Veröffentlicht: 03.03.2023. Rubrik: Satirisches
Bekehrung
Dr. Ansgar Jester hatte feststellen müssen, dass ihn die Aktivitäten um das Thema 'Humor International' in den vorangegangenen Jahren stark belastet hatten. Sein Entschluss, sich zurückzuziehen, und sich erst einmal der Malerei zu widmen, war richtig gewesen.
Schon nach einigen Wochen spürte er, der Übergang zur Tiefenentspannung war erfolgt. Auch seine Bilder werden anders, weg von den zunächst düsteren Farben hin zu farbenfroheren Sujets. Zu einem Leben in Kontemplation trugen auch die behaglichen Abende mit seiner Frau Irene bei, wenn sie beide zur 'Blauen Stunde' in besinnlicher Stimmung von der Veranda ihres Häuschens auf die abendliche Ostsee blickten. Ohne Einflüsse von außen wäre Ansgar zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht wieder in den Zustand der 'Unruhe' zurückgekehrt.
Es geschah an einem der ersten Tage nach der Abreise seiner Frau nach Portugal, wo diese eine Freundin besuchen wollte. Ein Sonntagmorgen in dem abgelegenen Haus am Ende der Gasse nahe des Strandes. Ansgar hatte sich gerade mit einer Zeitschrift zurückgezogen, nachdem er mit seinem Nachbarn versucht hatte, herauszufinden, ob Frühstücksmüsli und Rotwein zusammenpassen - er war guter Dinge. Dann klingelte es an der Haustür. Als Ansgar öffnete, blickte er auf ein älteres Paar, mit abgewetzten Einkaufstaschen und einigen Broschüren bewaffnet. Ihre Kleidung war in einem undefinierbaren, freudlosen Farbton gehalten, unbewusst schlicht oder eventuell gezielt unmodisch? Diese beiden unscheinbaren Zeitgenossen gaben sich freundlich und zunächst betont zurückhaltend. Als sie erkannten, einen gesprächsoffenen Menschen vor sich zu haben, war es mit der Zurückhaltung schlagartig vorbei. Ansgar, als stets höflicher Mensch, bat sie, näherzutreten. In der Folge entpuppte sich das ältere Ehepaar als ein überaus redseliges Duo, das ohne große Einleitung zu seinem Anliegen kam: Sie wären mit der Mission gekommen, verirrte Menschenseelen auf den Pfad der wahren Erkenntnis zu führen. Diese Seelenrettung könne nur über Reue und Vergebung der Sünden erfolgen und dann nichts wie ab in das Ewige Reich. Hierfür wäre für bekehrte Sünder nur eine geringe Eigenleistung zu erbringen: eine Taufe und anschließende Missionsarbeit. Das klang nicht gerade verlockend für einen Agnostiker. Aber das Bild vom Paradies, dort wo Milch und Honig fließen sollten, gefiel Ansgar. Eine Aussicht, über die zu debattierten er gerne bereit war, zumal er momentan nichts Unaufschiebbares vorhatte. Allein, ihm fehlte der Glaube an der Deutungshoheit dieser theokratischen Organisation zum Thema Paradies.
Er ließ die beiden erst einmal sabbeln, gute fünfunddreißig Minuten am Stück. Dann übernahm Ansgar die Regie, er drehte den Spieß um und beschrieb in leuchtenden Farben ein Reich, in das jeder kommen könnte, sofern er Humor und Lebensfreude mitbringen würde. Er nannte auch ganz konkret den Ort dafür: das traumhaft schöne Yosemite Valley in Kalifornien, ein Sehnsuchtsort vor dem Herren. Da waren die zwei religiösen Paradiesvögel aber geplättet. Sie hätten eventuell mit einer barschen Ablehnung gerechnet, aber nicht mit solch einem Gegenangebot und hörten wissbegierig zu. Und der Meister der Rhetorik, noch ein wenig vom frühen Rotweingenuss stimuliert, entwarf mit eindrucksvollen Worten ein Bild, über das die beiden Sektenmenschen nur mit großen Kinderaugen staunen konnten. Nach gut zweieinhalb Stunden Vortrag schienen sie zu ermüden und baten Ansgar, den Vortrag zu unterbrechen, sie hätten noch andere Termine wahrzunehmen. So entließ Dr. Jester zwei erschöpfte, potentielle Interessenten an seiner Humor-NGO, mit dem Versprechen, sich am kommenden Sonntag hier wieder zu treffen. Und dies geschah tatsächlich. Die beiden Alten erschienen pünktlich und vermittelten einen komplett anderen Eindruck: modische helle Kleidung - besonders apart die körperbetonten Jeans sowie weiße Sneakers. Die abgeschubberte Einkaufstasche nebst Broschüren hatten sie weggelassen und wurden dafür von vier weiteren Mitgliedern ihres örtlichen Komitees begleitet. Im Laufe dieses Sonntags verwandelten sich verbiesterte Werber einer religiösen Sekte in überzeugte Anhänger des reinen Humors im Sinne der NGO Hofnarr®. Sie waren begeistert von der Aussicht auf Frohsinn und Heiterkeit in einem gelobten Land. Das sprach sich in deren Kreisen herum.
In den folgenden Wochen, Ehefrau Irene war bereits wieder aus Portugal zurückgekehrt, war Ansgar fast nur noch in Sachen Humorparadies unterwegs. Seine Frau fragte ihn kopfschüttelnd: “Wo soll das hinführen, Ansgar? Ist dir die Auszeit nicht gut bekommen?“ Aber der war nicht zu bremsen. Er lud zu einer vom herkömmlichen Ritual abweichenden Veranstaltung ein, die dann im Versammlungssaal des lokalen Komitees stattfand. Einer der neu überzeugten Humorfreunde betrat das Podium. Die Zuhörer hielten den Atem an, als sie diesen erblickten: Er war im Stil des Till Eulenspiegel in ein mittelalterliches Narrenkostüm gekleidet. Dann, von ganz hinten, ein verhaltenes Kichern, gefolgt von einem alle ansteckenden, prustenden Lachen – bald bebte der Saal vor Fröhlichkeit, die Distanzgrenze war überschritten. Als Höhepunkt der Veranstaltung hatte Ansgar eine riesige Spiegelwand auf die Bühne schieben lassen, in der sich die einst so verkniffene Gemeinde herzlich lachend im Spiegel sah.
Das übergeordnete Zentral-Komitee der Sekte hatte von dieser Entwicklung erfahren und die Absicht Ansgars durchschaut, öde religiöse Werber in sinnesfrohe Herolde zu verwandeln. Die Zentrale setzte ihre Mitglieder unter Druck und konnte den einen oder den anderen in frühere Abläufe zwingen. Aber speziell im nördlichsten Bundesland stießen sie auf Widerstand. Die Straßenwerber standen dort zwar wie gehabt auf ihren Posten, aber statt mit missmutigen Gesichtern, missionierten sie nun vor Freude strahlend, wenn sie, statt ausschließlich für ihre Sekte, zusätzlich für Humor und Lebensfreude warben.
So hatte Dr. Ansgar Jester es fertiggebracht, allgemeine Heiterkeit in die Fußgängerzonen eines ganzen Bundeslandes einkehren zu lassen – eine sensationell fröhliche Stimmung machte sich dort breit. Und dies in einer Gegend, in der man den Menschen nachsagt, zum Lachen in den Keller zu gehen.

