Veröffentlicht: 26.06.2024. Rubrik: Kinder und Jugend
Markenwahn
Ich unterlag in meiner Kindheit einem Markenwahn. Marken waren bereits damals Statussymbole, durch die das Ansehen bei anderen stieg. Kurz gesagt: mit der richtigen Marke konnte ich mich überall sehen lassen. Neider bewahrten Distanz, aber ihr Blick verriet: „die hätte ich auch gerne“. Marke war halt nicht gleich Marke.
Unsere Marken gab es kostenlos, frei Haus. Auf Postkarten aus dem Urlaub, auf Briefen von Freunden und Familie, genauso wie auf Rechnungen und Mahnungen. Sie wurden erst mit der Schere großzügig ausgeschnitten, dann in heißem Wasser eingeweicht, mit einer Pinzette auf ein Handtuch gelegt und nach dem Trocknen nochmals geprüft: Fehlt auch wirklich keine Zacke ? Nein - dann wurde ihr ein Platz im Album zugeteilt. Passend zum Land, Motiv und Wert – ganz vorsichtig – hinter einer durchsichtigen Kunststofffolie. „Doppelte“ landeten in einem Umschlag und galten als legitimes Zahlungsmittel unter Markenfetischisten.
Wir waren Jäger und Sammler und bauten uns ein enges Netzwerk auf. Onkel Peter hatte Familie in der DDR, Antonio kam aus Spanien, Willi aus den USA. Mit denen musste man sich gut stellen. Meine Oma und Tanten aus Bremerhaven hatte ich instruiert: „Bitte nur mit Sondermarken frankieren“. Auch meine Brieffreundin in Aschaffenburg kannte meine zackigen Vorlieben. Schon damals galt der markige Spruch: „wer schreibt, der bleibt“ .
Das Album war in der Regel mehr wert, als der gesamte Inhalt, aber so ist das mit Marken. Sie sehen schön aus, sind aber oft nichts wert. Typisch Markenwahn.