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8xhab ich gern gelesen
geschrieben von Horst Radmacher.
Veröffentlicht: 21.04.2023. Rubrik: Unsortiert


Reiner Zufall

Einer der bekanntesten Zufälle der Geschichte ist in der Legende von der Entdeckung der Schwerkraft zu finden, als Sir Isaac Newton hierbei angeblich einen Apfel vom Baum herunterfallen sah, unter dem er zufällig weilte. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Fügung und Zufall bei historischen Ereignissen wie diesem, war das Thema, das die Philosophiestudentin Hannah Renner in Form eines Essays erarbeiten sollte. Hannah, esoterisch überhaupt nicht inspiriert, behagte dieses Thema nicht, sie glaubte nicht an Wege des Schicksals, sondern eher, dass das Leben sich entlang vieler Zufälligkeiten entwickelt.

Ihr albanischer Studienfreund, Neven Ciric, bekannt für sein Faible für Palindrome, also Wörter, die vor- und rückwärts gelesen gleichlautend sind, ebenso wie für seinen Lieblings-Palindrom-Satz, 'Nie solo sein', stimmte Hannah nachdenklich, als er sie in dieser Situation auf offensichtliche Zufälle in ihrem Leben hinwies, die sie bislang nicht wahrgenommen hatte. War es wirklich reiner Zufall, dass ihr Vor- und -Nachname aus je einem Palindrom besteht. Neven Ciric, auf den dies auch zutrifft, fragte sie bezüglich der Namen ihrer Eltern. Aha, also Otto und Anna Renner, und deren aktueller Berufsstatus: Rentner! Ganz zufällig, solch eine Anhäufung von Palindromen in einer Familie? Alles nur Unfug, Hannah? Die wurde aber erst so richtig stutzig, als sie an den Geburtsort ihrer Mutter dachte, Saas bei Bayreuth, während ihr Vater aus Niedersachsen stammt, aus dem Ort Hammah an der Unterelbe. Geboren wurde er am 5.5.55 im Haus Auf der Höh, Nr. 22. Einem Narrativ folgend, ereignete sich dieses beim Wechsel der Gezeiten, als die Ebbe einsetzte, um 13:31. Und was ist mit deinem eigenen Geburtsdatum, Hannah? Der 20.02.2002? Und mit dem deines Neffen Ede, am 02.02.2020? Vermutlich auch nur Zufälle, aber alle in einer Familie? Und da war noch mehr: Zum Beispiel das in der vom Wassersport begeisterten Familie bevorzugte Sportgerät, das Kajak. Und weiter: Dass Menschen Vögel gernhaben, ist verbreitet. Aber dass die Vogelliebhaber der Familie Renner ausnahmslos alle nur die Großvögel Uhu oder Ara in ihrer Voliere halten, das kann doch kein Zufall sein.

Bei weiteren Rückblicken in das Familienleben fand Hannah heraus, dass das Lieblingsnaschwerk beider Elternteile, unabhängig voneinander, in deren Kindertagen das Fruchtgummi Maoam gewesen war. Später, sie hatten ihre Musikvorliebe vom Pop der Gruppe Abba in Richtung klassische Musik verlagert, hin zu ihrem Lieblingskomponisten Max Reger, bevorzugten sie beide als Nascherei das Fruchtbonbon Sugus. Dann, mit Anfang zwanzig, kam für sie als ideale Lebensform nur eine in Frage: Ehe. Ihre Hochzeitsreise führte sie nach Kreta. Von dort brachten sie ihren Lieblingswein in einem größeren Behälter mit, in einem Retsinakanister. Und überhaupt, das Reisen blieb ihre Passion. Nachdem sie mehrmals auf Kreta gewesen waren, wurde Uganda das favorisierte Reiseziel, bis dessen damaliger Diktator, Idi Amin, ihnen den Aufenthalt dort durch seine Schreckensherrschaft vermieste. Hannah war von all diesen Palindromen im Dunstkreis ihrer Familie verblüfft. Um was sollte es sich jedoch handeln, wenn nicht um Zufälle, aber in dieser Anhäufung?

Hannah besprach dies mit ihrer Mutter. Die fand dies zwar auch auffällig, maß diesen Dingen aber keine besondere Bedeutung bei. Anna Renner war weit entfernt von Thesen einer das Schicksal bestimmenden Hand. Gut, sie könne sich noch an Wasch- und Scheuermittel wie Omo ober Ata erinnern, die von ihrer Mutter Irmgard, von deren Enkeln immer nur Immi genannt, häufig benutzt wurden, aber die könnte sie nicht mehr über weitere Auffälligkeiten fragen, die ist ja seit Jahren tot.

Das, was der gute Neven thematisch angestoßen hatte, verwirrte Hannah zusehends. Es waren zu viele der rein zufällig auftretenden Palindrome. Sie beendete die Suche nach weiteren eventuellen Zusammenhängen solcher abstrusen Inzidenzfälle, als sie entsetzt feststellen musste, wie bei ihr Beethovens 5. Symphonie als Palindrom zum Ohrwurm wurde: TATARATAT! Die Ausarbeitung für die Arbeit zum Thema Zufall und Bestimmung lehnte sie nachträglich ab. Um auf andere Gedanken zu kommen, reiste sie nach England. Dies war zwar das Heimatland von Sir Isaac Newton, mit dem für sie diese zermürbenden Faktensuche begonnen hatte, aber sie hatte sich dort schon in früheren Zeiten außerordentlich wohl gefühlt.

Bereits nach wenigen Tagen hatte sie zu den skurrilen Verknüpfungstheorien um ihre Familie herum Abstand gewonnen. Sie lebte frei und unbeschwert in einem kleinen Städtchen in den East Midlands in der Grafschaft Lincolnshire. Hannah war inzwischen so entspannt, dass ihr entgangen war, dass der Name dieses Ortes, Terret, ebenso ein Palindrom war wie der Name, ihres dortigen Freundes Bob Redder, der zudem noch leidenschaftlich gerne mit dem Kayak unterwegs war. Die zwei unternahmen häufig inspirierende Ausflüge in die nähere Umgebung. Eine ihrer Touren führte sie in das Städtchen Woolsthorpe-by-Colsterworth. Hier führte Bob seine Freundin an den Ort, an dem Sir Isaac Newton angeblich, rein zufällig, hinter das Geheimnis der Schwerkraft gekommen sein sollte. Die Menschen in Lincolnshire wussten schon damals, dass Isaac Newton das Gesetz der Gravitation bereits vorher erkannt hatte. Das Narrativ vom herunterfallenden Apfel erschien dem Schelm Isaac aber interessanter, als es die bloße Verkündung einer physikalischen Erkenntnis gewesen wäre, außerdem schätzte er einen Gag auf hohem Level sehr. Er wusste, die Leute mögen so etwas. Belegt ist eigentlich nur, Isaac Newton kam zum besagten Apfelbaum mit seinem Reittier, das er neben dem Baum an einem Reliefpfeiler befestigte. Als Hannah von dieser Geschichte erfuhr, sowie dass eine Urahnin Bobs, eine gewisse Eve Tillit, dem Wissenschaftler seinerzeit das Grundstück mit dem Apfelbaum verkauft hatte, das vorher ihrer Tante Minim gehört hatte, kommentierte sie dies vergnügt mit einem erstaunten WOW.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Onivido kurt am 23.04.2023:
Kommentar gern gelesen.
Hola Horst, da steckt jede Menge Arbeit dahinter und eine gewaltige Fantasie. Ich bin beeindruckt. Saludos///Onivido




geschrieben von Ernst Paul am 23.04.2023:
Kommentar gern gelesen.
Meine Freundin Annasusanna Renner hatte Gefallen an deiner Geschichte. Auch ich habe sie gern gelesen.




geschrieben von Horst Radmacher am 23.04.2023:

Hola, Onivido. Danke für deine Wertschätzung. Ja, in diesem Fall war das Schreiben etwas zäher; die Begriffe sollten ja plausibel in die Story passen. Da ich gerne mit Wörtern spiele, fiel's nicht ganz so schwer. Saludos, Horst




geschrieben von Horst Radmacher am 23.04.2023:

Danke Ernst, und Gruß an die Freundin. Bei dem Familiennamen hätte ich meine Tochter auch so genannt. Die Geschichte hat mir selbst auch Spaß gemacht, ich mag solche Wortspiele. Musste mitunter beim Schreiben schmunzeln. HG




geschrieben von Gari Helwer am 27.04.2023:
Kommentar gern gelesen.
Einfach großartig, Horst! Tolle Leistung und sehr amüsant, LG





geschrieben von Christelle am 03.05.2023:
Kommentar gern gelesen.
Super Geschichte! Ich hätte nie gedacht, dass es so viele Palindrome gibt (den Ausdruck kannte ich bisher nicht). Auf solche wie Nie solo sein, Retsinakanister, Reittier und Reliefpfeiler muss man erst einmal kommen. Aber auch die anderen sind nicht ohne. Und diese in eine so tolle Geschichte zu packen, ist eine Meisterleistung. LG




geschrieben von Horst Radmacher am 03.05.2023:

Es freut mich sehr, dass Dir die Geschichte und die Wortspielereien gefallen, Christelle. Herzlichen Dank besonders für deine wertschätzende Beurteilung. HG

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