Veröffentlicht: 15.01.2023. Rubrik: Unsortiert
Der Buchmacher
Es war einmal einer, der hörte sich so gern schreiben. Das Geräusch der Feder, die über das Papier lief, hatte es ihm angetan. Schon am Morgen war er süchtig danach und berauschte sich am feinen Kratzen der gespaltenen Spitze und am Geruch der Tinte, die nach und nach das Blatt überzog.
Er schlug die Blätter an, wo immer es ihm in den Sinn kam – an Gartenzäunen, Haustüren, Telegrafenmasten, Bäumen, manchmal sogar mitten im Wald. So ging es eine ganze Zeit lang, insgesamt wohl mehr als über ein Jahr.
Er benützte immer den gleichen Hammer und die gleichen, massiven Stahlnägel bei seinen Anschlägen. Das Pochen des Hammers und der immer heller werdende Klang der ins Holz fahrenden Stifte gefielen ihm fast noch besser als das Schreibgeräusch. Oft sah er schon andere Papiere angeheftet an den Orten, die er sich ausgesucht hatte; manchmal waren es so viele Zettel, dass er für die seinen kaum noch Platz fand.
Aber das war ihm gleich. Weder las er durch, was er selber geschrieben hatte, noch kümmerten ihn die Botschaften anderer. Einmal sprach ihn jemand über die Schulter an und fragte ihn nach einem Inhalt. Aber mit diesem Wort konnte er nichts anfangen. Er sei Handwerker, sagte er, kein Literat. Es käme ihm nicht auf Worte an, sondern auf die Geräusche bei ihrer Manufaktur. Er arbeite nach einem Verfahren, das ohne Inhalte auskäme.
Vielleicht, so meinte er jüngst zu mir, würde er einmal etwas schaffen, das aussähe wie ein Buch, mit einem farbigen Bild auf dem Einbanddeckel und einem Halblederrücken. „Ein Buch mit hundert oder noch mehr Seiten, das man in ein Regal stellen oder wieder heraus nehmen und durchblättern könnte, nach Herzenslust“, sagte er, „vorwärts und rückwärts. Das wär fein!“

