sie Ihre antiquierten CDs mal schön hier ein und ich bereite den Vertrag für die virtuellen Zugriffsrechte Ihrer künftigen Musiknutzung vor.“
„Lass dich nicht für dumm verkaufen.“, brachte sich zu meinem Leidwesen wieder seine Frau in das Gespräch ein, während sie die Teller zusammen stellte. „Bisher brauchtest du keinen Vertrag, wenn du Musik hören wolltest.“
„Ach!“ Meine wegwerfende Handbewegung verteilte scheppernd auch die Teller wieder auf dem Tisch. „Das, was Sie bisher gehört haben, das war doch gar keine richtige Musik. So wie man sie heute kennt.“
Die Augen des alten Mannes strahlten: „Da haben Sie Recht. Kein Vergleich zum richtigen Orchester.“ Er begann seiner Frau beim erneuten Stapeln der Teller zu helfen. „Und diese Klaut-Musik, von der Sie gesprochen haben, die klingt jetzt besser?“
   „Na ja“, log ich. „Die Klangqualität ist nicht unbedingt die treibende Kraft der modernen Innovationen. Aber dafür sind die Daten viel kompakter.“ Als ich sah, wie sich sein Blick wieder trübte fügte ich hinzu: „Aber das Verhältnis von Klang zu Byte ist jetzt viel besser als bei der CD.“
Ich konnte die Verwirrung in seinem Gesicht sehen, als er mir dabei half, seine alten CDs in den Koffer zu packen.
   „Was willst du dir als nächstes wegnehmen lassen. Dein Geld?“, hörte ich seine Frau aus der Küche rufen.
   „Eine Kreditkarte hat er schon!“, antwortete ich leicht patzig.

Wir hatten uns schon verabschiedet, als ich das Fahrrad hinter dem Garagentor erblickte. „Oh!“, rief ich. „Oh, oh und nochmals oh!“
   Der alte Mann sah mich staunend an.
   „Sagen Sie bloß, Sie benutzen diesen alten Drahtesel noch?“
   Er schüttelte den Kopf. „Das Fahrrad? So alt ist das gar nicht.“
   „In Ihrem Alter. Mann, Mann, Mann“. Ich zeigte eine besorgte Miene.
   „Ach, solang ich es noch kann.“
   „Nein!“, antwortete ich streng. „Damit muss sofort Schluss sein!“
   „Was will er dir denn nun noch wegnehmen?“, hörte ich seine Frau sagen, die sich zu meinem Leidwesen uns hinzugesellt hatte. Sie wurde allmählich zu einer echten Plage. „Was du dafür bekommst, ist doch alles nur virtueller Firlefanz.“
   „Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, sagte ich, während ich an der Schulter packe um seine Blickrichtung fort von seiner Frau zu drehen. „Sie sagen mir, wohin Sie mit dem Fahrrad gerne gefahren sind und wir digitalisieren diese Strecken für Sie.“
   „Hm“, überlegte er. „Und das schaue ich mir dann im Fernseher an?“
   „Wir laden das jedenfalls auf Ihre Cloud“, konkretisierte ich die Maßnahme.
   „Ach ja, wenn das die moderne Zeit ist“, murmelte er mit einem verstohlenen Blick zu seiner Frau.
   „Am besten kommen Sie jetzt mit in mein Auto und ich mache den Vertrag fertig.“

„So, damit sind unsere Straßen wieder ein bisschen sicherer und Sie fallen mir nicht vom Rad“, meinte ich, während der alte Mann den Vertrag unterzeichnete.
   „Ich bin noch nie vom Rad gefallen“, protestierte er etwas kleinlaut.
   „Dann wird das jetzt auch so bleiben“, setzte ich hinzu während ich einen kleinen Briefumschlag aus meiner Mappe holte. „Aber ich habe noch ein anderes Anliegen.“
   „Werde ich jetzt noch etwas verlieren?“, fragte er fast schon ein wenig traurig.
   „Das sind die Worte Ihrer Frau. Aber sind es auch Ihre eigenen?“
   „Hm“, hörte ich ihn nachdenken.
   „Und genau das ist das Problem“, brachte ich auf den Punkt. „Ihre Frau kann manchmal schon eine ziemlich üble Nervensäge sein, nicht wahr?“
   „Na ja“, kratzte er sich an der Nase. „Sie ist wohl gegen die Virtualisierung.“
   Ich schüttelte den Kopf „Das ist noch milde gesagt. Sie behindert Sie daran, den Anschluss an die moderne Zeit zu finden.“
   „Ja, leicht macht sie mir das nicht.“
   „Und Sie wissen wohl, was das bedeutet?“
   „Bekomme ich jetzt eine Roboterfrau?“
   Ich musste laut lachen. „Nein, so weit ist die moderne Technik nun auch wieder nicht.“
   „Gott sei Dank“, stöhnte er. „Wissen Sie, trotz allem liebe ich meine Frau.“
   „Und das sollen Sie auch weiterhin tun.“ Ich öffnete den Briefumschlag. „Das hier ist ein virtueller Gutschein, der Ihre Gattin ersetzt. Den können Sie morgen an einen beliebigen Küchenschrank kleben, nachdem wir Ihre Frau abgeholt haben.“

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Titelbild: DrSJS / pixabay.com (public domain)

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Metti am 18.09.2013:

Gerne darf diese Geschichte auch in gedruckter Form auf Papier gelesen werden. Die Geschichte steht hierfür auch im .pdf Format zur Verfügung.




geschrieben von Weißehex am 05.03.2018:

Hallo metti, die Geschichte habe ich mit Begeisterung gelesen. Und um das mitteilen zu können, habe ich mich nach einiger Überlegung angemeldet. Grüße von Weißehex




geschrieben von Metti am 06.03.2018:

Danke. Hast Du auch in die Hörspiel-Version reingehört?




geschrieben von Weißehex am 06.03.2018:

Hallo metti, noch nicht. Werde ich noch nachholen. Grüße von Weißehex




geschrieben von Metti am 26.11.2019:

Dann such sie einfach nicht ;-)




geschrieben von Lena am 23.12.2019:

Schöne neue Welt. Weit sind wir nicht mehr davon entfernt. Die Geschichte ist interessant geschrieben.




geschrieben von Metti am 29.12.2019:

Danke, Lena. Das Thema lag mir am Herzen. Ich verdiene mein Geld mit virtuellem Firlefanz. ;-)




geschrieben von Kurt Brunner am 23.10.2022:
Kommentar gern gelesen.
Leider eine Tatsache: Die schöne neue Welt ist nicht nur voller Firlefranz, sonder auch meist sehr unübersichtlich, voller Programmierfehler, Inkompatibilität und falschen Automatismen. (Kurt Brunner, Verfasser von "Eine unheimlich anhängliche Katze").




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 19.12.2022:
Kommentar gern gelesen.
Hey Metti, ich habe mir beim lesen vorgestellt, wie du bei Christian Ehring auf einer Couch sitzt, ein Buch un der Hand hältst und vorliest. Als Opa verkleidet beginnend mit "Es war einmal." LG Jürgen




geschrieben von Metti am 20.12.2022:

Hoffentlich hat Christian Ehring noch einen Termin frei.

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