Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
hab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Finn Rassmus (finnrassmus).
Veröffentlicht: 01.03.2022. Rubrik: Satirisches


Der Frauentag

„Frauendoch? An Frauendoch gibt’s ned bei uns do herrinne.“, sagte ein Ureinwohner genau dieser Kleinstadt, in der ich wohnen musste. Schmutzig ist es hier …schmutzig. Und es stinkt nach verbranntem Gummi. Kunststück. Das Kombinat Michelin klöppelt unweit von hier seine Reifen. Die Männer hier riechen auch. Nach Bier, um es genau zu sagen, weil die den halben Tag am Stammtisch sitzen und labern. Und die Frauen? Die stehen in der Küche oder auf dem Feld, weil eine Frau hier nun mal hinter den Herd oder auf den Acker gehört. Basta.

SatirepatzerSatirepatzer„Frauendoch, des homma hier ned.“. „Frauentag. Es heißt Frauentag …Frauentag, Herr Gott nochmal.“.

Es ist ein heiliger Tag. Heilig bei jedem, der im Osten dieses Landes …der in der DDR groß geworden ist. Frauentag. Allein dieses Wort. Ein Tag, nur für Frauen. Wie wundervoll, dem schönsten Geschlecht einmal im Jahr mit einem Tag zu zeigen, wie toll sie sind. Nein, so etwas haben die in Bayern natürlich nicht. Wozu auch. Frauen …nun der Sinn einer Frau wird hier anders definiert. Wie armselig. Dabei sind Frauen das schönste …dazu komme ich noch.

Frauen sollte man liebhaben. Man sollte auf sie Acht geben. Letztlich sind sie es, die Leben schenken. So oder so. Nicht gelogen. Aber liebhaben? Nun, liebhaben kann man …sollte man Frauen und Mädchen das ganze Jahr über. Dazu braucht es keinen besonderen Tag. Es war eben ein Tag in der DDR, an dem Man(n) daran erinnert wurde, wie toll unsere Frauen doch waren.

Frauen. Wann …wann war man eigentlich eine Frau? Nun, diese Frage kann ich nicht beantworten, denn ich bin ich …ein Junge. Ich, Finn Rassmus, geboren an einem einundzwanzigsten Dezember eines Jahres, das diese Zeitrechnung bereits verlassen hat, kann das nicht wissen. Meine Lehrerin wusste es. Lange her.

Rückblick.

„Wann ist ein Mädchen eine Frau?“
„Finn Rassmus …hast du die Karte für deine Mama fertig?“, falsche Antwort Frau Smyrek.
„Frau Smyrek?“
„Was ist denn noch, Finn?“
„Wann ist ein Mädchen eine Frau?“, fragte ich noch einmal, während ein paar Gören kicherten.
Die Lehrertante räusperte sich kurz und holte aus: „Nun, liebe Kinder. Das ist nicht so einfach zu erklären. Das kann man biologisch, gesellschaftlich oder gesetzlich sehen. Aber eigentlich ist ein Mädchen eine Frau, wenn sie volljährig ist.“
„Und wann ist man volljährig?“, fragte Peter.
„Volljährig …nun volljährig ist man, wenn man achtzehn wird.“
„Aber das war einfach, Frau Smyrek.“
„Ja, natürlich Finn.“
„Aber sie sagten, dass man das nicht so einfach erklären kann.“, Klatsch. Die Klassenchefin fasste sich heftig an die Platte und die Klasse „Vier A“ der Schule, in die ich ging, kicherte.

Volljährig also? Nein, das kann man heute so auch nicht mehr sagen. Ein Mädchen ist eine Frau, wenn …ja, wenn sie eben eine Frau ist. Einfach, oder? Fast so einfach wie eine Pflaume. Die hängt auch einfach an einem Baum, bis sie einer pflückt. Mädchen waren keine Pflaumen. Kackbratzen vielleicht und auch nur, wenn sie Konstanze Großer hießen.

Und so machte ich mich wie jedes Jahr am achten März auf den Weg in den Blumenladen eben dieser schmutzigen Kleinstadt, um ein paar Blumen für meine Freundin zu kaufen. Blumen kaufen war nun einfacher als noch in der DDR. Jetzt konnte man sich aussuchen, welche man wollte. Und wenn man genug kaufte, bekam man sogar noch einen kleinen (nicht vergilbten) Kaktus aus holländischer Produktion geschenkt dazu.

Nun werden einige sagen. „Jetzt schreibt der Finn schon wieder über eine Verkäuferin.“. Ja, das werde ich, weil man in Läden, in denen man einkauft, das meiste erfährt. Weil man in einem Verkaufsraum mehr Bekanntschaften schließt, als zur Kirchweih im Dorf und weil man in so einem Laden schneller zu einer Bekanntschaft auf Zeit kommt als zur Dorfdisco, dem Schwof nach der Kirchweih oder beim „Tanz in den Mai“. Bekanntschaft auf Zeit? Das muss ich euch jetzt nicht erklären, oder?

Die ganze Unterhaltung werde ich in hochdeutsch schreiben, weil ich euch den Dialekt, den ich den ganzen Tag ertragen muss, nicht antun möchte. Ich beginne nicht wie sonst mit „Guten Tag“ sondern mit …

„Grüß Gott.“, das sagt man hier so.
„Da schau her. Der Herr Rassmus ist auch wieder da. Grüß Gott.“
„Ja, das letzte Mal vor einem Jahr.“
„Ist das schon so lange her? Mei, wie die Zeit vergeht.“, (mei?) …tschuldigung.
„Ja, gelle? Und ehe man sich versieht, kommt der Weihnachtsmann.“, ich lächelte.
„Wer bitte?“, fragte die Blumenladeninhaberin, Frau Schmidt.
„Der Weihnachtsmann.“
„Das heißt Christkind bei uns …Christkind.“
„Und bei uns Weihnachtsmann. Mit Christen hatten wir es nicht so.“
„Ja ich weiß. Ihr seid Heiden.“
„Heiden?“
„Das hat die Elisabeth gesagt und die muss es wissen.“
„Elisabeth? Welche Elisabeth?“
„Meine Schwester. Die war früher drei Mal im Jahr drüben und hat Kofferweise ihre abgetragenen Klamotten zu den Kindern ihrer Nichte gebracht.“
„Getragene Klamotten?“
„Natürlich getragen?“, sagte die Blumenfee bestimmt.
„Soll ich ihnen was sagen, Frau Schmidt?“
„Du brauchst Blumen.“
„Auch, aber ich wollte ihnen sagen, dass ich schon immer wusste, dass aus dem Westen nur das verranzte und verfallene Zeugs zu uns kam.“
„Verranzt?“
„Alt, verfallen, nicht mehr gut …verranzt. Das sagt man so. Verranzt eben. Kennen sie das nicht?“
„Noch nie gehört. Also ich habe nie verfaultes Zeug an meine Tante geschickt.“
„Verfault hatte ich auch nicht gesagt, Frau Schmidt.“
„Die Kinder meiner Tante hatten sich immer über die Pakete gefreut.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Die konnten gar nicht genug davon bekommen.“
„Auch das kann ich mir vorstellen.“
„Das waren bestimmt sechs Pakete jedes Jahr.“
„Das mit den Paketen schicken ist ja nun vorbei.“
„Also ich würde ja lieber wieder Pakete schicken, statt euren ganzen Aufbau zu bezahlen.“
„Aufbau?“
„Die alten verfallenen Häuser.“
„Ja, eigentlich wollte ich …“
„…und die ganzen Kirchen …“
„Frau Schmidt. Eigentlich wollte ich nur …“
„…der Fernsehturm und der Zwinger in Berlin.“
„Zwinger? In Berlin?“
„Natürlich. Was das kostet.“
„Aber der Zwinger steht in Dresden.“
„Dresden? Ich dachte da war die Festung?“
„Welche Festung, Frau Schmidt?“
„Ach Herrgott Sakrament aber auch. Wie hieß denn die gleich?“
„Waren sie denn schon einmal in der ehemaligen DDR?“
„Gott bewahre, Finn. Keine zehn Pferde kriegen mich da hin. Die ganzen verfallenen Häuser.“, wusste Frau Schmidt.
„Ich wollte Blumen.“
„Verfallen, wie die Frauenkirche.“
„Blumen …ich wollte …“
„…die alten Häuser und Betriebe. Alles marode.“, unterbrach mich Frau Schmidt.
„Ich habe in der Platte gewohnt.“, ich fasste mir zur Untermauerung dieser Aussage an den Kopf, die Platte.
„Platte.“
„Natürlich. Und mit mir im Aufgang siebzehn Familien mit zweiundzwanzig Kindern und fünf Hunden.“
„In einem Aufgang?“
„Ich kenne heute noch die Namen der Hunde. Soll ich?“
„Nein lass mal Finn. Und ihr habt alle in einem Aufgang …?“
„Wenn ich es ihnen doch sage. In einem Aufgang.“
„Oh Heiliger Bimbam.“
„Soll ich ihnen noch etwas sagen?“
„Nur zu Finn. Nur zu.“
„In unserem Land wären sie mit ihrem kleinen Lädchen heute Millionär.“
„Wie bitte?“
„Ja. Alle Ladenbesitzer waren Millionäre. Wussten sie das nicht?“
„Nein? Millionäre sagst du?“, Frau Schmidt grübelte.
„Millionäre …mindestens.“
„Und wie kam das?“
„Blumen waren eine gefragte Ware. Gerade am und um den achten März rum. Oder aber Schallplattenläden. Nicht zu vergessen die ganzen Fleischereien und Bäcker. Alles Millionäre. DDR-Mark Millionäre.“
„Haha, von eurem Geld konnte man sich doch sowieso nichts kaufen.“
„Wir brauchten uns nichts kaufen, Frau Schmidt. Uns gehörte alles.“
„Du willst mich veralbern, gelle?“
„Wo werde ich denn, Frau Schmidt. Volkseigentum hieß das Zauberwort …Eigentum des Volkes. Mir gehörte praktisch alles und ich gehörte jedem.“
„Du gehörtest allen?“
„Ich war auch das Volk, also gehörte ich auch irgendwie jedem Bürger.“
„Komische Gepflogenheit. Bei euch da drüben war alles komisch.“
„Sagen sie das nicht. Wir hatten schöne Schulweihnachtsfeiern und bei uns gab es Marken …Marken vom KONSUM die man einkleben musste. Die klebten besser als Briefmarken mit dem Ulbricht drauf. Die bekam man, wenn man viel eingekauft hatte. Und irgendwann später und wenn man genug Marken hatte, bekam man etwas zurück. Was sagen sie dazu?“
„Marken sagst du? Bei mir kannst du ein Kärtchen haben. Schau?“
„Was ist das?“
„Treuestempel. Schau mal. Wenn du zehn Blumensträuße bei mir gekauft hast, bekommst du den elften umsonst. Na? Was sagst du?“
„Frau Schmidt?“
„Ja?“
„Ich kaufe einen Strauß Blumen im Jahr. Einen. Dann müsste ich zehn Jahre warten, um in den Genuss eines Straußes Blumen für lau zu kommen. Finden sie das in Ordnung?“
„So sind die Gepflogenheiten bei uns.“
„Im Kapitalismus, wollten sie sagen.“
„So ist es Finn. Ach, Finn. Ich glaube, du musst noch viel von uns lernen.“
„Ich von euch, oder ihr von mir?“
„Von dir?“, die Blumenfee begann laut zu lachen. „Was kann man denn von dir lernen?“
„Ich könnte die Kärtchen ihrer Auslagen ins Französische übersetzen. Was sagen sie dazu?“
„Französisch? Und wozu soll das gut sein?“
„Stellen sie sich vor, morgen kommt ein Franzose zu ihnen. Und dieser Franzose möchte bei ihnen zweihundert Blumensträuße ordern. Wie erklären sie ihm dann auf Deutsch, das ihre Blumen eigentlich aus Holland kommen?“

Still …einen Moment und noch einen Moment. Im Hirn von Frau Schmidt begann es zu rattern. Der Gesichtsausdruck verriet eine gewisse kapitalistisch orientierte, marktwirtschaftliche Haltung. Doch offensichtlich konnte sie mir und meinen Ausführungen nicht folgen. Nur zweihundert Sträuße, das hatte sie verstanden. Umsatz eben. Es dauerte noch ungefähr vier und dreimal fünf Sekunden, ehe Frau Schmidt begriff:

„Finn. Du willst mich doch auf den Arm nehmen. In meinem ganzen Leben war noch nie ein Franzose bei mir Blumen kaufen.“
„Sagen sie niemals nie.“
Frau Schmidt überlegte noch einmal. „Ach, schön wäre das schon …so ein Franzose. Moment. Du kannst französisch?“
„Ein wenig schon.“
„Und ich dachte, ihr habt da drüben nur Russisch gelernt.“
„Nein, Frau Schmidt. Auch Deutsch, Biologie und Chemie.“
„Du solltest öfters in meinen Laden kommen. Was man von dir doch alles erfährt. Das wusste ich gar nicht.“
„Ach, sie dachten, wir hatten gar keine Schule?“
„Nein …doch schon, aber …“
„Schon gut. Wie könnte ich ihnen böse sein, Frau Schmidt. Doch nicht heute, am internationalen Frauentag.“
„Ein netter Junge bist du.“
„Gelle? Und weil ich nett bin, hätte ich noch eine Bitte an sie.“
„Immer zu, junger Mann.“
„Ich habe hier eine Treue-Karte vom Bäcker. Da bekomme ich jedes siebente Brot umsonst. Sie würden nicht freundlicherweise die restlichen Stempel in das Heftchen drücken?“
„Mit meinem Stempel?“, ich nickte. „Aber das geht nicht.“
„Bäcker oder Blumenladen. Brötchen oder Blumen. Ist doch fast das Gleiche und die Geschäftsleute hier arbeiten doch sowieso Hand in Hand.“
„Brötchen? Blumen? Das Gleiche?“
„Ja, gut. Der Bäcker steht um ein Uhr nachts auf und sie erst um zehn am Morgen, aber sonst?“
„Um zehn? Jungchen, wo lebst du?“
„In Bayern dachte ich?“
„Oberfranken meinst du.“
„Ist doch auch Bayern.“
„Das ist ein Unterschied, Jungchen.“
„Jungchen? So hat man mich in der Schulzeit immer genannt.“
„Jungchen?“
„Jungchen, ja.“
„Es steht dir.“
„Jungchen?“
„Jungchen steht dir irgendwie.“
„Was sie alles wissen, Frau Schmidt.“
„Du solltest öfter mal in meinen Laden kommen, dann erfährst du noch viel mehr.“
„Das kann ich mir vorstellen, Frau Schmidt.“
„Und außerdem. Bei mir gibt es ja nicht nur Blumen. Schau dich nur um. Ich habe auch schöne Zimmerpflanzen.“
„Pflanzen? Das ist nichts für mich, Frau Schmidt. Aber trotzdem danke.“
„Warum denn nicht?“
„Wissen sie, ich habe so einen Verhau als Wohnung. Viel zu kleine Fenster und dann noch in Richtung Süden. Von da kommt der Gestank vom Kombinat Michelin. Das würden die armen Zimmerpflanzen nicht überleben.“
„Du hast Recht. Von Süden her stinkts.“
„Bei uns in der DDR stank es immer aus Richtung Westen. Der Karl-Eduard hatte Montagabend immer davon berichtet.“
„Von Michelin?“
„Nein, vom Gestank.“
„Ach so.“
„Das war ein anderer, verfaulter Gestank. Aber da weiß Karl Marx mehr darüber zu berichten.“
Frau Schmidt fuhr sich mit dem Finger über die Lippen. „Und die Ladenbesitzer sind alle Millionäre gewesen?“
„Ja?“
„Und heute? Ist das da immer noch so?“
„Nein, Frau Schmidt. Heute kommen die Blumen aus Holland. Da ist nichts mehr daran verdient. Das müssten sie doch besser wissen.“
„Aber ich habe auch Blumen aus Holland.“
„Das dachte ich mir.“
„Deswegen sind die nicht schlechter.“, wusste Frau Schmidt.
„Stellen sie sich vor, meine Schlüpfer wurden in China geklöppelt und sind genau so groß, wie die echten von hier. Selbst mein Fernseher kommt aus China. Und der ist auch nicht kleiner als die Deutschen. Dabei sollte man meinen, was aus China kommt ist alles etwas kleiner.“
„Was du nicht sagst. Na, ich schaue ja kein Fern.“
„Ach doch. Ab und an die Tagesschau, den Karl Moik und Gottschalk. Was man als junger Mensch mit Freundin eben manchmal so schaut.“
„Du schaust Karl Moik?“, ich nickte. „Na so ein Zufall. Ich auch. Also letztens, da war doch der Peter Steiner …“
„Ich wollte Blumen …“
„…und der Udo Jürgens mit seiner Tochter Andrea. Und die …“
„…Blumen, Frau Schmidt. Ich bin wegen Blumen …“
„Und der Karel Gott. Mei singt der schön.“
„Frau Schmidt. Ich müsste dann mal …“, ich schaute auf meine Uhr.
„Und die Geschwister Hofmann. So hübsche Mädchen.“
„Frau Schmidt? Die Andrea Jürgens ist nicht die Tochter von Udo Jürgens.,“
„Nicht?“
„Nein, wirklich nicht. Vielleicht eine uneheliche …?“
„Bei dem Jürgens Udo könnte ich mir das vorstellen. Die haben doch alle aussigrast.“
„Was bitte?“
„Aussigrast …fremd gegangen sagt man wohl auch dazu.“
„Was sie alles wissen, Frau Schmidt.“
„Du solltest öfters in meinen Laden kommen. Und dass du so ein Musikkenner bist? Mei, is des schön.“, schön fränkisch.
„Aber eigentlich wollte ich Blumen.“
„Sag mal Finn. Komm doch das nächste Mal Samstagabend zu uns. Mein Mann freut sich bestimmt. Der schaut auch gern den Moik. Wann kommt der noch wieder? Moment, ich schaue mal.“
„Aber Frau Schmidt, ich schaue ja gar kein …“
„Hier steht es. Am 29. März. Na? Kommst du?“
„Ob ich komme?“, das war eine anzügliche Frage.
„Erst mal die Blumen für meine Freundin, ja?“
„Ach richtig. Du wolltest ja Blumen. Weißt du …du bist der Einzige der …“
„…seiner Liebsten zum Frauentag Blumen schenkt. Ich weiß, Frau Schmidt.“
„Wie geht es denn der Anja überhaupt?“
„Anja?“
„Deiner Freundin.“
„Anja ist nicht mehr meiner Freundin. Wussten sie das nicht?“
„Nein?“
„Und ich dachte doch, in ihrem Laden trifft man sich, um zu tratschen.“
„Nein, das wusste ich nicht. Und mit wem …also wer …also …“
„Sie möchten wissen, wer meine neue Freundin ist?“
„Ach, naja …“, das war der Blumenvertreterin jetzt irgendwie peinlich.
„Der Nachname fängt mit „H“ an.“
„Mit „H“ sagst du? Hmm …“
„Ich kann verraten, dass es keine von den Geschwister Hofmann ist und auch nicht die Tochter vom Heino.“, ich grinste.

Und plötzlich erinnerte ich mich an ein lustiges Märchen der Gebrüder Grimm. Ein niedliches, blondes Girlie mit Brille und Baseballkappe musste für einen Unternehmer Stroh zu Gold spinnen. Da sie das aber nicht konnte und ziemlich heftig zu heulen begann, erschien ein Wald- und Forstarbeiter und bot ihr an, dass für sie zu machen. Sie musste ihm nur irgendwas mit einem Baby versprechen. Das Girlie war einverstanden und irgendwann musste die Kleine mit der Baseballkappe Geschlechtsverkehr gehabt und ein Baby bekommen haben. Das durfte die aber nur behalten, wenn sie den Namen des Forstarbeiters …

„Doch nicht etwa die Herrmanns Claudia?“
„Genau die.“, Frau Schmidt hatte den Mund weit aufgerissen. „Was ist Frau Schmidt?“
„Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ist die nicht älter als du?“
„Sie wissen doch gar nicht, wie alt ich bin?“
„Dreiundzwanzig vielleicht?“
„Danke Frau Schmidt, aber ich bin vor fast dreizehn Jahren hierhergekommen. Meinen sie nicht das ich mit zehn Jahren noch zu klein zum Auto fahren war?“
„Älter?“
„Bisschen älter.“
„Trotzdem jünger als die Claudia.“
„Da ist so richtig, ja.“
„Macht dir das nichts …ich meine …?“
„Nein. Es macht mir nichts aus und stellen sie sich vor. Sie ist nett. Deswegen bekommt sie heute auch Blumen.“
„Finn, unter uns …“, Frau Schmidt kam etwas näher an mich heran und redete etwas leiser. „Die Claudia ist eine richtig gute Partie.“
„Partie? Wie meinen sie das?“
Frau Schmidt flüsterte. „Familie Herrmann gehört zu den reichsten im Ort.“
„Ach, das stört mich nicht. Ich brauche ja nichts weiter. Nur die Blumen.“
„Die Claudia Herrmann also.“, Frau Schmidt konnte es anscheinend nicht fassen.
„So ist es.“
„Und was ist aus der Anja geworden?“
„Weiß nicht. Der war ein Mann zu wenig.“
„Ach du meinst, sie ist …?“
„So wie der Udo Jürgens auch. Ja.“
„Aha. Das hätte ich von der Anja nicht gedacht. Sie war doch immer so ein stilles und braves Mädchen.“
„Brav? Na ich weiß ja nicht. Eher schmutzig.“
„Also Finn. Da sagt man doch nicht.“
„Wenn es doch aber so war. Die hatte jede Nacht andere Spielzeuge …“
„Was denn für Spielzeuge?“
„Ach …dass …das…“, da ist mir was rausgerutscht. „…die Blumen, Frau Schmidt.“, sagte ich schnell.
„Welche möchtest du denn?“
„Nur vom Feinsten bitte. Und keine Holländischen.“
„Ich hab hier Rosen. Genau das Richtige für deine Claudia.“
„Gern. Dann geben sie mir …geben sie mir einfach vier.“
„Aber Finn. Man nimmt immer eine ungerade Zahl.“
„Ungerade?“
„Natürlich. Bei Blumen immer.“
„Das wusste ich nicht.“
„Ich mach dir einen schönen Strauß. Ach, Finn?“
„Ja Frau Schmidt?“
„Wo du doch mit der Claudia, ich meine …dann musst du doch nicht mehr in deinem …wie hast du gesagt? Ver …“
„Verhau.“
„Genau. Dann müsstest du doch nicht mehr in diesem Verhau wohnen, wo die Eltern der Claudia doch mehrere Häuser ihr Eigen nennen.“
„Da schau an. Das wusste ich gar nicht, Frau Schmidt. Was man bei ihnen alles erfährt. Ich glaube, ich sollte doch öfters mal bei ihnen reinschauen.“
„Das wirst du müssen, Finn.“
„Müssen? Wieso denn das?“
„Die Claudia ist ziemlich anspruchsvoll …“
„…ach sie meinen?“
„Ich meine …“, Frau Schmidt zeigte auf den Strauß, den sie eben fertiggebunden hatte.
„Dann komme ich ja doch eher zu meinem Strauß für lau, Frau Schmidt.“
„Das will ich meinen. Ich denke, das Kärtchen hast du in einem Monat voll.“
„In einem Monat? Sie meinen, ich muss jeden dritten Tag für die Claudia …?“
„Ich denke schon. Dein Vorgänger war auch so oft da.“
„Vorgänger? Welcher Vorgänger denn?“
„Na der Claudia ihr Freund, bevor sie dich hatte.“
„Vorgänger klingt nicht schön.“
„Wie soll man denn sonst sagen?“
„Verflossener, ihr Ex vielleicht?“
„Stimmt. So könnte man den Roland auch nennen.“
„Ach, da schau her. Roland hieß das gute Stück.“, sagte ich.
„Bestes Stück?“, Frau Schmidt kicherte.
„Der Verflossene.“
„Ja genau. Und ich dachte, die beiden heiraten einmal.“
„Heiraten?“
„Weißt du, die beiden waren doch schon seit dem Kindergarten versprochen.“
„Versprochen? Sie meinen, so wie wenn man jemandem eine Bockwurscht verspricht?“
„Bockwurscht?“
„Ich fand es jetzt passend. Sie nicht?“
„Was ist denn eine Bockwurst?“
„Eine Bockwurscht ist eine …wie soll ich ihnen das jetzt erklären. Das ist eine Weißwurscht nur eben nicht weiß. Und bei der Bockwurscht macht man die Pelle nicht ab, außer man hat keine Zähne mehr.“
„Die Pelle mitessen? Komische Gepflogenheiten habt ihr da drüben.“
„Ihr?“
„Naja …“
„Aber ich lebe hier, schon seit vielen Jahren.“, sagte ich.
„Wo waren wir jetzt?“, fragte Frau Schmidt.
„Bei der Bockwurscht.“
„Nein.“
„Nicht? Dann bei der Pelle.“
„Auch nicht Finn. Ach, jetzt weiß ich. Der Blumenstrauß für deine Claudia.“
„Stimmt. Was muss ich bezahlen?“
„Ach Finn. Gib mir …gib mir fünf Euro.“
„So wenig?“
„Ich kenne doch die Claudia, da war sie noch so …“, Frau Schmidt zeigte irgendwas mit zwanzig und dreiundzwanzig Zentimeter Länge.
„Aha. Dann hier Frau Schmidt.“
„Danke Finn. Und sag Bescheid, wegen dem Samstagabend.“
„Samstagabend?“
„Karl Moik? Schon vergessen?“
„Oh, ich weiß nicht, ob ich …“
„…doch, doch. Bring doch deine Claudia mit.“
„Ich weiß nicht, ob Claudia …“
„Also abgemacht?“
„Nun wissen sie, den Samstagabend nehmen wir uns immer besonders viel Zeit …Zeit, wenn sie verstehen …“
Frau Schmidt schüttelte den Kopf. „Wir hatten da was geplant.“, sagte ich.
„Ach ihr habt schon was vor?“
„Samstagabend eigentlich immer. Zumindest, wenn wir zu Bett gehen.“
„Dann könnt ihr doch vorher zu uns kommen.“
„Ich werde Claudia mal fragen. Ich kann aber jetzt noch nichts versprechen. Manchmal gehen wir auch eher zu Bett, um …“
„Sag mal Finn, ist da wohl schon was unterwegs?“
„Was soll denn unterwegs sein?“
„Was Kleines?“
„Ach, sie meinen ich und Claudia …Claudia und ich machen …?“, Frau Schmidt nickte.
„Nichts unterwegs. Muss ja auch nicht sein, oder?“
„Nein, aber schön ist es trotzdem.“
„Was meinen sie jetzt, Frau Schmidt? Das machen oder das Ergebnis?“, jetzt lachte die Frau endlich mal richtig.
„Du Schlingel, du. Natürlich das Baby.“
„Ich finde ja ersteres schöner, aber wie man es eben gern mag, gelle?“
„Wie du das sagst?“
„Was?“
„Gelle.“
„Fränkisch.“
„Ist es, Finn.“
„Alles klar Frau Schmidt und schönen Frauentag ihnen noch.“
„Danke. Ach, Finn?“
„Was?“
„Du hast die Treuekarte vergessen. Schau? Ein Stempel ist schon drin.“
„Danke und auf Wiedersehen.“
„Ade …das heißt ade bei uns, lieber Finn.“

Lieber Finn? Hatte die Frau Schmidt mich jetzt „lieber Finn“ genannt? Das hätte ich der echt nicht zugetraut. Franken sind von Haus aus etwas rumpelig und stur. Wie man sich doch täuschen kann.

Frauen. Was könnte ich noch schreiben über …Frauen. Das sie wunderbar sind, schrieb ich des Öfteren. Das man auf sie aufpassen muss, auch. Was noch? Manchmal, nicht selten nenne ich Frauen …Mädchen. Sie nehmen es mir nicht übel. Warum auch.

Aber warum nun sind Mädchen so einzigartig? Weil man mit ihnen so allerlei Dinge machen kann, die man als Junge mit einem Jungen besser nicht tut.

Man kann mit einem Mädchen Hand in Hand durch die Stadt laufen und niemand wird sich umdrehen. Man kann mit ihr tanzen und niemand wird sich daran stören. Man kann mit einem Mädchen Eis essen gehen und ihr zusehen, wie ihre Zunge vorsichtig das Eis von den Lippen schleckt. Man kann mit einem Mädchen ins Kino gehen oder mit ihr die Sterne zählen. Man kann ihr dabei sagen, dass sie einer von denen da oben ist. Im Winter und wenn Schnee liegt, kann man ihr Schnee ins Gesicht schmieren und sie wird nicht böse sein. Sich mit neun Jahren völlig geniert in Unterwäsche gegenüberstehen und nicht begreifen können, warum Mädchen keinen Schlitz im Schlüpfer haben. Ihr beim Schlafen zusehen oder sie früh noch schlafend im Bett liegt und vorsichtig blinzelt. Ja man kann sogar zanken und es wird das Mädchen sein, das sich wieder verträgt, weil Mädchen so gepolt sind. Am ersten Mai Hand in Hand vor dem Rednerpult des Rates des Kreises stehen und kichern, weil die Dinge, die der Bürgermeister sagt, eh nur Unsinn sind. Man wird einem Mädchen nicht böse sein, wenn es einen verlässt, weil es immer noch das Gleiche Mädchen ist, mit dem man einmal glücklich war. Mit einem Mädchen im Freibad eine Limonade trinken …eine Limonade aus demselben Becher, von derselben Stelle. Und es wird sich anfühlen, wie der erste …allererste Kuss. Das Mädchen anfassen ...sanft berühren, wo immer man möchte und nur dann, wenn es das Mädchen auch will. Auch das kann man …ja. Man kann mit Mädchen und nur mit Mädchen Babys machen und ein jeder wird sich freuen. Die Mama, dass sie Oma wird und die Oma, dass sie Uroma wird. Der Bruder wird plötzlich Onkel und man selbst wird ein Papa. Das alles nur, weil es Mädchen …weil es Frauen gibt.

Frauentag. Allein dieses Wort. Ein Tag, nur für Frauen. Wie wundervoll, dem schönsten Geschlecht einmal im Jahr mit einem Tag zu zeigen, wie toll sie sind.

Und obwohl ich doch über all die Dinge auch schreibe, mich so manches Mal über Mädchen lustig gemacht habe, wird dies immer auch nur dichterische Freiheit sein. Niemals, in meinem ganzen Leben werde ich einem Mädchen wehtun. So oder so …dass ist ehrlich.

„Finni. Du musst brav sein…immer brav zu Mädchen.“, sagte meine Mama immer.
„Ja Mama, das werde ich. Versprochen.“

counterhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Mein elfter Geburtstag