Veröffentlicht: 25.05.2023. Rubrik: Märchenhaftes
Die mutige Luisa, Teil 1
Die Sonne blinzelt durch das bunte Glas und wirft Farbkleckse auf den großen wuchtigen Holztisch. Luisa staunt bei jedem Besuch über die leuchtenden Ornamente und Blüten an den Fenstern.
„Du hast wirklich Glück hier zu arbeiten“, schwärmt Luisa und schlägt das dicke rot gebundene Märchenbuch zu. „Wie meinst du das?“, Heiner schaut zu Luisa, die gerade in ihren karierten Rucksack kramt.
„Naja, der Ort ist irgendwie verwunschen und magisch.“ Luisas Blick schweift über die endlos scheinenden Regalreihen.
„Du hast recht, er ist magisch.“, „willst du heute schon gehen?“ fragt Heiner.
Luisa sitzt sonst gern bis Sonnenuntergang in der Bibliothek, schmökert in alten oder neuen Büchern und manchmal träumt sie auch nur von einem Abenteuer oder einem Leben jenseits des Dorfes.
„Ich gehe heute mit Tante Lilo Maulbeeren pflücken.“
„Hast du heute noch etwas vor?“ fragt Luisa bereits im Gehen.
„Ich gehe noch zum alten Severin und bringe ihm eine Salbe.“ Antwortet Heiner. „Warum gehst du denn immer zu dem herzlosen, grimmigen Alten?“.
"Ach, weißt du Luisa, eigentlich ist er kein schlechter Mensch, das Leben hat ihn rau gemacht." " Er hatte sehr wenig Glück.“
Luisa hört aufmerksam zu, was Heiner über den alten Severin berichtet.
„Einst lebte er mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen inmitten des Dorfes. Als sie ein drittes Kind erwarteten, zogen sie in ein kleines Haus am Waldrand.“ „Der dritte Sohn kam zur Welt, doch die Frau des Severin überstand die Geburt nicht.“ „So lebte er mit seinen drei Söhnen viele Jahre allein draußen am Waldrand.
Tommy und Malte waren zwei kräftige und fleißige Burschen. Sie waren dem Alten eine große Stütze. Aber Flori der jüngste" Heiner schüttelt mit dem Kopf, "er war eine Trantüte, ein Träumer, er lag den ganzen Tag auf der Wiese und starrte in die Wolken", " Eines Tages kamen die beiden älteren Söhne nicht von der Jagd zurück.“ Luisa schluckt „Das ist aber wirklich sehr traurig", "und Flori?, was ist mit ihm?"
Heiner kratzt sich an seinen Bartstoppeln, "er kam eines Tages einfach nicht heim".
"Das ist ja wirklich sehr schlimm für den Alten", "Ich muss jetzt los", Luisa hebt noch mal kurz die Hand, dann schiebt sie sich durch die schwere Flügeltür nach draußen.
Heiner hat kaum die Bibliothek geöffnet, da steht Luisa in der Tür. Sie hat die ganze Nacht kein Auge zubekommen und ins Dunkel gestarrt. Sie grübelte über den alten Severin und vor allem was wohl mit Flori passiert ist?
"Tja, Luisa" Heiner legt ein schwarzgebundenes Buch auf den Tisch. "Niemand weiß das so genau, ich glaube, die Hekla hat ihn".
Erstaunt fragt Luisa: "Wer ist die Hekla?"
"Die Hekla"?, "Sie ist eine böse Hexe", "Sie kann jede Gestalt annehmen, Mann, Frau oder Kind, ja sogar in Tiere kann sie sich verwandeln"..." , "Sie kommt auch in anderer Gestalt in die Dörfer und bringt Kummer und Leid in diese Ortschaften",antwortet Heiner geheimnisvoll. Luisa schaut sich argwöhnisch um.
"Jedenfalls war es wohl so!, der Alte hatte sich den Fuß verstaucht und konnte sich nicht gut um den Hof kümmern.
Er hat den Flori in den Wald gejagt, 'Du Nichtsnutz, hol endlich Holz', das war das Letzte, was der alte Severin zu ihm gesagt hat."
Heiner tippt mit dem Finger auf das schwarzgebundene Buch: "Hier steht etwas über Hexen drin, auch über die Hekla". Die dicken Lettern wirken wie ein Warnschild 'BÖSE MÄCHTE', so der Buchtitel. Luisa schaudert, trotzdem schlägt sie das Buch auf und beginnt zu lesen.

