Veröffentlicht: 03.08.2024. Rubrik: Kinder und Jugend
Der Schulweg
Zu meinen ersten Schuljahren gibt es nicht viel, was ich erzählen könnte. Ich mochte die Schule und die Lehrer. Lernen machte mir Spaß und fiel mir auch sehr leicht, was mir zu einer passablen Aufstockung meines Taschengelds verhalf, denn Opa gab mir für jede EINS eine Mark und für jede 2 fünfzig Pfennig. Leicht verdientes Geld, das ich stolz zur Sparkasse brachte und auf mein Sparbuch einzahlte.
Was ich nicht mochte – und das hat sich bis heute nicht geändert – ist Handarbeiten und Ballspiele. Für beides bin ich absolut talentfrei. Bei Mannschaftsaufstellungen für Ballspiele war ich immer die letzte Wahl und für Handarbeitslehrerinnen eine wahre Herausforderung.
Wesentlich ergiebiger sind meine Erinnerungen an den Schulweg, den ich in den ersten 4 Schuljahren – bei Wind und Wetter – gehen musste. Ca.3km, mit einer Gehzeit von 30 bis 45 Minuten und komplett ohne Funktionskleidung. Heute kaum zu glauben, dass man so etwas überleben kann.
Die ersten Meter gab es noch keine befestigte Straße, denn mein Elternhaus stand in einem neu erschlossenen Wohngebiet, oberhalb des alten Dorfkerns. Der Weg ging steil bergab, linkerhand blickten vereinzelte Häuser und rechts mächtige Fichten auf mich herab. Nach diesen stolzen Bäumen wurde auch die Straße benannt: der Fichtenberg. Vorbei an einem Forsthaus, das Ernst Leitz in grauer Vorzeit erbauen ließ, tauchten rechts die Gleise der damals noch befahrenen Bahntrasse auf. Links erhob sich eine steile Felswand, in deren Innerem sich der Luftschutzbunker verbarg.
Belustigt beobachtete ich von dort Erwachsene und Jugendliche, die mit hochrotem Kopf und komplett außer Atem zum Bahnhof rannten, um ihren Zug in die Kreisstadt Wetzlar nicht zu verpassen.
Bei den Bahngleisen bog ich rechts ab und erblickte bereits von Weitem den Kirchturm und die Solmsbachbrücke, nach deren Überquerung die Wehrstraße linkerhand einmündet. Da musste ich hin und ab jetzt ging es nur noch Bergauf. Vorbei an der Metzgerei meiner Großeltern und dem Wehr - dem ehemaligen Löschteich - und vielen alten Fachwerkhäusern aus dem 18. Jh. Die Misthaufen in den Höfen sorgten für eine typische Landluft. Unvergessen bleiben für mich die Rufe der Großmutter eines Mädchens : „Mariechen, Mariechen, du hast dein Pausenbrot vergessen !“ Das passierte öfters und die fürsorgliche, herzensgute Oma Liesel sprintete jedes Mal den steilen Weg hinter ihrer Enkelin her, um ihr die gefüllte Brotdose zu bringen.
Schon bald war das letzte Haus und ein kurzer, flacher Weg erreicht, der links von einem Teich mit hohem Schilfrohr und rechts dem Minetbach umgeben war. Im Frühjahr herrschte hier ein munteres Treiben und lautes Quaken der Frösche. In den Wintermonaten war es morgens stock dunkel. Weit und breit weder Straßenbeleuchtung noch andere Lichtquellen. Aber wir kannten ja den Weg.
Dort wo die Straße nach links, zur Schule abbog und sich der steilste Abschnitt, mitten in einem Waldstück befand, stand in der Kurve eine stattliche, alte Eiche. Ihr Wuchs war ideal zum Klettern – das musste aber warten, bis nach dem Unterricht. Ebenso die Schneeballschlachten, die wir uns im Winter lieferten. Morgens durften wir nicht trödeln damit wir zum ersten Klingeln pünktlich in der Schule ankamen.
Der Schulweg war weit, aber wir mochten ihn und fanden es schade, als wir ab dem 5. Schuljahr in eine andere Schule, in einem anderen Ort versetzt wurden. Von dem Tag an fuhren wir mit dem Bus – wie langweilig.