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6xhab ich gern gelesen
geschrieben von Horst Radmacher.
Veröffentlicht: 26.01.2023. Rubrik: Satirisches


Schluss mit lustig

Das Leben meinte es aber auch gut mit Dr. Ansgar Jester: auf der Shortlist zur Nominierung für den Humor-Nobelpreis zu stehen und zusätzlich noch die öffentliche Anerkennung zu genießen, das hatte was.

SatirepatzerSatirepatzerAls er sich mitten in einer Arbeit zu einem Feature für einen norwegischen TV-Sender, mit dem Titel 'Troll oder nur stark angeheitert?', befand, wurde er in seiner Alltagsroutine gestört. Einer der Internet-Trolle, mit denen er sich früher abwehrend beschäftigen musste, wagte den Schritt aus der Anonymität. Dieser Nerd schlug ein Treffen vor, leibhaftig, von Angesicht zu Angesicht. Jesters Ehefrau riet ihm davon ab. “Lass es lieber, Ansgar. Wer weiß, was der vorhat? Klingt nach Show-Down“, waren ihre besorgten Worte.

Aber Ansgar Jester war als Sprachwissenschaftler nicht nur beim Thema Humor an neuen Wendungen interessiert, er war auch als Forscher allgemein sehr wissbegierig. Er musste nicht lange überlegen, er folgte dieser Einladung. Und dies gestaltete sich zunächst komplizierter als gedacht. Dieser Typ teilte ihm nicht einfach Ort und Zeitpunkt des geplanten Treffens mit, nein, dem schwebte eine weniger altbackene Methode vor, so wie er es ausdrückte. Dr. Jester musste schmunzeln, als er Näheres erfuhr; es handelte sich um eine Art digitaler Schnitzeljagd, an deren Ziel sich der Treffpunkt befinden sollte. Ansgar beteiligte sich an diesem Spaß, er ließ sich auf eine Irrfahrt durchs Internet ein und fand bald das Ziel heraus: eine Autobahn-Raststätte in Oberbayern, an der A8. Für ihn mit Wohnsitz im Norden Deutschlands eine beachtliche Entfernung, aber er konnte bei der Gelegenheit ja noch einen Freund im nahen Mittenwald besuchen.

Ansgar Jester, ansonsten mental robust im Leben stehend, verspürte eine gewisse Anspannung, als er das Restaurant betrat. “Du wirst mich schon erkennen“, so hatte der Troll ihn vorbereitet. Und tatsächlich, ganz hinten im Lokal, an einem Ecktisch, entdeckte er einen blassen, verhuschten Jüngling, der eine bunte Kappe der Faschingsgesellschaft Narrhalla auf den Kopf trug – netter Gag in Richtung Hofnarr. Aufgrund des Pseudonyms wäre eine androgyne Erscheinung auch möglich gewesen.

Die Gesprächseröffnung verlief seitens des Trolls sehr stockend. Meine Güte, total verklemmt, dachte der Sprachwissenschaftler über sein Gegenüber, der zuvor beim Wortwechsel im Netz häufig geschmeidig aufgetreten war. Small-Talk war dessen Sache offensichtlich aber nicht und er kam erst nach unsicherem Zögern auf den Punkt. “So, Jester, warum tust du mir das an? Warum willst du mich fertigmachen? Das muss doch 'nen Grund haben? Nun raus damit. Und jetzt bloß nicht so'n akademisches Gelaber, keinen Scheiß.“

Dr. Jester, rhetorisch gut gerüstet, schaffte es, dem Jungen die Anspannung zu nehmen. “Natürlich erfährst du von mir die Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit“. Und die meiste Zeit redete zunächst Ansgar, der unscheinbare junge Mann hörte zu, schien aber mit den Ausführungen nicht immer einverstanden zu sein, lauschte aber weiter den Worten des Älteren. Ob er dabei überhaupt verstanden hatte, dass die Welt der Gefühle nicht in Algorithmen zu finden wäre, das war im Gesprächsverlauf nicht zu erkennen. Ansgar gelang es aber, diesen trotzigen kleinen Kerl zu öffnen. Zunächst verhalten, dann redete dieser immer flüssiger. Und was dann folgte, erschreckte selbst einen Dr. Jester. Ungebremst sprudelte es aus dem Freak nur so heraus.

An diesem Nachmittag, an einem sonnigen Tag im Vor-Frühling in Ober-Bayern, erlangte Dr. Jester Einblick in das kaputte Leben eines jungen Menschen. Er erfuhr von körperlichen und seelischen Misshandlungen eines Kindes. Was hatten Menschen diesem Geschöpf nur angetan? Spielerische Unschuld hatte hier keinen Platz gehabt. Dazu der Konflikt in der aktuellen Situation. Dass dieser im Netz mitunter durchaus pointiert formulierende Nerd zumindest bei längeren Passagen ausschließlich mit einem Schreibroboter gearbeitet hatte, kam nicht ganz unerwartet. Dr. Jesters erster Gedanke: KI vs. Old School, so schlecht hatte er dabei nicht abgeschnitten. Aber das Procedere dieser Vorgehensweise. Da versuchte eine arme Seele, sich Nähe zu den Gefühlen anderer Menschen zu verschaffen, es funktionierte so aber nicht. So mussten die Emotionen Anderer dann eben beschädigt werden. Hämische Besserwisserei stand am Anfang. Und dann wurde die Linie zum Pathologischen überschritten. Der Troll handelte schließlich als gespaltene Persönlichkeit, er benutzte hierzu diverse Pseudonyme parallel, teils nur plump getarnt, mal mit Pseudo-Empathie verbrämt. Eine von Jesters Arbeiten hatte dann irgendwann eine Wende eingeleitet. Was ihn da getriggert hatte, konnte er nicht genau erklären. Troll unterbrach jedenfalls seine Aktionen in den Chatrooms und wandte sich im realen Leben an den Humor-Papst.

Trotz der psychopathischen, äußerst lästigen Vorgehensweise dieses Nerds, Ansgars altruistische Seite wurde angesprochen, er empfand tiefes Mitleid mit diesem Wesen. Die Unverschämtheiten eines anmaßenden Internet-Freaks erschienen dem Humorflüsterer mit einem Male nebensächlich. Vielleicht war eine Überdosis Humor ja auch toxisch? Dann kam es zu einem Fast-Zusammenbruch. Der Junge brach in Tränen aus. Der empathische Erwachsene nahm ihn in den Arm, um ihn zu trösten. So verharrten sie eine ganze Weile. Ein zuvor nicht vorstellbares Bild: Hofnarr tröstet weinenden Troll. Später am Tag, der junge Mann hatte sich wieder besser unter Kontrolle, stimmte dieser einer Therapie zu. Die erfolgte bei einem mit Dr. Jester befreundeten Psychiater in Mittenwald. Hier gründeten sie ein Zentrum zur Sichtung und Behandlung von Internet-Trollen. Dr. Jesters erster Fall, erfolgreich therapiert, ging als 'Nummer 0', in die Geschichte dieser Einrichtung ein.

Kurze Zeit später. Dr. Jester gab seinen einstweiligen Rückzug aus der Öffentlichkeit bekannt, er wolle sich eine schöpferische Pause gönnen: SCHLUSS MIT LUSTIG, lautete die Überschrift der Erklärung.

Inzwischen lebt Ansgar Jester zurückgezogen in einem kleinen Ort an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste, wo er wieder seiner früheren großen Leidenschaft nachgeht, der Malerei.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Ernst Paul am 26.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Wieder eine sehr gute Satire, Horst. Habe ich sehr gern gelesen. LG




geschrieben von Gari Helwer am 28.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Ein Narr, der Böses dabei denkt.... ;-) Wieder herrlich amüsiert, Horst! Möglicherweise erlebt der gute Dr. Ansgar Jester auch in der Welt der Kunst Bemerkenswertes...wer weiß? Liebe Grüße!




geschrieben von Christelle am 29.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Eine richtig gute Satire! Mich irritiert ein bisschen dein letzter Satz, Horst. Heißt das, dass es ( vorläufig) die letzte Geschichte (von Dr. Jester) war? Weil er sich jetzt der Malerei verschrieben hat????




geschrieben von Horst Radmacher am 29.01.2023:

Danke für deinen Kommentar Gari, mal sehen, was sich da ergibt. LG Horst




geschrieben von Horst Radmacher am 29.01.2023:

Vielen Dank für die Einschätzung - gut interpretiert, Christelle. Ja, das ist richtig: '2 x vorläufig.' Bis dann!? LG Horst




geschrieben von Christelle am 30.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Ich hoffe tatsächlich auf „vorläufig“. Ich würde deine Geschichten sonst vermissen. Alles Gute und liebe Grüße von Christelle

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