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geschrieben 2025 von Kargut (Kargut).
Veröffentlicht: 08.05.2025. Rubrik: Aktionen


Der Berg ruft

„Ein merkwürdiger Spruch“, denke ich, als mich Freunde, mit diesem Satz, zu einem Ausflug an den Spitzingsee einladen. „Mich hat bisher noch kein Berg gerufen“, entgegne ich mit einem unüberhörbaren Zweifel in der Stimme.

Sonntags, um 8 Uhr werde ich abgeholt. „Ob es das wert ist?“ überlege ich und werfe dem klingelnden Wecker einen zornigen Blick zu. Als wir auf die Autobahn auffahren, erschrecke ich. „Was ist denn hier los? Gibt es etwas umsonst?“ Wie bei engmaschigen Perlenketten, reihen sich auf drei Spuren Auto an Auto. Nach knapp zwei Stunden haben wir die Strecke von 60km bewältigt und das Glück, auf Anhieb einen freien Parkplatz zu finden.

Zielstrebig marschiere ich in Richtung „Sessellift“ und werde sofort zurückgerufen. „Wo willst Du denn hin? Hier geht’s lang,“ sagt Jürgen lachend und zeigt auf einen steilen Pfad. Ein Schild droht mit der Aufschrift: “Rotwandhaus 2 Stunden“. „Das ist nicht Euer Ernst?“ antworte ich und bin mir sicher, dass es sich um einen schlechten Scherz handelt. Warum sollte jemand freiwillig einen Gewaltmarsch von 2 Stunden auf sich nehmen, wenn man bequem mit einer Seilbahn fahren kann?

Es war kein Scherz. Meine Bekannten marschieren, mit festem Schritt, in eine Richtung: Berg auf. Die Almkühe hatten den Weg, über eine lange Strecke, mit ihren Hinterlassenschaften bedeckt. Bei jedem Schritt stehe ich in einer dicken Wolke aus schwarz-perlmuttfarbenen Schmeißfliegen. Meine Lippen presse ich fest zusammen und empfinde blanken Ekel, wenn die Insektenschar mein Gesicht berührt. Die Fliegen wirken wie ein Turboantrieb auf mich. Ich sprinte voran und werde von meinen Begleitern gewarnt: “Nicht so schnell. Wir haben noch über eine Stunde vor uns.“

Sie behalten Recht. Nur kurze Zeit später ist aus meinem Körper die Luft raus und ein schmerzhaftes Seitenstechen drin. Mein Kopf hat die Farbe einer reifen Fleischtomate. „Ich kann nicht mehr“, stöhne ich erschöpft. „Halt durch. Gleich sind wir bei einer Berghütte. Da machen wir eine Pause,“ sagt Jürgen.

Ich quäle mich weiter voran und sehe nach einer Kurve die versprochene Berghütte. Endlich! Wie ferngesteuert setzte ich einen Fuß vor den anderen und sacke auf eine Bank, die neben einem Wassertrog steht. „Grias di“, ruft der Bergbauer aus dem Fenster. „Mogst was drinken?“ „Oh, ja“, antworte ich dankbar. Breit grinsend kommt er mit einem Glas Milch aus dem Haus. „Hab ich grad gemolken. Ist noch ganz warm“, sagt er zu mir. Es klingt, wie eine Drohung. Euterwarme Milch, mit Stallgeruch. Mein Ekel ist mindestens so groß, wie vorhin bei den Schmeißfliegen. Womit hab ich das verdient? Je näher das Glas meiner Nase kommt, um so stärker wird mein Würgereiz. Gespannt wartet der Bauer, dass ich einen ersten Schluck nehme. Ich tue ihm den Gefallen, setzte aber schnell wieder ab. Mir ist übel – speiübel. Hektisch grabe ich in meinem Rucksack nach meiner Brotzeit. Pfefferbeißer sind sicherlich ein guter Neutralisator gegen den schlechten Geschmack im Mund und das flaue Gefühl im Magen. Bevor ich einen Bissen nehme, möchte ich mir noch rasch die Nase putzen und lege die Wurst leichtsinnigerweise auf der Bank, neben mir ab. Der nächste Fehler, wie sich nur Sekunden später herausstellt. Wie schwarze Kamikazeflieger mit Federn, stürzen sich zwei Dohlen auf meine Pfefferbeißer und fliegen mit ihnen davon. Mein Brechreiz wächst. Der Schluck euterwarme Milch drängt immer weiter in Richtung Mund. Zum Glück habe ich noch eine Schachtel Pfefferminzbonbons in meiner Jacke. Aah, tut das gut. Endlich wieder ein angenehmer Geschmack im Mund.

Meine Gesichtsfarbe hat sich inzwischen von Tomatenrot auf euterwarme Milch verändert. Meine Begleiter fragen besorgt: “geht es Dir nicht gut?“ „Gut wird es mir erst wieder gehen, wenn ich im Auto sitze und wir auf der Autobahn nach München sind“, entgegne ich entkräftet. „Und sollte Euch nochmals der Berg rufen, dann lasst ihn rufen.“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 08.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
Liebe Kargut,
schade, dass du dem Bergwandern keinen Reiz abgewinnen konntest. Ich bin in jungen Jahren gerne gewandert. Gerade da fällt mir auch eine Geschichte ein, bei der almfrische Milch eine Rolle spielt. Aber die muss ich erst noch aufschreiben. Danke für die Idee!
LG Babuschka




geschrieben von Kargut am 08.05.2025:

Liebe Babuschka,
seitdem die Wege auch noch von Ebikes frequentiert werden, ist mir der letzte Funken Spaß vergangen.
LG Karin




geschrieben von Rautus Norvegicus am 09.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
Total süß, klasse, einfach zum totlachen. Ich liebe deinen eiskalten, staubtrockenen Humor 😄. Und deine allgemeine Schreibkunst sowieso!

Liebe Grüße,

Rautus




geschrieben von ORF am 09.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
Sehr schön geschrieben, ich war so frei das entsprechend weiterzuleiten. Das ist eben passiert und es erfolgte noch keine Reaktion




geschrieben von Jens Richter am 09.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Kargut,
wieder eine schöne Geschichte aus Deiner Feder.
Ich meide generell Sessellifte u. Seilbahnen aus einem anderen Grund. Da bleibt mir gar keine andere Wahl als laufen.
Andererseits, nur wo Du mit Deinen eigenen Füßen gewesen bist, warst Du wirklich gewesen.
Sehr gern gelesen.
Viele Grüße von Jens




geschrieben von Kargut am 09.05.2025:

Ich freue mich, dass Euch meine Geschichte gefallen hat. LG Kargut




geschrieben von ORF am 09.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
schon zwei Herzchen auf deine Geschichte!




geschrieben von Kargut am 09.05.2025:

Danke Frank 💞




geschrieben von Kargut am 09.05.2025:

Lieber Rautus,
wir haben den selben Humor. Leider wissen viele nur noch, wie man Humor schreibt 🥴😜dabei ist er wichtiger denn je.
LG Kargut




geschrieben von lüdel am 10.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
Da erinnere ich mich auch an etwas Ähnliches – da gab es zwar von Haus aus keine Seilbahn, da musste man zu Fuß den Berg hinauf zur Käshütt’n. Dann kam auch die Frage: ‚Geht’s dir net gut?‘ – was für eine Frage, wenn man käsebleich im Gesicht ist … Also ich kann es dir gut nachfühlen.“






geschrieben von Kargut am 10.05.2025:

Lieber Luedel,

solche Exkursionen vergisst man nicht.
LG Kargut




geschrieben von Bad Letters am 11.05.2025:
Kommentar gern gelesen.
als lauffauler Mensch, kann ich das gut nachempfinden Kargut, trotzdem kann ich den Berg Landschaften viel abgewinnen, solange ich sie nicht erlaufen muss!

MfG
Bad Letters




geschrieben von Kargut am 11.05.2025:

Lieber Bad,
ich liebe den Anblick von Bergen. Aber wenn ich keinen Lift nutzen kann, dann begnüge ich mich mit dem Anblick aus der Ferne.
Viele Grüße
Kargut

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