Kurzgeschichten-Stories
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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2018 von Wilhelm Wilts (Wilhelm.wilts@gmx.de).
Veröffentlicht: 06.08.2018. Rubrik: Spannung


Roter Teufel

Inhalt:
- Kurzbeschreibung (worum geht's?)   
- Orientierung (Wo und Wann?)

Prolog
Rota Gevill
Schule und Jaden
Mallen
Nachsitzen
Verborgene Kräfte
Zuhause
Treffen
Es vergeht ein Jahr...
Alles ändert sich...
Kerker
1. Besuch Johnas Goldan
2. Besuch Onkel Jaron
3. Besuch Jaden Grat
4. Besuch Jake Flanders
Das Tribunal
Verbannung
Weg zur Höhle
Jake, Bogen, Tunnel,..
Wildnis
Erster Kontakt
Dai
2. Besuch
Die Falle
Zwischen zwei Baumstämme
Rama Rama Maranna Whahai
Winter
Abschied und Auferstehung
Begegnung
Unheil in Kaven
Träume und Wirklichkeit
Wiedersehen
Befreiung
Leben und Tod
Nachwort / Warum ich eine Geschichte schrieb!

Kurzbeschreibung (worum geht's?)

Rota Gevill, der Held dieser Geschichte, erlebt in einem Ort namens Kaven viel Ablehnung. Rota ist aufgrund seiner Andersartigkeit ein Außenseiter. Im ständigen Kampf sein Leben erträglicher und lebenswerter zu machen, muss er immer wieder Niederlagen und Verluste hinnehmen. Ausgerechnet das Beste was sich bisher in seinem Leben ereignete, die Freundschaft mit dem wohl beliebtesten Mädchen in Kaven, führt zu einer Situation mit katastrophalen Folgen...

Orientierung (Wo und Wann?)

Die Geschichte findet im Jahr 3045 statt. Vor mehr als 850 Jahren hat ein Virus mit dem Namen -Krass- die uns bekannte Welt radikal verändert. Der Virus, der regelmäßig immer wieder ausbricht, reduzierte die Weltbevölkerung der Menschen derart drastisch, dass die Menschheit technologisch wieder ins Mittelalter zurückgeworfen wurde.
Es gibt zwei rivalisierende Völker. Das Volk Krasiens und der Zusammenschluss der freien Gebiete und Städte, auch einfach der Bund genannt. Die Krasianer sind ein wildes Volk. Der Bund hingegen ist eine fortschrittliche zivilisierte Gemeinschaft, die sich gegen die Angriffe der Krasianer zu einer Gegenmacht vereinigt hat.


Die Geschichte wird nur aus dem Blickwinkel von Rota Gevill erzählt.


ROTER TEUFEL

Prolog

//Mit der Menge zu gehen ist einfach.
Allein zu stehen hingegen erfordert viel Mut.\\
-Verfasser unbekannt-

Essenz:
-Rota's schwerer Gang zum Strafvollzug-

Langsam kam immer mehr Licht durch das einzige kleine Fenster in meiner kleinen Zelle, und der Zeitpunkt meiner Urteilsvollstreckung rückte damit bedrohlich und unaufhaltsam näher. Ich spürte wieder, wie die Angst in mir aufstieg. Angst, die mein Herz dazu brachte schneller und wie ein Hammer gegen meine Brust zu schlagen. Angst, die mich stets daran hinderte die Nacht über zu schlafen und mich dazu zwang diese quälend lange Zeit des Wartens bewusst durchleben zu müssen.

Ich stand, wie ich es unzählige Male in der Nacht schon getan hatte, wieder auf und versuchte diese unerträgliche Angst irgendwie von mir abzuschütteln. Dabei lief ich dann die ganze Zeit in meiner kleinen Zelle im Kreis umher, versuchte gleichmäßig tief durchzuatmen und mir ständig zu sagen, dass alles schon so kommt, wie es nun mal kommt und ich letztlich nur das tun konnte was in meiner Macht lag. Das war zwar herzlich wenig, aber man muss auch realistisch bleiben. Soweit ich das dann getan hatte, wurde ich meistens für eine gewisse Zeit auch etwas ruhiger, bis sich irgendwann wieder diese sinnlosen und unnützen Fragen in meine Gedanken einschlichen.
Werde ich die Schmerzen aushalten können?
Gibt es vielleicht doch noch eine Möglichkeit zu entkommen?
Wieviele werden sich meine Verbannung aus Kaven wohl anschauen oder sogar daran teilnehmen um mich aus Kaven zu vertreiben?
Wird Mallen auch da sein und sich das ansehen wollen?
Fragen, worauf ich keine Antwort hatte, oder ich die Antwort schon wusste, bevor ich sie mir stellte.

Am Schlimmsten aber war die Vorstellung, dass ich mich allen auch noch völlig nackt zeigen musste. Das Urteil verlangte nämlich, dass der Verurteilte diese Bestrafung völlig unbekleidet erleiden musste.
Der Gedanke allein schon war für mich so demütigend und erfüllte mich mit so viel Angst, dass ich jedes Mal vor Angst erstarrte, sobald ich wieder daran denken musste.
Und daran erinnerte ich mich ständig, da man mich bereits tags zuvor schon dazu gezwungen hatte mich komplett auszuziehen und mir anschließend die Kleider weggenommen hatte. Meine Kleider, die ich vermutlich auch nie wieder zurück bekommen werde.

Nach einer weiteren quälenden Zeit des Wartens, hörte ich dann aber die Geräusche, die ich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Erst Schritte, Stimmen und schließlich Schließgeräusche. Die Gefängniswärter. Nun war es doch soweit gekommen. Ein heftiger Schauder der Angst überkam mich und ich konnte mich vor Angst kaum noch rühren. Wenn ich doch nur weglaufen könnte. Die Kerkertür öffnete sich. Der Wärter, der mich bereits gestern schon kurz nach der Verurteilung zwang mich vollends zu entkleiden, kam in meine Zelle. Der Mann war mittleren Alters und seine Uniform spannte vor seinem dicken Bauch.
"Es ist soweit! Rauskommen!" schnauzte er, ohne mich dabei anzusehen.
Da ich nicht sofort reagierte, packte er mich am Arm und schleuderte mich schließlich aus der Zelle.
"Rauskommen, habe ich gesagt!" schimpfte er mir nochmal hinterher.
Ich stolperte über meine eigenen Füße und kam schließlich vor den Stiefeln eines weiteren zweiten Wärters zu Fall, dessen Bekanntschaft ich jedoch noch nicht genossen habe. Er war jünger als der andere, wirkte aber auf mich genauso verschlagen wie dieser andere fette Wärter.
"Boah! Hättest du mich nicht warnen können? Der stinkt ja wie... ein nasser Fuchs! Das ist ja ekelhaft" stöhnte er, und sorgte mit ein paar Tritten gegen meine Rippen auch gleich dafür, dass ich mich schnell wieder aufrichtete, um nicht noch mehr Hiebe zu kassieren.
"Lass Dir aus meiner langjährigen Erfahrung eines gesagt sein. Anfangs magst du den Geruch hier vielleicht widerlich finden. Später aber..., hmm, vielleicht nach gut ein paar Jahren schon, ich sage dir, dann wirst du dich daran gewöhnt haben und wirst den Gestank schon gar nicht mehr bemerken. So, und nun kommt’s,." der fette Wärter beugte sich nun lächelnd zu dem jüngeren Wärter. "..und wenn du dann solange hier warst wie ich und du wieder diesen Geruch bei deinen.. Schützlingen wahrgenommen hast, ich sage dir, dann wirst du diesen Geruch so liebgewonnen haben, dass du zu dir selbst sagen wirst, -Ja, du hast wieder alles richtig gemacht- und wirst außerordentlich dankbar für diese Arbeit hier sein."
Der jüngere Wärter zog eine säuerliche Grimasse, "ich glaube erstmal nur eines, und zwar..., das du anscheinend eindeutig wohl zu lange hier warst! An diesen Gestank werde ich mich jedenfalls nie gewöhnen!" und stieß mich dann in die Richtung, die vermutlich aus dem Kerker nach draußen vor den Toren der Zitadelle führte.
Das erste was ich spürte, als ich nach einer gefühlten Ewigkeit im Kerker wieder ins Freie kam, war gleich ein stechender Schmerz in meinen Augen. Nach den ganzen Wochen die ich in meiner dunklen Zelle verbracht hatte, war ich einfach soviel Licht nicht mehr gewohnt. Dabei schien noch nicht mal die Sonne, und der Tag war diesig und nasskalt. Ich schloss daher schnell die Augen um mich vor dieser ungewohnten Helligkeit zu schützen, und da dies im ersten Moment nicht ausreichte, schlug ich mir auch noch reflexartig die Hände vors Gesicht.
Sie führten mich schließlich zu einem Wagen, vor dem zwei Pferde gespannt waren. Die anfängliche Blendung ließ langsam nach und ich konnte zwischen meinen Fingern erkennen, dass sich auf diesem Wagen eine große geschlossene Kiste befand.
"Rauf da!" blaffte mich jemand von hinten an und schubste mich zum Wagen. Auf dem Wagen befanden sich zwei weitere Männer von der Stadtwache, die mich packten, hochzogen und dann in diese dunkle Kiste ohne Fenster, oder irgendeine Guckloch bugsierten und die Türen hinter mir verschlossen. In der Kiste war es, wie nicht anders zu erwarten gewesen, stockduster. Ich krabbelte schnell in die hintere rechte Ecke und lehnte mich mit dem Rücken an einer der Wände. Und um mich vielleicht auch weniger nackt zu fühlen, begrub ich auch gleich meine Beine bis zu meiner Hüfte mit dem Heu, welches hier zur Genüge herumlag.

Auf dem Weg von meiner Zelle bis hierher, hatte ich kaum noch etwas von mir und meiner Umwelt gespürt. Meine Ängste, meine Nacktheit, die Kälte... alles war auf diesem Weg in weite Ferne gerückt. Ich versuchte mich nur auf das zu konzentrieren, was man von mir verlangte. Zu mehr war ich nicht in der Lage gewesen. Erst als der Mann, der den Zweispänner lenkte, den Pferdewagen ins Rollen brachte, löste sich diese Taubheit von mir und ich wurde mir meiner Situation wieder bewusst. Mein Herz pochte und Wellen der Angst rauschten stetig durch meinen Körper und ließ meinen vor Kälte angespannten Körper immer wieder erzittern. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen und mich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Musste aber schnell feststellen, dass ich dazu nicht fähig war. Nur das unbewusste Schlagen meines Hinterkopfs gegen die Wand, an die ich mich lehnte, lenkte mich zwar schmerzhaft, aber durchaus wirkungsvoll von dieser schauderhaft quälenden Angst ab.

Als wir uns dann langsam dem Rathausplatz näherten, hörte ich sie auch schon rufen. Sie, die Bürger von Kaven, wie sie meinen zweiten und mir schon lange zu eigen gewordenen und verhassten Namen -Teufel- brüllten und mich beschimpften. Mich schüttelte es vor Angst, meine Beine wurden ganz weich und begannen stark zu zitterten. Ich hatte solche Angst, dass ich fürchtete mich überhaupt nicht mehr von der Stelle bewegen zu können. Schließlich öffneten sie den Käfig und zwei Wachmänner holten mich unerbittlich aus meiner trostlosen Bleibe. Und als die Menge mich schließlich entdeckte, wurde es mit einem Male sehr laut und es kam fast schon zu tumultartigen Zuständen. So viele waren hier.. Mein Gott! Fast ganz Kaven hatte sich am Rathausplatz versammelt um sich dieses Ereignis anzuschauen. Ein großer Teil des Mob's rief rhythmisch immer wieder: "...den Teufel zum Teufel jagen..., den Teufel zum Teufel jagen.." Bei diesen Leuten handelte es sich bei den meisten wohl um die sogenannten Adjutoren, da viele dabei auch wild mit ihren Weidenruten rumfuchtelten. Viele beschimpften mich. "Mörder!.. Verschwinde!.. Du Ausgeburt der Hölle! SATAN.. GEH DAHIN WO DU HINGEHÖRST.." Andere bewarfen mich mit Dreck und faulem Obst, wobei ich einige von ihnen sogar als meine Mitschüler wiedererkannte. Sie hatten zum Teil ebenfalls eine Weidenrute in der Hand und wollten zweifelsohne damit auch an dieser Hatz teilnehmen.

Schließlich wurde ich von den Wärtern zu einer von mehreren Wächtern bewachten und abgesperrten Bühne geführt. Die Bühne war gut ein Schritt hoch und hatte eine weitere, zweite Treppe, die zu einer Art Gasse führte. Die linke und rechte Seite der Gasse war mit Hilfe von zwei, jeweils rund einem Schritt hohen und mehreren hundert Schritt langen, Zäunen abgegrenzt worden. Rechts und links hinter den Zäunen verteilten sich die Adjutoren mit ihren Weidenruten und dahinter wiederum die Zuschauer. Die Gasse selbst, die ich dann wohl in einer Art Spießrutenlauf zu durchlaufen hatte, war etwa gut zwei Schritt breit. Auch hatte man bereits auf diese Gasse schon viele spitze Steine und Dornenzweige geworfen, um es mir, mit meinen bloßen Füßen, auch ja nicht zu einfach zu machen.
Ganz vorne an der linken Seite der Gasse erkannte ich meine Nachbarn, Marla und Debbie Gruden. Beide standen sie da und starrten mich mit ihren vom Hass verzerrten Gesichtern an. Warum? Was hatte ich ihnen denn getan? Glaubten sie wirklich ich hätte Zisko, ihrem Hund, etwas zu Leide tun können?
Auch Justin, der Sohn meines Onkels Jaron, der gleichzeitig auch mein Ziehvater war, entdeckte ich wild fuchtelnd, mit einer Weidenrute in der Hand, in der Menge dieses Mobs. Und weiter hinten waren auch mein Onkel Jaron selbst, mit seiner Frau Petra und seiner Tochter Sophie. Auch sie waren tatsächlich gekommen um sich dieses Spektakel, meine Verbannung aus Kaven, anzusehen. Sie, die mich vor Jahren noch pflichtbewusst in ihre Familie aufgenommen hatten.
Ihr Irren, dachte ich nur, und Wut ergriff mich..


Rota Gevill

//Schwierigkeiten und Hindernisse des Lebens sind dazu da, um sie zu überwinden und daran zu wachsen.\\

Essenz:
-Rota's Welt und Situation-

Mehr als ein Jahr früher....

Wir schreiben das Jahr 3045 und damit waren es nun schon bald 850 Jahre her, seit ein Virus mit dem Namen Krass das Leben auf unserer Welt auf so radikale Weise verändert hatte.
In der Schule lehrt man uns, dass die Menschen vor dieser großen Seuche, die ganze Welt beherrschten und über Technologien verfügten, die schier Unglaubliches leisten konnten. Wie etwa die -Maschinen-, die sich von selbst bewegten und Menschen, wie auch andere Lasten, mit unfassbaren Geschwindigkeiten von einem Ort zum anderen Ort transportieren konnten, und das nicht nur auf dem Boden, sondern auch auf Wasser und sogar fliegend, in der Luft. Sie sollen sogar Maschinen, oder besser gesagt -Fluggeräte-, gebaut haben, mit denen sie sogar zum Mond geflogen sind.
Es sollen damals auch noch sehr viele andere wundersame Dinge hergestellt worden sein, wo es einem heutzutage schon sehr schwerfällt das zu glauben, dass es so etwas einmal wirklich gegeben haben soll. Aber Relikte aus diesen Zeiten bezeugen immer noch, dass diese Behauptungen wohl wahr sein müssen, und dass es diese wundersamen Maschinen und Geräte tatsächlich einmal gegeben haben muss.
Ich selbst habe bisher nur wenige Überbleibsel aus diesen Zeiten gesehen, und wenn, dann waren das auch nur diese ziemlich zerfallenen Bauruinen und rostigen Metallkonstruktionen gewesen, die man an vielen verschiedenen Orten in dieser Gegend immer wieder mal entdecken kann.

Als im Jahr 2196 dann aber die große Seuche kam, änderte sich alles, und die Anzahl der Menschen die auf der Welt lebten, reduzierte sich schon gleich im ersten Jahr um mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Die meisten, die sich mit diesem Virus Krass infizierten bekamen Fieber, Husten und schließlich die für diesen Virus typischen roten Flecken, die den ganze Körper bedeckten. Sobald sich die Symptome bei jemandem zeigten, konnte der Infizierte davon ausgehen, dass er spätestens nach einer Woche nicht mehr leben würde. Und da sich verständlicherweise jeder vor einer Infektion mit diesem Virus schützen wollte, gingen die Menschen nicht mehr zur Arbeit und blieben zu Haus.
Dies führte natürlich dazu, dass ihre gesamte Wirtschaft nach nur kurzer Zeit völlig zusammenbrach, und kaum noch etwas produziert wurde, was die Menschen zum Leben benötigten. Panik brach aus und Chaos regierte für eine lange Zeit das Geschehen. Zu der Angst, sich mit diesem tödlichen Virus anzustecken, gesellte sich nun auch noch die Angst, nicht mehr genug zu Essen zu bekommen und letzten Endes zu verhungern.
Ein Kampf um die verbliebenen Lebensmittel begann und viele Menschen brachten sich dabei gegenseitig um. Und weil die Menschen damals auch noch über sehr mächtige Waffen, mit einer schier tödlichen Effizienz, verfügten, sind im Laufe der darauffolgenden drei Jahr mehr Menschen in diesem Chaos gestorben, als an dem Virus selbst.

Viele Versuche die Wirtschaft wieder aufzubauen scheiterten kläglich. Das wohl größte Problem dabei war wohl die damals extreme Arbeitsteilung gewesen. Die Arbeit, die nicht von Maschinen verrichtet werden musste, war nämlich auf sehr viele Menschen verteilt gewesen. Jeder war zwar ein Experte in dem Bereich, womit er sein Lebensunterhalt verdiente, aber ziemlich ahnungslos in dem Wissen wie das ganze überhaupt funktionierte.
Ein weiteres Problem war, dass die Menschen damals überaus verwöhnt und abhängig von ihren selbst gebauten Maschinen waren, dass kaum noch einer in der Lage war sich aus eigener Kraft zu helfen oder fähig war sich selbst zu versorgen. Kaum jemand wusste noch, wie man Lebensmittel anbaute oder wie man Tiere jagte und tötete oder das Fleisch der getöteten Tiere so haltbar machen konnte, dass man es auch noch später essen konnte, wenn es mal kaum noch etwas, oder gar nichts mehr zu essen gab. Und die Wenigen, die es vielleicht gewusst hätten, waren überwiegend auch noch von dem Virus oder dem ganzen Chaos der damals herrschte getötet worden.

Erst als die mächtigen Waffen, nach gut zweihundert Jahren mit der Zeit nicht mehr funktionierten, oder die dafür benötigte Munition einfach ausgegangen war, begannen die wenigen Menschen, die es damals noch gab, sich wieder langsam zu vertrauen. Sie bildeten schließlich wieder Gemeinschaften und schlossen wieder große Bündnisse, um sich gegen die Widerstände des Lebens besser wehren zu können.
Der Virus aber selbst verschwand bis heute nicht und das obwohl man annehmen sollte, dass mittlerweile auch nur noch Menschen leben sollten, die gegen diesen Virus immun waren. Dem war aber nicht so. Es wird daher angenommen, dass dieser Virus in regelmäßigen Abständen immer wieder mutiert und die Menschen daher in diesen Abständen immer wieder attackiert und dezimiert.

Der Krass-Virus ist vielleicht daher immer noch die größte Bedrohung auf unserer Welt. Denn wer sich auch heute noch mit diesem Virus ansteckt, hat nur ganz geringe Chancen das zu überleben. Man sagt, dass nur ein oder maximal zwei von hundert Menschen diese Erkrankung, diesen Virus, überhaupt überleben.
Der Virus verbreitet sich aus unerfindlichen Gründen immer im späten Winter und ebbt meistens in den heißen Sommertagen langsam wieder ab. Sobald bekannt wurde, dass der Virus wieder aktiv wurde, war es den Bürgern mindestens drei Wochen nicht mehr erlaubt das Haus zu verlassen. Fast jeder kennt dieses Gesetz und die meisten hatten auch stets dafür gesorgt einen entsprechenden Lebensmittelvorrat dafür zu horten. Und dennoch verbreitete sich dieser Virus immer wieder rasend schnell und es kam schon häufig vor, dass innerhalb kürzester Zeit sogar ganze Dörfer und Städte wegen diesem Virus ausgerottet wurden. So etwa alle neun oder zehn Jahre soll es immer wieder vorkommen, dass der Virus wieder aktiv wird und Angst, Schrecken und letzten Endes den Tod verbreitet.

Meine Eltern und ich lebten damals in Tenna, als wir uns vor mehr als acht Jahren mit diesem Virus -Krass- angesteckt hatten. Ich weiß zwar nicht mehr viel von meinen Eltern, da ich damals erst sechs Jahre alt war, als dieses Unglück über uns hereinbrach, aber die wenigen Erinnerungen die ich noch an sie habe, sind gute Erinnerungen und vermitteln mir ein Bild von fürsorglichen und liebevollen Eltern. Meine Eltern hatten meine Andersartigkeit nie als Problem betrachtet und mich so akzeptiert wie ich war. Für sie war ich immer nur ein ganz normales Kind gewesen. Nur das mein Vater öfters mal zu mir sagte: "Du musst wissen, mein Junge.." fing er meistens dann immer an, "Hindernisse und Schwierigkeiten sind nun mal da um später einmal etwas Großes vollbringen zu können", und dann hatte er mich eindringlich angesehen und gesagt: "und mit dir, mein Junge, scheint der liebe Gott wohl Großes vor zu haben." Ich fühlte mich, als er das sagte, jedenfalls immer ein wenig besser als vorher.

Mein Vater war Händler gewesen. Er handelte hauptsächlich mit Lebensmitteln und Kleider. Er kaufte, wie es ein Händler für gewöhnlich auch so macht, die Waren günstig bei den Erzeugern ein und verkaufte sie gewinnbringend an andere Händler oder direkt an die Leute. Meine Mutter war Näherin gewesen und sicherte uns, wenn das Geschäft meines Vaters mal nicht so gut lief, das nötige Einkommen, was wir zum Leben benötigten. Wir waren nicht arm, aber reich waren wir auch nicht. Wir waren nur eine kleine Familie gewesen, aber wir waren glücklich gewesen. So habe ich jedenfalls meine Familie in Erinnerung.

Als mein Vater aber eines Tages krank von einer Handelsreise heimkehrte, begann mein bisher behütetes Leben ein jähes Ende zu nehmen. Nach dem anfänglichen Fieber, der genauso wie die anderen über mich kam, überlebte ich aber im Gegensatz zu meinen Eltern und den meisten anderen diese Krankheit. Es wurde aber die für mich schlimmste Zeit, die ich bisher erleben musste. Die Zeit war für mich so furchtbar und einschneidend gewesen, dass es mir immer noch so vorkommt als sei es erst gestern gewesen, wenn ich mal wieder an diese Zeit zurückdachte. An die Zeit, wie wir, meine Mutter, mein Vater und ich, alle eng umschlungen und krank zusammen gekauert im Bett meiner Eltern lagen und zu schwach waren um noch irgendetwas machen oder tun zu können; und uns allen bewusst war, dass wir auch nicht mehr lange zu leben hatten. Während es meinen Eltern jedoch immer schlechter ging, merkte ich am dritten Tag unserer Bettlägerigkeit, dass es mir hingegen langsam wieder besser ging und mein Fieber allmählich zurückging. Ich blieb aber zunächst noch im Bett, da ich noch ziemlich erschöpft von dem Fieber gewesen war. Ich glaube daher auch, dass meine Eltern vielleicht auch gar nichts von meiner Gesundung mitbekommen haben. Mein Vater war schließlich der erste der starb. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, bis er schließlich irgendwann seinem Todeskampf erlag und seinen letzten Atemzug machte. Meine Mutter bekam von seinem Tod kaum etwas mit, denn sie lag ja selbst im Sterben und befand sich im Zustand völliger Verwirrung. Es verging noch ein ganzer Tag, bis schließlich auch meine Mutter diesem Virus erlag. Und von da an, wurde mir langsam klar, dass ich meine Eltern wohl doch nicht mehr dahin folgen würde, wohin auch immer sie nun gegangen waren. Da der große Kübel mit Wasser, den wir uns ans Bett gestellt hatten mittlerweile auch leer war, trieb mich der Durst irgendwann aus dem Sterbebett meiner Eltern und ich schleppte mich zu unserer Speisekammer und begann wieder etwas zu essen und zu trinken.
Erst eine Woche später zwang mich der nicht mehr auszuhaltende Geruch in den Räumen, mein Elternhaus zu verlassen und mich an die Menschen zu wenden, die sich vor diesem Virus retten konnten. Was schwierig genug war, da ja jeder Angst hatte, sich mit diesem Virus anzustecken. Sie warfen mir jedoch ab und zu Lebensmittel zu, so dass ich die nächsten Wochen überleben konnte. Erst nachdem der Virus endlich wieder an Aktivität verlor, kam der Bruder meines Vaters, Jaron, und nahm sich meiner an. Er brachte mich in seine Heimatstadt namens Kaven. Und seit dem lebe ich bei meinem Onkel und seiner Familie. Kaven selbst ist eine am Fuße einer Gebirgslandschaft gelegene Stadt, die bekannt für ihre imposante und massive Stadtmauer ist, die den ganzen Ort umschließt und seine Einwohner sicher vor ungebetenen Eindringlingen schützt. Kaven gehört genauso wie Tenna und andere große Städte und Regionen dem sogenannten Bund an, die sich gegen das wilde Volk Krasiens und gegen Rebellen und andere Gesetzlose zusammengeschlossen haben. In Kaven gibt es rund viertausend Einwohner und man lebt hier überwiegend von der Landwirtschaft und der Viehzucht. Daneben gibt es hier auch noch eine erfolgreich produzierende Porzellanmanufaktur, in der auch mein Onkel arbeitet.

Mein Onkel Jaron gilt als aufrichtig, freundlich und zuvorkommend und wird deshalb von den meisten auch sehr geschätzt. Auch gehört er aufgrund dieser Charakterzüge nicht ohne Grund dem Rat Kavens an. Zu meinem Leidwesen ist er jedoch nur zu denen nett und freundlich, die zu seinem privilegierten Kreis gehören. Und dazu gehören auch nur die, die ihm besonders nahe stehen oder von denen er sich vermutlich einen gewissen Nutzen verspricht. Seine Frau Petra und seine leiblichen Kinder Justin und Sophia gehören natürlich zu diesem Kreis. Sein Vorgesetzter Robert, der Bürgermeister Johnas Goldan, sein Nachbar Jim und all die anderen, die entweder gutsituiert, gesellschaftlich einflussreich oder sonst etwas an sich haben was von Vorteil sein könnte, gehören ebenfalls zu diesen Privilegierten. Für diese Menschen ist mein Onkel stets da und gerne hilfsbereit. Und dafür wird er auch geliebt und geschätzt. Nichtsnutze, wie ich einer bin, sind für ihn eher ein Ärgernis und stehen ihm im Weg.

Mein Onkel ist mein Pate und er fühlte sich wohl deshalb auch gezwungen mich in seine Familie aufzunehmen. Diesen sozialen Akt der Nächstenliebe, den er mir gegenüber erbracht hat, erwähnt er auch immer wieder gerne. Wie dankbar ich doch sein müsste.. Was wohl aus mir geworden wäre, wenn er mich nicht aufgenommen hätte.. Wie viel besser es ihnen doch gehen würde, wenn sie mich nicht aufgenommen hätten... und so weiter.. und so weiter. Ich hasse dieses Gerede und diese ständigen Vorwürfe, aber ich habe mich im Laufe der Zeit auch daran gewöhnt und ignoriere diese mittlerweile einfach.

Sein Sohn Justin ist sechzehn Jahre alt und abgesehen von seinen Haaren ist er eindeutig die jüngere Ausgabe seines Vaters. Die gleichen tiefliegenden Augen, die gleiche schmal und spitz zulaufende Nase, die gleiche markige Mund- und Kinnpartie. Seine dunklen und zugegebenermaßen wirklich ansehnlichen Haare, in die Justin auch sehr viel Zeit und Energie investiert, hat er wohl eher von seiner Mutter geerbt. Er trägt sie lang, mit viel Stolz und er pflegt und hegt sie mit so viel Aufmerksamkeit, das sie ihn, meiner Meinung nach, als den entlarven der er nun einmal ist. Ein eingebildeter, eitler und selbstgefälliger Fatzke. Was seinen Charakter anbelangt, ähnelt dieser auch dem seines Vaters, nur das die Charakterzüge von Justin deutlicher hervorstechen und nicht so verschleiert sind, wie die seines Vaters. Justin ist ebenfalls bei sehr vielen beliebt und er gesellt sich auch nur zu denen, die aus seiner Sicht gesellschaftlich angesehen sind oder von denen er sich mehr Einfluss und Vorteile verspricht. Alle anderen sind für ihn Luft oder schlimmer noch, widern ihn sogar an.

Justin hasst mich. Schon am Tag meiner Ankunft, als mein Onkel mich von Tenna nach Kaven ins Haus der Gevill's geholt hat, wurde mir klar, dass wir nie so etwas wie Freunde oder geschweige denn ein brüderliches Verhältnis haben werden. Da ich anfangs noch kein eigenes Bett und kein Zimmer hatte, sollte ich nur übergangsweise bei Justin im Zimmer schlafen.
Justin rastete damals jedoch dermaßen aus und veranstaltete so ein Aufsehen, dass er von keinem in der Familie mehr beruhigt werden konnte. Er schrie, dass er niemals mit einem wie mir in einem Zimmer und schon gar nicht in einem Bett schlafen könnte. Heulte, dass er Angst vor mir hat und Alpträume haben würde, wenn ich auch nur in seine Nähe käme. Schimpfte, dass man so etwas seinem eigenen Kind niemals antun dürfte. Und tobte unentwegt und mit einer solchen Energie, dass ich letztendlich solange auf den Boden in der Küche schlafen musste, bis mein Zimmer im Keller hergerichtet wurde.
Inzwischen hasst er mich auch deshalb, weil er mich für alles Schlechte und Schiefgegangene in seinem Leben verantwortlich macht. Ich war schuld, wenn er nicht das bekam, was er sich wünschte; ich war schuld, wenn es Streit in der Familie gab; oder ich war schuld daran, dass er einen dicken fetten Pickel auf seine schöne Nase bekam. Warum ich aber immer Schuld haben sollte, hatte ich nie verstanden und es interessierte mich auch schon lange nicht mehr.

Sophia, die Tochter, ist die Prinzessin in der Familie und ist vom Leben verwöhnt. Ihre Wünsche werden ihr praktisch von den Lippen abgelesen. Sie ist vierzehn, ist allseits beliebt und wirklich hübsch anzuschauen. In ihrem Leben spiele ich jedoch nicht die geringste Rolle. Gegenüber ihren Freundinnen gab sie vor, sie hätte immer versucht mich in die Familie zu integrieren. Jedoch enttäuschte ich sie wohl immer wieder durch meine Art und durch mein Verhalten. Bis sie schließlich irgendeines Tages beschloss dieses unmögliche Vorhaben aufzugeben. Seit dem gehöre ich nicht mehr in ihre rosige Welt und existiere wohl auch nicht mehr für sie.

Petra, die Ehefrau von meinem Onkel, soll früher eine bemerkenswert schöne Frau gewesen sein, zu mindestens wird das immer wieder behauptet. Obwohl man ihr das Alter mittlerweile ansieht, gehört sie für mich auch jetzt noch zu einer der schönsten Frauen von ganz Kaven, insbesondere dann, wenn sie mich auf ihre ganz besondere Art anlächelt. Leider zeigt sie dieses Lächeln mir gegenüber nur selten. Trotzdem ist Petra mir in dieser Familie von allen die Liebste. Petra besitzt ein ruhiges und besonnenes Wesen, die für die Probleme anderer immer ein offenes Ohr hat und stets um Harmonie bemüht ist. Andererseits gibt auch sie mir nie richtig das Gefühl, wirklich zu dieser Familie zu gehören und ich vermute ihr wäre es auch wohl lieber gewesen, wenn ich niemals zu ihnen gekommen wäre.

Warum mich die meisten meiner Mitmenschen ablehnen liegt in erster Linie wohl an meinem Äußeren. Ich bin nicht dick, oder extrem dünn, oder habe absonderliche Gesichtszüge. Eigentlich kann ich sogar zufrieden mit meinem Äußeren sein, wäre da nicht meine Hautfarbe. Von Geburt an ist mein Gesicht komplett blutrot. Ein riesiges Feuermal bedeckt mein gesamtes Gesicht und endet in zackigen Spitzen vorne bis zur Höhe meiner Brust und hinten bis zu meinen Schulterblättern. Hinzu kommt, dass diese rote Hautfarbe, in Kombination mit meinem schwarzen Haar, mir ein teuflisches Aussehen verleiht. Auf viele wirke ich deshalb wohl irgendwie unheimlich und bösartig. Es gibt sogar einige, die mich für eine Ausgeburt der Hölle halten und mich genauso meiden wie dieses Krass. Und dann gibt es natürlich auch andere, die mich aufgrund meiner Andersartigkeit auch gerne ärgern und piesacken und vielleicht sogar denken, der Allgemeinheit damit etwas Gutes zu tun. Mein Vater hingegen, hat mir sehr häufig gesagt das Schwierigkeiten überwinden nun mal die Stufen des Erfolgs sind und das Gott mir dafür offensichtlich gleich die besten Voraussetzungen in die Wiege gelegt hat. Mir wäre es trotzdem lieber gewesen ich wäre wie die anderen und hätte es im Leben leichter.

Anfangs hatte ich mich noch nicht damit abgefunden ein Außenseiter zu sein und ich hatte noch alles versucht um irgendwie dazuzugehören. Ich war verzweifelt und hatte damals grässliche und erbärmliche Dinge getan, für die ich mich heute noch schäme. Wenn man mir beispielsweise versprach mich als Mitglied in eine Gruppe oder Bande aufzunehmen, sobald ich eine bestimmte Person verprügelte, quälte oder jemandem etwas Bestimmtes wegnahm, dann hatte ich das damals auch gemacht. Immer wieder hatte man mich dazu benutzt niederträchtige und schlimme Dinge zu machen und ich habe in meiner Verzweiflung und Dummheit diese Dinge auch immer wieder getan. Sie hatten über mich gelacht und ihren Spaß gehabt. Mich akzeptiert.. hat man aber letztlich nie.

Roter Teufel werde ich aufgrund meines Aussehens und meiner Taten daher auch häufig gerne genannt, besonders von einem, sein Name ist Jaden und ein Mitschüler von mir. Jaden ist für sein Alter recht groß und kräftig, er sieht gut aus, und er hat aufgrund seiner unzweifelhaft entschlusskräftigen, ja fast kühnen Art, das Potential eines Anführers. Wenn auch sein Äußeres dem vielleicht widersprechen mag, so ist er für mich aber nur ein machtbesessenes Großmaul und ein Sadist. Er genießt es andere zu quälen und hat aufgrund seiner dreisten und respektlosen Art dabei auch noch großen Einfluss auf seine Mitschüler. Niemand legt sich mit Jaden an. Aber, und das muss man ihm lassen, er ist immer loyal zu seinen Leuten. Wenn seine Freunde Probleme haben, dann löst er diese für sie und dafür schätzen und mögen sie ihn. Und gerade diese Loyalität zu seinen Freunden ist vermutlich auch das, was ihn so gefährlich für alle seine Opfer und besonders für mich macht.

Ich gehörte auch mal eine Zeit lang zu Jaden's Gefolgsleuten, die für ihn alles getan haben, wofür er sich meistens zu schade fühlte. Ich hingegen war jedoch sein Obertrottel gewesen, denn was immer ich auch für ihn getan hatte, im Gegensatz zu den anderen, hat er sich nur weiter über mich lustig gemacht und mich in keinster Weise wie die anderen seiner Vasallen behandelt. Bis ich es schließlich irgendwann kapierte und auch keine Lust mehr dazu hatte für ihn das "Hol das Stöckchen Hündchen" zu spielen. Seit dem jedenfalls, liebt Jaden es besonders gerne mich zu verspotten und zu demütigen. Es vergeht kaum noch ein Tag, wo er sich nicht über mein unnatürliches Aussehen lustig macht oder versucht mich auf jede erdenkliche Art und Weise zu erniedrigen. Er hat beispielsweise immer einen Heidenspaß daran meine Sachen zu verstecken oder mir irgendwas Ekliges oder Sachen von anderen Schülern in meine Schultasche zu stecken. Auch macht er gerne Fratzen hinter meinem Rücken... oder, wenn ihm sonst nichts einfällt, spuckt oder schlägt er mich einfach.

Mittlerweile habe ich, trotz der ganzen Ablehnung die ich ständig von allen Seiten erfahre, es einigermaßen akzeptiert ein Außenseiter zu sein und mich an das Alleinsein gewöhnt. Es gibt sogar beinah täglich etwas, worauf ich mich trotzdem freue. Zum einen wären da unsere Nachbarn, Marla und Debbie Gruden und im Besonderen ihr Hund, mit Namen Zisko.
Marla ist eine sehr alte Frau, die sich nur noch mit ihrem Krückstock fortbewegen kann und gerne Geschichten von früher erzählt. Debbie, ihr einziger Sohn, hat den Körper eines bereits im vorgerückten Alters befindlichen Erwachsenen, aber den Geist eines Kindes. Er ist debil und auch aufgrund seiner unterschiedlich langen Beine in seiner Bewegung manchmal mehr oder minder eingeschränkt. Debbie mag mich nicht und hat wie viele andere auch Angst vor mir. Er wird jedenfalls immer ganz hibbelig, wenn ich sie besuchen komme. Und wenn ich zufällig dann auch noch in seiner Nähe gekommen bin, kam es schon häufig vor, dass er unversehens fluchtartig den Raum verließ und ich ihn für eine längere Zeit auch nicht mehr gesehen habe. Trotzdem bin ich häufig bei ihnen und helfe ihnen, soweit es mir möglich ist, immer gerne. Doch auch die alte Marla vertraut mir nicht und bin ihr auch wohl nicht ganz geheuer. Sie ist zwar immer froh, wenn ich ihr beim Haushalt oder bei anderen Arbeiten die so anfallen helfe, aber ich spüre auch, wie erleichtert sie ist, wenn ich wieder gehe.

Zisko, Marla's und Debbie's Wachhund, ist ein Mischling, mit kurzem hellbraunen Fell, der einem Hamilton Spürhund ähnlich sieht. Da Marla und Debbie kaum in der Lage sind sich um Zisko zu sorgen, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich um ihn zu kümmern. Und das ist etwas, was ich immer gerne mache und worauf ich mich auch immer freue. Dieser Hund, Zisko, stört sich im Gegensatz zu den meisten anderen nicht an meiner Erscheinung. Sobald er mich sieht, bellt er immer aufgeregt und wackelt freudig mit seinem Schwanz. Mit Zisko gehe ich auch häufig zu meiner selbst gebauten Baumhöhle in den Wald.

Und diese Baumhöhle gehört ebenfalls zur Kategorie, die mein Leben hier erträglicher macht. Die Baumhöhle ist mein ganzer Stolz. Ich arbeite so gut wie täglich daran, um sie zu verbessern und zu verschönern. Sie liegt gut versteckt und sehr weit oben in einem sehr großen Malvenbaum. Ich glaube, dass ich mit gutem Gewissen sagen kann, dass meine Hütte bisher auch noch von keinem Menschen entdeckt worden ist. Meine Baumhöhle ist, obwohl man das von außen mit Sicherheit nicht vermutet, sogar ziemlich geräumig. Sie hat zwei Räume. Einen Hauptraum, wo sich ein Liegeplatz, ein Tisch, ein kleiner Schrank und ein Stuhl befinden und einen kleinen Nebenraum, so eine Art Lagerraum, für Werkzeug und Baumaterialien.

Bevor ich mit dem Bau dieser Hütte vor gut vier Jahren begonnen hatte, hatte ich wie bereits schon erwähnt noch viel Blödsinn und schlimme Sachen getan und wusste mit meiner freien Zeit auch kaum etwas Nützliches anzufangen. Als ich jedoch anfing, anfangs noch aus reiner Langeweile, an dieser Hütte zu bauen, erkannte ich, dass in mir doch mehr steckte, als ich für möglich gehalten hätte. Mein Selbstvertrauen wuchs mit jedem Tag, an dem ich an dieser Hütte arbeitete und fühlte mich mit jedem Tag auch weniger nutzlos.

Es ist schon spät und ich liege hier unten in meiner Bettkammer und oben sitzt meine "geliebte" Adoptionsfamilie. Sie lachen, albern herum und genießen, vielleicht bewusst oder unbewusst, die Zeit ohne meine Gegenwart, den Schandfleck der Familie...! Ich bin unruhig und habe Angst. Vielleicht Angst vor dem, was mich morgen wieder in der Schule erwarten könnte. Aber was sollte mich dort Unheilvolles erwarten? Ich wüsste nicht was da kommen könnte. An Jaden und die anderen Quälgeister habe ich mich bereits schon seit längerem gewöhnt und das ich keine Freunde habe und mich die meisten immer mit seltsamen Blicken ansehen, wäre ebenfalls nichts Neues für mich und ist etwas, was ich bereits akzeptiert habe. Es gibt, naja bis auf vielleicht eine Ausnahme, sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern, keinen der mich leiden kann oder mir das Gefühl gibt anerkannt zu sein. Es gibt zwar einige, die versuchen immerhin respektvoll mit mir umzugehen, aber wirklich leiden können sie mich glaube ich auch nicht.

Wieso aber jetzt diese Unruhe und diese Angst? Ich versuchte schließlich zu schlafen. Erst sehr spät, nach Mitternacht, gelang es mir dann endlich in den Schlaf zu finden.

Schule und Jaden

//Das Leben muss nicht leicht sein, wenn es nur inhaltsreich ist.\\
Lise Meitner

Essenz:
-Rota's Quälgeister-

Nächster Tag. Obwohl ich kaum geschlafen hatte, wachte ich sehr früh mit einem unruhigen und mulmigen Gefühl auf. Ich döste und drehte mich noch eine Weile im Bett hin und her und beschloss dann endlich aufzustehen. Jaron, Petra, Justin und Sophie frühstücken immer gemeinsam nach dem zweiten Glockenschlag in der Frühe. Es gab mal eine Zeit, da hatte ich anfangs noch mit ihnen gefrühstückt. Aber wir alle erkannten ziemlich schnell, dass es getrennt besser ging. Zum einen, fühlte ich mich immer als jemand, der in dieser Runde nicht dazugehörte, zum anderen gab es meistens auch nur Streit und Ärger zwischen uns, besonders zwischen Justin und mir. Irgendwann fing ich an früher aufzustehen und vor den anderen zu frühstücken und siehe da, wir kamen stillschweigend zu der Erkenntnis, dass dies wohl keine so schlechte Idee war und wir dies bis heute, ohne ein Wort darüber gesprochen zu haben, auch so beibehielten.

Die Schule liegt etwa eine halbe Stunde Fußmarsch vom Haus meines Onkels entfernt. Ich gehe diesen Weg immer ganz gerne. Zum einen, weil kaum jemand anderes um diese Zeit diesen Weg benutzt und zum anderen, weil sich auf dieser Strecke meine Baumhöhle befindet. Ich nehme mir dann fast immer eine halbe Stunde Zeit um dort noch ein paar Verbesserungen vorzunehmen oder, aufgrund der wunderbaren Aussicht die ich dort oben habe, das Treiben im Walde zu beobachten. Auch heute gehe ich wieder zu meiner Hütte.

Versteckt in einem Baumloch gibt es eine Zugleine für das Herablassen der Strickleiter. Die Strickleiter führt dann etwa fünf Schritt lang nach oben zu meiner recht komfortablen Baumhöhle. Die Strickleiter nehme ich jedoch nur selten. Meistens nehme ich die andere Seite vom Baum, wo es möglich ist, die Baumhöhle auch ohne Strickleiter kletternd zu erreichen. Das tolle an meiner Baumhöhle ist, dass diese Höhle, trotz der enormen Größe von stolzen drei Schritt Breite, zweieinhalb Schritt Tiefe und zwei Schritt Höhe, sowohl aus der Entfernung, als auch aus der Nähe, kaum zu entdecken ist. Gebaut habe ich die Baumhöhle mit alten Brettern aus einer alten verfallenen Hütte, die in der Nähe dieses Waldes lag. Darüber habe ich es mit Pech abgedichtet und mit Ästen und Mooslappen bedeckt und gleichzeitig damit auch getarnt. Die Außenwände habe ich entsprechend gearbeitet. Mein Baumhaus hat eine kleine Tür und eine Art Fenster, nur ohne Glas. Jedoch hat dieses Fenster oder besser gesagt der Ausguck, eine Fensterklappe, für kalte und windige Tage.

Heute Morgen ist es nebelig und man kann kaum etwas sehen. Ich entschied mich trotzdem dazu noch ein paar Reparaturen am Dach meiner Baumhöhle vorzunehmen. Das Werkzeug, wie Hammer, Säge und so weiter hatte ich mir bereits vor ein paar Tagen aus einer in der Nähe liegenden alten Scheune genommen. Nach gut einer halben Stunde hörte ich jedoch mit meinen Verbesserungsarbeiten auf und setzte meinen Weg zur Schule fort.

Ungefähr zweihundert Schüler gehen täglich auf der Schule von Kaven. Die Schulzeit in Kaven, wie auch in den meisten anderen angeschlossenen Städten des Bundes, beträgt üblicherweise sechs Jahre. Ich bin in der dritten Klasse und werde demnach womöglich noch drei weitere Jahre auf dieser Schule gehen müssen. Nach dieser sechsjährigen Schulzeit müssen sich die Schulabgänger für einen Beruf entscheiden, für den man dann in der Regel für drei weitere Jahre ausgebildet wird. Wie meistens üblich, geht der überwiegende Teil der Schüler dann in den elterlichen Betrieb in die Lehre. Nur die besonders talentierten Schüler, und das sind nur seltene Ausnahmefälle, dürfen auf die Eliteschule nach Tenna gehen und werden dort individuell und mit großem Aufwand speziell ausgebildet.

Auf meinem Weg zur Schule entdecke ich David vor mir. David ist ein stiller, blasser und schlaksiger Mitschüler von mir. Ihm geht's auch nicht viel besser als mir und er ist in der Beliebtheitsskala ebenfalls ziemlich weit unten angesiedelt. Ich hatte mal versucht mich mit ihm zu unterhalten, aber er wendete sich damals, wie von einer Tarantel gestochen, von mir ab und lief schreiend und so schnell er konnte von mir weg. Als er dann weit genug weg war, rief er mir noch zu, dass er mit mir nichts zu tun haben wollte und brüllte danach lauthals immer wieder "Teufel! Teufel...!" Seitdem habe ich nie wieder versucht mich mit ihm zu unterhalten und er geht, wie jetzt auch, immer etwas schneller, um bloß nicht in meine Nähe zu kommen. Was für ein Idiot! Man hätte sich vielleicht ja, als sogenannte Loser und Außenseiter, zusammentun können. Obwohl ich zu Davids Verteidigung auch erwähnen muss, dass er des Öfteren auch mir, als ich noch all das getan hatte, was Jaden von mir wollte, zum Opfer gefallen war. David traut mir nicht über den Weg und wird es womöglich auch nie mehr tun. Verdenken kann ich ihm das nicht.

Ich erreichte den Schulhof. Und da erwartete mich auch schon Jaden mit seinem Gefolge. Dem dicken Gero, den immer sportlich und toll aussehenden Pelle und dem starken Alvin. Es gehörte schon zur allgemeinen Schulroutine, dass diese vier und viele andere gaffende Schüler mich morgens auf dem Schulhof erwarteten und ihren Spaß mit mir haben wollten. Treibende Kraft dieser morgendlichen Belustigung war natürlich, wie auch jetzt wieder, immer Jaden gewesen.

"Hallohoo.. Teufelchen! Na, hast du dich bei deinem morgendlichen Tête-à-Tête mit dir selbst mal wieder so geärgert, dass du immer noch rot vor Wut und kurz vorm Platzen bist?" Jaden kam dabei dicht an mich heran gelaufen und sah mich mit einem übertriebenen mitleidigen Gesichtsausdruck fragend an. Dann lächelte er wieder. "Warte mal, vielleicht kann ich dir ja ein wenig von deinem ganzen Ärger nehmen.." Jaden hielt nun die Luft an, presste sich das Blut in den Kopf und lief mir vermutlich wie ein wildgewordener Affe mit puterrotem Kopf hinterher. Pelle, Alwin und Gero und die meisten der umstehenden Schüler brachen in schallendes und grölendes Gelächter aus.

Obwohl ich mich inzwischen an diese morgendlichen Querelen gewöhnt hatte und wusste, dass ich am besten gar nicht auf so etwas reagieren sollte, tat ich ihnen doch jedes Mal den Gefallen und tat so als ob ich mich darüber ärgerte. Ich setzte daher wieder ein gequältes Gesicht auf, atmete tief ein, drehte mich wütend um und lief wutschnaubend auf Jaden zu. "Ich habe dir nichts getan! Warum machst du das? Hör auf!" Und brüllte dann noch lauter werdend "HÖÖR ENDLICH AUF!" Dabei ballte ich meine Fäuste und täuschte noch eine Angriffshaltung vor. Es herrschte nun absolute Stille und alle starrten mich an. Schließlich drehte ich mich wieder um und ging mit einem beleidigten Gesichtsausdruck weiter. Kurz darauf hörte ich wieder lautes und grölendes Gelächter. Ich hatte es wieder geschafft. Jaden und seine Leute waren wieder so bedient von mir, dass sie vor Lachen nicht weiter wussten und mich wahrscheinlich auch erstmal wieder in Ruhe ließen. Warum ich immer so reagierte, weiß ich nicht. Ich denke nicht mal groß darüber nach. Dabei ist mir sogar durchaus bewusst, dass ich ihnen durch mein Verhalten immer wieder dazu animiere mich weiter zu drangsalieren. Trotzdem ändere ich nichts an meinem Verhalten und reagiere immer wieder so oder so ähnlich. Womöglich bin ich in dieser Hinsicht schon jemand, der zur Selbstzerstörung neigt.

Nach diesem Vorfall ging ich geradewegs in unseren Klassenraum. Unsere Klasse zählt fünfundzwanzig Schüler. Elf Mädchen, der Rest Jungs. Die Schüler sitzen paarweise in einer vier mal vier Reihenform vor dem Lehrerpult. Zwei Jungs, natürlich ich und David, und ein Mädchen namens Rana, haben jeweils einen Tisch für sich allein.

Wie immer ging es ziemlich laut und wild zu, bevor die Stunde anfing. Sobald die Stunde dann aber anfing und der Lehrer in die Klasse hereinkam, nahmen in der Regel alle Schüler brav ihre Plätze ein und versuchten den Unterricht so gut es geht mitzumachen. Störenfriede erhielten hier nämlich schnell einen Verweis und verloren das Recht für eine bestimmte Zeit am Unterricht teilzunehmen zu dürfen. Die Chancen dann noch einen guten Abschluss zu erhalten verschlechterte sich dadurch natürlich. Und wer einen schlechten oder sogar gar keinen Schulabschluss erhielt, hatte meistens auch nur noch sehr geringe Chancen in Kaven oder anderswo ein einigermaßen lebenswertes Leben zu führen. Es soll sogar Schulabgänger gegeben haben, die aufgrund ihrer schlechten Leistungen sogar aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurden.

Obwohl ich mich nur selten am Unterricht beteiligte, war ich aufgrund der bestandenen Klassenarbeiten trotzdem bisher einigermaßen gut durch die Schulzeit gekommen. Die Schulglocke läutete und kündigte nun den Beginn der Schulstunde an. Die restlichen Schüler, unter anderem auch Jaden, kamen jetzt in die Klasse. Da ich gleich vorne rechts, ziemlich nah an der Klassentür sitze, versucht Jaden mir meistens noch auf die Schnelle eins auszuwischen. Obwohl ich natürlich wusste, dass er das jedes Mal versuchte, ließ ich ihn manches Mal auch einfach gewähren und tat dann immer so, als ob ich ihn nicht kommen sah und er mich dann ungehindert von hinten einen Schlag versetzen oder schubsen konnte. Meistens war dann wohl sein Peinigungstrieb mir gegenüber schon so befriedigt, dass ich für den Rest des Tages wenig von ihm zu befürchten hatte. Dieses Mal hatte ich jedoch keine Lust dazu und drehte mich, kurz bevor er etwas machen konnte, ihm entgegen. "Buhh!" sagte er mit einer albernen Grimasse und täuschte mit hervorgehobenen Armen vor, mich schubsen zu wollen. "Hööör... auf!!" schrie ich ihn einfallslos wieder wütend an. Jaden schien damit zufrieden zu sein, grinste und setzte sich in aller Ruhe auf sein Platz.

Dummerweise war genau in dem Augenblick, als ich Jaden anbrüllte, unser Lehrer Herr Klimp hereingekommen. Er blieb abrupt stehen und schaute mich mit einem gleichgültigen Blick an.
"Schüler Rota, wie es scheint, haben sie Energie im Überfluss. Ich denke eine Stunde Nachsitzen im Anschluss ihrer heutigen Schulzeit könnte Ihnen helfen ihre überschüssige Energie abzubauen. Haben sie irgendwelche Einwände?"
Da mir das Nachsitzen eigentlich nichts ausmachte und ich dann auf dem Nachhauseweg ja auch nicht mit vielen anderen Schülern laufen musste, hatte ich tatsächlich nichts dagegen.
"Nein, habe ich nicht." sagte ich demütig leise und nickte Herrn Klimp schließlich zu. "Melden sie sich bitte am Ende dieser Stunde bei mir". Ich nickte wieder und drehte mich dann zu Jaden um. Er grinste mich natürlich höhnisch an. Soll er doch. Und wenn man's genau nimmt hatte er mir vielleicht damit sogar ein Gefallen getan.

Mallen

//Glücklich ist, wer sich über jeden Sonnenstrahl freut. Er wird ihn auch noch in der Dunkelheit entdecken.\\
Peter Amendt

Essenz:
-Mallen ist anders als die anderen-

Herr Klimp ging schließlich zum Lehrerpult und begann seinen Unterricht. Wir haben Geschichte und Entwicklung. Neben diesem Fachgebiet haben wir noch fünf weitere Fachgebiete die in der Schule von Kaven unterrichtet wurden. Da wäre das Fach Lesen, Schreiben und Aussprache, das Fach Heimat- und Auslandskunde, das Fach Rechnen und Geometrie, das Fach Natur und Entwicklung sowie das Fach Politik, Organisation und Aktuelles. Ich selbst interessierte mich für das Fach Natur und Entwicklung am meisten, insbesondere deshalb weil man hier viel Praktisches über das Überleben in der Wildnis erfuhr.

Nach gut zehn Minuten Unterricht klopfte es an der Klassentür und Mallen Goldan, die Tochter unseres Bürgermeisters, kam herein. Verschwitzt und noch etwas außer Atem ging sie geradewegs auf unseren Lehrer Herrn Klimp zu und blieb dann vor seinem Pult stehen. "Guten Morgen! Herr Klimp. Bitte entschuldigen Sie mein Zuspätkommen. Ich hatte meine Aufgabenkladde Zuhause liegen lassen und dummerweise fiel mir das erst auf meinem Weg zur Schule ein. Ich musste nochmal ganz zurück.. Es.., es tut mir Leid."

In unserer Schule gibt es fürs Zuspätkommen zwei Möglichkeiten der Bestrafung. Die mildere der beiden Bestrafungen wäre das Nachsitzen, wo der Schüler also für eine gewisse Zeit nach der regulären Schulzeit in der Klasse verbleiben muss und dort Aufgaben erhält, die er in dieser Zeit zu erledigen hat. Die härtere und oftmals auch folgenschwerere Bestrafung wäre, dass der Schüler für eine bestimmte Zeit von der Schule ausgeschlossen wird. Der jeweils unterrichtende Lehrer hatte hier völlige Entscheidungsfreiheit. Da Mallen bei ausschließlich allen Lehren beliebt ist, nickte Herr Klimp ihr nur zu und gab ihr mit einer schnellen Geste zu verstehen, dass sie sich nun auf ihren Platz setzen konnte. "Fräulein Goldan, sie kennen ja die Regeln dieser Schule. Melden Sie sich daher bitte im Anschluss dieser Stunde bezüglich der zusätzlichen Schulstunde bei mir."
Mallen nickte Herrn Klimp zu, bedankte sich bei ihm und bewegte sich auf einmal, ohne das es dafür einen besonderen Grund gab, ausgelassen in so anmutig fließenden Bewegungen, als tanze sie beinah, zu ihrem Platz neben ihrer Sitznachbarin Greta und setzte sich dann mit einer überzogenen theatralischen Niedergeschlagenheit auf ihrem Stuhl. Das sah so komisch aus, dass ich mich sogar etwas zusammenreißen musste um nicht lachen zu müssen. Typisch Mallen. Sie überrascht immer wieder durch ihre skurrilen Auftritte und durch ihr ungewöhnliches Wesen. Man weiß bei ihr nie genau, ob sie das nun ernst meint oder sie einen nur in solchen Momenten veralbern will.
Und obwohl sie viele zumindestens scheinbar damit veräppelt, nimmt ihr das kaum jemand richtig krumm, und die, die es doch tun, wagen es wohl nicht, vermutlich aufgrund ihrer Beliebtheit oder weil sie die Tochter des Bürgermeisters ist, es ihr heimzuzahlen. Sie genießt so gesehen völlige Narrenfreiheit. Selbst vor Jaden machte Mallen nicht halt. Es ist kein Geheimnis, das Jaden und Mallen schon häufig als Paar gehandelt wurden, und er sie auch nur zu gern als Freundin bezeichnet hätte. Ein Pärchen wurden sie trotzdem nicht, und das obwohl Mallen von Jaden nicht mal abgeneigt schien. Auf seine Avancen reagierte sie jedenfalls nie ablehnend. Im Gegenteil, sie machte ihm sogar selbst Avancen und bestärkte ihn in seinen Hoffnungen. Aber irgendwann war damit Schluss. Wenn Jaden sie heute ansieht, scheint er jedenfalls nicht mehr Feuer und Flamme für sie zu sein und sieht sie jetzt nur noch mit einer eher missgestimmten Miene an. Mallen selbst ließ sich in dieser Hinsicht jedoch bisher nichts anmerken und sieht ihn trotz seiner abweisenden und fast schon feindseligen Art ihr gegenüber, wie immer mit einem Lächeln an.
Der Grund für diese Wendung soll, soweit ich es mitbekommen habe, wohl darin gelegen haben, dass sich die beiden wohl häufig nach der Schule verabredet hatten, aber Mallen letztendlich nie zu diesen Treffen gekommen ist, und, wie getuschelt wurde, seltsamerweise bei Mallen immer irgendetwas dazwischen gekommen war. Ein Treffen zwischen den beiden soll deshalb auch wohl nie zustande gekommen sein, und das obwohl sie es sehr, sehr häufig versucht hatten. Irgendwann aber hatte Jaden dann die Schnauze voll und hatte es letztlich dann doch noch verstanden.

Was mich anbetrifft, muss ich zugeben. dass Mallen in meinem tristen Leben hier so eine Art Sonderstellung einnimmt. Denn sie ist schon ziemlich anders als die anderen. Von den anderen war ich es ja gewohnt abschätzig angesehen und behandelt zu werden. Sie jedoch gehört zu den Wenigen, vielleicht ist sie sogar die Einzige, die mit mir immer respektvoll umgegangen ist. Wenn es auch nur wenige Momente zwischen uns Beiden gab, so hat sie mich in diesen Momenten stets freundlich und meistens sogar mit einem Lächeln begrüßt. Ich selbst war darüber nur irritiert, besonders in den Zeiten wo ich selbst den Respekt vor mir verloren hatte, und wäre ich ein anderer gewesen, ich mich wahrscheinlich genauso verhalten hätte wie die anderen.

Trotzdem brauche ich mir darauf wohl nichts einzubilden. Sie ist stets zu allen nett und freundlich, sogar zu denen, die nicht gerade zu ihrem Fanklub gehören oder versucht haben sie auf diese oder jene Art zu schaden. Auch habe ich sie noch nie über jemanden lästern oder schlecht reden gehört. Fluchend, zickend und richtig wütend habe ich sie ebenfalls noch nie erlebt. Damit will ich aber nicht sagen, dass sie sich nur deshalb so verhält, um sich bei allen irgendwie beliebt zu machen. Nein, eher nicht. Denn es scheint Mallen andererseits auch nicht zu kümmern, was andere über sie denken. Und das beweist sie oft genug durch ihre beinahe schon absurd schrägen Verhaltensweisen, die sie immer wieder mal an den Tag legt. Auch hat sie nie Anstalten gemacht zu den beliebtesten und gefragtesten Schülern der Klasse oder der Schule zu gehören oder mit ihnen befreundet zu sein. Sie gilt deshalb bei dem einen oder anderen sogar als arrogant und überheblich, da sie trotz ihrer Beliebtheit, ihren Freundeskreis nur auf ganz wenige und eher unauffällige Mitschüler beschränkt. Ich glaube aber eher, dass sie vielleicht auch nur sehr hohe Ansprüche an eine Freundschaft stellt und womöglich kaum einer oder sogar keiner ihren Ansprüchen gerecht wird. Und sie deshalb, nur um vielleicht nicht alleine zu sein, ihre freie Zeit mit den eher unauffälligen oder zurückhaltenden Schülern verbringt. Zu allen anderen, ob beliebt, angesehen, angesagt oder was auch immer, ist sie zwar nett und freundlich, aber gleichzeitig auch zurückhaltend und unnahbar.

Mallen wächst als einziges Kind bei ihrem Vater Johnas Goldan auf, denn ihre Mutter verstarb schon sehr früh bei der Geburt Mallens. Johnas Goldan ist unser Bürgermeister und ein angesehener und beliebter Mann in Kaven. Mallen wäre allein deshalb schon bei vielen beliebt gewesen, aber aufgrund ihrer Eigenarten wird sie von vielen vielleicht sogar geliebt. Mallen ist schon ungewöhnlich und für mich, wie vermutlich auch für viele andere, ein Rätsel. Irgendwie scheint sie aufgrund ihrer ganzen Art und wie sie sich anderen gegenüber verhält, die Weisheit eines erwachsenen Menschen zu besitzen, und noch dazu das Leben mit der Lust und Neugier einer ziemlich tollkühnen Dreizehnjährigen zu genießen. Hinzu kommt, dass Mallen auffallend hübsch ist. Sie ist schlank, hat hellblonde, lange und leicht gewellte Haare, die sie oft einfach und praktisch zu einem Zopf gebunden hat. Ihre Gesichtszüge sind klar und ebenmäßig. Zudem hat sie wache, klare, blassblaue Augen und dazu noch einen wunderschön geschwungenen Mund, mit stets leicht angehoben Mundwinkeln, die ihrer Ausstrahlung stets etwas Unbekümmertes und Heiteres verleihen.

Zwischen mir und Mallen gab es in der ganzen Schulzeit die wir gemeinsam hatten, eigentlich keine einzige Begegnung die über eine banale Begrüßung hinausging. Es gab jedoch zwei Begegnungen, die waren für mich so außergewöhnlich, dass Mallen seit dem in meinem Leben einen besonderen Platz eingenommen hat.

Eine von diesen beiden Begegnungen war gleich an unserem ersten Schultag gewesen. Wie ich es bereits auch schon häufig erlebt hatte und schon gewohnt war, fühlte ich mich auch an meinem ersten Schultag wie ein bunter Hund. So gut wie jeder starrte mich an. Kinder wie auch zum Teil die Eltern, glotzten mich teilweise sogar mit offenen Mund an, wenn sie mich erblickten. Sie hatten nicht mal den Anstand wegzusehen, wenn sie sahen, dass ich ihr Anstarren bemerkt hatte. Dieses Anstarren war ich zwar, wie schon gesagt, gewohnt gewesen und ich hatte gelernt damit umzugehen, weh tat es mir aber trotzdem immer wieder. Und dann erschien auch irgendwann Mallen mit ihrem Vater. Ich muss zugeben, auch ich war in diesem Moment nicht viel anders als die anderen, denn ich starrte damals sie an. Sie hatte mich schon beim ersten Mal total verblüfft. Mallen war schon damals auffallend hübsch gewesen, aber das war nicht der Grund gewesen was mich zu diesem Anstarren veranlasst hatte. Nein, es war mehr die Art, wie sie sich gab, wie sie sich bewegte, wie sie sich die Dinge ansah und.. besonders wie sie sich mir gegenüber verhielt. Als sie schließlich bemerkte, dass ich sie ansah, starrte sie mich jedoch nicht wie die anderen an. Nein, sie... zwinkerte mir verrückterweise zu und schaute mich dann auch noch leicht amüsiert an. Der Blick war auch nicht herablassend gewesen. Ich war total verdattert und schaute schnell woanders hin. Aber ihr Zuzwinkern und ihre leichte und unbekümmerte Art und das in diesem Alter, dass war für mich schon ziemlich außergewöhnlich gewesen und sie war für mich von da an schon etwas ganz Besonderes.

Die zweite und weitere Begegnung die ich mit ihr hatte, war letztes Jahr im Wald, in der Nähe bei meiner Hütte. Es war Spätsommer und sehr heiß an diesem Tag. Ich hatte gerade das Dach von der Hütte mit Pech abgedichtet und wollte den Eimer mit Pech gerade wieder zurück zum Schuppen meines Onkels Jaron bringen, als ich sie dann plötzlich sah. Sie war allein und ging still den Waldweg entlang. Ich blieb abrupt und wie erstarrt stehen. Hatte sie mich gesehen oder gehört? Es schien jedenfalls nicht so. Ich ging vorsichtig in Deckung, denn ich wollte nicht, dass jemand mich hier und schlimmer noch, mein Baumhaus entdeckte. Warum ist sie allein? Sie hat doch sonst immer jemanden bei sich oder ist in Begleitung... Ich hatte sie jedenfalls noch nie alleine gesehen. Ich wurde neugierig. Wo geht sie hin? Was will sie hier? Ich entschied mich ihr in sicherem Abstand zu folgen. Zumindest soweit ich sie sicher verfolgen konnte.

Nach gut sechshundert Schritt und zwei Abzweigungen hatte ich dann auch schon eine Vermutung wohin sie gehen könnte. Es gab im Waldinneren eine kleine Lichtung mit einem kleinen Waldsee. Der Weg zu diesem Waldsee war schon ziemlich verwachsen. Jedoch kam man immer noch gut dadurch. Aber warum nahm sie diesen Weg und nicht den Weg von der anderen Seite des Waldes, der erstens für sie kürzer und zweitens besser passierbar für sie gewesen wäre? Und tatsächlich nach gut weiteren dreihundert Schritten erreichte sie den Waldsee. Obwohl dieser Ort wirklich schön war, kommt hier kaum noch jemand hier her. Das lag zum einen daran, dass es noch einen viel größeren See in Kaven gab und dieser mit seinem klaren Wasser und der guten Lage deshalb wohl bevorzugt wurde. Diesen Waldsee kannten nur die Wenigsten. Wozu dann auch wohl Mallen gehörte. Ich war zu neugierig und naja, ich wollte einfach noch nicht wieder zurück.

Mallen schlüpfte aus ihren Schuhen, ließ die Träger ihres Kleides von den Schultern und somit ihr Kleid von ihrem schmalen Körper gleiten. Mir stockte der Atem. Ihr Körper hatte zwar noch nicht die Reife einer erwachsenen Frau, aber ich fand sie war auch so schon wunderschön. Nachdem sie sich dann auch noch ihr letztes Kleidungsstück entledigt hatte, sprang sie mit einem gekonnten Hechtsprung ins Wasser. Trotz meiner Benommenheit sagte mir mein Verstand, dass ich weggehen sollte. Aber ich blieb und schaute ihr noch weiter beim Baden zu. Als ich mich dann doch etwas widerwillig aufmachte um zurück zur Hütte zu gehen, drehte ich mich nochmal zu ihr um. Was ich dann sah, hatte mich in eine Art Schockstarre versetzt. Mallen sah mich direkt an. Wir waren zwar immer noch rund zweihundert Schritte voneinander entfernt, aber ich meinte, dass sie zweifellos und völlig reglos zu mir herüber schaute. Ich rührte mich kein bisschen. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit neigte sie, als sei nichts gewesen, ihren Oberkörper langsam zum Rückenschwimmen nach hinten. Ich atmete erleichtert aus und machte mich dann so schnell und leise wie möglich davon. Hat sie mich nun gesehen? Hat sie mich erkannt? Sie muss mich doch gesehen und erkannt haben! Aber warum hat sie dann so getan als ob nichts gewesen wäre? Warum hat sie nicht geschrien? Meinen Namen geschrien oder sonst was gemacht?
Sie jedenfalls hat sich mir gegenüber danach nie etwas anmerken lassen. Aber warum? Vielleicht aber hat sie mich auch nicht gesehen und sie hatte nur zufällig in meine Richtung geschaut. Ich möchte das glauben. Aber, ich glaubte nicht wirklich daran.

Das waren die zwei einzigen aber ziemlich sonderbaren Begegnungen die ich bisher mit Mallen hatte. Das nun aber Mallen mit mir eine Stunde nachsitzen musste, ließ meinen Mund ganz trocken und meine Hände schwitzig werden. Mallen und ich... mein Gott... die Schöne und das Biest. War das der Grund für meine ungewöhnliche Angst in letzter Zeit gewesen...?

Nachsitzen

//Gewöhnliche Menschen überlegen nur, wie sie ihre Zeit verbringen. Ungewöhnliche Menschen versuchen sie auszunutzen.\\
Arthur Schopenhauer

Essenz:
-Mallen und Rota kommen sich näher-

Nach der letzten regulären Stunde war es dann soweit, dass Mallen und ich in unserem Klassenraum unsere zusätzliche Stunde ableisten durften. Herr Klimp kam herein und gab uns die Aufgaben, die wir in dieser Stunde zu erledigen hatten. Mallen sitzt zwei Reihen weiter hinter mir. Die Aufgaben sind aus meiner Sicht nicht schwierig und gut zu schaffen. Nach gut einer dreiviertel Stunde völliger Stille zwischen mir und Mallen wurde ich schließlich mit meinen Aufgaben fertig. Da mir die Stille langsam unheimlich wurde und ich auch neugierig wurde wie weit Mallen war und was sie so hinter mir machte, drehte ich mich um und sah, dass sie scheinbar ebenfalls fertig mit ihren Aufgaben war, denn sie saß zurückgelehnt auf ihren Stuhl und starrte mich in aller Seelenruhe an.
"Was ist?" fragte ich ruppiger als ich eigentlich wollte.
Mallen zuckte zusammen und schien mich jetzt irgendwie erst richtig wahrzunehmen.
Ich war zutiefst enttäuscht von ihr, da ich eigentlich immer dachte, dass sie nicht so ist wie die anderen.
"Sag Bescheid, wenn du auch mein Gesicht aus der Nähe anglotzen willst." sagte ich daher nur böse.
Mallen schüttelte sich, so als ob sie sich erstmal aus ihrer tiefen Gedankenwelt wieder ins reale Leben zurückholen musste. "Tut mir Leid Rota, ich wollte dich nicht anstarren und schon gar nicht deine.., deine Hautfarbe." sagte sie fast schon etwas besorgt, so als ob sie Angst hätte ich würde sie nun falsch einschätzen.
Diese Reaktion hatte ich wiederum nicht von ihr erwartet. Warum kümmert es Mallen was ich von ihr denken könnte?
"Na denn.." brummte ich nur und drehte mich wieder zu meinem Tisch um.
"Naja, um ehrlich zu sein, ich habe mich nur gefragt warum du hier bist", hörte ich sie nun wieder hinter mir sagen.
"Wieso? Hat dir noch keiner erzählt, dass ich Jaden zu Beginn der ersten Stunde angeschrien habe?" antwortete ich ohne mich umzudrehen mit einer Gegenfrage.
"Doch, das hab ich schon mitbekommen. Aber das meinte ich auch nicht. Ich meinte eher.., ich wundere mich darüber warum du dich hier in der Schule immer so verhältst. Ich meine.., irgendwie passt das nicht zu dir."
Worauf will sie hinaus? Was meint sie mit -das passt nicht zu mir-?
"Wieso? Was meinst du denn welches Verhalten zu mir passen würde?" fragte ich nun neugierig geworden.
Mallen stand nun auf und kam auf mich zu. Ich schaute ihr ins Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck war entspannt und irgendwie... ja, leicht amüsiert. Ich war wieder völlig verblüfft von ihr. Ihre aufgeweckten und strahlenden Augen, ihr Mund, ihre Figur und wie sie sich bewegte. Mein Gott und sie ist doch erst dreizehn. So benimmt sich doch keine Dreizehnjährige! Mallen setzte sich nun mir gegenüber an den Tisch und schaute mich noch etwas nachdenklich an, ehe sie antwortete.
"Also, wir gehen doch schon seit mehr als drei Jahren gemeinsam zur Schule und sogar in derselben Klasse, ja?"
"Richtig, und?" entgegnete ich.
"Ich bin neugierig und ich beobachte gerne, insbesondere die, die sich ganz anders verhalten als andere, oder... wie ich sie eingeschätzt hätte. Naja, und du jedenfalls, bist entschieden anders als die anderen."
Mir blieb die Spucke weg und glaubte gerade nicht was sie eben zu mir sagte. Sie, Mallen, konnte es wirklich sein, dass sie mich beobachtet und sich für mich interessiert?
"Inzwischen glaube ich sogar, dass du nicht wirklich der bist den du vorgibst zu sein." behauptete sie nun auch noch.
"Ähh? Und wer sollte ich nach deiner Meinung dann sein?" fragte ich perplex und war dabei meine Gedanken wieder richtig zu ordnen.
"Weiß ich nicht.., aber ich glaube, dass du stärker bist, als du uns allen glauben machen willst. Ich weiß, dass du kaum oder vielleicht sogar gar keine Freunde hast. Also..., tut mir Leid das ich das sagen muss, aber ich kenne jedenfalls keinen der mit dir befreundet sein möchte.."
Ich stöhnte innerlich. "Schön zu hören.. Danke!" gab ich meinen ironischen Kommentar dazu ab.
Mallen zuckte die Schultern und redete einfach weiter "Du scheinst jedenfalls nur Ablehnung zu bekommen. Aber ich wundere mich, wie jemand der von allen nur abgelehnt wird und somit auch keinerlei Anerkennung erhält, trotzdem immer noch die Kraft aufbringt.., weiter zu machen.., zur Schule zu gehen, seine alltäglichen Pflichten nachzugehen, oder..., sogar in einem Wald eine riesige Baumhöhle baut, die man nur dann entdeckt, wenn man direkt mit der Nase darauf stößt."
Ich konnte regelrecht spüren wie mir das Blut aus meinem Gesicht wich, als ich das von ihr hörte. Sie hat also tatsächlich meine Baumhöhle entdeckt.
Mallen rückte nun etwas näher zu mir.
"Besonders interessant finde ich, dass du trotz dieser inneren Stärke, die du aus meiner Sicht auch hast, dich immer wieder von diesen Idioten schikanieren lässt. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass du die Schikane irgendwie mit Absicht sogar provozierst und du dich mutwillig quälen lässt. Du bist nicht blöd oder sowas. Das weiß ich. Von daher kann ich mir gut vorstellen, dass du sogar ganz genau weißt, wie du dich wehren könntest, damit dich diese Idioten zukünftig nicht mehr ärgern. Die Frage ist nur.., warum? Warum lässt du das immer wieder mit dir machen?" fragte sie und sah mich dabei neugierig mit großen Augen an.

Ich fragte mich was sie sonst noch alles weiß? Scheinbar sieht sie Dinge, die andere nicht sehen und auch gar nicht sehen sollten, als ich wieder an meine Baumhöhle denken musste. Ich wollte erst sagen, dass ihr das erstens überhaupt nichts angeht und ich ihr das zweitens auch niemals sagen würde. Aber hier stellte Mallen die Fragen und nicht irgendjemand anderes. Auch musste ich überrascht feststellen, dass ich mich tatsächlich gerne mit ihr unterhielt und ich mich auch weiter mit ihr unterhalten wollte.
Ich seufzte schließlich "Du stellst Fragen...! Aber.. okay. Meine ehrliche Antwort..., ich weiß es selbst nicht genau. Zum einen will ich einfach auch nur in Ruhe gelassen werden und gebe ihnen dann einfach nur das, was sie von mir wollen; also.., das ich mich aufrege, herumschreie und so weiter. Meistens klappt das sogar ganz gut und sie lassen sie mich dann auch für eine Weile in Ruhe. Aber manchmal glaube ich auch, dass ich einfach nur dazu neige mich selbst, für das was und wie ich bin, zu bestrafen. Naja..., aber.. es könnte auch genauso gut sein, dass ich vielleicht wirklich nur Angst habe und ich tatsächlich so bin, wie ich mich nun mal verhalte.." beantwortete ich ihre Frage so ruhig und unbekümmert ich noch konnte. Die Antwort mag nicht gerade zufriedenstellend gewesen sein, aber wenn man bedenkt wie ungewöhnlich und wunderlich für mich diese ganze Situation hier mit Mallen war, dann hatte ich es in diesem Moment auch nicht besser sagen können und es war nun mal so, wie ich es gesagt hatte. Ich hatte keine Ahnung.

Mallen sah mich etwas ungläubig an und schien noch etwas darüber nachzudenken, bis sie schließlich ihren Kopf schüttelte. "Naja.. ist eigentlich auch egal.. Ob so oder so.. Ist vielleicht auch einer der Gründe was dich so interessant macht.."
Ich stutzte. Sie hat es schon wieder gesagt. Ist sie vielleicht doch nicht bei klarem Verstand und war doch nur verrückt?
"Und?... Willst du das nun herausfinden.. oder was?" fragte ich schließlich nur; anstatt zu fragen ob sie irgendwie ihren Verstand verloren hätte.
"Ja, könnte schon sein..." entgegnete Mallen mit einem Grinsen im Gesicht.
"Und was ist, wenn es da nichts Besonderes gibt...? Wenn ich letzlich doch nur so ein Weichei bin, der nur seine Ruhe haben will. Was dann?"
"Das glaube ich zwar nicht, aber was soll schon sein..? Dann habe ich mich halt geirrt. Aber.., ich habe zumindestens jemanden kennengelernt.., der versucht das Beste aus seiner Situation zu machen. Ist doch auch was, oder nicht?" sagte sie und lächelte mich dabei an.
Ich hatte Mallen schon oft lachen oder lächeln gesehen. Es entsprach ihrem Wesen und ihrer Frohnatur.. Aber es war schon etwas ganz anderes, wenn man von ihr ein Lächeln bekam. Dieses Lächeln war echt und es ließ mein Herz Purzelbäume schlagen. Verflucht! Wenn ich nicht schon rot wäre, dann wäre ich nun auf jeden Fall puterrot geworden. Mir war spätestens jetzt klar geworden, dass ich mich wohl in sie verliebt hatte. Aber das konnte und durfte nicht sein. Ich wäre ein Idiot, wenn ich glauben würde, das Mallen sich jemals in einem wie mich verlieben könnte. Sie sagte sie findet mich interessant. Na und? Man kann auch Scheiße interessant finden. Also.., sei kein Narr und bleib ruhig.

"Ich will mal so sagen..." fing ich nun an "es fällt mir schwer, zu glauben, dass du dich wirklich für mich interessierst.., insbesondere wenn man bedenkt was ich in der Vergangenheit alles so angestellt habe. Ist dir das denn egal..?"
"Nein, egal ist mir das natürlich nicht. Aber ich habe auch mitbekommen, dass du dich in dieser Hinsicht auch geändert hast. Du hältst dich doch nun von Jaden und seinen Leuten fern und versuchst nicht mehr zu ihnen zu gehören, oder nicht? Und wie ich das jetzt so sehe, hast du damit auch noch auch eine Menge Ärger im Kauf genommen. Ich finde das ist ziemlich mutig und sogar anständig von dir gewesen. Außerdem glaube ich, als du diese Sachen getan hast, du einfach nur verzweifelt warst und das alles sonst auch gar nicht getan hättest."
Nun war ich gerührt und gleichzeitig so aufgewühlt, dass ich nicht wusste was ich darauf erwidern sollte und ich sie nur noch erstaunt ansehen konnte.

Dann hörten wir jedoch Schritte. Die Tür öffnete sich und unser Lehrer Herr Klimp betrat wieder den Klassenraum. "Die Stunde ist um. Ich hoffe sie haben Ihre Lektionen gelernt und haben die Aufgaben auch alle bewältigen können."
Wir standen beide zugleich auf und stellten uns in strammer Haltung in seine Richtung. "Haben wir Herr Lehrer!" sagte Mallen und nickte ihm einmal deutlich zu.
"Gut, dann geben Sie mir jetzt bitte Ihre Ausarbeitungen."
Wir gaben ihm schließlich unsere Arbeiten. "Sobald ich mir ihre Arbeiten angesehen habe und sie nichts mehr von mir hören sollten, ist die Sache für sie beide erledigt. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Tag." Wir wünschten unserem Lehrer ebenfalls einen schönen Tag. Dann verließ Herr Klimp den Klassenraum wieder und Mallen und ich waren wieder allein.

Mallen drehte sich wieder zu mir um. "Ich muss nach Hause! Wenn Du möchtest können wir uns ja mal treffen und unser Gespräch dann weiter fortsetzen. Ich würde mir auch gern mal deine Baumhöhle von innen ansehen." sagte sie und irritierte mich dabei wieder mit ihrem Lächeln.
"Ohh..., ja.. ja natürlich, können wir das gerne mal machen." antwortete ich wieder völlig verdattert und konnte das alles immer noch gar nicht fassen.
"Wann...?" fragte Mallen nun aufgeregt und überlegte dann laut weiter nach.. "Also heute kann ich nicht. Ich bin schon mit Korda verabredet.., aber was ist mit morgen? Morgen dürfte gehen.. Ja, morgen geht. Morgen, nach der Schule?"
Mallen will sich tatsächlich mit mir treffen. Ich kann das alles immer noch nicht glauben...! Panik ergriff mich. -Reiß dich zusammen! Bleib ruhig!- wies ich mich schließlich wieder zurecht.
"Gut, morgen ist für mich in Ordnung. Wenn du willst können wir uns bei meiner Baumhöhle treffen. Die kennst du nun, leider.., mittlerweile ja." antwortete ich cooler, als ich es von mir selbst und in meiner Lage erwartet hätte. Mallen lachte, womöglich wegen meiner Bemerkung -leider-.
"Ja, dann bis morgen, Rota! Bei deiner Baumhöhle!"
"Ich freu mich schon.., bis dann, Mallen" verabschiedete ich mich ebenfalls und wunderte mich zutiefst über meine Worte: -Ich freu mich..?- Was war das denn? Sowas hatte ich ja noch nie gesagt! Außerdem sagte mir mein Gefühl, dass ich mich alles andere als darauf freute. Ich hatte jetzt ja schon ein ziemlich mulmiges Gefühl. -Ich freu mich schon-.. Oh Mann! Ich schüttelte den Kopf und machte mich schließlich auch auf dem Weg nach Hause.

Verborgene Kräfte

//Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.\\
Friedrich Nietzsche

Essenz:
-Hoppla, Rota entdeckt Außergewöhnliches an sich-

Auf dem Rückweg nach Hause dachte ich die ganze Zeit über das Gespräch mit Mallen nach. Ich war darüber immer noch ziemlich verwirrt. Was will Mallen von mir? Nie gab es jemanden der sich wirklich für mich interessierte oder der mit mir befreundet sein wollte und nun ausgerechnet... Mallen! Das vielleicht beliebteste Mädchen von ganz Kaven, was zu mindestens für den männlichen Teil von Kaven zutraf. Sie findet es interessant, dass ich mich aufgrund meiner Situation nicht unterkriegen lassen habe. Mir bleibt aber doch gar nichts anderes übrig als das Beste daraus zu machen. Würden denn andere sich anders verhalten? Jeder versucht doch irgendwie das Beste aus seiner Situation zu machen. Oder nicht? Auch habe ich nie daran gedacht, dass ich etwas Besonderes bin. Und wenn es etwas Besonderes an mir gibt, dann ist es nur dieses Feuermal, was mich blöderweise auch noch so unheimlich und teuflisch aussehen lässt. Aber vielleicht ist da wirklich mehr.. und Mallen hat vielleicht doch nicht ganz Unrecht, als sie andeutete, dass in mir mehr stecken könnte als ich nach außen immer zeige und ich mich möglicherweise auch körperlich meiner Haut wehren könnte. Und als ich nun so darüber nachdachte, kam mir nun auch der Gedanke, dass ich tatsächlich auch noch nie richtig an meine Leistungsgrenze gekommen bin. Alles was ich heben und bewegen wollte, habe ich meistens auch ohne weiteres Nachdenken machen können. Warum aber habe ich eigentlich nie richtig ausprobiert, wie stark ich wirklich bin und wo meine Grenzen sind. Jedes normale Kind versucht doch, ob spielerisch oder auf andere Weise, seine Grenzen auszuloten. Das habe ich nie richtig versucht. Warum eigentlich nicht? Gut, ich habe keine Freunde oder irgendwelche Spielkameraden mit denen ich mich hätte messen können. Trotzdem.., merkwürdig ist es schon.
Aber egal, was man noch nicht gemacht hat, kann man immer noch nachholen. Ich werde gleich bei meiner Baumhöhle angekommen sein und dort könnte ich ja mal ausprobieren wo meine Grenzen sind. Klimmzüge wäre vielleicht eine gute Möglichkeit..

Kurze Zeit später erreichte ich dann meine Baumhöhle. Ich kletterte schnurstracks meine Baumhöhle hinauf und fand auch schnell einen geeigneten Ast um daran Klimmzüge zu machen. Beim ersten Klimmzug merkte ich gleich, dass es für mich sehr anstrengend werden würde und ich durchaus viel Mühe hatte mich nur mit meiner Armkraft nach oben zu ziehen. Aber es gelang mir. Der zweite Klimmzug gelang mir ebenfalls, jedoch auch nur mit größter Mühe.. Ächzend schaffte ich auch noch den Dritten. Der vierte Klimmzug wurde dann zu einer echten Herausforderung und ich schaffte ihn nur mit äußerster Willenskraft. Enttäuscht hegrub ich auch langsam meine Hoffnung ungewöhnliche Kräfte zu besitzen. Trotzdem versuchte ich noch den fünften Klimmzug. Und dann passierte etwas Merkwürdiges. Auf halbem Weg, und an einem Punkt wo ich gerade aufgeben wollte, spürte ich auf einmal in meinen Armmuskeln ein minimales Nachlassen meiner Schmerzen, die mich dann wieder etwas höher beförderten und ich mit einem lauten Stöhnen auch den fünften Klimmzug schaffte. Obwohl ich total erschöpft war und meine Arme schmerzten, motivierte mich dies nun wieder auch den nächsten Klimmzug zu versuchen. Auch hier spürte ich, trotz heftiger Schmerzen im Oberarm, dass ich die Schmerzen aushalten konnte und diese sich nicht verschlimmerten. Ich bewältigte daher auch diesen sechsten Klimmzug. Ich versuchte es nun immer weiter und weiter.. Die Schmerzen ließen zwar nicht nach, jedoch schaffte ich alle Klimmzüge. Ich war nun beim dreiunddreißigsten Klimmzug und merkte, dass ich immer noch weiter machen konnte. Erst beim hundertsten Klimmzug hörte ich schließlich auf. Meine Arme schmerzten und brannten höllisch, aber mir war klar, ich hätte noch weiter und weiter machen können.

Scheinbar habe ich tatsächlich Kräfte in mir die ungewöhnlich sind. Ich war begeistert und finde es natürlich fantastisch diese verborgenen Kräfte zu haben, die mir vielleicht noch ganz nützlich sein konnten. Aber wieso und woher habe ich diese Kräfte? Und was kann ich sonst noch alles? Ich kletterte wieder von meiner Baumhöhle herunter und ging zum nächstbesten Baum. Der Baum hatte einen Umfang von rund eineinhalb Schritt. Habe ich die Kraft den Baum zu schütteln oder sogar umzukippen? Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen und kam mir dabei auch ein wenig lächerlich vor, aber ich wollte es jetzt einfach wissen. Ich stämmte mich nun mit aller Kraft die ich aufbringen konnte, mit meinen Händen und meinem Körper gegen den Baum.
Es tat sich nichts.
Ich versuchte mich mit noch mehr Kraft gegen den Baum zu drücken. Nichts! Das einzige was passierte war, dass ich mich selbst vom Baum wegdrückte. Dann wurde mir klar, dass das so ja auch nichts werden konnte. Keine Bodenhaftung!

Ich schaute mich um. Weiter hinten lag ein umgefallener Malvenbaum. Ein Baum, den allerhöchstens ein erwachsener und wirklich starker Mann heben könnte, aber sicherlich nicht ein Junge in meinem Alter. Zwischen Wurzel und Baumkrone stellte ich mich unter dem Stamm. In gebückter Haltung packte ich den Stamm mit meinen Händen und versuchte den Baumstamm nun hochzustemmen. Ich drückte mit aller Kraft und dachte dabei noch.. -was für ein Blödsinn machst du da eigentlich-.. Ich bemerkte wie ich mich selbst tiefer in den Waldboden drückte, aber nur bis zu dem Punkt wo der Boden eine Festigkeit hatte den Druck meiner Füße zu halten. Doch dann, als ich schon fast aufgeben wollte und mit noch mehr Kraft gegen den Baum drückte, bemerkte ich tatsächlich dass sich der Baum etwas bewegte. Dies ermunterte mich dazu noch stärker zu drücken. Dann endlich schaffte ich es diesen Koloss von Baum, zu heben und neben mir wieder fallen zu lassen. Unglaublich! Mein Gott..! Wahnsinn..! Habe ich das wirklich gerade geschafft? Meine Muskeln, Arme, Beine, Rücken brannten und schmerzten.. Aber das war mir in diesem Moment egal. Schmerzen kommen und gehen für gewöhnlich ja auch wieder...

Was mache ich nun mit dem Wissen, dass ich ungewöhnliche Kräfte habe? Setze ich diese ein um mich gegen Jaden und die anderen, die mich täglich schikanieren und ärgern, zu wehren? Was würde passieren? Sie würden vielleicht damit aufhören..., aber ob sie mich dann respektieren würden..? Das wagte ich sehr zu bezweifeln. Ich denke sie würden eher vorsichtiger sein und wenn sich irgendwann dann eine günstige Gelegenheit bietet, dann würden sie diese Gelegenheit vielleicht auch nutzen um mich so richtig fertig zu machen. Nein.., von daher wäre es besser, wenn ich es für mich behalte und geheim halte. Besser und vor allem spannender ist es doch diese außergewöhnlichen Kräfte nur dann, wenn es wirklich notwendig ist einzusetzen. Die Überraschung wäre dann jedenfalls auf meiner Seite. Eigentlich war ich jemand der kaum oder fast nie lächelte, aber in diesem Moment schlich sich dann doch ein Lächeln in meinem Gesicht.

Zuhause

//Allein sein zu müssen ist das Schwerste, allein sein zu können das Schönste.\\
Hans Krailsheimer

Essenz:
-Rota, der Störenfried der Familie-

Als ich schließlich Zuhause ankam war es schon ziemlich spät. Petra, Justin und Sophia hatten bestimmt schon zu Mittag gegessen. Ich hoffte, dass sie nicht auf mich gewartet haben, denn wenn sie gewartet haben, werden sie mir dies bestimmt wieder gerne vorhalten und mich übelst beschimpfen. Wie lange sie doch auf mich gewartet hätten.., was sie nicht alles in dieser Zeit hätten machen können und, und, und. Aber.. egal, sollen sie doch! Diesen Tag, denke ich, können auch sie mir nicht mehr vermiesen.

Wie befürchtet kam mir Justin auch gleich am Hauseingang entgegen.
"Ohh.. da ist ja unser Rota! Kommt so mir nichts dir nichts, wie es ihm halt gerade so gefällt nach Hause und möchte selbstverständlich nun sein Mittagessen vorgesetzt bekommen! Hmm? Ist doch so.. oder?"
Dabei kam er übertrieben nah an mich heran und schaute mir mit einem irren Blick in die Augen.
"Du egoistischer Taugenichts.., weißt du eigentlich wie lange wir wiedermal auf dich Nichtsnutz gewartet haben...?"
Als ich mich gerade versuchte zu erklären, wurde ich auch schon kopfschüttelnd von Justin weggeschupst. Ich prallte gegen die Wand und verlor das Gleichgewicht und fiel schließlich zu Boden. Justin beugte sich nun über mich.., wobei seine ach so wunderschönen, langen, blöden Haare mir ins Gesicht fielen und mir auch noch die Sicht nahmen.
"Du bist so ein..., ach.. das hat sowieso keinen Sinn mit dir!" zischte er, stieß mir noch seine Faust gegen meinen Kopf und ging dann wütend an mir vorbei in sein Zimmer. Wobei er daraufhin noch kräftig die Tür hinter sich zuschlug.

Nun kam Petra aus der Küche und sah mich auf dem Boden liegen. "Rota! Wo um Himmelswillen warst du?" schimpfte sie, "Wir haben so lange auf dich gewartet. Kannst du dir nicht vorstellen, dass wir uns vielleicht auch Sorgen machen, wenn du nicht kommst?" und schaute nun wütend zu mir herunter.
Sie, die sonst immer die Ruhe in Person ist und sich so gut wie nie über etwas ärgert oder aufregt.
Ich schaute schließlich zu ihr hoch.
"Ich musste in der Schule eine Stunde länger bleiben.., das ist alles.. und mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen." und fügte wütend, wie ich war, noch hinzu: "Rechnet doch einfach in Zukunft immer damit, dass ich eine Stunde oder sogar noch später komme, dann braucht ihr euch auch keine Sorgen zu machen."
"Werde nicht auch noch frech! Wir haben dich in unsere Familie aufgenommen und du dankst es uns immer wieder mit deinen ständigen Frechheiten!"
Wir sahen uns nun beide wütend an. Ich entschloss darauf nichts weiter mehr zu sagen. Sie atmete schließlich tief durch und seufzte.
"Komm erst mal hoch und setz dich in die Küche. Du solltest jetzt denke ich erst einmal etwas essen." Das hörte sich schon besser an. Ich stand auf und wir gingen schließlich in die Küche. Wie ich überrascht feststellen musste, saß Sophia noch am Küchentisch. Sophia, so wurde mir jetzt erst bewusst, hatte ich auch schon seit Tagen nicht mehr gesehen. "Hallo Sophia..!" sagte ich so leise und so zaghaft, dass ich mir am liebsten auf der Stelle selbst hätte in den Arsch treten können. Warum bin ich immer so.. duckmäuserisch? Sophia hatte es eigenartigerweise plötzlich eilig. Sie stand mir nichts dir nichts auf, nahm flugs ihre Sachen in die Hand, presste gerade noch ein kurzes "Hallo Rota" aus sich heraus und ging, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, im großen Bogen um mich herum zu ihrer Mutter und gab ihr schnell noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange. "Mumm ich muss jetzt gehen. Hab dich lieb!" sagte sie noch und sah mich dabei kurz noch mit einem geringschätzigen Blick an. Dann verließ sie die Küche und war damit auch schon verschwunden. Eingebildete Ziege!
"Hab dich auch lieb!" rief Petra noch zu Sophia hinterher und schaute mich dann mit einem Blick an, der wohl sagen sollte, dass das wiedermal das typische Ergebnis meines ganzen Verhaltens war.
"Ich hab euch auch ganz doll lieb!" erwiderte ich übertrieben herzlich darauf und sah sie im Gegensatz zu meinem Gesagten alles andere als liebevoll an. Petra atmete einmal tief durch, schüttelte enttäuscht ihren Kopf, faselte noch ein paar Worte zu sich selbst, wie: -"bleib ruhig... lass es einfach... es hat ja doch kein Sinn.."- und ging ohne weiter darauf einzugehen an mir vorbei zum Herd. Sie gab mir schließlich noch den Rest vom verbliebenen Gemüseeintopf, den ich dann komplett auch aufgegessen habe. Petra aber war kurz danach dann auch schnell verschwunden. Sie entschuldigte sich, da ihr noch einfiel, dass sie wohl noch mit ihrer Freundin verabredet war.

Mir war's egal. Ich war sogar froh, dass ich jetzt wieder alleine war und nicht irgendwelche Fragen beantworten oder mir weitere Vorhaltungen anhören musste. Ich hatte nun erstmal wieder meine Ruhe.

Treffen

//Ein schöner Moment ist letztlich der zählt, denn dieser ist es, der für immer hält.\\
-Verfasser unbekannt-

Essenz:
-Mallen und Rota haben gemeinsam Spaß-

Am nächsten Tag nach der Schule war es dann soweit, dass ich zum ersten Mal mit Mallen verabredet war. Zuhause hatte ich Petra gesagt, dass ich heute nicht zum Mittagessen komme und erst gegen Abend da sein werde. In der Schule war heute, bis auf die Tatsache das Jaden mich wie üblich beleidigte und demütigte, ansonsten nichts weiter Nennenswertes passiert. Den ganzen Vormittag war ich schon ziemlich unruhig und aufgeregt gewesen, und je näher der Zeitpunkt unseres Treffens rückte umso nervöser wurde ich. Ich konnte es irgendwie immer noch nicht richtig glauben, dass ich mich mit Mallen nach der Schule treffe. Mit Mallen! Hatte ich sie überhaupt richtig verstanden? Vielleicht hatte sie auch nur gesagt, dass man sich vielleicht mal treffen könnte.., oder so ähnlich. Ich war mir da absolut nicht mehr sicher. Oder hält sie mich doch nur zum Narren? Vielleicht hat sie das alles mit anderen geplant, nur um mich zu veräppeln. Haha! Er hat doch tatsächlich geglaubt Mallen würde sich mit ihm treffen wollen.. Hahaha! Wie blöd muss man sein? Hahahaaa!
Ich konnte mir das zwar nicht wirklich von Mallen vorstellen, aber sicher war ich mir da auch nicht, zumal Mallen ja sogar dafür bekannt war, zu vereinbarten Treffen einfach nicht zu erscheinen.
Und was wäre, wenn alles doch ernst gemeint war und Mallen tatsächlich kommt? Was sollte ich dann mit ihr die ganze Zeit anfangen? Ich wüsste kaum worüber ich mich mit ihr unterhalten sollte, oder was wir sonst so machen könnten. Klettern? Naja, verrückt genug scheint Mallen dafür ja zu sein.
Meine Nervosität erreichte schließlich ihren Höhepunkt als ich meine Baumhöhle erreichte und dann auf Mallen warten musste. Mein Herz donnerte mir gegen die Brust. Fahrig wie ich war, versuchte ich mich ständig irgendwie abzulenken und versuchte unter anderem auch ein paar Verbesserungen an meiner Hütte vorzunehmen. Aber ich merkte schnell, dass ich in meiner gegenwärtigen Verfassung alles eher nur verschlimmbesserte. Ich ließ es daher bleiben und setzte mich auf meinem Stuhl in meiner Hütte. Dann aber endlich hörte ich irgendwann Geräusche und wie jemand sich meiner Hütte näherte.
"Rota?" Das war Mallens Stimme. Sie ist also tatsächlich gekommen. Ich schüttelte meine Angststarre ab, stand auf und ging vor der Tür meiner Baumhöhle.
"Hallo Mallen, warte.. ich lass gleich die Strickleiter runter."
Ich selbst nahm bevorzugt immer gerne den Kletterweg, aber ich hatte auch eine Strickleiter gebaut, um das man damit bequemer die Baumhöhle erreichen konnte. Ich selbst aber hatte nur einmal diese Strickleiter benutzt und das, war auch nur deshalb um zu testen ob die Strickleiter überhaupt funktionierte. Als ich die Strickleiter jedoch gerade herunter lassen wollte, kam Mallen mir aber schon gleich auf dem Kletterweg entgegen. Mallen trug praktischerweise sogar eine Hose. Es war nicht ungewöhnlich in Kaven, das Frauen und Mädchen auch Hosen trugen, aber es kam nicht häufig vor. Ich selbst fand das Mädchen und Frauen allgemein in Hosen eher unvorteilhaft aussahen. Bei Mallen hingegen musste ich zugeben, dass ihr die Hose sehr wohl stand und ihre schöne und athletische Figur dadurch viel besser zur Geltung kam. Als sie dann schließlich kletternd meine Baumhöhle erreichte, sah sie mich kurz und dann die Hütte genauer an.
"Hallo Rota.., tolle Hütte hast du hier! Wahnsinn..!" und sah mich dann mit einem Lächeln erwartungsvoll an. "Und...? Darf ich rein?" fragte sie nun aufgeregt.
Ich ging beiseite und öffnete die Klapptür zu meiner Baumhöhle. Mallen ging rein und schaute sich schließlich in meiner Baumhöhle um. Sie ging wortlos von einem Ausguck zum anderen, sah sich meine bescheidenen Möbel und meinen Liegeplatz genauer an, bis sie sich schließlich auf dem Hocker hinsetzte und mich wieder ansah. Ich selbst war wieder so von ihr fasziniert, dass ich ihren Blick nicht lange standhalten konnte und ich mich schließlich wegdrehte und so tat als ob mich irgendetwas am Rücken juckte.
"Wahnsinn! Und das hast du alles allein gebaut? Schon allein die Größe..., irre! Von außen gesehen wirkt alles viel kleiner und dann hier..., puh, doch so ... ja riesig.. Ich wusste, dass in dir sehr viel mehr steckt als du nach außen hin immer zeigst. Aber das hier.. Ich wette das Ding..., dein Baumhaus hier..., ist sogar absolut sturmfest. Nass wird man hier bestimmt auch nicht, oder?"
"Stimmt, nass... wird man hier nicht." sagte ich nun nicht ganz ohne Stolz.
"Aber wie konntest du so etwas ganz alleine bauen? Wer hat Dir das beigebracht? Dein Onkel?"
"Nee, der nicht", allein die Vorstellung, dass Jaron mir etwas beibringen wollte, war so absurd für mich, dass ich mich schon zusammenreißen musste um nicht laut auflachen zu müssen.
"Ich durfte aber vor zwei Jahren in den Schulferien beim Wiederaufbau des abgebrannten Lagerhauses von der Schmiede mithelfen und da habe ich so Einiges gelernt und mir abgeguckt." beantwortete ich ihre Frage ausgesprochen schmeichelhaft für mich, denn ich hatte damals nicht wirklich freiwillig mitgeholfen. Die Wahrheit war nämlich die, dass ich damals aufgrund einer meiner Dummheiten dazu verdonnert worden bin beim Wiederaufbau mitzuhelfen. In der Hoffnung, in Jaden‘s Gunst vielleicht doch noch mal aufsteigen zu können, sollte ich nämlich die Fenster vom Haus des alten Schmied's Gruben einwerfen. Das hatte ich auch ganz erfolgreich getan. Dummerweise hatte mich jemand dabei gesehen und mich verpfiffen. Und wer dieser jemand war, war mir im Nachhinein auch ganz klar.
Mein Onkel und der alte Gruben einigten sich jedenfalls darauf, dass ich die ganzen Sommerferien, als Wiedergutmachung, beim Wiederaufbau des verbrannten Lagerhauses mithelfen sollte. Die Zeit die ich dann dort erlebten musste, war für mich nicht gerade die angenehmste gewesen. Aber wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, war diese Zeit für mich keine verlorene Zeit, sondern ganz im Gegenteil, eine sehr nützliche und lehrreiche Zeit gewesen.
Sie schaute mich zunächst schweigend an, bis sie dann doch wieder eine Frage stellte. "Wieso hast du diese Hütte eigentlich gebaut? Ich meine.., war es einfach nur.. weil du Lust hattest etwas zu bauen oder gab es hierfür einen besonderen Grund?"
Ja, warum habe ich diese Hütte eigentlich gebaut? Ich überlegte, bis ich schließlich sagte: "Mir hat es auf jeden Fall Spaß gemacht etwas nur für mich zu bauen., naja, und ich denke..., weil ich mir hier auch ein Platz schaffen wollte, wo ich mich einfach wohl und irgendwie sicher fühlen kann."
Sie nickte und schaute dabei wieder aus dem Ausguck. "Kann ich mir gut vorstellen. So einen Ort wünschen sich, glaube ich, viele." sagte sie schließlich und drehte sich wieder zu mir um. "Und..?" sagte sie nun und sah mich mit einem fragenden Blick an, "Was hast du anzubieten?"
"Wie? Was meinst du? Was habe ich anzubieten?" fragte ich nun verdutzt.
"Ich meine.., ich bin doch dein Gast, oder? Und einem Gast bietet man doch für gewöhnlich etwas an.." antwortete sie und schaute mich dabei ein wenig neckisch an.
Ich musste grinsen. "Ich habe gesehen, dass du klettern kannst und ich glaube, dass du das vielleicht sogar gerne machst.. Was hältst du davon, wenn ich dir ein paar wirklich tolle Plätze zum Klettern zeige?"
Sie schaute mich erst überrascht, dann dankbar und freudig an. "Da bin ich dabei! Ich liebe Klettern!"
"Gut!." sagte ich "..dann können wir ja gleich mit diesem Baum anfangen. Wenn wir oben sind, ich kann dir sagen..., die Aussicht ist wirklich traumhaft.. Aber, was sage ich..! Du wirst es ja selbst gleich sehen. ".

Wir machten uns schließlich auf und kletterten dann diesen Baum bis fast zur Spitze hoch. Der Baum gehört zu den höchsten Bäumen in diesem Wald und ist vielleicht fast fünfzig Schritt hoch. Mallen, erwies sich hierbei auch als wirklich geschickte Kletterin. Obwohl ich von ihr auch nichts anderes erwartet habe. Sie war stets in allem was sie machte sehr gut.. und da gab es, soweit ich wusste, bisher auch nie eine Ausnahme. Als wir schließlich oben angekommen waren, genoss sie diesen Augenblick und diese Aussicht. Dieses Glücksgefühl, was sie offensichtlich verspürte, war echt und ich empfand zum ersten Mal ebenfalls einen Moment des Glücks, da ich zum ersten Mal in meinem Leben jemandem eine Freude machen konnte. Das war für mich ein derart schönes Gefühl, was ich so noch nie erlebt hatte. Als wir dann doch irgendwann nach einiger Zeit wieder nach unten geklettert waren und wir uns wieder in meiner Hütte befanden, war es auch schon später geworden, als wir angenommen hatten.
"Ich würde immer wieder gern nach oben zur Spitze des Baums klettern.. Es war.. aufregend und die Aussicht ist dort wirklich atemberaubend schön." schwärmte Mallen immer wieder.
"Wenn du möchtest, können wir das gerne mal wiederholen. Oder nur du, je nachdem wie du willst.. Aber, es gibt zum Klettern auch noch andere schöne Bäume in diesem Wald, die auch so ihren Reiz haben. Und wenn du Lust hast, könnte ich dir die vielleicht auch noch mal gerne zeigen."
"Möchte ich!" sagte sie sofort und grinste mich dabei ziemlich schräg an.
"Mallen.., " ich machte eine Pause und wurde nun ernster "sag mal, warum gibst du dich eigentlich mit mir ab? Irgendwie verstehe ich das nicht. Jeder würde dich liebend gern zur Freundin haben und mit dir die Zeit verbringen.. und du, du verbringst nun deine Zeit mit mir. Mit mir, dem wohl unbeliebtesten und ungeheuerlichsten Typen in ganz Kaven?"
Mallen hob die Augenbrauen und sah mich mit einem nachdenklichen Lächeln an. "Ich finde nicht, dass du ungeheuerlich bist. Ungewöhnlich bist du.. das könnte sein, ja.., aber wie ich dir auch schon gesagt habe.. du bist anders und es ist mit dir nicht langweilig. Ich finde es... irgendwie... spannend wie du so bist und was du so alles machst und kannst. Und die anderen.., Korda, Maja, Greta oder wen ich von meinen sogenannten Freundinnen auch nenne.. Entweder es dreht sich bei ihnen nur um ihr blödes Aussehen oder es geht immer um die gleichen Themen. Als da wären...: Wer von den Jungs am Peinlichsten, am Blödesten, am Tollsten oder was auch immer ist.. Und die anderen Jungs.. naja, die kennst du selbst besser als ich."
"Du langweilst dich?" fragte ich selbst überrascht von mir, dass ich ihr diese Frage gestellt hatte.
Sie seufzte. "Ja, ich fürchte das tue ich... Immer die gleiche Leier, die gleichen Sprüche, das gleiche Getue und Gehabe. Und wenn man sich verändern oder mal was anderes machen möchte, wird man von allen nur blöd angeguckt... - ohh das macht man aber doch nicht- -reiß dich zusammen, was sollen die anderen denken- -du machst dich ja lächerlich..- Bah! Glaub mir.., ich kann es nicht mehr hören. Dabei möchte ich doch nur mal was erleben oder einfach nur einmal was anderes machen.."
Mallen langweilt sich und nun hat sie mich, ausgerechnet mich, als Zeitvertreib ausgewählt. Das erstaunte mich nun doch ein wenig. Ich dachte darüber nach und schließlich fiel mir Jake ein. "Was ist mit den anderen, die zum Beispiel nicht in unserer Klasse sind? Wie beispielsweise Jake Flanders?"

Jake geht in die Sechste und ist damit zwei Klassen über uns. Er ist für viele so eine Art Held. In vieler Hinsicht ist er jedenfalls ein Vorbild. Er gilt als aufrichtig, ehrlich und er besitzt Anstand. Hinzu kommt, dass er auch noch gut aussieht. Er ist zwar kein Schönling, aber er hat eine gewisse Ausstrahlung. Vor ein paar Jahren hatte er sich einmal für einen Jungen eingesetzt, der verbannt werden sollte, weil er angeblich seine Mutter getötet haben soll. Der Junge war nicht gerade beliebt und galt auch als sehr schwierig. In dieser Sache hatte Jake jedenfalls viele gegen sich aufgebracht und musste dabei sogar so Einiges erleiden. Jake hatte aber letztendlich beweisen können, dass der Junge möglicherweise wohl doch nicht der Mörder sein konnte. Warum aber Jake sich für ihn so eingesetzt hat, ist für viele immer noch ein Rätsel. Soweit ich mitbekommen habe, hat der Junge sich wohl auch nie bei Jake bedankt. Er soll ihn im Gegenteil sogar später noch übel beleidigt und beschimpft haben. So erzählt man sich jedenfalls. Aber wie er sich für ihn eingesetzt hatte, hatte Jake viel Respekt und Bewunderung eingebracht.

Mallen überlegte kurz, bis sie schließlich seufzte. "Okay, Jake ist eine Ausnahme. Aber er ist in der sechsten Klasse und er hat bestimmt kein Interesse daran mit mir -kleines Kind- die Zeit zu verbringen!"
Das sah ich zwar anders, denn ich hatte des Öfteren beobachtet wie Jake manchmal unauffällig und heimlich Mallen ansah. Und bei Mallen, wenn ich mich nicht getäuscht hatte, hatte ich ähnliches beobachtet, wie sie nämlich manchmal heimlich Jake beäugte. "Magst du Jake?" fragte ich nun Mallen gerade heraus.
"Ich kenne ihn leider zu wenig, aber was man so von ihm hört, scheint er ganz in Ordnung zu sein. Was hältst du denn von ihm?"
Mir selbst hatte Jake auch schon einmal wegen seiner blöden Mitschüler geholfen, die mich eines Tages aufgelauert und mich an einem Baum gefesselt hatten. Sie wollten mal sehen ob die Haut eines Teufels, die ich ja offensichtlich haben soll, überhaupt brennen kann. Ob zufällig oder nicht, Jake kam. Er war allein und sie waren zu dritt. Jake blieb cool und fragte nur was ich denn getan hätte, dass man mir das hier antun wollte. Wahrheitsgemäß sagte ich natürlich, dass ich gar nichts getan habe. Jake wird von seinen Mitschülern respektiert und es bedurfte auch nicht vieler Worte von Jake und sie ließen mich schließlich in Ruhe. Als die Jake's Mitschüler dann weggegangen waren, bedankte ich mich bei ihm noch. "Idioten gibt's immer! Da kann man wohl nichts machen..., von daher... mach’s gut und pass auf dich auf!" Dann ging Jake weiter.

"Er hat mir vor einiger Zeit mal aus der Patsche geholfen. Er und du seid jedenfalls bisher die Einzigen die mich nicht wie eine Missgeburt oder ein Ungeheuer behandelt haben. Von daher gehört Jake für mich zu einen der wenigen, zu dem ich nichts Schlechtes sagen kann." beantwortete ich schließlich Mallens Frage.
"Ich finde du siehst für eine Missgeburt aber recht passabel aus."
"Mallen..! Ich sehe wie eine Ausgeburt der Hölle aus..!"
"Ach hör auf, Rota! Du magst wegen deiner Gesichtsfarbe vielleicht eine teuflische Erscheinung haben und für viele vielleicht auch unheimlich wirken. Aber..., meiner Meinung nach.. kann auch ein Teufel durchaus gut aussehen und ich finde du siehst für mich zu mindestens... interessant aus." sagte sie augenzwinkernd und mit einem Lächeln.
Ich seufzte und erwiderte schließlich: "Wenn du's sagst.., dann sollte ich mich demnach wohl sogar glücklich schätzen.. oder was?"
Sie nickte "Vielleicht kannst du das sogar und wer weiß was der liebe Gott mit dir sonst noch alles vorhat?"
"Oder.. der Beelzebub!" ergänzte ich leise.
Mallen lachte, "Gut.. was soll‘s.. oder vielleicht auch der.".
"Es ist spät geworden.., Mallen, ich muss mich langsam auf den Weg nach Hause machen."
Mallen nickte. "Ja, ich weiß, ich werde wahrscheinlich schon selbst von meinem Vater zu Hause vermisst."
Mir schwirrten nun viele Gedanken durch den Kopf. Alles hatte sich irgendwie verändert und war nicht mehr so wie es mal war. Es war ein wunderschöner Tag für mich gewesen und ich hatte diesen Tag mit Mallen verbracht und ihr hat der Tag scheinbar ebenso gut gefallen wie mir. Hinzu kommt, das Mallen mich nicht abstoßend findet und mich vielleicht tatsächlich sogar mag. Etwas völlig Neues für mich. Aber wie soll das hier weitergehen? Wie wird sie sich morgen in der Schule mir gegenüber verhalten? Wird sie mit mir reden, wie wir es hier getan haben? Für mich und vielleicht auch für viele anderen Schüler unserer Klasse, insbesondere Jaden und seine Leute, ein unvorstellbarer Gedanke.
"Warte, bevor du gehst, Mallen. Wie wirst du dich morgen in der Schule mir gegenüber verhalten? Ich meine...."
Mallen schaute mich verdutzt an. "Wieso? Ich werde mich natürlich in der Klasse neben dich setzen. Ich meine warum sollte ich mich noch neben der albernen Greta setzen.., wo du mir doch nun viel lieber bist." Dann grinste sie jedoch wieder. "Nein, keine Angst, wenn du willst, dann ist dies hier unser Geheimnis.... Vorausgesetzt ich darf wiederkommen." sagte Mallen.
"Ich würde mich jedenfalls freuen wenn du wiederkommen würdest.." sagte ich.
"Und wann wollen wir uns hier wieder treffen?" fragte sie nun.
"Wann du möchtest."
"Dann nächste Woche? Gleiche Zeit?"
Ich nickte und sagte nur: "Ja, klar!".

Es vergeht ein Jahr...

//In drei Worten kann ich alles zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.\\
Robert Frost

Essenz:
-Was sich in einem Jahr so getan hat-

Und so kam es, dass wir uns öfters und fast regelmäßig in meiner Baumhöhle trafen. Wir erkundeten neue Kletterbäume und nahmen weitere Verbesserungen an der Baumhöhle vor. Wir erweiterten die Hütte sogar um eine weitere Etage, die zwar wesentlich kleiner als die eigentliche Baumhöhle war, aber sich als recht nützlich erwies. Auch nahmen wir häufig Zisko mit, mit dem wir dann häufig den Wald durchstreiften und er immer ein willkommenes Mitglied in unserer kleinen Gesellschaft war.
Mallen redete dabei immer ohne Unterlass. Ich erfuhr so vieles von ihr, dass ich mir manchmal schon einbildete ich würde sie schon mein ganzes Leben kennen. Vor allem redete sie viel über ihrem Vater, dem sie wohl so vieles, was in ihrem Leben gut war, verdankte. Er war ihr großer Rückhalt. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und durfte so sein wie sie war. Er sagte ihr nie, dass sie sich so oder so zu verhalten hatte. Sie konnte machen was sie wollte und waren es auch noch so blöde Sachen. Er verurteilte sie nie und sie genoss sein vollstes Vertrauen. Das einzige jedoch, was sie an ihrem Vater störte war seine Gottesfürchtigkeit. Morgens, mittags, abends betete er und wenn es möglich war, und es für ihn auch sinnvoll erschien, dann auch noch dazwischen. Johnas Goldan war strenggläubig und ihm missfiel es sehr, wenn jemand gegen seine Vorstellungen, was gut und was böse war, verstieß. Immerhin war er gegenüber Andersdenkende noch tolerant genug um deren Ansichten zu respektieren, oder gnädig genug um jemanden eine zweite Chance zu geben, wenn derjenige gegen einer seiner Glaubenssätze verstieß. Mallen selbst, konnte an seiner Frömmigkeit jedenfalls wohl nichts abgewinnen, denn sie sagte nur einmal etwas zu diesem Thema und das war, dass sie Gott selbst nie gesehen habe und er sich ihr auch nie gezeigt hatte und alles andere nur auf Glauben basiert und letztendlich keiner wirklich weiß ob es so etwas wie ein übernatürliches Wesen überhaupt gibt, der all unser Tun und Handeln überwachen und womöglich sogar beeinflussen kann.
Ich selbst konnte ihre Meinung über ihren Vater aber nicht teilen. Die Begegnungen die ich mit Johnas Goldan hatte, waren für mich immer heikel und problematisch gewesen. Obwohl es sich eher nur um Belanglosigkeiten gehandelt hatte, musste ich sonderbarerweise trotzdem zweimal schon zu ihm hin, da er in seiner Rolle als Bürgermeister darüber zu entscheiden hatte, wie man mit meinen Verfehlungen verfährt. Eines war mir aus diesen Begegnungen zu mindestens klar geworden, Johnas Goldan misstraut mir aufs Äußerste und er hält mich vermutlich auch für denjenigen, dem ich scheinbar auch so ähnlich sehen soll. Aber all das sagte ich Mallen natürlich nicht.

Was die Schule anbetraf gaben Mallen und ich unsere Freundschaft nicht zu erkennen. Wir sprachen in der Schule nicht miteinander und halfen uns auch gegenseitig nicht, auch wenn wir, oder besser gesagt ich nur, mal in Schwierigkeiten gerieten. Ich war immer noch ein Außenseiter in der Schule und ließ mich wie sonst auch von den anderen, insbesondere natürlich von Jaden, schikanieren und ärgern. Es machte mir jedoch immer weniger etwas aus. Mallen hingegen pflegte weiter ihren Umgang mit ihren Freundinnen und gab sich so, als würde ich in ihrer Welt nicht existieren. Wir selbst reden auch nur sehr selten über die Schule und was dort vorfiel. Wenn wir uns trafen, dann ging es ausschließlich nur um das, was wir in dieser Zeit machten oder machen wollten. Und Mallen verfügte in dieser Hinsicht über ein nahezu unerschöpflichen Vorrat von Einfällen was man alles so machen konnte. Es war unsere eigene Welt, die wir in den Zeiten unserer Treffen aufgebaut haben und nichts oder niemand sollte uns in dieser Zeit stören.

An den Tagen wo ich mich nicht mit Mallen traf, hatte ich meine verborgenen Kräfte weiter erforscht und diese ausprobiert. Bei den Übungen, die ich dann gemacht hatte, kam ich jedoch immer mehr zu der Überzeugung, dass ich nicht außergewöhnlich stark war, sondern vielmehr nur ungewöhnlich viel an Schmerzen aushalten konnte. Ab einer gewissen Schmerzgrenze hörte der Schmerz bei mir einfach auf zuzunehmen und das wiederum verhilft mir dann Außergewöhnliches zu leisten und gleichzeitig damit auch stärker zu werden. Auch gewöhnte ich mich bei diesen Übungen immer mehr an die Schmerzen. Die Schmerzen waren zwar genauso intensiv wie sonst, aber das Wissen darüber, dass der Schmerz nicht weiter zunahm, ließ mich nun wesentlich mehr leisten, als es vorher der Fall war. Bisher hatte ich meine Kräfte noch keinem gezeigt, aber nach gut mehr als einem Jahr, nachdem Mallen und ich Freunde wurden, sollte es schließlich das erste Mal dazu kommen.

Alles ändert sich...

//Veränderung kann schmerzhaft sein, aber nichts schmerzt mehr, als dort zu bleiben,
wo man nicht hingehört.\\
-Verfasser unbekannt-

Essenz:
-Die Quälgeister bringen Rota in Rage-

Es war ein Spätsommertag und ich war gerade bei meinen Nachbarn Marla und Debbie Gruden gewesen und hatte anschließend Zisko zu meiner Baumhöhle mitgenommen. Heute wollte ich endlich die Sitzbank fertigstellen, die ich schon vor einigen Wochen angefangen hatte zu bauen. Die Baumhöhle war mittlerweile richtig wohnlich geworden und ich konnte mir inzwischen sehr gut vorstellen hier mal zu übernachten oder sogar für einen längeren Zeitraum, wenn es mal die Not erforderte, hier zu leben.

Als ich dann mit Zisko die Baumhöhle erreichte, musste ich plötzlich überrascht feststellen das hier absolut etwas nicht stimmte. Wieso so viel Holz um meinen Baum? Mein Herz fing an schneller zu schlagen. Entsetzen packte mich und ich musste erkennen, dass es das Holz von meiner Baumhöhle war, das überall zerstreut um den Malvenbaum herumlag. Meine Baumhöhle, woran ich über mehr als vier Jahre lang gearbeitet hatte, mein ganzer Stolz, war völlig zerstört. "Nein.., das kann nicht wahr sein" murmelte ich erst zerstreut und wollte das nicht wahrhaben was ich gerade sah. Ich rannte um den Baum herum, ich schaute zum Baum hoch, dann wieder um mich herum.., dann wieder zum Baum hoch. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. "Neiiiin, nein, nein, nein ..neiiiiiin!" brüllte ich dann immer lauter werdend, bis ich schließlich zu Boden ging und meine Augen schloss. Schmerz. Nein, das durfte nicht sein... Ich fing an zu weinen und ärgerte mich gleichzeitig darüber das ich weinte. Weinen tun nur Weichlinge.. Dann, ich wollte gerade aufstehen und nochmal nachsehen was man vielleicht noch gebrauchen konnte, hörte ich Schritte und dann Stimmen, wobei mir eine davon sehr bekannt vorkam.
"Buhuu, buhuu, heul, schluchz.. unser Teufelchen hat keiiine Hütte mehr... ohhh, ohhh, daaas tut mir aber Leid.."
Jaden! Mein Entsetzen und meine Niedergeschlagenheit waren auf einmal wie weggeblasen und rasende Wut beherrschten stattdessen nur noch meine Gefühle. Dieses Mal bist du eindeutig zu weit gegangen, Jaden! Ich drehte mich nun in die Richtung, wo ich Jaden's Stimme gemeint gehört zu haben. Und dann sah ich sie auch schon. Jaden, Pelle, Gero und Alvin kamen gemächlich und betont lässig direkt auf mich zugelaufen. Jeder von Ihnen hatte entweder einen schweren Schlagstock oder einen schweren Hammer in der Hand, mit denen sie mit großer Wahrscheinlichkeit kurz vorher auch meine Baumhöhle zerstört hatten.

"Also ich muss schon sagen.. Rota.. als ich dich gestern mit Mallen hier gesehen habe.., ich wäre fast vom Glauben abgefallen. Die Schöne und das Biest! Ich dachte so etwas gibt’s nur im Märchen. Jeder von uns träumt von so einer Schlampe wie Mallen. Und du? Ich meine.. ausgerechnet du, hast es mit ihr hier jeden Tag offenbar pausenlos getrieben. Das lieber Rota, konnten wir natürlich nicht weiter zulassen. Das ist dir doch klar..? Oder nicht..? Rota? Das musst du doch verstehen. Oder willst du das wieder nicht verstehen und stellst dich wieder bockig?“ dabei starrte er mich die ganze Zeit mit einem fürsorglich aber gleichzeitig auch entgeisterten und irren Blick an, als würde er mit einem Schwachsinnigen reden.
"Und du brauchst mich jetzt auch gar nicht so böse anzuschauen.." fügte Jaden in seinem ironisch selbstgefälligen Ton hinzu.
In meinen Träumen hatte ich mir ja schon unzählige Male und in etlichen Variationen vorgestellt, wie ich mich an Jaden, für all das was er mir angetan hatte rächen würde. Und die meisten Träume davon waren mehr als blutig und auch so abscheulich gewesen, dass ich mich oftmals für diese Gedanken sogar selbst schämte. Aber letztlich waren es nur Gedanken gewesen und wurden bisher auch zuverlässig auf der Ebene meiner Vernunft immer daran gehindert Realität zu werden.
Nun kochte die Wut aber derart in mir hoch, dass ich keinen Zugang mehr zu meiner Vernunftsebene hatte. Ich wollte das Jaden jetzt dafür büßte, und zwar ein für alle Mal.
"Du bist zu weit gegangen.. Jaden!" knurrte ich und stand dabei langsam auf und ging auf Jaden zu.
Jaden blieb unbeeindruckt und schaute mich verdutzt an. "Wie? Ich bin zu weit gegangen? Nee Rota.., nee, nee.., " dann grinste er und sah mich schief an. "ICH bin nicht zu weit gegangen, du verstehst ja immer noch nicht.. DUUhuu dummer Freak bist viel zu weit gegangen. Und WIR wollen das einfach nicht mehr durchgehen lassen. Oder Leute?"
Alvin, Pelle und Gero simmten Jaden zu, in dem sie ihm gleichzeitig alle grinsend zunickten.
"Nein, das können wir wirklich nicht!" gab Alvin dann noch seinen Senf dazu.
Jaden grinste ebenfalls und schlug dabei gelassen und im Takt immer wieder seinen Hammer in seine linke Hand.
Zisko, der die Gefahr instinktiv wohl spürte, die von den vier Eindringlingen ausging, knurrte unentwegt, bis er schließlich auf den größten und stärksten, auf Alvin, zu rannte und ihn bedrohlich anknurrte und anbellte. Alvin zuckte erst zusammen, bis er plötzlich seine rechte Hand hob. Ich erkannte erst jetzt entsetzt, dass Alvin einen Hammer in der rechten Hand hielt.
"Neiiiin!" schrie ich.
Alvin schlug ohne zu zögern, brutal und erbarmungslos zu. Er traf Zisko direkt mit dem Hammer auf seinen Kopf. Zisko gab noch ein kurzes und entsetzliches Jaulen von sich, zuckte dann noch kurz und lag danach nur noch reglos auf dem Waldweg.
"Uiiii, habt ihr das gesehen..." gab Alvin dann noch überrascht lachend von sich. Meine ganze Wut und Aufmerksamkeit richtete sich nun mit einen Schlag von Jaden auf Alvin. Mörderische Wut packte mich jetzt. Ich blickte in Alvins Augen. Augen die scheinbar meinen Zorn nun wahrnahmen und nun doch etwas wie Furcht erkennen ließen. Ohne nachzudenken schlug ich zu und ich schlug mit aller Wut und Kraft die ich in diesem Moment aufbringen konnte zu. Ich traf Alvin direkt mit meiner Faust in sein Gesicht. Es knackte und ich spürte, dass so mancher Knochen in seinem Gesicht dabei brach. Alvin's Kopf, nein, sein ganzer Körper flog nach hinten, fiel und blieb dann reglos liegen. Meine Hand signalisierte mir Schmerzen, die ich jedoch in diesem Moment völlig ignorierte. Ich spürte etwas Genugtuung, jedoch reichte dieses Gefühl bei weitem nicht aus, um mich auch nur etwas besser zu fühlen. Ich wendete mich daher wieder Jaden zu. Jaden schaute mich verwirrt an.., so als wollte er das absolut nicht glauben, was er soeben tatsächlich mit ansehen musste. "So Jaden., und nun zu dir.." sagte ich nun zu allem entschlossen und wollte mich gerade auf ihm stürzen. Dann jedoch spürte ich, das jemand hinter mir herangelaufen kam. Gerade als ich mich umdrehen wollte, um zu sehen wer sich mir näherte.., spürte ich nur noch einen blitzartigen, dumpfen und entsetzlichen Schmerz an meinem Hinterkopf. Dann war nur noch Dunkelheit... und ich war... weg.

Kerker

//Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt.\\
Hermann Hesse

Essenz:
-Rota's böses Erwachen im Kerker-

Es war stockduster als ich langsam wieder zu mir kam. Mir war kalt und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er kurz vorm Platzen.. Diese Schmerzen! Was war passiert? Und dann dämmerte es mir plötzlich wieder.. Zisko! Meine Baumhöhle! NEIN! Ich erinnerte mich nun allmählich wieder an alles. Ich biss die Zähne zusammen, so als ob die schmerzlichen Erinnerungen, die ich nun verspürte, irgendwie damit verdrängen könnte. Hatte ich Alvin in meiner Wut wirklich erschlagen? Ich kann es mir jedenfalls gut vorstellen, dass er diesen Schlag nicht überlebt hat. Ich traf ihn mit einer solchen Wucht, dass er regelrecht nach hinten flog und sich nach diesem Schlag nicht mehr rührte. Auch jetzt kann ich in meiner Hand noch spüren, wie seine Knochen in seinem Gesicht brachen. Es war nicht so, dass ich diese Tat wirklich bereute, denn Alvin war für mich jemand gewesen, der es nicht besser verdient hatte. Er hatte Zisko getötet und das hatte ihm scheinbar sogar Spaß gemacht. Grund genug für mich, ihm keine Träne hinterher zu weinen. Aber möglicherweise hatte ich nun auch etwas von meinen Fähigkeiten verraten, so das Jaden und die anderen nun vor mir gewarnt sein könnten.
Egal.., das sollte erstmal zu meinen geringsten Problemen gehören. Wo bin ich hier überhaupt? Zuhause bin ich jedenfalls nicht. Es war so dunkel hier, dass ich kaum etwas sehen konnte. Das einzige Fenster, das es in diesem Raum gab, war so hoch gelegen, dass meine Größe bei weitem nicht dazu ausreichte um daraus schauen zu können. Hinzu kam, dass das Fenster sehr klein war und nur sehr wenig Licht in diesem Raum herein ließ. Auch musste ich nun feststellen, dass ich auf etwas sehr Hartem lag. Eine Liege, ohne Matratze und Decke. Und dann roch es hier auch noch sehr unangenehm nach Urin und anderen Fäkalien. Schließlich erkannte ich, trotz der Dunkelheit, dass an der Tür Gitterstäbe waren und mir wurde langsam klar wo ich war. Ich war im Kerker der Zitadelle von Kaven.

Ich schloss die Augen und fiel wieder in einen unruhigen Schlaf. Irgendwann später wurde ich wieder wach und hörte Schritte und anschließend das Geräusch einer Klappe, durch die etwas geschoben wurde. Das könnte meine Essensration hier im Kerker sein. Da ich neugierig war und großen Hunger hatte, raffte ich mich auf, um mir das genauer anzusehen. Mein Kopf dröhnte und mir war ganz schwindelig. Ich fasste mich an meinem Kopf. Er fühlte sich ziemlich feucht an. Ich vermutete, dass das mein Blut war, was sich so nass anfühlte. Meine Befürchtung bestätigten sich, als ich meine feuchten Finger zum Mund führte und Blut schmeckte. Sie hatten sich noch nicht einmal die Mühe gemacht meinen Kopf zu verbinden. Ein Grund mehr der dafür sprach, dass ich hier wohl wegen eines schweren Verbrechens eingesperrt war. Mit viel Mühe und Gestöhne schaffte ich es schließlich aufzustehen und mich zu dieser Zelleneingangstür zu schleppen. Und als ich dort ankam, stand tatsächlich eine Schale mit einem flüssigen Inhalt auf dem Boden. Ich nahm die Schale in die Hände, und was auch immer da drin war, es roch nach nichts und war kalt. Mich ekelte davor. Trotzdem versuchte ich den Inhalt der Schale so schnell wie möglich runter zu schlucken. Die Pampe war schleimig, fleischlos, ohne irgendwelches Gemüse und ohne irgendeinen erkennbaren Geschmack. Aber entgegen meinen Befürchtungen war der Inhalt doch essbar gewesen und stillte meinen Hunger etwas.

Aber warum esse ich überhaupt noch? Alles woran ich Freude hatte, hatte ich ja nun verloren. Meine Baumhöhle, woran ich tagtäglich mit Freude und Stolz daran gearbeitet hatte; Zisko, mein treuer und einziger Freund, mit dem ich so viel Spaß hatte und er mir stets das Gefühl gab, dass ich für ihn wichtig war; und natürlich Mallen, die mir eine richtige Freundin geworden ist, eine Freundschaft, wie ich sie nie zu hoffen gewagt hätte. Mallen, die mich mit ihrem Lächeln, ihrer Erscheinung und ihrer Art, wie sie sich gab immer wieder aufs Neue bezauberte.
Vermutlich wird ganz Kaven nun von unserer Freundschaft wissen und mehr darin sehen wollen als es letztendlich der Fall war. Klar, dass Mallen und ich uns niemals wieder werden treffen können. Denn das wird man mit Sicherheit nicht mehr zulassen und ganz bestimmt nun auch zu verhindern wissen.
Alle hielten mich vermutlich jetzt für einen Mörder. Und selbst ich musste zugeben, dass ich mich da kaum herausreden konnte. Ich habe Alvin in meiner Wut erschlagen. Nichts anderes. Und es war ja nicht mal so, dass ich ihn in jenem Moment nur bestrafen wollte, weil er Zisko getötet hatte. Nein, ich wollte ihn dafür töten. Und das ich das wahrscheinlich auch noch geschafft habe, tut mir auch jetzt immer noch nicht wirklich leid. So gesehen, bin ich dann wohl auch ein Mörder und werde dafür mit Sicherheit auch noch zur Rechenschaft gezogen werden.
In der Regel machte man mit einem Mörder kurzen Prozess, dass wusste ich. Man hängte ihn für gewöhnlich. Aber ich bin erst fünfzehn und somit konnte und durfte ich nach dem Gesetz noch nicht gehängt werden. Mit Sicherheit dürfte ich aber mit einer Verbannung rechnen, was aber letztendlich auch einem Todesurteil gleichkommen dürfte. Ohne den Schutz des Bundes der freien Länder, wozu Kaven gehörte, war das Überleben schwierig und sehr gefährlich. In der Wildnis, wohin man schließlich verbannt wurde, soll es viele Gesetzlose geben. Gefährliche Tiere, wie giftige Schlangen, Wölfe, Bären, erschweren das Leben in der Wildnis obendrein. Und dann gibt es natürlich auch noch die Krasianer. Krasien soll ein barbarisches Volk mit grausamen Gesetzen und einer abergläubischen Kultur sein. Man erzählt sich, dass die Krasianer nur starke und gesunde Kinder akzeptieren. Kinder die missgebildet oder häufig krank waren, werden angeblich von der Gemeinschaft ausgeschlossen und sich selbst überlassen. Und dann sollen auch regelmäßig dort Opferrituale abgehalten werden, um in Notzeiten die Götter milde zu stimmen. Einer wie ich, wäre für die Krasianer auch wohl das geborene Opfer und somit wäre Krasien, sollte ich in die Wildnis verbannt werden, auch keine Alternative oder Rettung für mich. In der Wildnis herrschte reinste Anarchie und wer schwach oder schutzlos war, hatte dort auch keine Chance zu überleben.

Die Verbannung wäre somit eine ziemlich schwere Strafe. Schlimmstenfalls müsste ich sogar damit rechnen, dass man mich zum Teufel jagt. Das Urteil "Zum Teufel jagen" wurde bisher nur bei Erwachsenen verhängt und auch nur bei denen, die ein besonders schweres Verbrechen begangen hatten. Die Bürger, die Opfer dieser Verbrechen waren oder sonst irgendeinen einen Groll gegen den Täter hegten, bekamen bei dieser Strafmaßnahme die Gelegenheit den Verurteilten für seine Taten zu bestrafen und ihn wortwörtlich zum Teufel zu jagen. Die Bürger die sich hieran beteiligen, wurden Adjutoren genannt. Die Stadt stellte für jeden der daran teilnahm am Tag der Verurteilung einen Stock, der allgemeinhin auch als Treiber bezeichnet wurde, bereit. In der Regel handelte es sich um einen Weidenstock von gut einem Schritt Länge und der Dicke eines erwachsenen Daumens. Andere Mittel und Waffen waren für diese Strafmaßnahme nicht zugelassen, da wohl die Gefahr zu hoch war den Verurteilten zu schnell zu töten und es sich dann wohl nicht mehr um eine Vertreibung handeln würde. Hinzu kam, dass der Verurteilte diese Art der Vertreibung auch noch splitternackt über sich ergehen lassen musste. Die Chancen, dass der Verurteilte diese Bestrafung überlebte, waren bestenfalls unwahrscheinlich zu nennen. Die meisten, die diese Art der Bestrafung über sich ergehen lassen mussten, schafften es nicht mal bis zur Grenze von Kaven und die, die schnell und stark genug waren und es tatsächlich sogar in die Wildnis geschafft hatten, fand man meistens kurze Zeit später tot und erbärmlich ausgemergelt irgendwo an der Grenze Kavens wieder.

Dass man mich zum Teufel jagen könnte, konnte ich mir aufgrund meiner Beliebtheit in Kaven ebenso gut vorstellen. Warum also kämpfe ich überhaupt noch um mein Leben hier? Es gibt nichts mehr, was mein Leben hier erträglich machen könnte und meine Aussichten sind gelinde gesagt einfach nur erschreckend zu nennen. Trotzdem will ich nicht verurteilt werden und möchte nicht sterben. Warum? Ist es Hoffnung, so klein sie auch sein mag, dass sich alles doch noch zum Guten wenden könnte und ich irgendwann mal ein Leben führen kann, wie ich es mir erhoffe. Ich möchte es gerne glauben, aber wirklich glauben tue ich daran nicht mehr. Oder sind es meine andauernden Rachegedanken? Könnte ich mir dagegen schon eher vorstellen. Ich würde gerne wissen wollen, wer und wie weit sie gehen werden, um mich bei einer eventuellen Verurteilung, zu bestrafen. Und dann.., soweit ich das dann irgendwie auf wunderbare Weise überleben sollte, würde ich mich an all die rächen wollen, die mein Leben hier besonders zur Hölle gemacht haben. Vielleicht war das hier, auf dieser Welt, ja sogar meine Bestimmung und der Grund warum ich so bin, wie ich nun mal bin. Aber würde ich überhaupt so weit kommen? Die Chancen die Verbannung, oder erst recht das "zum Teufel jagen" zu überleben waren sehr gering und in meinem Fall mehr als unwahrscheinlich. Zu guter Letzt könnte es auch einfach nur die Angst selbst sein, sein gewohntes, wenn auch wie in meinem Fall erbärmliches Leben zu verlieren und die Angst vor dem Ungewissen zu haben. Denn, wer weiß denn schon wirklich, was uns nach dem Tod erwartet.

1. Besuch Johnas Goldan

//Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.\\
Friedrich Nietzsche

Essenz:
-Rota erfährt, dass man ihm eines weiteren Verbrechens beschuldigt-

Johnas Goldan war der erste der mich hier im Kerker aufsuchte, um mit mir zu sprechen. Ich wusste nicht genau wieviel Zeit vergangen war, aber den Mahlzeiten nach zu urteilen musste es der zweite oder dritte Tag meiner Haft gewesen sein, als jemand an meine Zellentür klopfte.
"Rota Gevill, ich bin der Bürgermeister von Kaven, Johnas Goldan. Ich habe Ihnen etwas zu sagen."
Johnas Goldan, Mallens Vater? Ich ging zur Kerkertür und erkannte durch das kleine Guckloch in der Zellentür, dass es tatsächlich unser Bürgermeister Johnas Goldan und somit auch Mallens Vater war. Hoffnung keimte in mir auf.
"Bürgermeister Goldan, ich.. Was? Nein, ähh.. Warum bin.." begann ich vor Aufregung zu stottern.
"Seien sie still!" beendete er jedoch gleich und energisch mein Gestammel, "Ich habe die Aufgabe ihnen zu erklären, warum sie hier sind und was sie in nächster Zeit auf sie zukommt. Sie werden beschuldigt Alvin von Hagenen vorsätzlich getötet zu haben."
Also doch. Alvin ist tot und ich habe ihn getötet. Ich wollte ihm gerade meine Gründe zu dieser Tat erklären, als der Bürgermeister dann auch schon wieder weiter sprach.
"Weiter werden sie beschuldigt Mallen Goldan, meine Tochter, heimtückisch in ihre Hütte gelockt zu haben um sie dort für ihre Gelüste zu missbrauchen. Das sind.."
Mir klappte die Kinnlade runter. "Ich soll was?" fing ich an zu protestieren.
Doch Jonas Goldan ging erst gar nicht darauf ein und redete einfach weiter "..schwere Anschuldigungen und dafür werden sie sich vorm Kavener Tribunal verantworten müssen. Überlegen sie also gut, was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen haben." Johnas Goldan sagte dies kühl, distanziert und ohne jegliche Emotionen. Allein schon, dass er mich wie einen Erwachsenen siezte ließ mich erschauern. Aber das ich auch noch beschuldigt wurde, dass ich versucht haben soll Mallen zu misshandeln, schockierte mich bis ins Mark. Mallen müsste ihren Vater doch mittlerweile erklärt haben was sich wirklich zwischen uns zugetragen hat.
"Ich habe Mallen gar nichts getan! Das müssten sie doch nun am besten wissen." protestierte ich, wütend wie ich war, nochmals lauthals auf.
"Was sie wirklich getan haben, steht hier gar nicht zur Debatte... Verstanden? Ich habe gesagt sie werden beschuldigt das getan zu haben. Aber wenn sie mich persönlich fragen, bei ihrer Vergangenheit und ihrem Ruf, da wundert mich eigentlich gar nichts." sagte er mit eine Deutlichkeit und einer Schärfe in der Stimme, die keine Widerworte duldeten.
"Kennen sie das Prozedere eines Tribunals?" fragte er nun wieder in einem sachlicheren Ton.
Ich wusste wie so ein Prozess abläuft, denn wir hatten so einen Prozess auch schon in einen unserer Schulstunden durchgenommen und sogar in so einer Art Simulation nachgespielt. Nach dem man die förmlichen Voraussetzungen für die Abhaltung eines Tribunals geprüft hat und diese erfüllt wurden, werden dem Richter die Anklagepunkte, die gegen den Angeklagten erhoben wurden, vom Bürgermeister vorgetragen. Anschließend werden die Zeugen vom Bürgermeister aufgerufen, die diese Anklagepunkte stützen. Soweit dann diese Zeugen angehört bzw. vernommen wurden, hat der Angeklagte nun die Möglichkeit sich hierzu zu äußern und kann gegebenenfalls Gegenzeugen nennen, die er natürlich bereits vor der Verhandlung dem Bürgermeister oder seinen Gehilfen mitgeteilt haben muss, damit diese Zeugen am Tribunal zugelassen werden können.
Soweit es Gegenzeugen gibt, werden diese vom Bürgermeister aufgerufen und anschließend vernommen. Nach Anhörung der Gegenzeugen berät sich der Rat, der mindestens zu achtzig Prozent anwesend sein muss, zu einem Urteilsvorschlag. Sobald der Rat sich dann geeinigt hat, teilt der Ratsvorsitzende dem Richter deren Ergebis mit. In der Regel akzeptiert der Richter diesen Urteilsvorschlag. Tut er es nicht, muss er sein eigenes Urteil darlegen und begründen. Das Urteil des Richters, dass im Gegensatz zum Rat steht, wird rechtsgültig, sobald der Bürgermeister diesem Urteil zustimmt oder mindestens ein Viertel des Rates.

"Ich kenne den Ablauf" sagte ich schließlich.
"Dann wissen sie, dass sie nun die Chance haben, mir ihre Ansicht zu diesen Anschuldigungen darzulegen und mir eventuell auch Zeugen zu nennen, die ihre Aussagen dann natürlich auch bestätigen können."
"Jaden, Pelle, Gero und Alvin haben aus Jux und Dollerei meine Baumhütte zerstört und als Alvin auch noch aus reiner Belustigung Zisko mit einem Hammer erschlagen hat, war ich so wütend gewesen, dass ich ihn wohl tatsächlich erschlagen habe. Aber Mallen habe ich gar nichts angetan oder versucht.. Wir sind schon länger befreundet! Und was die Zeugen anbetrifft.. Ich denke.., sie wissen ganz genau, wen ich nur als Zeugin benennen kann!" schnauzte ich ihn nun wütend an.
"Nein, nicht das ich wüsste.." erwiderte er kurz und knapp.
"Das Opfer selbst.. Ihre Tochter Mallen! Das wissen sie genau.."
Johnas Goldan schloss kurz die Augen und schaute mich nun mit einem eindringlichem Blick seltsam an.
"Hör mir mal gut zu...", sagte er beängstigend leise. Er kam nun ganz dicht an die Kerkertür und schüttelte dabei leicht den Kopf.
"Nichts wird Mallen sagen. Sie hat mir bereits alles ganz genau erzählt, wie es dazu kam, wie du sie reingelegt hast und wie du versucht hast sie für deine perversen Gelüste zu missbrauchen. Und noch eins. Sie wird als Zeugin im Gericht niemals aufgerufen werden. Dafür habe ich schon gesorgt. Sie hat schon genug gelitten. Verstehst du..? Ich werde höchstpersönlich selbst an ihrer statt als Zeuge aussagen und dem Tribunal mitteilen, was du getan hast und wie du versucht hast.. meine Tochter! in deine Höhle der Sünden zu locken, um sie dort zu schänden.. Das versprech ich dir! Hast du mich verstanden? Du.., du Ausgeburt der Hölle!"
Als er das gesagt hatte spuckte er noch auf den Boden, wahrscheinlich um seine Abscheu gegen mich noch zu verdeutliche. Dann ging er.
Entsetzt und schockiert von dem was Mallens Vater zu mir gesagt und wie er sich mir gegenüber verhalten hat, wusste ich nichts mehr darauf zu erwidern. Ich glaubte ihm jedoch kein einziges Wort. Eins wurde mir nun aber ziemlich klar. Die Meinung, die ich jetzt über Mallen's Vater habe und die Mallen über ihren Vater hatte oder vielleicht sogar noch hat, klafften jedenfalls sehr weit auseinander.

2. Besuch Onkel Jaron

//Eine Person zu verlieren – weil man so ist, wie man ist – stellt keinen Verlust dar.\\
-Verfasser unbekannt-

Essenz:
-Rota's Onkel möchte gerne von Rota wissen, warum er immer wieder seine Familie in Schwierigkeiten bringt-

Es verging wieder einige von diesen eintönigen und geschmacklosen Mahlzeiten, bevor mein nächster Besuch kam. Mir ging es mittlerweile etwas besser. Meine Kopfschmerzen waren fast weg und die Schmerzen an meinen Rippen, Rücken und Schulter waren inzwischen auch erheblich besser geworden. Blieben aber immer noch die Kälte, die grausame Langeweile und der Gestank in dieser Zelle, die mich hier noch ziemlich plagten. Für meine Notdurft stand mir hier ein Holzeimer zur Verfügung, der wohl nur dann entsorgt wurde, sobald dieser randvoll war und manchmal sogar begann überzulaufen. Die Kälte und Langeweile versuchte ich durch Leibesübungen wie Liegestütz, Kniebeugen, Handstand, auf der Stelle laufen und andere Übungen zu bekämpfen. Meinen Tagesablauf mit geplanten Bewegungseinheiten zu füllen, gehörte bisher nie zu mir oder zu meinem gewohnten Alltag. Aber hier in diesem Kerker verlangte mein Körper einfach nach Bewegung und sie wurde damit auch zu einer meiner wichtigsten und notwendigsten Beschäftigungen hier. Inzwischen beherrschte ich den Handstand auch schon so gut, dass ich mittlerweile dazu übergegangen war auf meinen Händen zu laufen.

Als ich gerade damit beschäftigt war zum vielleicht hundertsten Mal die Mauersteine in meiner Zelle zu zählen, hörte ich Stimmen und Schritte, bevor ich dann die Stimme meines Onkels Jaron erkannte. Was will der denn hier? Fragte ich mich. Schließlich hörte ich ein eher zögerliches Klopfen an der Kerkertür.
"Rota, hörst du mich? Ich bin‘s..., Jaron, dein Onkel." sagte er so leise, dass sonst kein anderer, außer mir, ihn hören konnte.
Ich ging zur Tür und schaute durch das Guckloch. Ich erkannte ihn jedoch erst auf dem zweiten Blick. Jaron sah ungewöhnlich abgekämpft aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen. Tiefliegende und sorgenvoll dreinschauende Augen. Konnte es tatsächlich sein, dass er sich Sorgen um mich machte?
"Ich höre dich... was.., was willst du?" fragte ich schließlich.
Er seufzte "Eigentlich weiß ich selbst nicht genau was ich hier will..., vielleicht möchte ich das alles auch nur verstehen." er machte eine Pause, senkte seinen Kopf bis er ihn dann wieder erhob und mir direkt in die Augen sah. "Ich will verstehen warum du das getan hast, warum du so bist wie du bist, was wir dir angetan haben, dass du immer wieder solche Sachen machst. Ich meine wir haben alles für dich getan. Wir haben dich doch in unsere Familie aufgenommen, dir einen Platz in unserer Familie in unserem Leben gegeben. Wir haben dich ernährt.., unsere Zeit für dich geopfert, dir eine Ausbildung ermöglicht.. und, und, und... Und was machst du? Du trittst alles mit Füssen, ziehst uns in den Dreck und bereitest uns nur Sorgen.. und jetzt das! Mein Freund Johnas Goldan..! Wie soll ich ihm jetzt noch unter die Augen treten können? Oder Robert..., der Vater von Jaden. Du hast Jaden's besten Freund ermordet! Den besten Freund von Robert Grat's Sohn! Verstehst du überhaupt, was das nun für ein schlechtes Bild auf mich wirft und was das noch für Folgen für mich haben wird. Hast du darüber überhaupt mal nachgedacht? Oder ist dir das alles egal?!" schrie er mich in einer gezügelten Lautstärke an.
Ich ging von der Tür weg und legte mich wieder langsam auf meine harte Kerkerliege. Onkel Jaron beruhigte sich wieder ein wenig und sprach nun etwas beherrschter weiter: "...aber vielleicht musste es auch einfach so kommen und es ist einfach nur dein Schicksal so zu enden... Aber warum? Ich verstehe das nicht. Rota! Warum machst du immer so etwas? Warum? Sag es mir..., damit ich es verstehen kann, bitte!"
Als ob ich -so etwas- immer und alltäglich tue. Mir wurde schlecht und ich wollte diesen selbstgefälligen Holzkopf nur noch loswerden. Und da er nicht damit aufhörte mir immer wieder diese Frage zu stellen, konnte ich schließlich nicht mehr an mich halten und beantwortete ihm einfach seine blöde Frage.
"Weil du Holzkopf es einfach nicht besser verdient hast! Deswegen habe ich das alles gemacht!." und fügte dann noch lauter werdend hinzu.. "..und, weißt du was? Der Leibhaftige selbst hat mich geschickt um dich IDIOT dafür zu STRAFEN!!!!!"
Ich glaube ich hatte damit den Nerv meines Onkels scheinbar getroffen. Entsetzt brüllte er nun jedenfalls... "Das! Das wirst du bereuen... hörst du mich? Das wirst du bereuen...! Du Teufel! Ich wollte es nie wahrhaben... aber es ist genauso wie die meisten schon sagen. Du bist ein Teufel..! Eine Ausgeburt der Hölle! Ja, genau das bist du! Eine Ausgeburt der Hölle!" Dann, nach einem kurzen Moment der Stille, scheinbar versuchte er sich wieder zu beruhigen, jammerte er, nun jedoch erheblich ruhiger und gefasster, wieder weiter.. "Das hat man nun von seiner Gutmütigkeit. Ich habe dich in der Not in meine Familie aufgenommen.... Ich hätte es besser wissen müssen.." Schließlich ging auch er wieder weg. Ich legte mich wieder auf die Kerkerliege und fühlte mich wieder etwas besser.

3. Besuch Jaden Grat

//Auf böse Menschen ist Verlass. Sie ändern sich wenigstens nicht, und wenn doch, dann kann es nur besser werden..\\
-William Faulkner-

Essenz:
-Jaden freut sich und ist gemein-

Schätzungsweise war ich inzwischen eine Woche hier in diesem Kerker eingesperrt. Mir kam es aber so vor, als wäre ich mindestens schon einen Monat hier. Abgesehen von den bisherigen Besuchen, passierte hier so gut wie gar nichts. Die einzigen Abwechslungen waren die unregelmäßigen Mahlzeiten, das Entleeren des Holzeimers und der Wechsel von Tag und Nacht, der sich hier nur als dunkel und stockdunkel zeigte. Die Wärter schoben oder holten zwar durch die untere Türklappe immer etwas, zeigten sich mir jedoch nie und sprachen auch nicht mit mir. Einzig das Geheule und Gejammere der Mitgefangenen erinnerte mich daran, dass ich nicht der Einzige in diesem Gebäude war. Kurz gesagt, die Zeit verging hier quälend langsam. Paradoxerweise lässt sich die Zeit hier aber nur an sehr wenigen Momenten festhalten. Ich war bisher immer davon ausgegangen, nur dann, wenn sich etwas ereignete, würde die Zeit langsamer vergehen, da man sich im Nachhinein besser daran erinnern konnte. Aber das gilt vielleicht auch nur in der Nachbetrachtung. Wenn kaum etwas passiert, vergeht die Zeit in dem Moment langsam, aber im Nachhinein vergisst man wohl auch eher diese Zeit, so als wäre sie nie geschehen. Aber eins weiß ich mit Sicherheit, sollte ich das alles hier irgendwie überleben, ich werde nie vergessen wie quälend langsam die Zeit hier im Kerker verging. Dann aber, nach vier oder fünf weiteren Mahlzeiten nach dem Besuch meines Onkels, wurde mein Dasein hier durch einen weiteren Besuch versüßt.

Ich versuchte gerade, zum vielleicht hundertsten Male, so hoch zu springen, dass ich mit meinen Händen die untere Kante des Fensters erreichen konnte, um mich dann daran festzuhalten, mich hochziehen und um dann endlich mal wieder etwas anderes sehen zu können als diese andauernde Dunkelheit hier. Leider verfehlte ich dieses Ziel jedes Mal um mehr als eine Handslänge. Als ich gerade neu zum Sprung ansetzen wollte, hörte ich Schritte und dann wie jemand mit dem Fuß mehrmals kräftig gegen die Kerkertür trat.
"Hallöchen Rota..! Na wie geht's? Wirst du hier gut versorgt?"
Das war Jaden's Stimme. Erst Jonas Goldan, der alles daran setzt, dass man mich für schuldig verurteilt, dann mein Onkel, der es sich wohl nie verzeihen wird mich jemals in seiner Familie aufgenommen zu haben und nun Jaden, der zum großen Teil für all dies verantwortlich war. Wer kommt als nächstes zu Besuch? Der Leibhaftige persönlich?
Jaden!? Was will er hier? Ich ging nun so leise wie möglich zur Kerkertür und entschloss erstmal gar nicht auf seine blöden Fragen einzugehen.
"Rota? Willst du mich denn gar nicht begrüßen? Ich hoffe du bekommst alles was du brauchst. Du musst nämlich wissen, dass ich mir schreckliche Sorgen um dich mache. Was ist, wenn du nun verbannt wirst? Nein, nein, nein, ich mag mir das gar nicht ohne dich hier vorstellen. Du hast mich immer so gut unterhalten.. und wenn du dann für immer in dieser Wildnis... oh neiin.! Das darf einfach nicht passieren! Aber weißt du was ich nun häufig höre...?" fragte er und wartete auf eine Antwort von mir. Da ich mir jedoch vorgenommen hatte diesmal nicht auf seine blöden Fragen und sein Gerede einzugehen, redete er schließlich nach einer kurzen wieder weiter. "Nein, weißt du's nicht? Dann werde ich es dir sagen. Viele wünschen sich, dass man dich zum Teufel jagt.. Oh ohh.. Weißt du was das bedeutet, dieses zum Teufel jagen?"
Ich gab keine Antwort.
"Nein..? Weißt du's nicht? Also ich will dir das mal so erklären: Sie werden dich gaaanz nackig machen und dann werden alle Bürger, mit so ‘nem Stock, dir mal kräftig die Leviten lesen und dir ganz genau zeigen wo du hingehörst. Verstehst du?.. Zeigen wo du hingehörst.. Haha.. wo du hingehörst. Der Prozess soll dir glaube ich auch wohl schon morgen gemacht werden. Kann ich dir bis dahin noch irgendwie etwas Gutes tun? Rota?! Ich find das jetzt nicht gerade.. besonders nett von dir, dass du nun gar nicht mit mir reden willst. Dabei will ich doch nur helfen.." Dann klopfte er wieder gegen die Kerkertür. "Rota..? Hallo?.... Ach! Ich Blödi! Da fällt mir doch noch was ein. Ähm Mallen, deine kleine Schlampe.. hat mir noch eine Nachricht für dich mitgegeben.. Möchtest du diese Nachricht haben und wissen, was sie dir noch zu sagen hat? Willst du sie haben, die Nachricht..? Du musst dann aber schon etwas näher zu mir kommen, damit ich sie dir geben kann."
Jaden wird garantiert keine Nachricht von Mallen für mich haben, aber ich ging trotzdem näher zu ihm. So nah, dass ich direkt durch das Guckloch der Kerkertür sehen konnte. Jedoch konnte ich nur seine Handinnenfläche sehen, die er vor dem Guckloch hielt. Dann plötzlich zog er seine Hand weg und rotzte mich schließlich direkt und voll ins Gesicht.
"Rota! Wir werden dich sowas zum Teufel jagen.. Hörst du? Wir werden dir deine verdammte Teufelshaut über die Ohren ziehen, du Missgeburt.. aus der Hölle. Hörst du mich?"
Ich wischte mir seinen Rotz vom Gesicht, blieb reglos und schwieg weiterhin. Das wirst du noch bereuen, Jaden, irgendwann wirst du für all das, was du mir angetan hast, dafür noch büßen.
Jaden verließ daraufhin lachend und johlend den Kerker. Ich jedoch sagte kein einziges Wort zu ihm. Ich hoffte nur, dass ich das hier irgendwie überleben würde. Und dann werden wir ja sehen ob du dann immer noch so lachen kannst. Dann musste ich jedoch wieder darüber nachdenken, was mir vielleicht noch alles bevorstand und ein beklemmendes Gefühl packte mich wieder. Scheiß Angst!

4. Besuch Jake Flanders

//Ein Held ist einer, der tut, was er kann. Die anderen tun es nicht \\
-Romain Rolland-

Essenz:
-Unerwartete Hilfe von einem Helden-

Ich schlief noch, als jemand wieder an die Zellentür klopfte und mich schließlich wach rief. Mir kam die Stimme bekannt vor, obwohl ich ihn selbst kaum kannte. War das wirklich Jake? Das kann doch nicht sein.., was will er denn hier? Ich ging zur Tür und erkannte durch das Guckloch, dass es tatsächlich Jake war, der mich hier im Kerker besuchte.
"Jake!? Bist du das? Was... was zum Teufel.. willst du denn hier?" fragte ich völlig verdattert.
Jake nahm seinen Zeigefinger zum Mund und spitzte dabei seine Lippen. Dann nickte er in die Richtung, wo sich vermutlich die Kerkerwachstube befand. "Lass uns lieber leise sprechen, wer weiß, was die alles hören können." sagte er leise.
"Wie geht’s dir?"
"Naja, ich denke besser als ich vermutlich aussehe.. Aber warum bist du hier?" wollte ich nun wissen.
"Das verdankst du Mallen..." sagte er leise und setzte fort.. "Mallen hat mir ihre Sichtweise erklärt und mir gesagt was sich zwischen euch beiden wohl wirklich abgespielt hat."
"Du glaubst ihr?" fragte ich, obwohl ich mir sicher, dass auch Jake alles glauben würde, was Mallen ihm erzählte.
"Ja, das tue ich. Und das Jaden und seine Leute.. keine Engel sind, weiß ich auch so. Mallen wäre gern selbst gekommen, aber ihr Vater lässt sie streng überwachen. Auch lässt ihr Vater verlauten, dass Mallen aufgrund der Geschehnisse seelisch ziemlich verstört und geschockt ist und sie deshalb das Haus auch in nächster Zeit nicht verlassen darf. Und alle denken nun natürlich, dass nur du dafür die Schuld trägst. Ich war bei ihr und ich muss zugeben, in so einer Verfassung habe ich sie auch noch nie erlebt. Sie ist wirklich sehr erschüttert und geschockt, jedoch nicht darüber, was man dir vorwirft, sondern über ihren Vater und was mit dir geschieht."
Jake und Mallen? Wie kam denn nun auf einmal dieser Kontakt zustande? Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass die beiden kaum oder sogar gar keinen Kontakt zueinander hätten.
"Warte mal, wie konntest du überhaupt mit ihr reden, wenn sie nicht mehr zur Schule geht und auch sonst nicht das Haus verlassen darf?" fragte ich nun misstrauisch.
Jake war diese Frage unangenehm, das konnte ich an seinem Gesichtsausdruck erkennen. "Ich weiß das klingt bescheuert.. aber als ich davon hörte was du Mallen angetan haben sollst, konnte ich mir das alles nicht so recht vorstellen und wenn ich etwas nicht glaube, dann bin ich neugierig und möchte gerne wissen was wirklich passiert ist."
"Ja und.., wie hast du das dann gemacht.. du bist doch nicht nachts in ihr Zimmer eingebrochen und hast Mallen zur Rede gestellt.. oder was?" fragte ich ungläubig.
"Naja, so oder ähnlich.. Ist doch jetzt auch völlig egal.. Tatsache ist, du wirst des Totschlags und der versuchten Vergewaltigung an der Tochter des Bürgermeisters angeklagt und keiner, bis auf Mallen und ich, sind auf deiner Seite. Mallen wird sehr wahrscheinlich nicht als Zeugin aufgerufen werden, weil sie offiziell als nicht vernehmungsfähig erklärt werden soll. Und was mich anbetrifft..., als Unbeteiligter werde ich kein Zeuge sein können und somit auch nicht vernommen oder angehört werden." er machte eine kurze Pause. Dann schaute er mich mit ernster Miene an. "Viele wollen übrigens deinen Tod, oder.. würden dich nur zu gern zum Teufel jagen. Man hört in Kaven so einiges, aber hinter vorgehaltener Hand, hat kaum jemand eine gute Meinung von dir und viele sind fest davon überzeugt, dass du das alles getan hast, was man dir so vorwirft. Was ich damit sagen will ist, dass du mit dem Schlimmsten rechnen musst und man dich vielleicht tatsächlich zu diesem -zum Teufel jagen- verurteilen wird."
Ich seufzte. "Naja, dieser Verdacht ist mir auch schon gleich gekommen, als ich das erste Mal hier aufgewacht bin.."
"Mallen hat mir übrigens auch noch gesagt, dass ihr das alles schrecklich Leid tut und das sie alles tun wird um dir zu helfen. Sie sagt, dass du das aber überstehen kannst und du die Kraft dazu hast das zu überleben. Wenn es einer schaffen kann, dann bist du das. Das, oder so ähnlich sollte ich dir jedenfalls von Mallen ausrichten. Ihr war es sehr wichtig, dass ich dir das sage."
Ich nickte wieder und war erleichtert, dass Mallen doch kein falsches Spiel mit mir gespielt hatte, obwohl ich daran auch nie richtig gezweifelt hatte.
"Warst du eigentlich schon mal bei einer Verbannung dabei gewesen, wo jemand zu Teufel gejagt wurde?" fragte Jake auf einmal.
"Nein, wieso?"
"Nun gut, dann hör mir nun gut zu." Jake kam nun ganz dicht an die Zellentür heran.
"Ich kann es mir zwar immer noch nicht richtig vorstellen, aber wenn es wirklich dazu kommt, dass man dich zum Teufel jagt, dann rennst du auch wie der Teufel! Ich habe diese Verurteilung schon zweimal gesehen und glaube mir.., wer stehen bleibt, hinfällt und nicht wieder aufsteht, hat keine Chance das zu überleben. Such dir einen Weg worauf du barfuß schnell laufen kannst, aber zögere nicht.., renne wie der Teufel und solltest du fallen, und du wirst mit Sicherheit fallen.., steh sofort wieder auf!.. Auch wenn es dir in so einem Moment für unmöglich erscheint.. Steh wieder auf! Schlage um dich und renn so schnell du kannst. Und wenn du es dann tatsächlich schaffen solltest bis zur Außengrenze zu kommen, dann rennst du zum Backenfluss. Rennen....! Nicht gehen! Denn du musst auch hier damit rechnen aufgelauert zu werden. Es ist zwar nicht erlaubt, aber es gibt immer wieder einige, die das mit den Regeln nicht so ganz ernst nehmen. Kennst du die drei Bäume die kreisförmig um einen großen Felsen stehen?"
Ich schüttelte den Kopf, "Nein, kenne ich nicht.“ denn ich war bisher auch nur sehr selten außerhalb der Grenzen von Kaven gewesen."
"Aber du kennst den Fluss?"
Ich nickte.
"Du gehst den Fluss stromaufwärts und wirst diesen Platz nach gut einer Stunde erreichen. Dort habe ich dir Kleider, eine dicke Decke, etwas zu Essen und eine Karte bereitgelegt.-"
Dann hörten wir wie sich eine Tür öffnete und jemand brüllte. "Jake Flanders! Deine Zeit ist abgelaufen!" Jake ließ sich davon nicht allzu sehr beeindrucken und redete nur etwas schneller weiter. "Diese Sachen jedenfalls wirst du etwas versteckt in einem Busch nahe am Fluss finden. Wenn du dich etwas erholt hast, gehst du zu dieser Höhle, die ich dir auf der Karte aufgezeichnet habe. Ich werde dir dort noch weitere Sachen bereitlegen, die du zum Überleben in dieser Wildnis benötigen wirst."

Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich nickte und sagte nur "Danke! Jake..."
Jake schaute mir nochmal eindringlich in die Augen und sagte nochmal: "Renn..., renn wie der Teufel! Hörst du? Ich wünsch dir viel Glück!"
Dann ging er und die quälende und trostlose Langeweile hatte mich wieder.

Das Tribunal

//Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil.\\
-Marie von Ebner Eschenbach-

Essenz:
-Rota vor Gericht und er steht ganz alleine da-

Am nächsten Tag wurde ich dann von einem ziemlich dicken Gefängniswärter und zwei Gesetzeshütern aus meiner Zelle geholt und zum großen Tribunal-Saal geführt. Als ich dann den großen Saal betrat herrschte für einen kurzen Moment absolute Stille, worauf danach sofort ein lautes Raunen folgte und eine Welle von Beschimpfungen über mich hereinbrach. Man forderte Gerechtigkeit, man beschimpfte mich als Satan, Teufel, Ausgeburt der Hölle, Schänder und Perversling. Viele forderten lautstark, dass man mich zum Teufel jagen, oder mich sogar gleich hängen sollte. Ich sah meinen Onkel bei den Ratsmitgliedern. Er stimmte jedoch nicht, wie es einige Ratsmitglieder taten, in diesem Tumult mit ein. Petra, Justin und Sophia entdeckte ich ebenfalls im Saal, wobei von ihnen nur Justin mitbrüllte. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt und es herrschte ein wildes Getöse und Gebrüll. Ich wurde schließlich zur Anklagebank geführt, die sich in der Mitte des Saales in Sitzrichtung zum Richtertisch befand.
Am Richtertisch saß bereits auch schon der Bürgermeister Johnas Goldan. Ich versuchte ihn in die Augen zu schauen um zu sehen wie er reagierte. Er würdigte mich jedoch keines Blickes und blieb auch sonst völlig ungerührt, so als ob er nur seine tägliche Arbeit nachginge und in keinster Weise persönlich mit diesem Fall zu tun hätte.

Für gewöhnlich sitzt an diesem Richtertisch daneben natürlich auch der Richter selbst, der jedoch noch nicht anwesend war. Das Tribunal ist ein kreisrunder Saal mit mehr als zweihundert Plätzen. Der Rat mit seinen elf Mitgliedern sitzt in einer Reihe hinter dem Tisch des Richters. Die übrigen Zuschauerplätze sind in sechs Sitzgruppen am Rand des kreisrunden Tribunal-Saals verteilt. Die vorderste Sitzgruppe, die sich direkt links neben dem Richtertisch befindet, ist den Beteiligten, also den Zeugen, Geschädigten und Angehörigen zugeordnet. Die übrigen Sitzgruppen dürfen von Tribunal Beobachtern besetzt werden, zu den für gewöhnlich einflussreiche Leute gehören.

Nach gut einer Minute anhaltenden Lärms und Unruhe, betrat dann auch endlich der Richter den Saal. Es wurde sofort merklich stiller im Saal. Der Richter, war ein großer, korpulenter, alter Mann mit schlohweißen Haaren und einem langen Kinnbart, der vom benachbarten Ort namens Falden kam. Insbesondere durch seine eisblauen Augen wirkte er sehr respekt- und würdevoll. Er ging zu seinem Platz, schaute mich kurz aber eindringlich an, nickte den Ratsmitgliedern zu und begrüßte schließlich den Bürgermeister. Dann setzte er sich und schaute in die Menge. Schließlich rief der Tribunalbeauftragte durch den Saal: "Erheben Sie sich!"
Alle folgten dem Aufruf. Der Richter nahm jetzt den Holzhammer in die Hand und klopfte damit dreimal auf dem Richtertisch.
"Ich stelle fest, das alle Mitglieder des Rates, der Bürgermeister von Kaven und der Angeklagte Rota Gevill hier im Saal, des nun stattfindenden Tribunals anwesend sind. Kraft meines mir verliehenen Amtes eröffne ich hiermit das Tribunal gegen den Angeklagten Rota Gevill." Dann schlug er wieder mit dem Hammer auf den Richtertisch und setzte sich.
"Bürgermeister, wenn ich Sie bitten dürfte, nennen Sie die Anklagepunkte gegen den Angeklagten Rota Gevill!"

Johnas Goldan stand nun auf. "Sehr verehrter Richter.." und stellte sich neben mir vor den Richtertisch. ".. der Angeklagte, Rota Gevill, wird beschuldigt seinen fünfzehnjährigen Mitschüler, Alvin von Hagenen, vor achtzehn Tagen vorsätzlich und aufgrund niedriger Beweggründe getötet zu haben. Alvin von Hagenen, wurde nach Angaben vieler Zeugen als einen ruhigen und ausgeglichenen Bürger Kavens beschrieben, der sich auch wohl nie etwas zu Schulden kommen lassen hat. Nach Aussage diverser Zeugen, die wir im Laufe dieses Verfahrens noch anhören werden, soll sich Folgendes ereignet haben: Der Zeuge, Jaden Grat, ebenfalls ein Mitschüler des Angeklagten, hatte einen Tag vor dieser Tat zufällig entdeckt, dass der Angeklagte Rota Gevill und seine Mitschülerin, Mallen Goldan, die bekanntlich meine Tochter ist, sich beide zusammen auf dem Weg in den Wald befanden. Da der Angeklagte allgemein als Einzelgänger und Außenseiter gilt, fand unser Zeuge dies sehr merkwürdig und irgendwie sehr seltsam. Er entschied sich daher der Sache näher auf den Grund zu gehen und den beiden unbemerkt zu folgen. Der Zeuge folgte ihnen bis zu einer im Wald versteckten Baumhöhle. Der Zeuge teilte mir auch mit, dass er auf dem Weg zu dieser Hütte teilweise dem Gespräch der beiden lauschen konnte und er vernommen hat, dass der Angeklagte meiner Tochter Mallen in dieser Hütte etwas ganz Besonderes zeigen wollte."

"Lüge!" entsetzt stand ich auf und brüllte in den Saal: "Das ist nicht wahr!!"
Der Richter stand nun ebenfalls auf und hämmerte mit seinem Hammer mehrmals auf den Tisch. "ANGEKLAGTER!! Sollten sie sich nicht sofort wieder hinsetzen, werde ich sie wegen Missachtung dieses Tribunals ohne weitere Anhörung verurteilen und sie persönlich zum Teufel jagen! Haben Sie mich verstanden!? Sie werden noch zu gegebener Zeit zu Wort kommen um sich zu erklären!" Er machte eine Pause, schaute mich eindringlich an und setzte weiter fort: "Das ist die erste und letzte Warnung die ich Ihnen gebe.
Haben Sie mich verstanden Angeklagter?". Wobei er den letzten Satz jedes Wort einzelnd überdeutlich betonte.
Ich nickte schließlich kleinlaut und setzte mich wieder auf meinen Platz. Ach was soll‘s, denke ich resigniert, es kommt wie es kommt und was man nicht ändern kann, muss man wohl oder übel akzeptieren.

"Fahren Sie bitte fort, Bürgermeister!" sagte der Richter schließlich und setzte sich ebenfalls wieder.
Der Bürgermeister wendete sich nun wieder den Zuschauern des Tribunals zu. "Ich wiederhole nochmal. Unser Zeuge, Jaden Grat, hat vernommen, dass der Angeklagte meiner Tochter etwas ganz Besonderes zeigen wollte. Als dann der Angeklagte und meine Tochter Mallen auf diese Baumhöhle geklettert waren und dort verschwanden, war zunächst erst mal nichts weiter zu hören, bis der Zeuge dann plötzlich wieder die Stimme meiner Tochter hörte. Sie soll nach Angaben des Zeugen folgendes gesagt haben:"
Johnas Goldan holte nun ein Zettel aus seiner Robe hervor und las dann daraus vor.
"- Rota..! Ich dachte du wolltest mir etwas Besonderes zeigen..-
- Heh was soll das! Lass mich los.. du tust mir weh!-
- Rota, nein! Bitte lass das..!- "
Es herrschte nun absolute Stille im Saal. Johnas Goldan steckte den Zettel wieder in die Tasche seiner Robe und fuhr dann wieder weiter mit der Anklage fort.
"Der Zeuge sagte aus, dass er dann Geräusche gehört hatte, die sich wie ein Kampf zwischen dem Angeklagten und meiner Tochter angehört hatten. Der Zeuge, Jaden Grat, wollte in diesem Moment meiner Tochter zur Hilfe eilen, als dann aber auch schon meine Tochter flüchtend aus dieser Baumhöhle geklettert kam und geradewegs und so schnell sie konnte dann nach Hause gelaufen war.

Jaden Grat hat am nächsten Tag mit seinen Freunden beschlossen, den Angeklagten aufzuhalten und diesen Ort der Schändung, diese Baumhöhle, zu zerstören. Es haben sich letztlich Jaden Grat, Gero Hasbers, Pelle Kladier und Alvin van Hagenen auf dem Weg gemacht um diese Hütte zu zerstören.., damit der Angeklagte mit seinen Abscheulichkeiten aufgehalten wird und es nie wieder zu solchen Schandtaten kommen sollte.
Als der Zeuge und seine Freunde dann die Hütte vollständig niedergerissen hatten, soll plötzlich der Angeklagte erschienen sein. Er soll wutschnaubend auf den ersten der ihm in die Quere kam, auf Alvin van Hagenen, zugerannt sein und ihn ohne irgendeine Vorwarnung mit der Faust direkt und mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen haben. Nach Aussage des Gerichtsmediziners wurde die Nase des Todesopfers dermaßen durch diesen Schlag zertrümmert, dass Knochensplitter in das Gehirn eindrangen und dabei das Gehirn von Alvin van Hagenen so sehr verletzten, dass dieser auf der Stelle verstarb.
Daraufhin soll der Hund, von Marla und Debbie Gruden, sein Name war Zisko, bellend auf den Angeklagten Rota Gevill losgegangen sein. Zisko, war wohlgemerkt auch der Hund, der dem Angelklagten immer vertrauensvoll von den Gruden's in Obhut gegeben worden war. Der Zeuge sagte schließlich weiter aus, dass der Angeklagte dann den Hammer von Alvin van Hagenen in die Hand genommen haben soll und Zisko, erbarmungslos und jähzornig wie er war, zu Tode geprügelt haben. Erst dann soll Pelle Kladier mit einem Schlag von hinten den tosenden Angeklagten, Rota Gevill, unschädlich gemacht haben."

Johnas Goldan machte eine Pause. Es herrschte wieder eine absolute Stille im Saal. Er schaute mich kurz, aber mit hasserfülltem Gesicht an. "Meine Tochter Mallen geht es seit dem sehr schlecht. Sie ist seit dem nicht mehr sie selbst und geistig noch völlig verstört. Meine Tochter ist daher leider auch nicht vernehmungsfähig. Ich bin darüber sehr traurig, weil dadurch der Gerechtigkeit wieder mal etwas zuwider läuft. Deshalb möchte ich an meiner Tochter statt als Zeuge hier vor dieses Tribunal treten und bestätigen, dass die Zeugenaussage von Jaden Grat, was den Teil meiner Tochter betrifft, der Wahrheit entspricht. Rota Gevill hat meine Tochter in diese Baumhöhle gelockt um dann seine Gelüste an ihr zu befriedigen."
Der Richter schaute irritiert und fragte etwas aufgebracht: "Herr Bürgermeister, darf ich sie so verstehen, dass sie nun direkt zur Zeugenvernehmung gewechselt sind und sie selbst sich als Vertreter ihrer Tochter Mallen als Zeuge ausgesagt haben?"
"Das ist richtig, Euer Ehren! Und ich würde gerne mit dem nächsten Zeugen fortfahren."
Der Richter nickte schließlich. "Herr Bürgermeister, fahren sie fort."

Als nächste Zeugen wurden dann Gero Hasbers und dann Pelle Kladier vom Bürgermeister vernommen. Sinngemäß bestätigten sie die vorhergehenden Ausführungen des Bürgermeisters. Als letzter Zeuge wurde Jaden Grat vernommen. Auch Jaden bestätigte, dass sich alles so zugetragen hat, wie es der Bürgermeister bereits in seiner Anklage vorgetragen hatte, jedoch mit noch mehr Einzelheiten, was sich in meiner Hütte zwischen mir und Mallen so alles zugetragen haben soll. Ich soll unter anderem gefordert haben, dass Mallen sich ausziehen soll, dass sie sich nicht so zieren soll.. und, und, und..
Ich war starr vor Entsetzen und Rachegelüste bestimmten nur noch meine Gedanken. Egal wie das Urteil letzten Endes auch ausgehen mag..., dafür sollst du noch büßen, Jaden! Sollte ich das überleben, wird der Tag kommen an dem du noch bereuen wirst, was du getan und hier gesagt hast. Wart es nur ab..

Nach einer kurzen Pause wurde ich dann vom Richter aufgefordert meine Sichtweise darzulegen und meine Zeugen zu benennen. Ich erzählte dem Richter schließlich alles so, wie es sich aus meiner Sicht wirklich zu getragen hatte. Ich schilderte ihm, dass Mallen meine Hütte schon vor mehr als einem Jahr entdeckte und ich ihr etwas später dann meine Hütte auch von innen gezeigt hatte. Auch erzählte ich, dass wir uns im Laufe der Zeit angefreundet hatten und sie mir dann später sogar geholfen hat die Hütte weiter zu verbessern und auszubauen. Als ich dies jedoch erzählte wurde ich beschimpft und ausgelacht. Viele riefen „Lügner..“ oder „Mallen würde sich niemals mit einem Teufel wie dir abgeben..“ und andere schauten sich auch nur an und lachten einfach über diese Absurdität... Mir wurde klar, dass meine Erklärungen hoffnungslos und unglaubwürdig waren. Vor allem, weil ich keinen einzigen Zeugen benennen konnte die unsere Freundschaft bezeugen konnten. Trotzdem erzählte ich diesem Tribunal alles so, wie es sich aus meiner Ansicht zugetragen hatte. Letzten Endes fragte der Richter mich noch ob ich zu meiner Aussage irgendwelche Zeugen nennen könnte. Ich antwortete schließlich: "Die einzige Zeugin die ich nennen kann, ist die Tochter vom Bürgermeister, Mallen Goldan, die jedoch nicht bei diesem Tribunal anwesend ist oder besser gesagt wohl nicht anwesend sein soll!"

Der Richter schüttelte schließlich den Kopf und sagte: "Ich denke damit dürfte alles gesagt sein. Bürgermeister, haben sie noch Fragen oder möchten Sie abschließend noch etwas zu diesem Fall sagen?"
Der Bürgermeister drehte sich zu den Zuschauern, setzte sich wieder und antwortete: "Nein, ich denke wir haben alles gehört und der Rat kann sich zur Urteilsfindung zurückziehen!"
Der Richter fuhr fort: "Sehr verehrte Ratsmitglieder, Sie haben den Bürgermeister gehört. Sie sind dazu angehalten gegen den Angeklagten ein gerechtes Urteil zu finden und mir, als Richter dieses Tribunals ihren Vorschlag für das endgültige Urteil vorzulegen."
Alle Ratsmitglieder verließen anschließend den Tribunalsaal und versammelten sich geschlossen in einem Nebenraum.

Nach gut einer halben Stunde unerträglichen Wartens war es dann soweit und der Rat kam aus seiner Beratung wieder in den Tribunalsaal. Mein Onkel verzog keine Miene und ließ auch nicht erkennen, was für ein Urteil aus dieser Besprechung ich nun zu erwarten hätte. Der Richter stand nun auf und fragte: "Verehrter Rat, sind sie zu einer Entscheidung gekommen?"
Der Sprecher des Rates trat nun hervor und antwortete "Verehrter Richter! Wir haben eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung wurde einvernehmlich gefällt. Unser Urteilsvorschlag lautet wie folgt:" Es folgte eine kurze Pause der Spannung. Alle im Saal hörten gebannt zu.
"Der Angeklagte Rota Gevill wird in beiden Anklagepunkten, des versuchten sexuellen Missbrauchs an Mallen Goldan und des Totschlags an Alvin von Hagenen für schuldig befunden."

Als diese Worte ausgesprochen wurden, fingen die Zuschauer augenblicklich an zu jubeln und zu grölen. Der Richter stand auf und hämmert wieder wie wild mit seinem Hammer auf den Richtertisch.
"RUHE! RUHE!"
Die Zuschauer beruhigten sich und es wurde wieder still. Der Richter blieb noch etwas stehen und schaute sich ermahnend nochmal um, bis er sich wieder setzte und dem Ratssprecher zunickte.
Der Sprecher des Rates fuhr fort: "Aufgrund der schwere dieser Taten, die sich der Angeklagte schuldig gemacht hat, hat der Rat entschieden, ihnen Herr Richter, folgenden Urteilsvorschlag zu unterbreiten: Der Angeklagte soll Morgen um zehn Uhr aus Kaven verbannt und... zum Teufel gejagt werden!"
Es folgten wieder Schreie des Jubels und der Zustimmung...
Der Richter stand nun wieder auf und schaute auf mich herab. "Angeklagter! Erheben Sie sich!" sprach er laut und betont deutlich. Ich stand nun auf.
"Kraft meines Amtes stimme ich dem Urteilsvorschlag des Rates in Gänze zu und verurteile sie, Rota Gevill, der Verbannung. Die Verbannung wird morgen um zehn Uhr mit der Verschärfung vollzogen, dass man sie, Rota Gevill, dann zum Teufel jagen wird."
Dann schlug er mit seinem Hammer ein letztes Mal auf seinen Tisch und sagte abschließend: "Hiermit schließe ich das Tribunal gegen Rota Gevill".

Alles erschien mir plötzlich so unwirklich. Ich sah dass sich viele der Zuschauer freuten, die anderen mich lauthals beschimpften. Ich sah Debbie und Marla wie sie auf mich zeigten und irgendwelche Beschimpfungen von sich gaben. Dann sah ich Petra und unsere Blicke trafen sich. Sie zuckte mit den Schultern und machte ein Gesicht, dass wohl ausdrücken sollte, dass man da wohl nichts mehr machen könne. Nach der Devise: Was soll‘s.., haste halt Pech gehabt. Mach's halt nächstes Mal besser. Sophies Gesichtsausruck war nur genervt und ihr schien das alles nur peinlich zu sein. Justin hingegen grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Kurz darauf kamen schließlich wieder dieser dicke Gefängniswärter und zwei Gesetzeshüter und führten mich wieder zum Kerker zu meiner Zelle, jedoch nicht so sanft, wie sie mich hergebracht hatten. Sie beschimpften und schubsten mich ständig. Auf halbem Weg schafften sie es schließlich auch und brachten mich zu Fall, worauf sie mich dann schnell mit Tritten wieder auf die Füße jagten. Als wir dann meine Zelle erreichten, wurde ich vom Kerkermeister aufgefordert mich jetzt schon auszuziehen, um am nächsten Tag nicht unnötig Zeit zu verlieren. Das fand er dann so lustig, dass er anfing meine Kleider und auch mich beim Ausziehen auch noch anzupinkeln. Nachdem sie meine Kleider mitgenommen, die Kerkertür geschlossen und schließlich weggegangen waren, schleppte ich mich zu meiner Liege.
Mir war kalt und ich hatte große Angst vor dem morgigen Tag. Ich konnte letzten Endes nicht anders und fing an zu weinen. Nachdem ich mich dann irgendwann ausgeheult hatte, beschloss ich mit dem ganzen Geheule und dem Gejammere endlich aufzuhören und mir zu überlegen wie ich den morgigen Tag wohl überstehen könnte..

Verbannung

//Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter\\
Winston Churchill

Essenz:
-Rota lernt über sich hinaus zu wachsen-

Nach einer langen Nacht ohne Schlaf holte man mich morgens und wie es die Tradition dieser Bestrafung verlangte, splitternackt aus dem Kerker. Es war ein diesiger und nasskalter Tag. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, zitterte am ganzen Leib und mein Herz raste gnadenlos.

Eingepfercht in einem kleinen geschlossenen Käfig auf einem Pferdewagen wurde ich vor den Toren der Zitadelle zum Kavener Rathausplatz gefahren. Als wir uns dann langsam dem Rathausplatz näherten, hörte ich sie schon rufen. Sie, die Bürger von Kaven, wie sie meinen zweiten und mir schon lange zu Eigen gewordenen und verhassten Namen -Teufel- brüllten und mich beschimpften. Mich schüttelte es vor Angst und meine Beine wurden weich und begannen stark zu zitterten. Ich hatte solche Angst, dass ich fürchtete mich überhaupt nicht von der Stelle bewegen zu können. Schließlich öffneten sie den Käfig und zwei Wachmänner holten mich aus meiner trostlosen Bleibe. Als man mich schließlich sah, wurde es mit einem Male sehr laut und es kam zu tumultartigen Zuständen. So viele waren hier.. Mein Gott! Fast ganz Kaven hatte sich am Rathausplatz versammelt um sich dieses Ereignis anzuschauen. Ein großer Teil des Mob's rief rhythmisch immer wieder: "...den Teufel zum Teufel jagen..., den Teufel zum Teufel jagen.." Bei diesen Leuten handelte es sich bei den meisten wohl um die sogenannten Adjutoren, da viele dabei auch wild mit ihren Weidenruten rumfuchtelten. Viele beschimpften mich. "Mörder!.. Verschwinde!.. Du Ausgeburt der Hölle! SATAN.. GEH DAHIN WO DU HINGEHÖRST.." Sie bewarfen mich mit Dreck und faulem Obst. Ich erkannte sogar einige von der Schule wieder, die in der Hand Weidenruten hielten und damit wohl als die sogenannten Adjutoren sogar daran teilnahmen.

Die von der Wache abgesperrte Bühne, zu der ich nun geführt wurde, war gut ein Schritt hoch und hatte eine zweite Treppe, die zu einer Art Gasse führte. Die linke und rechte Seite der Gasse war mit Hilfe von zwei jeweils rund einem Schritt hohen und mehreren hundert Schritt langen Zäunen abgegrenzt worden. Rechts und links hinter den Zäunen verteilten sich die Adjutoren mit ihren Weidenruten und dahinter wiederum die Zuschauer. Die Gasse selbst, die ich dann wohl in einer Art Spießrutenlauf zu durchlaufen habe, war etwa gut zwei Schritt breit. Auch hatte man bereits auf diese Gasse schon viele spitze Steine und Dornenzweige geschmissen, um es mir mit meinen nackten Füssen auch ja nicht zu einfach zu machen.
Ganz vorne an der linken Seite der Gasse entdeckte ich nun meine Nachbarn, Marla und Debbie Gruden. Beide standen sie da und starrten mich mit ihrem von Hass verzerrten Gesichtern an. Warum? Was habe ich ihnen jemals getan? Glauben sie wirklich ich hätte Zisko jemals etwas zu Leide tun können? Auch Justin entdeckte ich wild fuchtelnd mit einer Weidenrute in der Hand in der Menge dieses Mobs. Und weiter hinten waren auch mein Onkel Jaron, Petra und Sophie. Auch sie waren gekommen um sich dieses Spektakel, meine Verbannung aus Kaven, anzusehen. Sie, die mich vor Jahren noch pflichtbewusst in ihre Familie aufgenommen hatten.

Ihr Irren! Wut ergriff mich und das war in diesem Moment auch gut so. Ich vergaß meine Angst und sah nun wieder etwas klarer. Auch machte ich mir nun wieder Gedanken, wie ich diesem Wahnsinn hier vielleicht entkommen konnte. Ich werde euch den Spaß verderben! Irgendwann, werdet ihr das, was ihr mir hier antun wolltet, nochmal bereuen. Büßen werdet ihr dafür..., das will ich euch und auch mir selbstversprechen!

Der Bürgermeister kam nun auf die Bühne. "Liebe Bürger von Kaven!" Es wurde nun ganz still auf dem Rathausplatz und alle hörten dem Bürgermeister gebannt zu. "Das gestrige Tribunal hat Rota Gevill aufgrund seiner Gräueltaten dazu verurteilt, dass man ihn heute um zehn Uhr an diesem Morgen zum Teufel jagen wird. Wir sind daher gewillt und daran gehalten, das Urteil auch so zu vollziehen. Ich bitte daher alle Adjutoren sich nun in Stellung zu bringen..."
Der Bürgermeister schaute nun auf die Turmuhr. Es war nun genau eine Minute vor zehn Uhr. "Ich sehe, wir sind pünktlich..." Dann sah er mich und dann die Wächter an. "Ich bitte sie den Verurteilten in Position zu bringen!"
Man beförderte mich nun zum Rand der Bühne, wo sich die Treppe befand, die zur Gasse des Spießrutenlaufs führte. Ich blickte entlang der Gasse und schaute dabei vereinzelt in die Gesichter der Leute, die mit ihren Weidenruten daran teilnahmen um mich damit aus Kaven zu vertreiben oder so Gott will mich damit zum Teufel zu jagen. Neugierde, Vorfreude, Ekel, Wut, Agression, Hass und sogar Stolz konnte ich in diesen Gesichtern erkennen. Ich musste schlucken. Hätte ich doch wenigstens meine Kleider, dachte ich andauernd und eine schreckliche Angst packte mich wieder. Ich durfte jetzt aber keine Angst haben, denn Angst hinderte mich beim Denken. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen und nachzudenken.
Wenn ich diesen Weg durch die Gasse nehme, werden das meine Füße aufgrund der herumliegenden spitzen Steine, Scherben und dem Dornengestrüpp nicht lange mitmachen. Ich werde zu langsam sein und das könnte meinen Tod bedeuten. Was also konnte ich machen? Rechts und links standen die Adjutoren in Position und es waren einfach zu viele, als das ich links oder rechts ausbrechen könnte. Bleibt nur der Weg durch diese verhasste Gasse. Oder? Ich schloss die Augen. Es kommt wie es kommt und bei meiner Seele ich werde mein Bestes geben.

Dann ertönte die Glocke der großen Turmuhr. "JAGD IHN ZUM TEUFEL!!" brüllte der Bürgermeister. Ich wurde nach vorne gestoßen und mit weiteren rüden Tritten die Treppe hinunter getreten. Und dann passierte das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Ich stolperte schon gleich beim Start die Treppe hinunter und fiel zu Boden. Es wurde mit einem Male unsäglich laut. Dann spürte ich im nächsten Moment brennende und beißende Schmerzen. Schläge auf meinen Rücken, meine Beine, meinen Kopf und meinem Gesicht. Ich versuchte mich zu schützen, in dem ich mich schnell hinhockte und versuche meine Arme schützend über meinen Kopf zu legen. Wenn ich hier aber nicht sterben wollte, musste ich jetzt aufstehen und weiter gehen.
Der Mob schrie immerzu "VERSCHWINDE!!!.. SAAATAAAAN!!... HAUST DU WOHL AB!!!.. GEH ZUM TEUFEL!!..... HIER HAST DU WAS DU VERDIENST..." Ohhhhhh... ich muss aufstehen.. ich muss hier weg.. aufstehen.. ich muss aufstehen!! Dann endlich schaffte ich es mich wieder aufzuraffen und aufzustehen. Dabei trafen unter anderem wieder heftige Stockschläge mein Gesicht. Ich fing an mich nun in geduckter Haltung nach vorne entlang der Gasse zu bewegen. Meine Hände und Arme hielt ich dabei schützend über meinen Kopf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich bei jedem Schlag vor Schmerzen aufschrie. Ich versuchte schneller zu laufen. Dann jedoch erfasste mich ein tiefer und schneidender Schmerz an meinem rechten Fuß. Ein dicker spitzer Stein verletzte meinen Fuß so sehr, dass ich das Gleichgewicht verlor und wieder hinfiel. Wieder erfasste mich eine Welle von Stockschlägen über meinen ganzen Körper. Dann bemerkte ich, neben diesen ganzen Stockschlägen, mit einem Mal einen bohrenden und stechenden Schmerz an meinem Hintern. Ich drehte mich um und sah, dass ein kleines Kind versuchte mit seiner Weidenrute mir in meinem Hintern zu bohren. Man lachte und feuerte das Kind an weiter zu machen. Ich schlug mit meinem Fuß nach dieser Weidenrute, schaffte es dann irgenwie doch wieder aufzustehen und wollte nur noch weg hier. Dann aber traf mich aber ein Stock derart auf die Nase, dass ich vor Schmerzen regelrecht erstarrte und ich unglücklicherweise wieder schützend zu Boden gehen musste. Schmerzen konnte ich aushalten, das wusste ich. Schmerzen kommen und gehen wieder. Ignoriere deine Schmerzen! Das war meine einzige Chance die ich hatte. Ich biss die Zähne zusammen. Mein ganzer Körper war nun fest angespannt. Ich habe keine Schmerzen.., ich habe keine Schmerzen.., sagte ich nun immer wieder zu mir selbst und dann.. fing ich an zu schreien. Ich schrie so laut, dass ich nur noch meine Schreie und meine Wut wahrnahm. Der Mob um mich herum war zum Teil nun selbst wie erstarrt und viele sahen mich nun erschrocken und fast.., ja, ängstlich an.

Ich stand auf, riss den Adjutoren die Weidenrute aus ihren Händen, die gerade damit in meiner Nähe damit auf mich zuschlugen oder zuschlagen wollten, und sprang dann schreiend dort, wo die wenigsten Adjutoren standen, über den rechten Zaun. Die Adjutoren, die dort standen, waren so überrascht, dass sie erst gar nicht darauf reagierten und nur wie paralysiert da standen und mich nun behämmert anglotzten. Bis die ersten sich jedoch aus ihrer Erstarrung lösen konnten, war ich aber schon an ihnen vorbei gelaufen.
"Jagd ihn! Hinterher!!" riefen sie wieder. Zwei erwachsene Männer kreuzten nun meinen Weg und wollten meine Flucht, die so keiner eingeplant hatte, verhindern. Ich lief schreiend und direkt auf den rechten Mann zu. Ich ballte meine Faust und schlug ihn mit ganzer Wut und Kraft ins Gesicht. Ich verspürte dabei starke Schmerzen.., aber ich nahm diese Schmerzen auf und leitete diese in noch mehr Wut und Energie um. Der Mann fiel schließlich einfach um, was ich jedoch selbst nicht mehr realisierte. Ich schrie und rannte weiter, wie der Teufel. Viele wichen mir aus oder standen nur da und waren noch völlig aus der Fassung, was da gerade passierte. Dann merkte ich, dass plötzlich jemand von links heran gerannt kam und sich mir im vollen Lauf in den Weg warf. Ich hatte keine Chance und wurde schließlich von meinen Beinen gerissen. Ich rollte mich jedoch schnell ab und war schnell wieder auf meinen Beinen. Plötzlich jedoch kam dann überraschend Robert Grat, der Vater von Jaden, ein stämmiger und hochgewachsener Mann, von der linken Seite und schlug mir mit voller Wucht seine Faust unerwartet ins Gesicht und traf dabei besonders meine ohnehin schon angeschlagene Nase. Ich taumelte nach hinten, hielt mich aber noch auf meinen Beinen. Ich drehte mich nun zu ihm um, fletschte die Zähne, setzte mein Wutgeschrei weiter fort und griff ohne weiter zu zögern an. Ich täuschte einen linken Faustschlag an, schlug ihn jedoch mit der rechten Faust und mit ganzer Kraft auf sein linkes Ohr. Er wankte und fiel schließlich vornüber auf den Boden. Ich ließ ihn liegen und konzentrierte mich wieder auf meine Flucht.

Der Weg war nun frei. Ich rannte und rannte. Nach gut fünfhundert Schritt schaute ich mich das erste Mal wieder um und stellte fest, dass nur noch einige meiner Verfolger mich mit ihren Weidenruten verfolgten und auch schon mehr als hundert Schritte entfernt waren. Hoffnung keimte in mir auf. Nur noch ungefähr fünfhundert Schritte trennten mich bis zur Außengrenze. Die Außengrenze von Kaven wurde durch eine gut eineinhalb Schritt hohe und fünfzehntausend Schritt lange Steinmauer vor dem Außengebiet der Wildnis geschützt. An der Mauer waren im Abstand von gut dreihundert Schritt regelmäßig Wachtürme aufgestellt. Das Tor würde für mich vermutlich heute geöffnet sein, da man mich schließlich aus Kaven ja heraus jagen wollte. Aber was wird mich am Tor erwarten? Mein Geschrei, welches mir einen guten Dienst erwiesen hatte, hatte ich inzwischen eingestellt. Meine Schmerzen, besonders die Schmerzen an meinem rechten verletzten Fuß meldeten sich langsam aber umso heftiger zurück. Ich versuchte die Schmerzen weiter zu ignorieren und lief wieder etwas schneller. Ich befand mich auf der Straße, die zum Außentor von Kaven führte. Aber die Chance, dass ich dort vielleicht am Tor von anderen Adjutoren bereits erwartet wurde oder man dort auf mich lauerte, war zu groß. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen und änderte nun meinen Plan. Ich verließ daher den üblichen Weg zum Tor und rannte nun rechts die Straße runter und quer über ein Ackerfeld. Nach einer Weile erreichte ich schließlich die Außenmauer.

Ich kletterte die Außenmauer hoch. Hinter der Mauer gab es jedoch einen Wassergraben, der gut zwei Schritt breit war. Ich hangelte mich an der Außenmauer runter und ließ mich in den Wassergraben fallen. Der Graben war nicht tief und ich konnte mich einigermaßen schnell auf die andere Seite rüber schleppen. Dann hörte ich jedoch Stimmen.
"Hier ist er!"
"Wir haben ihn..!"
Von links, wie auch von rechts rannten Jaden, Pelle, Gero und noch vier andere auf mich zu.

Um wirklich sicher zu gehen, dass ich nicht ungeschoren davon komme, haben sie mich doch tatsächlich hinter der Außenmauer aufgelauert und wollen mir nun wohl den Rest geben.
Jaden erreichte mich als erster. "Na, wen haben wir denn da schon wieder? Der Rota, unser kleiner Teufel..! Ich muss schon sagen.., ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du so weit kommst. Wie hast du das nur geschafft...? Naja, egal... dafür sind wir jetzt ja hier. Oder Leute?" Jaden, wie auch die anderen waren mit Knüppel und Schlagstöcken bewaffnet. Ich stand immer noch am Rande des Wassergrabens. Jaden kam nun etwas näher zu mir.
"Ohh je, Ohh je, Ohh jeee.. Rota.. Ich möchte wirklich nicht in deine Haut stecken. Du tust mir schon fast Leid..". Dann plötzlich holte er mit seinem Knüppel aus und versuchte mit voller Wucht auf mein Gesicht einzuschlagen. Ich konnte den Schlag jedoch gerade noch rechtzeitig mit meinem Arm abwehren. Verlor dabei aber das Gleichgewicht und fiel rückwärts wieder in den Wassergraben.

Alle mussten nun lachen und standen nun im Halbkreis versammelt vor mir. Ich war müde und mein Körper fing an zu rebellieren aber es blieb mir nichts anderes übrig, wenn ich das hier überleben wollte, musste ich weiter kämpfen. Ich hatte es so satt immer wieder gequält.., geschlagen.., getreten oder ausgelacht zu werden. Ich fing wieder, so laut es nur ging, an zu schreien und griff schließlich an. Auf allen Vieren krabbelte ich aus dem Wasser und hielt direkt auf Jaden zu. Jaden war aufgrund meines Schreiens für einen kurzen Moment aus der Fassung, fing sich jedoch schnell wieder und schlug erneut mit seinem Knüppel auf mich ein. Die anderen folgten jetzt ebenfalls Jaden's Beispiel und schlugen nun ihrerseits auch mit ihren Knüppeln auf mich ein. Eine ganze Ladung von Schlägen prasselte nun auf mich nieder. Ich spürte jedoch aufgrund meiner rasenden Wut kaum noch etwas. Ich konzentrierte mich nur noch auf Jaden und versuchte sein Bein irgendwie zu fassen zu bekommen. Jaden lachte noch. „Ohh.., schaut ihn euch an, wie er da rumkrabbelt.., wie niedlich!“ Dann endlich gelang es mir sein Bein mit meinen Händen zu erwischen und festzuhalten. Ich hielt nun mit aller Kraft, die ich aufbieten konnte, Jadens Bein fest. Schob seine Hose hoch und biss dann mit aller Wut und Kraft in seine Wade. Jaden fing sofort wie wild vor Schmerzen an zu schreien. Alle anderen hielten für einen kurzen Moment inne und schlugen schließlich kurz darauf noch heftiger mit ihren Knüppeln auf mich ein. Ich wiederum biss nun ebenfalls noch kräftiger zu. Jaden gierte nur noch. Er beugte sich nun über mich und trommelte wie wild mit seinen Fäusten auf meinem Kopf herum. Dann schließlich biss ich ein Stück von seiner Wade ab. Ein gutturales Geheul und Geschrei ertönte nun von Jaden.
Jetzt war die Gelegenheit da, endlich wieder aufzustehen. Ich stand auf, spuckte Jaden sein eigenes Stück Fleisch und Haut von seiner Wade in sein Gesicht und griff dann Pelle an. Pelle sah mich erschrocken und ängstlich an. Ich schrie weiter, packte mit meinen Händen seinen Kopf und drückte mit meinen Daumen seine beiden Augäpfel ein. Nun war es Pelle, der wie ein Wilder vor Schmerzen herumschrie. Die Schläge ließen nun nach. Die anderen schauten schockiert und konnten wohl nicht fassen was hier soeben passierte. Ich drehte mich um und wollte mir nun den dicken Gero vornehmen. Als er meine Absicht erkannte, ließ er seinen Knüppel fallen und lief daraufhin einfach weg. Ich drehte mich nun zu den anderen um und sah, dass auch sie wegrannten. Ich wendete mich nun wieder Jaden zu. Er heulte und schrie immer noch vor Schmerzen. Ich beugte mich zu ihm herüber und packte ihn an der Gurgel. Er würgte. Ich kam ganz nah an ihm heran und sagte: "Das.. Jaden.., das war noch längst nicht alles.., das verspreche ich dir!" Ich schlug ihn schließlich mit seinem eigenen Knüppel nieder und zog ihn dann noch schnell seine Schuhe, Hose und seine Jacke aus und setzte meine Flucht weiter fort.

Weg zur Höhle

//Entschlossenheit im Unglück ist immer
der halbe Weg zur Rettung\\
-Johann Heinrich Pestalozzi-

Essenz:
-Rota's schmerzvoller Weg zur rettenden Höhle-

Auf dem Weg zum Fluss, rannte ich noch gut zehn Minuten pausenlos weiter, bis ich entschied endlich eine kurze Pause zu machen, um mir Jadens Sachen anzuziehen. Ich zitterte stark und alles tat mir weh. An meinem Körper gab es kaum noch eine Stelle, die unversehrt war. An vielen Stellen war meine Haut aufgeplatzt. Das Atmen fiel mir schwer und ich konnte auch nur noch durch den Mund atmen. Ich befürchtete, dass meine Nase, ich wagte sie noch nicht mal anzufassen, vermutlich gebrochen war. Mein größtes Problem war jedoch mein rechter Fuß, wo eine gut daumeslang, hässlich gezackte, offene Wunde klaffte, die immer noch sehr stark blutete. Der pochende und irgendwie bohrende Schmerz nahm stetig zu. Schließlich riss ich ein Stück von der Hose ab und wickelte mir diesen Fetzen um die Wunde. Als ich jedoch die Schuhe von Jaden anziehen wollte, merkte ich, dass ich dummerweise nicht mehr in Jaden‘s rechten Schuh passte. Ich fluchte und entschied mich den Fetzen wieder abzunehmen um diesen dann so zu kürzen, dass ich vielleicht in den Schuh passte. Als ich dann endlich fertig wurde, war ich mit dem Ergebnis zufrieden. Mein Fuß lag nun, dank des Verbandes, so fest im Schuh, dass die offene Wunde aufgrund der Kompression vorerst verschlossen war. Ich war nun wieder bereit weiter zu gehen und setzte meinen Weg nun aber humpelnd weiter fort.

Irgendwann erreichte ich schließlich den Backenfluss und ging, wie Jake es mir beschrieben hatte, den Fluss aufwärts entlang. Der Weg an der Uferkannte, war allein schon beschwerlich genug, da immer wieder große Steine, Schlamm, Büsche und andere Pflanzen diesen Weg teilweise unpassierbar machten und ich immer wieder Umwege gehen musste um wieder weiter zu kommen. Ich stolperte häufig und das Fortbewegen fiel mir immer schwerer. Mir wurde immer kälter, ich zitterte am ganzen Leib und jede Bewegung verursachte mir mehr Schmerzen. Aber nach gut einer weiteren Stunde erreichte ich endlich den von Jake beschriebenen Felsen, mit den riesigen, rings umstehenden Laubbäumen. Hier sollte nun unter irgendeinem Busch, in der Nähe dieses Flusses, ein Paket mit Kleidung, Decke und Essen liegen. Ich humpelte nun näher zum Fluss um danach zu suchen. Es dauerte etwas, aber dann fand ich schließlich unter einem großen Busch, ein in brauner Decke zusammengerolltes Paket. Jake, Jake, Jake.., mein Lieber.., dafür werde ich dir wohl ewig dankbar sein.

Stöhnend und keuchend setze ich mich schließlich auf den Boden, löste das Seil von dem Paket und entrollte schließlich die Decke. Jake hatte tatsächlich an alles gedacht. Darin waren ein gutes Paar Lederstiefel, Socken, Unterbekleidung, Hemd, Hose, Mantel, einen großen Stück getrockneten Schinken, ein Wasserschlauch sowie ein gutes Messer. Sogar Verbandsmaterial, Wundsalbe und die besagte Karte waren darin. Alles was ich benötige war dabei. Danke Jake..! Danke!! Aber was mache ich jetzt? Ich war zu schwach um weiter zu gehen. Einfach hier zu bleiben und mich auszuruhen schien mir zu gefährlich zu sein. Aber was war hier nicht gefährlich? Zitternd zog ich mich nun aus. Trug auf den schlimmsten Stellen die Wundsalbe auf und verband diese Verletzungen so gut es ging. Danach zog ich die frische Kleidung von Jake an. Und um mich vor der Kälte so gut es ging zu schützen, zog ich Jaden‘s Jacke und darüber auch noch den Mantel von Jake an. Schließlich nahm ich die restlichen Sachen, kroch damit unter einem dichten Busch und wickelte mich dazu noch mit der dicken Decke ein. Obwohl ich keinen Hunger hatte, schnitt ich mir trotzdem noch einen guten Bissen vom Schinken ab und steckte es mir in den Mund. „Ich lebe noch!“ sagte ich nun zu mir. „Verdammt wer hätte das gedacht! Ich lebe noch!“
Dann wollte ich nur noch schlafen und obwohl ich fror und mir alles wehtat, schlief ich irgendwann doch tatsächlich ein.

Es war stockduster, als ich das erste Mal wieder erwachte. Meine frische Kleidung von Jake war durchgeschwitzt und blutig von meinen ganzen Wunden. Ich fieberte und gleichzeitig war mir schrecklich kalt. Mein Körper war starr vor Schmerzen. Ich konnte mich kaum bewegen. Weil ich aber so einen Durst hatte, raffte ich mich troztdem dazu auf den Wasserschlauch zu nehmen und daraus drei, vier kräftige Schluck Wasser zu trinken. Dann wickelte ich mich wieder in die Decke und schlief nach einer Weile wieder ein.

Als ich das nächste Mal wieder wach wurde, war es schon wieder heller Tag. Es nieselte leicht. Ich hörte das Rauschen des Wassers und der Bäume. Ich richtete mich schließlich mit größter Mühe auf und schaute mich um. Es kam mir alles so unwirklich vor. Wo und was machte ich hier, waren meine ersten Gedanken. War das alles wirklich passiert? Musste es wohl.., denn ich war hier. Also musste das alles auch tatsächlich passiert sein. Ich wollte aufstehen, was jedoch aufgrund der Schmerzen misslang. Schließlich nahm ich noch ein paar Schluck Wasser aus dem mir naheliegenden Wasserschlauch und aß noch etwas von dem Schinken. Danach beschloss ich nur noch einmal einzuschlafen, um mich dann aber, wenn ich wieder aufwachte, meinen Weg zu dieser Höhle, von der Jake sprach, fortzusetzen.
Nichtsdestotrotz konnte ich lange Zeit, aufgrund der Schmerzen die ich hatte, nicht einschlafen. Daher döste und bibberte ich lange nur vor mich hin und hoffte, dass es langsam besser wurde. Letztendlich schlief ich aber irgendwann doch wieder ein und wachte immer wiedermal kurz auf um dann wieder etwas zu trinken, zu essen oder meine Notdurft zu verrichten.

Früh am nächsten Morgen, beschloss ich jedoch endlich aufzustehen und meinen Weg zur besagten Höhle fortzusetzen.
Nach Jakes Beschreibungen auf der Karte, muss ich nun erstmal den Backenfluss solange flussaufwärts gehen, bis ich einen Wald erreiche, in dem es ein Weg geben soll, der mich dann zu einem steilen Weg hinauf zum Gebirge führt. Am Ende dieses Weges soll es dann eine Abzweigung geben, wo ich dort den linken steinigen Weg bergauf nehmen muss, um dann nach gut vierzig bis fünfzig Minuten eine grasbewachsene grüne Ebene zu erreichen, mit ein paar umstehenden Bäumen darauf. Und auf dieser Ebene soll es auf der rechten Seite des Gebirges, versteckt hinter einem Busch, einen Felsspalt von gut zwei Schritt Höhe und einem halben Schritt Breite geben, der letztendlich zu dieser Höhle führt. „Na denn..los“ stöhnte ich.

Es kostete mich einiges an Überwindung mich endlich aufzurichten. Mein rechter Fuß schmerzte so sehr, dass ich am liebsten vor Schmerzen laut aufgeheult hätte, als ich diesen belastete. Ich hatte Schwierigkeiten mich aufrecht zu halten und drohte mehrmals zu fallen. Aber letztlich konnte ich mich doch halten und konnte schließlich meinen Weg zu dieser Höhle fortsetzen. Auf meinem Weg versuchte ich mich von meinen Schmerzen abzulenken und fing an mich über das eine und andere Gedanken zu machen.

Ich fragte mich, was wohl nun in Kaven los sein wird. Wird man mich nun auch hier in der Wildnis verfolgen und sich an mir rächen wollen? Ich hatte auf der Flucht letzten Endes vier Menschen schwer verletzt, wenn nicht den einen oder anderen sogar getötet. Den ersten Mann, den ich in meiner Raserei niedergeschlagen hatte, könnte ich vielleicht wirklich sogar getötet haben. Als ich ihn mit meiner Faust ins Gesicht traf, konnte ich richtig spüren wie seine Knochen in seinem Gesicht brachen und zwar genauso wie sie bei Alvin brachen. Jaden‘s Vater könnte ich, auch wenn ich ihn nicht so stark getroffen hatte, ebenfalls so schwer verletzt haben, dass auch er vielleicht nicht mehr leben könnte. Er fiel schließlich ebenfalls mit nur diesem einen Schlag einfach zu Boden.

Und Jaden wird bestimmt für eine lange Zeit oder sogar für immer humpeln. Naja, und Pelle, wird nun zu mindestens auf einen Auge blind sein, wenn nicht sogar auf beiden Augen und damit dann sogar nie wieder etwas sehen können. Als ich meine Daumen in seine Augen drückte, konnte ich richtig spüren, wie ich sein linkes Auge zerquetscht hatte. Mir tat es jedoch nicht Leid, was ich getan hatte und ich empfand auch kein bisschen Reue. Aber ist das normal? Bin ich noch normal? Oder bin ich wirklich das besagte Monster was viele in mir sehen wollen oder auch sehen? Nein, das glaube ich nicht und das bin ich auch nicht! Sie haben mich schließlich aufgrund ihrer Lügen zu Unrecht verurteilt. Sie wollten mich töten und ich habe mich letztlich nur gewehrt und um mein Leben gekämpft. Was sollte daran falsch sein? Nichts. Gar nichts. Und wenn Gott oder wer auch immer, es doch anders sehen sollte, dann ist mir das auch scheißegal.

Und Mallen? Wird sie wieder ganz normal heute in die Schule gehen, so als ob nichts gewesen wäre? Vermutlich nicht. Wenn sie heute tatsächlich wieder in die Schule gegangen ist, wird sie vermutlich die Attraktion überhaupt sein und womöglich sogar von vielen angegafft werden. Aber Mallen ist auch jemand, dem das wahrscheinlich nicht viel ausmacht. Vielleicht sind das sogar Momente für sie, die sie als herausfordernd empfindet. Andererseits hatte Jake im Kerker aber auch erzählt, das Mallen das Ganze ziemlich mitgenommen hat und es ihr wohl wirklich nicht gut geht damit. Mallen.. verzweifelt? Sie, die Schwierigkeiten für gewöhnlich liebt und sich diesen immer herausfordernd gestellt hat. Kann es sein, dass sie wirklich so um mich besorgt ist..., dass sie nun tatsächlich sogar verzweifelt ist?

Auch frage ich mich, warum Jake mir überhaupt hilft? Er sagte, dass er mit Mallen gesprochen hat und er somit weiß was wirklich passiert. Er glaubt mir. Gut.., das kann ich noch verstehen, aber dass er sich so einen Plan ausgedacht und in die Tat umgesetzt hat, ist schon ziemlich erstaunlich. Vor allem, weil wir uns kaum kennen. Es wird ihm viel Zeit und Mühe gekostet haben, mir diese Sachen wie Decke, Kleidung u.s.w. zu diesem Ort am Fluss zu bringen. Allein schon der Weg zu dieser besagten Höhle, hin und wieder zurück, nimmt gut einen Tag, von mindestens zehn Stunden, in Anspruch. Woher nimmt Jake nur diese Zeit? Jeder in Kaven hat für gewöhnlich viele Pflichten zu erfüllen, da ist es oft schwierig für sich Zeit zu haben und erst recht, wenn es um so eine Zeitspanne geht. Jake's Eltern müssen viel Vertrauen in Jake haben, dass sie ihn so gewähren lassen, wie es ihm scheinbar beliebt. Und überhaupt.., woher wusste er von dieser Höhle und warum kennt Jake sich so gut hier in der Wildnis aus?

Nach mehreren Stunden führte mich endlich ein kleiner Trampelpfad direkt in diesen dichten, von riesigen Tannenbäumen, bewachsenen Wald. Wer diesen Pfad wohl benutzt? Dem Bund sind sechzehn Städte angeschlossen. Die Städte sind mit einem gut durchdachten und abgesicherten Wegenetz miteinander verbunden. Die nicht sicheren Wege werden nur von erfahrenen Abgesandten oder Kurieren benutzt. Vielleicht war dieser Weg so einer mal gewesen. Dieser Weg könnte aber auch von den in der Wildnis lebenden Ausgestoßenen oder den Krasianern entstanden sein und vielleicht auch noch benutzt werden. Ich habe selbst noch nie Menschen gesehen, die in der Wildnis lebten. Man sagt in Kaven, dass diese Ausgestoßenen überwiegend Mörder, Räuber und niederträchtige Menschen sein sollen und der Bund alles daran setzt diese Aussätzigen zu verfolgen und zu dezimieren. Ich frage mich, wie sich die Vertriebenen untereinander verhalten. Gibt es auch Ausgestoßene die solidarisch zusammenhalten und vereint um ihr Dasein kämpfen? Wenn ja, würden sie mich als Ihresgleichen anerkennen und mich in ihre Gemeinschaft aufnehmen wollen? Ich jedenfalls, würde es von mir aus auf einen Versuch gerne ankommen lassen.

Der Trampelpfad im Wald war schwer zu durchlaufen. Immer wieder versperrten umgekippte, riesige Nadelbäume diesen Weg. Ich hatte große Mühe mit meinen Verletzungen diese Hindernisse zu überwinden und ich stand häufig kurz davor aufzugeben. Jedoch plagten mich auch immer wieder die vielen Mücken hier und die sorgten auch immer wieder dafür, dass ich letztlich doch weiter ging.

Letzten Endes erreichte ich dann doch eine der Abzweigungen, die auch auf Jakes Karte verzeichnet waren. Und wie Jake es eingezeichnet hatte, schlug ich den nach rechts führenden Weg ein, der mich dann zu einem steilen Weg bergauf führte. Da mir nichts anderes übrig blieb, biss ich die Zähne zusammen und ging keuchend und humpelnd weiter. Irgendwann am Ende dieses Pfades erreichte ich die letzte Abzweigung, wo ich dann den linken noch steileren Weg zu nehmen hatte, der mich am Ende zur besagten oberen Gebirgsebene führen sollte.

Als es anfing dunkel zu werden, erreichte ich endlich mein Ziel. Ich konnte kaum noch Luft bekommen und ich war so erschöpft, dass ich mich nur noch hinlegen und schlafen wollte. Der Spalt in diesem Berg war schwer zu finden. Es gab auf dieser Ebene viele Büsche, wo sich möglicherweise dahinter eine Höhle hätte befinden können. Aber glücklicherweise fand ich diesen Spalt zu der besagten Höhle schnell.

In der Höhle war es kalt und stockduster. Ich kroch auf dem Boden und fand eine einigermaßen bequeme Stelle. Ich entrollte meine Decke, trank noch ein wenig und aß noch ein gutes Stück vom Schinken. Dann legte ich mich endlich hin und schlief auch sofort ein.

Jake, Bogen, Tunnel,..

//Kein besseres Heilmittel gibt es im Leid als eines edlen Freundes Zuspruch.\\
-Euripedes-

Essenz:
-Rota wird von Jake versorgt und erfährt von ihm, dass es in Kaven einen geheimen Tunnel gibt-

Irgendwann in der Nacht hörte ich immer wieder jemanden meinen Namen rufen. Die Stimme kam mir bekannt vor. Dann fasste mich plötzlich jemand an meine Schulter und rüttelte mich schließlich wach. Stand da tatsächlich Jake vor mir? Er hielt in der Hand eine Lampe, mit einer brennenden Kerze darin. Ich schüttelte mich etwas, um etwas klarer zu werden..
"Jake..? Träume ich oder bist du das wirklich?"
"Du träumst nicht! Rota! Ich bin's wirklich. Manchmal glaube ich selber nicht was ich so mache." Nachdem er das gesagt hatte, betrachtete er mich nun genauer.
"Mannomann, die haben dich ja ganz schön zugerichtet. Man erkennt dich ja kaum wieder..." Jake verzog dabei das Gesicht.
"Uhh.. und deine Nase..., die ist ja völlig schief.., scheint irgendwie.... gebrochen zu sein.... " Jake beugte sich nun über mich und sah sich das nun genauer an.
"Rota, deine Nase.. ich glaube die muss gerichtet werden!" Jake wollte nun mit seiner Hand nach meiner Nase greifen. Ich hielt sofort abwehrend meine Hände hoch.
"Hey... beruhig dich. Deine Nase ist total schief! Besser jetzt als nie..“
Jake schüttelte leicht amüsiert den Kopf. „Du hast so viel durchgemacht und jetzt stellst du dich so an..?"
Jake hat natürlich recht, besser jetzt nochmal Schmerzen, als immer durch eine krumme Nase zu röcheln. Ich ließ meine Hände wieder absinken und schloss meine Augen. "Okay... tu was du nicht lassen kannst!"
Er nahm meine Nase zwischen Daumen und Zeigefinger und zählte dann langsam runter.. "sechs, fünf, vier, drei..." Bei drei drückte er mit einem kräftigen Ruck meine Nase vermutlich wieder in die richtige Position. Ich nahm ein unangenehmes Knirschen in meiner Nase wahr. Tränen schossen mir vor Schmerzen in die Augen und Blut floss aus meinen beiden Nasenlöchern. Ich brüllte vor Schmerzen auf.
"Okay... das war‘s.. auch schon!“ Er schaute sich meine Nase nochmal genau an. „Ich glaube, deine Nase scheint nun wieder einigermaßen gerade zu sein.." Jake gab mir noch ein Stück Stoff für meine blutende Nase und setzte sich nun neben mich.
"Unglaublich, dass du diese Vertreibung überlebt hast. Als ich gesehen habe, wie viele in Kaven sich an dieser Jagd beteiligt haben, hatte ich schon nicht mehr an dich geglaubt, und erst recht nicht, als die Jagd begonnen hat, wo du die Treppe runter gestoßen wurdest und du dann gleich schon am Anfang runtergefallen bist und dann erst gar nicht mehr auf die Beine gekommen bist. Alle schlugen wie wild mit ihren Weidenstöcken auf dich ein.“ Er schwieg für einen Moment. „Ich hatte dich da bereits schon abgeschrieben. Aber dann..., wie du auf einmal lauthals angefangen hast zu schreien, dass einem das Blut in den Adern gefror und viele nur noch wie erstarrt dastanden. Unglaublich! Und du dann einfach durch den ganzen Menge gerannt bist. Mannomann.., das war einfach.. Wahnsinn..! Einfach unglaublich! Für mich warst du da ein.., ja.., ein richtiger Held." sagte er und sah mich nun wieder ernst an. "Und dann hörte ich auch noch, das Jaden dich an der Grenzmauer erwischt und verprügelt haben soll. Sag mal.. stimmt das, dass du Jaden, als er unglücklich gefallen ist, ihm ins Bein gebissen und ihm sogar ein Stück von seiner Wade herausgebissen hast? Und danach auch noch Pelle, als er Jaden zur Hilfe eilen wollte, seine Augen mit deinen Daumen eingedrückt hast..?! Das behauptet er jedenfalls."
"Naja.., das stimmt.." antwortete ich noch ziemlich müde und erschöpft.. "..Jaden hat mich an der Grenzmauer erwischt und mich dort auch ziemlich zugerichtet. Aber er war nicht alleine. Soweit ich mich erinnern kann, waren Jaden, Gero, Pelle und noch vier andere dabei gewesen. Die wollten mich nicht nur verjagen, die wollten mich eher zu Tode prügeln..! Ich habe mich nur gewehrt."
Jake nickte mir zu. "So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht."
Ich richtete mich nun auf und lehnte mich gegen die Felswand.
Jake schaute mich nun eindringlich an. "Rota.., du bist erst fünfzehn und erschlägst zwei erwachsene Männer mit nur jeweils einem Faustschlag...? Sind diese... naja ungewöhnlichen Kräfte aus der Situation geboren.. oder steckt da mehr hinter? Allein schon diese ganzen Prügel und deine ganzen Verletzungen.., dass du das so wegsteckst und es sogar geschafft hast in diesem Zustand die Höhle zu erreichen. Ich finde das schon allein ziemlich außergewöhnlich."
Ich überlegte ob ich Jake nun von meinen Kräften erzählen sollte. Ich war mir unsicher und entschied mich letztlich dagegen. Ich kann es ihm vielleicht später ja immer noch mal erzählen. Ich entgegnete nun seinem Blick und zuckte mit den Schultern
"Ich weiß es nicht. Ich bin selbst überrascht, was in letzter Zeit alles so passiert ist. Vielleicht ist es auch so, dass man in extremen Situation auch einfach nur extrem reagiert und man über sich hinauswächst.." Ich machte eine kurze Pause und erkannte ein wenig Skepsis in Jakes Gesicht.
Ich wollte nicht mehr darüber reden und wich schließlich aus.
"Weißt du eigentlich Genaueres über den Zustand von Jadens Vater und diesen anderen Mann, den ich auf der Flucht niedergeschlagen habe?"
Jake lehnte sich zurück und antwortete schließlich: "Jadens Vater lebt noch, aber er ist soweit ich weiß, noch immer ohne Bewusstsein. Steve Fanning, den anderen den du als erstes niedergeschlagen hast, war wohl sofort tot. Viele glauben zwar, dass du die Wildnis wohl nicht lange überleben wirst. Trotzdem überlegt der Rat, ob er einen Suchtrupp nach dir losschickt, um dich für diese Taten büßen zu lassen.."
"Wie wahrscheinlich ist es denn, dass man mich hier findet?" Wollte ich nun wissen.
"Meine Einschätzung... eher unwahrscheinlich. Aber ich denke du solltest trotzdem damit rechnen, dass dieser Fall irgendwann mal eintreten könnte und du solltest für so einen Fall immer vorbereitet sein."
Ich nickte und wollte nun etwas anderes wissen.
"Was machst du überhaupt um diese Zeit hier? Ich weiß nicht genau wie spät es ist.. aber ich vermute es ist so um Mitternacht.."
Jake nahm nun die Lampe und stellte sie zwischen uns. "Ich hatte dir ja gesagt, dass ich dir noch ein paar Sachen hierher bringen wollte. Und da ich tagsüber kaum Zeit habe, habe ich mich heute Nacht halt aufgemacht um dir diese Sachen zu bringen. Ich denke, diese Sachen wirst du auch wohl gut gebrauchen können." Jake stand nun auf, ging aus der Höhle und kam kurz darauf mit einem Jagdbogen, einem Köcher mit Pfeilen und einem gefüllten großen Sack wieder.
"Kannst du damit umgehen?" Dabei zeigte er mir den großen Bogen und den Köcher mit Pfeilen.
"Ich weiß nur wie man das Ding benutzt.., aber selber geschossen habe ich noch nie damit" erwiderte ich völlig erstaunt.
"Hier aber wirst du es wohl lernen müssen, wenn du hier überleben willst. Zeit zum Üben hast du jedenfalls zu genüge...“ Jake beugte sich nun über den Sack und griff mit seiner Hand hinein.
"So, was habe ich dir sonst noch so Schönes mitgebracht?" er zog einen Bündel Decken aus dem Sack. "Damit du hier nicht erfrierst, einmal noch drei weitere Decken. Ich würde dir empfehlen, dass du aus trockenem Gestrüpp, Gras und Blättern dir ein weiches Unterbett machst und darüber eine von diesen Decken legst. Mit dem leeren Sack kannst du dir vielleicht ja ein Kopfkissen machen. So was noch? Weiter habe ich dir noch zusätzliche Kleidung zum Wechseln mitgebracht. Einen Kochtopf, ein weiteres scharfes Messer, eine Nadel und Garn dazu. Und hier.." Jake zeigte mir nun einen kleinen gefüllten Sack. "Salz zum Pökeln! Hast du schon mal ein Tier geschlachtet und das Fleisch durch Pökeln oder Räuchern haltbar gemacht?"
Ich hatte schon öfters dabei zugesehen und konnte mir durchaus vorstellen das hinzubekommen, von daher nickte ich Jake zu.
"Gut, dann habe ich dir noch für die Übergangszeit noch ein Stück geräucherten Schinken, ein Sack Getreide, ein großes Glas Marmelade und eine Dose Kräutertee mitgebracht. Ach ja.. und Kerzen und ein Feuerstein habe ich dir auch mitgebracht. Na, was sagst du jetzt?" fragte er ganz selbstzufrieden und stolz.

Ich wusste erst nicht was ich sagen sollte, schließlich sagte ich nur: "Jake! Ich verdanke dir damit mein Leben und ich kann dir gar nicht genug danken für das, was du sonst noch alles für mich getan hast." Ich wollte nun aufstehen und ihn, obwohl es für mich selbst sogar völlig untypisch war, dankend umarmen.
Er hielt mich aber zurück, worüber ich auch etwas erleichtert war. "Eh, bleib sitzen Rota! Schone lieber deine Kräfte. Es kommen vielleicht auch nochmal andere Tage, wo ich vielleicht mal deine Hilfe benötige und du es mir dann immer noch vergelten kannst." er zuckte mit den Schultern. "Man weiß ja schließlich nie was noch kommt.."
"Jake.., sag mal, von wem hast du die Sachen denn überhaupt und wie um Himmels Willen willst du wieder zurück nach Kaven kommen? Die lassen dich doch nicht einfach so mir nichts dir nichts, wenn du wieder zurückkehrst, wieder durchs Tor gehen?"
Jake setzte sich wieder im Schneidersitz zu mir hin und räusperte sich, bevor er schließlich antwortete.
"Die Sachen kommen teils von mir und teils von Mallen. Meine Eltern werden nichts sagen und sie vertrauen mir. Sie akzeptieren meine Entscheidungen, obwohl sie Angst haben, dass ich mich damit in Schwierigkeiten bringen könnte. Sie versuchen auch immer wieder mich zu überreden keine Risiken einzugehen und meine Entscheidungen zu überdenken. Aber letztendlich akzeptieren sie das was ich tue. Mallen geht es übrigens wieder etwas besser, seit sie gehört hat, dass du flüchten konntest und womöglich noch lebst. Sie wollte mir noch viel mehr für dich mitgeben, aber meine Tragemöglichkeiten sind begrenzt und ich konnte daher nur das mitnehmen, was ich hierher mitgenommen habe.."
Und allein dies hier schon, muss schon eine ziemliche Plackerei gewesen sein. Erst recht, als ich darüber nachdachte wie weit und unwegsam der Weg zu dieser Höhle war.
"..Mallen wäre selber gerne mitgekommen, aber das wäre viel zu gefährlich für sie und dann auch für mich und letztlich auf für dich gewesen. Außerdem wird sie immer noch ständig von ihrem Vater und seinen Bediensteten überwacht. Aber ich habe inzwischen auch gehört, dass sie schon bald wieder zur Schule gehen soll."
"Hat Mallen schon gesagt wie sie mit den Lügen ihres Vaters umgeht?" Wollte ich nun wissen.
"Mallen hasst ihren Vater für die Lügen und für das was er dir damit angetan hat. Aber auf der anderen Seite reicht ihr Hass auch wohl nicht dazu aus, dem zu widersprechen was ihr Vater an ihrer statt ausgesagt hat. Sie würde ihn damit gefährlich hintergehen und riskieren, dass ihr eigener Vater des Meineides angeklagt und womöglich zu Tode verurteilt werden könnte."
Zu gönnen wäre es ihm ja, dachte ich nur. aber ich konnte Mallens Haltung aber noch gerade respektieren. Wie ich wusste, hatte sie ihren Vater bisher immer geliebt und sie hatte sonst ja auch niemanden außer ihm.

"Und wie kommst du wieder zurück nach Kaven?"
"Naja, eigentlich so, wie ich gekommen bin."
Dann schien er kurz über etwas nachzudenken.
"Es gibt einen geheimen Tunnel." sagte er schließlich, "Kennst du den vertrockneten Brunnen, bei der alten Kirche..?".
Ich nickte, denn es gab mal eine Zeit, da war ich in dieser teils zusammengefallenen alten Kirche häufig auch herum geklettert.
"In dem Brunnen gibt es eine Leiter. Und wenn man diese Leiter dann hinabsteigt, kann man an der Seite, wo es auch etwas tiefer hineingeht, eine alte Kiste entdecken. Hinter der Kiste befindet sich ein kleines Loch, der schließlich zu dem Tunnel führt, wo man dann zum Teil auch nur kriechend hindurch kommt. Dieser Tunnel jedenfalls, führt zur Außengrenze und rund fünfzig Schritt weiter führt dieser Tunnel sogar abseits der Außenmauern von Kaven in die Wildnis."
"Woher weißt du denn von diesem Tunnel?" fragte ich jetzt.
"Den Tunnel hat mir mein Vater gezeigt. Mein Vater hatte diesen Tunnel früher einmal durch Zufall entdeckt. Damals führte der Tunnel jedoch nur bis kurz vor der Außenmauer. Er hat ihn dann weiter unter der Mauer bis zum Ausgang in die Wildnis ausgebaut. Damals hatte er einen guten Freund, der ebenfalls aus Kaven verbannt wurde, damit geholfen in der Wildnis zu überleben. Genauso wie ich dir jetzt helfe..".
"Und wo endet dieser Tunnel?" fragte ich nun interessiert.
"Wenn du von der alten Kirche südöstlich geradeaus über die Mauer fünfzig Schritt in die Wildnis gehst, dann ist dort ein Abhang von gut zwei Schritt Höhe und in diesem Abhang befindet sich der Eingang. Der Eingang ist übrigens durch mehrere große Steine versperrt, die man vorher beiseite räumen muss. Sobald man diese Steine beiseite geräumt und sich auf die andere Seite begeben hat, sollte man den Eingang auch wieder mit diesen Steinen versperren und somit den Eingang auch gleichzeitig wieder tarnen."
"Wer weiß noch von diesem Tunnel?"
"Soweit ich weiß, meine Eltern, Mallen, ich und nun auch du. Der Freund meines Vaters wusste natürlich auch noch davon. Er lebt aber nicht mehr."
"Mallen, weiß es auch?" fragte ich nun.
"Ja, ... sie hat mir die gleiche Frage gestellt wie du..."
Jake stand nun auf.
"Rota, ich muss langsam wieder zurück. Ich werde versuchen in vielleicht zwei oder drei Wochen wieder zu kommen, um vielleicht auch zu sehen, wie du so zurechtkommst.."
Ich nickte und stand mit viel Mühe und Schmerzen ebenfalls auf. Aber es ging und meine Nase hatte auch aufgehört zu bluten. "Danke nochmal für alles was du für mich getan hast..! Aber.., Jake.., ich muss dir noch eine Frage stellen.."
"Okay, was willst du wissen?" fragte Jake interessiert.
"Warum? Warum tust du das alles für mich? Ich meine, wir kennen uns kaum."
Jake hielt ein wenig die Luft an, ehe er schließlich sagte: "Ich glaube dir und Mallen! Du bist zu Unrecht verurteilt worden.. und wenn ich die Möglichkeit habe zu helfen, dann helfe ich eben. Aber, das ist nicht der wahre Grund und ich will ehrlich sein." Er zögerte etwas und seufzte dann.
"Ach was soll’s.., ich tue das hauptsächlich wegen Mallen. Mallen ist irgendwie anders.., etwas ganz Besonderes für mich und ich.., ähh.., ich mag sie halt und wenn ich ihr damit irgendwie helfen kann, dann tue ich das auch.."
Also doch.., etwas anderes hätte mich letztendlich auch sehr gewundert.
"Aber ich glaube, da bin ich nicht der Einzige der so über Mallen denkt.., oder?" fragte er und schaute mich dabei wieder an.
Mir war diese Frage unangenehm. Mallen und ich? Für mich immer noch ein irgendwie unvorstellbarer Gedanke. Trotzdem nickte ich Jake zu.
"Kann schon sein.." sagte ich dann auch nur kurz und knapp und hoffte das Thema damit auch zu beenden.
Jake kam nun auf mich zu und legte seine Hand auf meine Schulter.
"Rota, ich weiß, dass Mallen dich mag und du ihr wohl auch sehr am Herzen liegst. Ich werde trotzdem um sie kämpfen. Aber eins kann ich dir versprechen, sollte sie sich letztlich für dich entscheiden, werde ich ihre Entscheidung akzeptieren."
Ich war beeindruckt und mir war mittlerweile von seiner ganzen Aufrichtigkeit und seine Hilfsbereitschaft auch schon ganz schwindelig.
"Jake, und ich werde Mallens Entscheidungen immer respektieren, dass verspreche ich dir." antwortete ich nun darauf und war gleichzeitig von mir selbst beeindruckt, dass ich so etwas gesagt hatte.
Wir gaben uns schließlich die Hand, wobei er meine nochmal fest drückte. "Halte durch... ja...? Es wird nicht einfach hier für dich werden. Aber, wenn einer das schaffen kann, dann denke ich, dann bist du das."
Ich nickte ihm zu und bedankte mich nochmal. Er stand schließlich auf und ging wieder zurück nach Kaven.

Wildnis

//Je kürzer der Fleiß, je länger der Tag.\\
-Marie von Ebner-Eschenbach-

Essenz:
-Rota lernt sein neues Zuhause kennen-

Am nächsten Tag wachte ich früh auf. Es war kalt und feucht in der Höhle. Dank der nun vier Decken, die mir nun zur Verfügung standen, konnte ich die Nacht jedoch einigermaßen warm und gut schlafen. Aber mein ganzer Körper schmerzte und war nun auch wegen der gestrigen Wanderung und des harten unebenen Bodens hier in der Höhle total verspannt. Mir graute davor aufzustehen und ich wäre am liebsten liegen geblieben. Da ich jedoch fürchtete, dann später gar nicht mehr aufstehen zu können, überwand ich meinen inneren Schweinehund und stand letztlich doch auf. Meine Verletzungen schmerzten immer noch höllisch und jede Bewegung die ich machte tat mir weh.

Da nun sowohl durch den Eingang, als auch durch einen Spalt in der Decke der Höhle Licht herein fiel, sah ich mir nun die Höhle erstmal genauer an. Die Höhle, so stellte ich fest, war eigentlich ideal für mich. Räumlich hat die Höhle die Form eines umgekehrten Trichters. Sie ist von allen Seiten windgeschützt. An der Höhlendecke gibt es auf der rechten Seite einen Spalt, der sich bis zum Eingang der Höhle erstreckt. Durch diesen Spalt kommt durch verschiedene Wege und Kanäle Regenwasser herein, sammelt sich in einer Wasserlache und läuft dann weiter zur rechten Seite der Höhle ab, wo es schließlich in einer felsigen Undurchdringlichkeit abfließt. Dadurch, dass die Höhle nach oben offen ist, dürfte es wohl auch möglich sein, in der Höhle Feuer zu machen, da der Rauch nach oben abziehen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich nicht weit laufen muss, um mir Trinkwasser zu holen. Die Höhle ist klein, aber groß genug, um als einzelne Person hier einigermaßen komfortabel leben zu können. Die Höhle wird mich vor Regen, Wind, gefährlichen Tieren und vielleicht auch vor anderen ungebetenen Gästen schützen. Eine echte Bereicherung, die mich wieder etwas hoffnungsvoller stimmte.
Ich raffte mich schließlich auf und aß noch etwas vom Schinken und kostete auch noch ein wenig von der Marmelade, die Jake gestern mitgebracht hat. Die Marmelade hätte ich am liebsten ganz aufgegessen.., konnte mich aber gerade noch beherrschen. Nach dieser kleinen Mahlzeit beschloss ich mich etwas zu bewegen. Ich nahm mir vor erstmal Feuerholz zu sammeln, um es dann zum Trocknen in die Höhle zu legen. Ich hoffte, dass es mir vielleicht sogar am Abend gelingt ein kleines Feuer zu machen, um mir dann auch einen warmen Kräutertee machen zu können. Weiter beschloss ich mir auch noch einen bequemen Schlafplatz für die nächsten Nächte herzurichten.

Nach gut zwei Stunden hatte ich genügend Feuerholz gesammelt und in meine Höhle abgelegt. Meinen Schlafplatz verlegte ich weiter in die Höhle hinein, dort wo es eine relativ ebene Fläche gibt. Aus mehreren dicken Ästen konstruierte ich den Rahmen für die Liegefläche und füllte die erste Schicht mit vielen dünnen Zweigen, die ich engmaschig kreuz und quer auf diese Fläche verteilte. Darüber legte ich dann Heu und Gras, welches hier auf dieser Gebirgsebene in Hülle und Fülle gab. Anschließend legte ich darüber eine der Decken. Das Ergebnis war für mich so einladend und so bequem gewesen, dass ich mich gleich für mehr als eine Stunde in meinem neuen „Bett“ zur Probe hinlegte und ich freute mich schon auf die erste Nacht in meinem neuen bequemen Bett.

Trotz dieser Freude fiel ich jedoch schnell wieder in eine gedrückte Stimmung. Ich war es zwar gewohnt immer viel allein zu sein, aber so alleine wie ich mich hier jetzt fühlte, war es dann doch noch um einiges deprimierender. Unweigerlich musste ich an die Zeit denken, wo Mallen und ich immer wieder Verbesserungen am Baumhaus vorgenommen hatten und wir häufig mit Zisko den Wald durchstreiften. Ich vermisste Mallens Lachen und ihre verrückte Ideen, die sie immer hatte. Ich vermisste selbst die Schule und mein Zuhause bei meinem Onkel. Mir fehlte nun tatsächlich mein altes, vermeintlich verhasstes Leben. Sogar Jadens ständige Schikane fehlte mir. Ich fühlte mich irgendwie.. verloren und ohne jeglichen Halt.

Onkel Jaron pflegte immer zu sagen: Ordnung ist das erste Gesetz des Himmels und wer Ordnung hält, verliert sich auch nicht. Onkel Jaron war für mich nie ein Vorbild gewesen, aber er hatte sein Leben im Griff. Familie, Beruf, Hobby, Ratsmitgliedschaft alles erforderte seine Zeit und seine Aufmerksamkeit. Onkel Jaron managte dies immer nahezu perfekt. Zielsetzung, Struktur, klare Regeln und Prinzipien waren ihm dabei nützliche Helfer. Vielleicht brauche ich hier auch nur Struktur und Ordnung, um wieder Halt zu finden. Noch besser ist es vielleicht, meinem Leben hier auch einen Sinn zu geben. Eine wichtige Frage, die ich für mich hier wohl beantworten sollte, wäre.. was will ich hier überhaupt erreichen? Und natürlich... was kann ich hier erreichen? Wichtig für das Leben in der Wildnis ist auch die Fähigkeit sich selbst versorgen zu können. Jake hatte mir gestern einen Langbogen mit Köcher und Pfeile mitgebracht. Mit dieser Waffe besaß ich nun die Möglichkeit hier in der Wildnis zu überleben. Die Möglichkeit, ja, aber nicht die Fähigkeit. Diese Fähigkeit musste ich mir erst antrainieren. Ich nahm mir daher vor, jeden Tag mindestens drei Stunden mit diesem Langbogen lernen umzugehen und Schießübungen zu machen. Weitere alltägliche Aufgaben waren Holz zu sammeln, die Gegend zu erkunden und mich um Nahrung zu kümmern. Ich stand schließlich auf und nahm den Bogen und die Pfeile und suchte mir einen guten Platz für die Schießübungen.

Das Bogenschießen machte mir Spaß und ich entwickelte einen gewissen Ehrgeiz immer besser zu werden. Ich musste aber schnell feststellen, dass es schwieriger war, als ich dachte. Ich versuchte anfangs ein Bündel Sträucher mit einem Abstand von etwa dreißig Schritten Entfernung zu treffen. Verkürzte den Abstand jedoch schnell auf nur fünf Schritten. Erst als ich mit einer gewissen Sicherheit das Ziel immer wieder traf, erhöhte ich den Abstand um einen weiteren Schritt. Am Ende meiner ersten Trainingseinheit traf ich zuverlässig mein Ziel auf gut acht Schritt Entfernung. Mein Arm schmerzte, aber ich fühlte mich ermutigt und freute mich schon auf den nächsten Tag meiner Schießübungen.

Wie ich es geplant hatte, machte ich danach noch eine Wanderung, um die Gegend hier näher zu erkunden. Zur Sicherheit nahm ich mein Messer und meine neue Waffe, den Bogen und den Köcher mit Pfeilen mit. Dazu schnürte ich mir auch noch den Sack auf den Rücken um gegebenenfalls etwas Brauchbares, wie trockenes Feuerholz oder Gestrüpp, was ich unterwegs finden könnte mitzunehmen.

Das Wetter war angenehm. Es war zwar bewölkt, aber trocken und auch nicht sonderlich kalt. Meine Schmerzen am Fuß behinderten mich beim Gehen zwar immer noch, aber ich hatte das Gefühl, dass es langsam besser wurde. Auf meiner Wanderung fiel mir auf, dass die Gegend hier sehr abwechslungsreich ist. Wälder, Wiesen aber auch karge Gebirgslandschaften wechseln sich ständig ab. Es gab viele Tiere zu sehen und zu hören. Zu hören waren vor allem Sing- und Raubvögel. Ich entdeckte Bergziegen, Rehe, Hasen und schließlich eine für mich unbekannte relativ große Schlange. Und weil diese Schlange so greifbar nahe war, entschied ich mich diese zu töten und mit in die Höhle zu nehmen, um sie dann heute abend noch am Feuer zu essen. Ich hatte zwar noch nie Schlange gegessen und wusste auch nicht, wie man eine Schlange überhaupt zubereitet, aber das waren Dinge die ich hier lernen und tun musste um zu überleben. Mich widerstrebte es diese Schlange zu töten und sie danach auch noch zu schlachten. Ich hatte so etwas auch noch nie getan und nie machen müssen. Aber mir war klar, wenn man etwas tun muss, was man nicht gerne macht und tut, dann sollte man es am besten gleich tun.
Ich suchte mir daher schnell einen Stock der sich am Ende gabelte. Es dauerte auch nicht lange, dann hatte ich einen gefunden und ich schnitt ihn mit meinem Messer zurecht. Mit der gegabelten Seite des Stocks näherte ich mich dann wieder der Schlange, die sich erfreulicherweise noch immer dort befand. Als ich mich nah genug der Schlange genähert hatte, streckte ich meinen Stock mit der gegabelten Seite der Schlange entgegen. Die Schlange fauchte und schlängelte sich meinem Stock bedrohlich entgegen. Als ihr Kopf dann die Gabel meines Stocks zu nahe gekommen war, sah ich die Chance und stieß zu. Die Schlange wich jedoch mit ihrem Kopf sehr schnell zurück. Ich stieß jedoch ebenfalls schnell nach und drückte schließlich doch noch den Kopf der Schlange zu Boden. Ich zog schnell mein Messer und schnitt der Schlange damit sofort den Kopf ab. Damit hatte ich nun mein erstes Tier in der Wildnis getötet! Danach schlitzte ich noch der Schlange den Leib auf, um die Innereien aus der Schlange zu entfernen. Nachdem ich das getan hatte, beschloss ich wieder zur Höhle zurückzukehren. Für heute hatte ich auch schon viel erreicht und mit diesem erfolgreichen Jagdergebnis mehr als zufrieden.

Als ich dann später wieder in der Höhle war, enthäutete ich die Schlange und schnitt das Fleisch in mehrere kleine Stücke. Nun war die Zeit gekommen um mein erstes Feuer hier zu entfachen. Ich hatte schon befürchtet, dass es nicht einfach sein würde ohne Feuerwolle ein Feuer zu machen, aber dass ich so lange brauchen würde, hatte ich mir auch nicht vorstellen können. Erst sehr spät in der Nacht gelang es mir mit dem Feuerstein in dem trockenen Heu, so einen Feuerfunken zu schlagen, dass das Heu endlich Feuer fing und ich dann durch Zugabe von dünnem Trockenholz ein richtiges Feuer zu entfachen. Als das Feuer sicher brannte, widmete ich mich wieder dem Fleisch der Schlange zu. Ich hatte einen riesigen Hunger und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich streute noch ein wenig Salz auf das Fleisch und hielt es dann mit einem Stock ans Feuer. Das Fleisch der Schlange schmeckte mir zwar nicht sonderlich, aber es war besser als ich erwartet hatte. Auch war ich natürlich stolz, dass ich es selbst war der dieses Tier getötet und so zubereitet hat, dass es meinen Hunger stillte. Bevor ich zu Bett ging, machte ich mir in dem Topf noch einen Kräutertee. Während ich den Kräutertee trank, dachte ich über meinen ersten Tag hier in meinem neuen Zuhause nach.

Ich habe hier eine echte Überlebenschance und ich konnte mir nun gut vorstellen über einen längeren Zeitraum hier zu leben. Aber für immer hier, alleine, leben? Nein.., das wollte ich dann doch nicht. Was also möchte ich hier für mich erst mal erreichen? Zum einen, möchte ich erstmal, dass meine Verletzungen wieder verheilen und dass ich wieder gesund werde. Ob ich will oder nicht, ich muss auch lernen hier in der Wildnis zu überleben. Jedenfalls habe ich hier alles um für eine gewisse Zeit überleben zu können. Weiter kann ich auch die Zeit dazu nutzen um festzustellen wo und wie die Ausgestoßenen hier leben und ob ich mich ihnen vielleicht anschließen kann oder ich mich vor ihnen in Acht nehmen muss. Und insbesondere will ich meine Versprechen einhalten. Ich habe mir und besonders Jaden versprochen ihn für seine Taten noch büßen zu lassen. Dieses Versprechen wollte ich unbedingt einhalten. Und als ich darüber nachdachte, fiel mir der geheime Tunnel, von dem Jake erzählte, ein. Dieser Tunnel könnte mir bei der Einlösung dieses Versprechens jedenfalls noch ganz nützlich sein.

In den nächsten Tagen passierte nicht viel. Ich gewöhnte mich langsam an meinem neuen Zuhause. Ich machte jeden Tag, wie ich es mir vorgenommen hatte, meine Schießübungen mit dem Bogen. Hierbei machte ich auch gute Fortschritte. Ich traf mittlerweile nun sogar auf fünfzehn Schritt Entfernung ziemlich sicher das Ziel. Ich kümmerte mich um Brennholz, machte jeden Tag einen Ausflug um die Gegend weiter zu erkunden und um etwas Essbares wie Beeren, essbare Wildpflanzen und Kräuter zu finden, und natürlich um zu jagen. Meine Erfolgsquote war jedoch noch ziemlich bescheiden. Einen nicht mehr ganz so gesunden alten Hasen konnte ich bisher nur erledigen. Ich war aber zuversichtlich, dass ich mich hier noch steigern konnte. Tiere, die für mich gefährlich werden konnten, hatten sich mir bisher nicht gezeigt. Ich hatte wohl Bären und Wölfe gesehen, aber die schienen jedenfalls kein Interesse an mir zu haben und ließen mich bisher auch immer in Ruhe. Meine Verletzungen, insbesondere mein Fuß, hatten sich nicht entzündet und heilten sehr gut und schnell. Mittlerweile war ich auch schon fast schmerzfrei und konnte mich wieder normal bewegen. Meine Höhle verbesserte ich unentwegt. Das Feuermachen gelang mir mit jedem Tag besser und ich bekam den Dreh hierfür langsam raus. Jedoch fühlte ich mich einsam und ich sehnte mich nach etwas Geselligkeit. Jake sagte er würde so in zwei oder drei Wochen wieder kommen wollen. Mir fiel es mittlerweile schwer die Tage hier festzuhalten und so entschied ich mich für jeden vergangenen Tag einen Strich mit einem Stein an die Höhlenwand zu kratzen. Demnach dürfte es vielleicht nur noch eine Woche dauern, bis Jake wieder kommt. Da es mir nun auch wieder etwas besser ging, könnte ich vielleicht auch mal wieder nach Kaven gehen und mich mit Mallen treffen. Natürlich dann nur nachts, wenn die meisten in Kaven noch schliefen.
Warum eigentlich nicht? Man kann es ja zu mindestens auf einen Versuch ankommen lassen. Aber vorher sollte ich besser nochmal mit Jake darüber sprechen. Er könnte dies dann ja mit Mallen vorher besprechen, wo und wann man sich dann treffen könnte.

Zuvor hatte ich aber jedoch noch meine erste Begegnung mit den Ausgestoßenen hier in der Wildnis.

Erster Kontakt

//Mut steht am Anfang des Handelns. Glück am Ende.\\
-Demorit-

Essenz:
-Rota bekommt Gesellschaft und rettet jemandem das Leben-

Es war später Nachmittag und ich war gerade wieder auf dem Weg zur Höhle. An diesem Nachmittag hatte ich lediglich ein paar Beeren gefunden, da ich aber noch etwas von Jakes Schinken übrig hatte, musste ich zu mindestens heute noch nicht hungern. Als ich gerade darüber nachdachte, dass ich morgen unbedingt wieder Beute machen muss, hörte ich in der Ferne plötzlich Stimmen. Ich warf mich sofort zu Boden. Mein Herz fing wie wild an zu schlagen. Das waren Menschenstimmen. Ich kroch schnell hinter einem größeren Felsen und versuchte die Stimmen ausfindig zu machen. Dann sah ich sie schließlich. Soweit ich erkennen konnte handelte es sich um drei Personen. Nach genauerem Hinsehen war es ein dürrer älterer Mann mit langen, weißen Haaren und einem zotteligen langen Bart. Dieser alte Mann führte ein kleines Kind an der Leine und sie stiegen gerade behäbig einen Hügel hoch. Die Leine war, so konnte ich nun erkennen, um den Hals des Kindes geschnürt. Und hinter dem kleinen Kind lief ein großer schlaksiger Mann mit schütteren langen Haaren hinterher. Dieser Mann schien auf jeden Fall jünger zu sein als der andere. Bewaffnet mit einem Knüppel in der Hand, schien er darauf aufzupassen, dass das Kind wohl nicht flüchten konnte. Alle drei machten einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Die beiden Männer waren in ziemlich zerschlissenen Lumpen gekleidet. Das Kind trug lediglich ein Fell von irgendeinem Tier, das ihr wie ein Poncho und mit einem Lederband oder etwas ähnlichem um den Leib geschnürt war.

Ich fragte mich, was diese beiden Männer vorhatten, wohin sie gehen wollten und warum sie ein kleines Kind wie eine Gefangene an der Leine herum führten? Ich war neugierig und wollte diese Fragen nachgehen und ich entschied mich daher ihnen mit einem gewissen Abstand zu folgen.

Als ich mich ihnen dann ab und an genähert hatte, erkannte ich, dass es sich bei dem Kind wohl um ein etwa sechsjähriges oder etwas älteres Mädchen handelte. Das Mädchen sah irgendwie fremdartig aus. Ihre Haut war dunkel und ihr kohlenrabenschwarzes glattes Haar war zu einem ungewöhnlichen Zopf geflochten. Das Mädchen sah zäh und irgendwie abgehärtet aus. Auch wirkte sie, wenn man ihre scheinbar missliche Lage bedachte, ungewöhnlich ruhig. Sie wurde des Öfteren immer wieder von dem Jüngeren geschupst, beschimpft und dazu angehalten schneller zu gehen. Und der Ältere ließ auch keine Zweifel daran, dass dieses kleine Mädchen ihre Gefangene war. Er zerrte ständig und unbarmherzig an der Leine, wenn sie kurz mal nicht Schritt halten konnte. Warum halten diese beiden Männer ein kleines Mädchen als Gefangene? Was haben sie mit ihr vor? Mir tat die Kleine jedenfalls immer mehr Leid und auf der anderen Seite bewunderte ich sie gleichzeitig für ihre Tapferkeit, diese Tortur ohne Jammern und Gezeter über sich ergehen zu lassen. Ich haderte mit mir ob ich eingreifen und dieses Mädchen helfen sollte, oder ob es vielleicht besser wäre abzuwarten und sie weiter zu verfolgen um dann mehr zu erfahren. Beispielsweise, wohin sie gehen und was sie letztendlich mit dem Mädchen und überhaupt vorhatten.

Ich entschied mich für Letzteres und wollte sie weiter beobachten und mehr erfahren. Helfen konnte ich vielleicht dann ja immer noch. Ich hielt mich dann immer gut zweihundert Schritt von ihnen entfernt, um meine Anwesenheit so gut es geht vor diesen Ausgestoßenen zu verbergen. Irgendwann erreichten die drei eine Waldgrenze und da es langsam dunkel wurde, fürchtete ich nun, dass ich sie aus den Augen verlieren könnte. Als ich mich gerade aufmachen wollte um näher an sie heranzukommen, sah ich gerade noch rechtzeitig, dass sie Halt gemacht hatten und der Jüngere von den beiden anfing Feuerholz zu sammeln. Ich tauchte sofort wieder hinter mein Versteck. Es schien so, dass sie sich entschieden hatten Rast zu machen oder vielleicht sogar an diesen Platz übernachten zu wollen.

Ich suchte mir daher einen besseren Platz um diese drei aus sicherer Entfernung weiter beobachten zu können und nebenbei auch entspannter liegen zu können. Mir wurde langsam kalt. Ich hatte zwar eine Decke dabei, die ich mir morgens noch zu einer Wurst zusammengerollt und um meinen Körper gelegt hatte. Da ich aber fürchtete von dem Jüngeren beim Holzsammeln entdeckt zu werden, entschied ich mich aber noch dagegen meine Decke zu nehmen. Dann plötzlich fing das Mädchen lauthals zu flehen und zu weinen an. Dann sah ich, dass der jüngere der beiden Männer auf einmal mit dem Knüppel auf das Mädchen zu ging. In der anderen Hand hielt er ein großes Messer. Was hatte er vor? Er will doch nicht.. Dann schlug er mit dem Knüppel auf das Mädchen ein. Ich konnte nun nicht mehr an mir halten, sprang auf und schrie: "Halt! Sofort aufhören!!" Ich riss mir meinen Bogen vom Rücken und legte ein Pfeil an die Sehne und rannte um Entschlossenheit ringend auf die dreien zu. Die beiden Männer wirkten erschrocken und glotzten mich nun mit offenem Mund an. Der Jüngere löste sich jedoch schnell aus seiner Starre und griff nun seinerseits an und lief jetzt direkt auf mich zu. Ich fing, wie ich es sonst auch schon erfolgreich getan hatte, wieder an zu schreien und spannte dabei meinen Bogen. Nun sah der Jüngere mit seinem Knüppel meinen Bogen und dann starrte er mich an. Er hielt an und schien nun irgendwie verwirrt. Wir waren nur noch zwanzig Schritte voneinander entfernt. Ich wusste nicht ob er nur in diesem Moment schwachsinnig wirkte oder er es vielleicht auch war. Er bewegte sich immer noch nicht und war inzwischen ein leichtes Ziel für mich. Ich spannte den Bogen, zielte und ließ die Sehne los. Der Pfeil schoss direkt auf diesen Idioten zu und traf ihn mitten in die Brust. Ich zog nun mein Messer aus der Scheide und rannte weiter auf ihn zu. Der Mann guckte immer noch völlig verwirrt, so als ob er es immer noch nicht glauben konnte, was sich hier gerade abspielte. Ich stach ihm schließlich, ohne viel Gegenwehr, mit dem Messer direkt in sein Herz und rannte dann, ohne weiter auf ihn zu achten, geradewegs auf den anderen, den alten Mann zu.

Der alte Mann war jedoch bereits bei dem Mädchen und hielt ein abgewetztes Messer an ihrem Hals und schaute mich mit einem schmierigen und fast zahnlosem Grinsen an.
"Da hol mich doch der Teufel! Gott hämmere mich.. Oder bist du sogar der Teufel persönlich?" Er tippte nun auf dem Kopf des Mädchens. "Willst dieses Ding, dieses krasianische Balg wohl für dich selbst haben, was..? Ist es das was du willst? Ja? Willst es anscheinend lebendig haben.., hm? Oder was soll das hier werden?"
Das Mädchen war also eine Krasianerin. Das erklärte Einiges. Mein Blick fiel auf das Mädchen. Sie schaute mich mit schmerzverzerrtem und ängstlichem Gesicht an. Krasianer hatte ich mir immer als bedrohliche, gefährliche und grobschlächtige Menschen vorgestellt. Sie entsprach dieser Vorstellung jedoch in keinster Weise. Der alte Mann zeigte mir nun ein noch breiteres Grinsen und bedeutete mir mit seinem Finger, dass ich ruhig noch näher kommen soll.. "Komm nur.., Satan.., noch ein Schritt näher und ich werde dir zeigen, was ich aus diesem Stück Fleisch so alles an Blut herausholen kann. Hm? Hast du mich verstanden?" krächzte er.

"Was hattet ihr mit ihr vor?" fragte ich mehr aus Hilflosigkeit, als das ich es wirklich wissen wollte.
"Was kümmert dich, was wir mit diesem Balg vorhatten? Wir sind Menschen und wir haben Hunger! Die töten und essen und wir müssen ebenfalls töten um zu überleben.. Was ist daran falsch?"
Das Mädchen war noch bei Bewusstsein, aber es blutete stark. Dann plötzlich drehte sie sich jedoch blitzartig unter dem Messer und rollte sich zur Seite weg. Der alte Mann wollte sie noch festhalten, aber das war nun zu spät für ihn. Ich stürmte auf ihn los und rammte ihm, bevor er mich mit seinem Messer gefährlich werden konnte, mein Messer direkt in seinem Hals. Er würgte und schaute mich dabei noch entsetzt an. Ich zog das Messer heraus und stieß es ihm nun in seine rechte Schläfe. Sein ganzer Körper zuckte dabei nochmal wild auf, aber dann war's vorbei. Er kippte zur Seite weg und bewegte sich auch nicht mehr.

Dai

//Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen.\\
-Ovid-

Essenz:
-Obwohl Dai eine Krasianerin ist und beide keine gemeinsame Sprache sprechen, nimmt Rota das Mädchen in seine Obhut-

Ich entfernte mich nun auf ein paar Schritte und musste erst mal verdauen was hier soeben alles passiert war. Das Mädchen schaute mich zwar völlig verblüfft aber immer noch ängstlich an. Zittrig wie ich war hob ich beide Hände um ihr zu signalisieren, dass sie keine Angst vor mir zu haben brauchte.
"Keine Angst! Du brauchst jetzt keine Angst mehr zu haben. Ich tu dir nichts. Keiner wird dir hier mehr was tun.. Okay? Alles.., in Ordnung..!" versuchte ich sie zu beruhigen und setzte mich erschöpft auf dem Boden. Ich schaute sie an und erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie mir anscheinend glaubte. Was nun? War ich nun für sie verantwortlich? Werde ich sie mitnehmen müssen?
"Verstehst du mich? Verstehst du meine Sprache?" fragte ich nun. Das Mädchen schüttelte den Kopf und ihr liefen nun still ein paar Tränen übers Gesicht. Obwohl Weinen für mich immer als ein Zeichen von Schwäche ist, wirkte sie in diesem Moment nicht schwach, vielmehr strahlte sie durch diese Tränen auch irgendwie eine innere Stärke und Tapferkeit aus.

Ich stand nun wieder auf und ging langsam auf das Mädchen zu und hockte mich schließlich kurz vor ihr hin. Ich zeigte auf ihren verletzten Kopf und gab ihr zu verstehen, dass ich mir das gerne näher anschauen wollte. Sie schreckte jedoch zurück und ich hatte schon Angst, dass sie schon weglaufen wollte. Sie blieb aber und schien nun meine Absicht zu verstehen. Sie nickte mir zu, schloss ihre Augen und hielt mir ihren verletzten Kopf hin. Ihre Kopfverletzung sah übel aus und blutete immer noch, aber, soweit ich erkennen konnte, schien es letztlich nur eine Platzwunde zu sein und kein Bruch an der Schädeldecke.
"Es sieht schlimmer aus, als es ist.." sagte ich nur. Sie mag vielleicht meine Sprache nicht verstehen, jedoch erkannte sie wohl an meinem Gesichtsausdruck und an meinem Tonfall, dass die Verletzung nicht so schlimm war. Sie hörte nun auf zu weinen und schaute mir jetzt direkt in die Augen. Da es für mich eher ungewöhnlich war und auch etwas unangenehm, dass man mir so in die Augen schaute, hielt ich ihren Blickkontakt nicht lange stand und wendete mein Blick von ihr ab. Als ich sie kurze Zeit später dann doch wieder anschaute, lächelte das Mädchen. Diesem Lächeln konnte ich nicht widerstehen und musste nun ebenfalls etwas lächeln. Dann plötzlich stand sie auf und umarmte mich und sagte immer wieder.. "biädo, biädo..."
Was auch immer "biädo" heißen mochte, meine Augen füllten sich entgegen meinem Willen nun auch noch mit Tränen. Für mich war diese Umarmung ja etwas völlig Neues und Fremdes, womit ich Probleme hatte erstmal umzugehen. Trotzdem ließ ich sie gewähren, da es mir andererseits auch irgendwie gefiel und mein Herz rührte. Dann aber löste ich mich nach kurzer Zeit von ihr.
"Wir werden hier nicht bleiben!" Schon allein das Wort -wir- kam mir irgendwie unwirklich vor. Daran werde ich mich vielleicht wohl erst noch gewöhnen müssen. Ich stand auf und zeigte auf die beiden Toten und schüttelte mit dem Kopf, als ich eine Geste des Schlafens machte. Dann zeigte ich in die Richtung wo sich meine Höhle befand.
"Wir suchen uns ein anderen Schlafplatz.., ja?"
Sie nickte, stand nun ebenfalls auf und ging zu dem toten alten Mann. Was will sie jetzt?
"Is hura ahau ki a koe!" schimpfte sie nun, spuckte auf den Toten und nahm sich, wie selbstverständlich, seiner Habseligkeiten an. Was einem angeboten wird, sollte man auch annehmen, wird im gesagt, besonders dann, wenn man es auch braucht. Ich ging daher zu den anderen Toten und holte mir meinen Pfeil wieder. Dabei nahm ich ihm auch noch sein Messer, ein Seil, seine Hose und seinen kaputten Mantel ab. Außerdem nahmen wir ihre Schlaffelle, ihre Feuersteine, Wasserschläuche und ihre Trinkgefäße mit. Etwas Essbares hatten sie leider nicht dabei gehabt.

Es war mittlerweile auch schon langsam dunkel geworden. Ich nickte ihr zu und wir machten uns schließlich auf, um einen anderen Schlafplatz zu finden. Nachdem wir dann ein paar Schritte gelaufen waren, fiel mir ein, dass ich noch gar nicht wusste wie mein Schützling nun eigentlich hieß.
"Wie heißt du?" fragte ich schließlich.
Das Mädchen schaute mich fragend an. Ich tippte mit meinem Zeigefinger auf mich und sagte: "Rota! Mein Name ist Rota!" Dann zeigte ich auf sie. "Dein Name?"
Sie schaute noch kurz etwas verwirrt. Aber dann konnte ich Verständnis in ihrem Gesicht erkennen. Sie zeigte nun ihrerseits mit ihrem Finger auf sich und sagte: "mat tomine... Dai! ..Dai!"
Ich runzelte die Stirn. "Dein Name ist Dai..? Dai?"
Sie lächelte, nickte und zeigte mit ihrem Finger auf mich und dann auf sich und sagte: "to tomine Rota ... mat tomine .. Dai!"
Wie niedlich das klang, wenn sie sprach.. dachte ich nur. Es wird mir vermutlich nicht schwer fallen dieses Mädchen zu mögen. "Ich glaube wir werden uns gut verstehen, Dai! Was meinst du?"
Sie lächelte und schaute mir dabei wieder so eindringlich in die Augen. Ich erwiderte ihr Lächeln und verspürte zum ersten Mal in dieser Wildnis so etwas wie Glück.

Nach gut einer Stunde fanden wir schließlich einen geeigneten Platz zum Schlafen. Wir aßen noch die Beeren auf, die ich am Nachmittag noch gefunden hatte und machten dann unsere Schlafplätze für die bevorstehende Nacht fertig. Es gab noch so vieles zwischen uns zu bereden und was wir voneinander wissen wollten. Ich spürte, dass sie gerne gewusst hätte wohin wir gehen. Was sie dann dort zu erwarten hatte? Wer ich war..? Und umgekehrt hätte ich gerne gewusst, ob sie noch Familie hatte und wie es dazu kam, dass sie von diesen beiden Ausgestoßenen gefangen genommen wurde. Aber wir waren beide zu müde und erschöpft um noch krampfhaft uns zu unterhalten. Kein Feuer, kaum Worte, nur Gesten und Dunkelheit. Dai hatte ihr Schlafplatz wie selbstverständlich ganz neben meinem gemacht. Ich hatte nichts dagegen und eigentlich war es mir sogar ganz recht, denn die Nacht war kalt, aber trocken. Als wir dann beide unter den Schlaffellen lagen, wünschte ich ihr noch eine gute Nacht. Sie sagte dann leise sowas wie "hon zoone".
Ich wiederholte dann was sie sagte, in der Hoffnung das "hon zoone" sowas wie gute Nacht heißen würde. Sie kicherte und sagte nochmal "hon zoone".
"Genau... hon zoone.. schlaf gut!"
Dann schliefen wir ein.

Am nächsten Morgen wachte ich bei Tagesanbruch auf. Dai lag ganz dicht an mich geschmiegt bei mir und schlief noch. Ich mochte kaum aufstehen, da ich sie ungern wecken wollte und es mir einfach auch gefiel, wie sie so eng an mich gekuschelt friedlich schlief. Ich stand aber trotzdem auf und schaute mich etwas um. Wir waren nahe am Fluss und meiner Einschätzung nach, nur noch rund drei Stunden von der Höhle entfernt. Dai wachte nun ebenfalls auf. Sie gähnte und streckte sich. Dann stand sie auf und kam auf mich zugetrottet.
"Guten Morgen, Dai... Gut geschlafen?" Mir war klar, dass sie mich natürlich nicht verstand. Aber das waren nun mal die ersten Sätze, an die sie sich schon mal gewöhnen konnte.
Sie guckte mich nun fragend an. "Guden Mogen?" wiederholte sie fragend.
"Gu_t_en Mo_rr_gen... das ist einfach nur so ein... morgendlicher Gruß" sagte ich. Das wird noch ziemlich anstrengend werden, dachte ich, aber was soll‘s.., wir haben viel Zeit und eins nach dem anderen oder wie man auch sagt.. Schritt für Schritt. Ich hatte nun eine Idee und schnappte mir nun einen kleinen Stock.
"Pass auf!" Ich kratzte nun mit dem Stock vier Bilder auf den trockenen Lehmboden. Ein nächtliches Bild mit Mond und Sterne, ein morgendliches Bild, wo die Sonne aufgeht, ein Bild des Tages und ein abendliches Bild, wo die Sonne wieder untergeht. Ich zeigte mit dem Stock auf die einzelnen Objekte der Bilder und benannte sie im Einzelnen.
"Das ist die Sonne... " und wiederholte nochmal deutlicher.. "S_o_n_n_e !" Dabei zeigte ich sowohl auf die gerade erst aufgegangene Sonne, als auch auf meine gemalte Sonne. Dann zeigte ich auf dem Himmel. "Das ist der Himmel.. H_i_m_m_e_l ." Sie verstand es und wiederholte die Wörter auch immer. Anschließend versuchte ich ihr dann auch die einzelnen Bilder und deren Bedeutung zu erklären.
"Das, Dai, ist das morgendliche Bild. Der Morgen!" Ich tat gerade so als würde ich aufstehen, gähnen und mich strecken und sagte dann: "Das ist der gute Morgen!" und zeigte dabei auf das gesamte morgendliche Bild.
Sie schien zu begreifen und wiederholte nachdenklich: "de gute Morgen.."
Als ich ihr schließlich die restlichen Bilder auch noch erklärt hatte, kam mir ein weiterer Gedanke. Ich nahm wieder den Stock und kratzte auf einer noch freien Stelle des Bodens, das Bild meiner Höhle. "Das ist meine Höhle." sagte ich und versuchte ihr mit Gesten zu erklären, dass ich dort wohnte. Weiter zeichnete ich auch noch eine lange geschlängelte Linie zu dieser Höhle, die den Weg darstellen sollte, den wir noch zu gehen hatten und sie und mich als zwei Strichmännchen dargestellt, die sich auf diesem Weg befanden. Auch dies schien sie offensichtlich zu verstehen, da sie mir immer wieder, fast schon etwas übertrieben, zunickte und durch Gesten verständlich machte, dass wir das beide sind und wir diesen Weg zur Höhle gehen werden. Sie betonte dies, indem sie übertriebene Schritte auf der Linie hin zu meiner gezeichneten Höhle machte.
Als sie nun auf der gemahlten Höhle stand, blieb sie stehen und schien etwas zu fragen: "tili okah?" Dann zeigte sie auf mich und auf sich und dann zeigte sie wahllos in andere Richtungen. Da ich nicht antwortete und sie nur fragend anschaute, nahm sie mir den Stock aus der Hand und malte jetzt mehrere Strichmännchen bei der Höhle. "tili okah? pali zinanso?"
Jetzt verstand ich. Ich schüttelte den Kopf und sagte: "Nein, nein, wir sind alleine dort.." Jetzt nahm ich wieder den Stock und strich bis auf zwei Strichmännchen weg. "..und diese zwei,…" erklärte ich ihr mit Gesten und Worten gleichzeitig, "...sind du und ich. Verstanden?" und zeigte dabei auf sie und dann auf mich.
Sie schien nun beruhigt und nickte mir zu. "Festandn!" sagte sie und brachte mich mit dem Gesagten zum Erstaunen. Mir wurde klar, dieses Mädchen ist alles andere als dumm. Sie ist wissbegierig, hört mir zu und wendet das Gelernte gleich an. Mein Bild über die Krasianer fing immer mehr an zu bröckeln.

Ich wollte nun mehr von ihr erfahren und nahm den Stock wieder in die Hand und kratzte nun ein Bild von einer Familie auf den Boden. Mutter, Vater und Kind. Dann zeigte ich auf das Kind und sagte: "Das bist du.. Dai." Dann zeigte ich auf die Eltern und fragte: "Wo ist deine Mutter? Wo ist dein Vater?"
Dai schaute mich nun traurig an und schüttelte den Kopf.
"ondi moyound!" und wischte mit ihren Händen zwei Strichmännchen, die Eltern wieder weg.
Ich nickte. "Gibt es denn sonst keinen?" Ich kratzte mehrere andere Personen und dann ein Pfeil von dem kleinen Mädchen, also Dai, zu diesen Personen hin.
Sie schüttelte wieder mit dem Kopf "horen... nahin." sagte sie sehr entschieden und wischte den auch wieder Pfeil weg.
Ich stand schließlich auf. "Dann, Dai, sind wir wohl beide allein. Komm! Lass uns gehen."
Wir packten die Sachen und machten uns nun auf den Weg zurück zur Höhle.

Als wir den Fluss erreichten, füllten wir die Wasserschläuche auf. Da Dai ziemlich schmutzig war, habe ich sie noch dazu gedrängt sich zu waschen. Dai wollte nicht und zeigte mit ihrem Finger auf mich und rümpfte die Nase und zeigte dann zum Fluss. Damit schien sie wohl anzudeuten, dass ich selbst ein Bad nötig hatte. Damit könnte sie natürlich recht haben, denn ich hatte mich schon lange nicht mehr richtig gewaschen. Ich nickte ihr schließlich zu.
"Okay, dann müssen wir uns beide eben waschen." Ich zog mich aus und nahm auch noch die schmutzigen Sachen mit ins Wasser, die wir den Ausgestoßenen abgenommen hatten. Dai tat es mir gleich. Es war schon so kalt gewesen, aber das Wasser fühlte sich eisig an. Dai zitterte wie Espenlaub und mir ging es nicht anders. Dai fing an zu lachen und ich fand die Situation auch irgendwie zu komisch und musste nun ebenfalls ein wenig lachen. Ich schaffte es aber letztendlich mich und sogar die mitgenommenen Kleider zu waschen. Das Wasser war zwar eisig kalt gewesen, aber wir fühlten uns danach wesentlich frischer und motivierter wieder weiter zu gehen.

Nach ein paar weiteren Stunden erreichten wir schließlich meine Höhle. Dai schien von der Höhle begeistert zu sein. "Te ana pai" rief sie fröhlich und freute sich auch wohl auf die erste Nacht hier zu schlafen, denn sie legte sich sofort auf mein Schlafplatz und tat so als ob sie friedlich eingeschlafen war. Als sie sich dann ein wenig beruhigt hatte und wir wieder merkten wie hungrig wir waren, aßen wir noch den restlichen Schinken auf. Das letzte Stück vom Schinken schmeckte ranzig und setzte auch schon an paar Stellen Schimmel an. Dai aß ihn trotzdem ohne zu zögern auf. Ich selbst war in dieser Hinsicht doch etwas verwöhnt und hielt mich zurück, mit dem Ergebnis, dass sie auch meinen Teil des Schinkens mitverzehrte. Danach aßen wir noch etwas von der Marmelade. Dai hätte am liebsten das ganze Marmeladenglas leer gemacht, aber das konnte ich gerade noch verhindern.

Da wir nun kaum noch etwas zu essen hatten, beschloss ich noch heute mit Dai auf die Jagd zu gehen. Obwohl sie mich natürlich noch nicht versteht sagte ich es ihr trotzdem.
"Dai wir werden gleich noch auf die Jagd gehen müssen." Ich zeigte dabei auf Pfeil und Bogen und machte dann eine Geste als ob ich etwas essen würde. "Auf die J_a_g_d." sagte ich nochmal deutlich. Sie verstand mich und schien sich darauf zu freuen. Dann fiel mir auf, dass sie ja immer noch mit nur dem einem Fell bekleidet war und sie damit eigentlich ziemlich frieren müsste. Ich ging zu meinem Schlafplatz und nahm mir eins meiner Hemden, dass mir selbst schon etwas zu klein geworden war. Ich zeigte auf das Hemd und dann auf Dai.
"Magst du das anziehen?"
Ohne zu zögern, zog Dai sich ihren Fellponcho aus und zog sich das Hemd an. Es war, wie zu erwarten, viel zu groß. Das Hemd reichte ihr bis kurz über die Knie. Aber das war auch ganz gut so, denn man konnte mit einem Stück Seil um die Taille, daraus so eine Art längeres Unterkleid machen. Das Fell legte ich ihr noch über das Hemd und band ihr dann auch gleich mit dem Stück Seil von den Ausgestoßenen, das Hemd und das Fell eng um die Taille. Die Ärmel krempelte ich ihr danach auch noch auf Höhe ihrer Handgelenke.
"Gar nicht so schlecht.." murmelte ich vor mich hin.
Dai schien es ebenfalls sehr zu gefallen und bewegte sich nun leicht tänzerisch hin und her durch die Höhle. Was aber konnte ich für ihre bloßen Füße und Beine tun? Dann fiel mir ein, dass ich ja noch die Stiefel von Jaden hatte. Mir war klar, das die natürlich zu groß waren, aber vielleicht ließ sich noch etwas daraus machen. Ich holte die Stiefel und zeigte sie dann Dai.
Dai bekam große Augen und fragte: "kukume?"
"Kuukumme.. was?" wiederholte ich fragend und sagte dann.. "Anziehen!"
"Ansien?"
Ich nickte ihr zu. "Ja, anziehen. Probier sie an!"
Sie nahm sie, zog sie an und ich schnürte ihr noch die Stiefel. Dann lief sie damit ein paar Schritte. Es sah komisch aus und die Stiefel waren wie schon vermutet einfach viel zu groß und klobig. Ich könnte die Stiefel, die wir von dem alten Mann genommen hatten, mit dem Messer versuchen kleiner zu schneiden, aber dann würden sie mit Sicherheit nicht mehr warm halten. Jake aber würde nun ja hoffentlich auch bald kommen und er würde bestimmt eine Möglichkeit finden Kleider für Dai zu besorgen. Von daher mussten diese Stiefel erst mal ausreichen. Letztendlich löste sich das Problem, als Dai sich auch noch die Hose von Jaden anzog und ich die Überlänge der Hose so um die Füße wickelte, dass sie damit die Stiefel gut ausfüllte und die Füße bequem in den Stiefel lagen. Mit Bändern schnürte ich ihr die Hose noch etwas enger um ihre Beine, damit ihr die weite Hose nicht beim Gehen behinderte. Dai dankte es mir, in dem sie mich fest umarmte und dann immer wieder "biädo" sagte und vor mir her stolzierte.

Die Jagd verlief erfolgreich. Ich erlegte gleich bei der ersten Gelegenheit mit einem Pfeilschuss einen größeren Falken. Dai verhielt sich bei der Jagd vorbildlich. Sie war absolut ruhig und hielt immer einen gewissen Abstand zu mir. Ich vermutete, dass es nicht ihre erste Jagd gewesen war, wo sie dabei war. Als ich den Falken getroffen hatte, rannte sie dann geradewegs auf das sterbende Tier zu und drehte dem Falken mit einem gekonnten Griff den Kopf um und brachte mir dann die Beute.
"Nun müssen wir nur noch hoffen, dass wir das Feuer auch anbekommen, was meinst du Dai?" Ich lächelte ihr zu. Dai runzelte die Stirn, nach der Devise.., ich versteh dich zwar jetzt nicht, aber ich freue mich auch aufs Essen.

Die Tage vergingen und mit jedem Tag gewöhnten wir uns mehr aneinander. Eine Unterhaltung zwischen uns beiden war nach wie vor nicht möglich. Nur durch Gesten und ein paar einfachen Wörtern konnten wir uns einigermaßen verständigen. Jedoch lernten wir immer besser die Sprache des anderen kennen. Dai war hier jedoch eindeutig wissbegieriger und lernte deutlich schneller als ich, so dass es wohl darauf hinaus lief, dass wir uns in naher Zukunft vermutlich nur in meiner Sprache unterhalten werden. Wir übten jeden Tag das Bogenschießen. Dai war hier zwar noch ziemlich ungeübt, aber sie machte mit jedem Tag auch hier große Fortschritte. Wir suchten täglich Feuerholz und machten auch immer einen Jagdausflug. Wenn wir mal nichts zu tun hatten, machte jeder das, wozu er Lust hatte. Dai versuchte sich beispielsweise an das Schnitzen von Figuren, wobei es ihr nach einer kurzen Zeit gelang sogar eine Menschenfigur zu schnitzen. Mit dieser Figur, die sie fortan Fedann nannte, spielte sie dann auch immer. Ich selber versuchte für Dai einen Jagdbogen zu machen. Musste aber frustriert feststellen, dass der Bogen niemals so gut sein würde, wie meiner. Mir fehlten einfach die Materialien und das Wissen einen wirklich guten Bogen zu erstellen.

2. Besuch

//Tue so viel Gutes, wie du kannst, und mache so wenig Gerede wie möglich darüber.\\
Charles Dickens

Essenz:
-Rota erfährt, was in Kaven inzwischen so alles passiert ist-

Es vergingen insgesamt sechs Tage, nachdem ich Dai befreit hatte, bis Jake wieder spät nachts in der Höhle erschien und mich dann aufweckte.
"Wer ist die.. denn?" flüsterte er und zeigte dabei auf Dai, die sich wieder bei mir eng eingekuschelt hatte. Jake war völlig überrascht.
"Hallo Jake" nuschelte ich noch schlaftrunken. "Ja.... ähm Jake, das ist Dai." Da nun Dai ebenfalls wach wurde, ergänzte ich noch "Dai..., das ist Jake".
"Ko wai Jääk?" fragte Dai und rieb sich die Augen.
"Jake ist ein Freund. F_r_e_u_n_d. ähhm.." dann fiel mir doch tatsächlich das krasianische Wort dazu ein.. "hoa! "
"Ah!" sagte sie und zeigte mir durch ein Nicken, dass sie mich verstanden hatte.
Nachdem ich dann Jake die ganze Geschichte mit Dai erzählt hatte, schüttelte Jake nur den Kopf.
"Unglaublich! Rota! Du erstaunst mich immer wieder aufs Neue.." sagte er verblüfft und schaute dann auf Dai herunter und musterte sie eindringlich. "Ja.., ähm fein.. Hallo Dai! Freut mich dich kennen zu lernen."
Dai, das spürte man, mochte Jake auf Anhieb.
"Freu... mich." sagte sie nun auch und lächelte ihn dabei an.
Jake lächelte nun ebenfalls. "Du gefällst mir!" Er streckte ihr nun seine Hand entgegen. Dai verstand wohl instinktiv was mit dieser Geste gemeint war, beantwortete das Angebot jedoch mit einer herzlichen Umarmung. Jake hingegen schien solch eine Reaktion nicht unbedingt erwartet zu haben und wirkte doch ein wenig überrascht und verlegen. Aber es war unverkennbar, dass auch er Dai sofort ins Herz geschlossen hatte. Nachdem Dai und Jake sich aus ihrer kurzen aber herzlichen Umarmung gelöst hatten, begrüßte ich Jake dann auch nochmal kurz.

Jake setzte sich nun im Schneidersitz zu uns hin.
"Wie ich sehe, scheint ihr Beiden sonst hier gut zurecht zu kommen.., oder?"
Ich nickte. "Das haben wir letztendlich nur dir zu verdanken, Jake."
Jake räusperte sich und wurde nun ernster. "Rota, so wie es aussieht, ist Mallen nicht mehr in Kaven.."
Kurzes Schweigen. "Wie meinst du das,- sie ist nicht mehr in Kaven-?"
"Als ich mich vor drei Tagen mit ihr treffen wollte, um mich mit ihr über dich und einem weiteren Besuch zu dir, zu unterhalten, war sie nicht gekommen. Tja, und gestern ist in der Schule tatsächlich bekannt geworden, das Mallen nach Tenna abgereist ist. Sie wird fortan nun in der Eliteschule von Tenna unterrichtet werden und soll auch dort wohl eine spezielle Förderung erhalten."

Ich war sprachlos. Mallen.., nicht mehr da? Für wie lange? War es ihre Entscheidung gewesen? Das waren Fragen die mir gleich durch den Kopf gingen.
Jake sah mich nun an. "Ich war genauso entsetzt wie du jetzt, Rota. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es Mallen's eigene Entscheidung gewesen ist, denn das.., sieht ihr nicht im Geringsten ähnlich. Sie hätte mir mit Sicherheit gesagt, dass sie sowas vorgehabt hätte." sagte er und legte eine kurze Denkpause ein. "Eigentlich kommt nur einer in Frage, der das veranlasst haben könnte und das ist ihr eigener Vater."
Ich nickte. "Er hat bestimmt Angst, dass Mallen ihn verrät und die Wahrheit sagen könnte." Wieder nachdenkliches Schweigen.
"Weißt du wie lange sie weg sein wird?" fragte ich schließlich.
"Nein, ich weiß nur, dass so eine Ausbildung mindestens fünf Jahre oder auch länger dauern kann. Ob sie dann mal zwischendurch oder überhaupt mal wiederkommt, kann ich nicht sagen."
Ich konnte und wollte es nicht wahrhaben.
"Aber ihr Zuhause ist doch Kaven.., ich meine selbst ihr Vater, der sie doch trotzdem liebt, wird sie doch wiedersehen wollen."
"Mag sein, aber er hat die Möglichkeit als Bürgermeister auch oft nach Tenna zu fahren, um sie dann dort zu besuchen. Er hofft wohl, dass Mallen das Ganze über die Zeit vergessen wird und das alles wieder so wird, wie es mal zwischen ihm und ihr gewesen war." gab Jake zu Bedenken.
"Könnte sein.., aber wer weiß das schon." dabei blickte ich kurz auf Dai, die gebannt zuhörte und die ganze Zeit kein Mucks von sich gab. Wieviel sie wohl von unserer Unterhaltung verstand? Dürfte eigentlich nicht viel sein, war mir da aber nicht sicher, schon gar nicht, wenn man so gebannt zuhörte.

Jake seufzte und sagte: "So wie es aussieht, werden wir sie vorerst wohl so schnell auch nicht wiedersehen. Tenna ist mehr als zwei Tagesmärsche entfernt. Und so eine lange Reise nimmt man nicht einfach eben so auf sich, nur um mal eben jemanden zu besuchen."
Vielleicht wird Mallen das nicht können, aber ich könnte es.., dachte ich kurz bei mir. Aber wie würde ich überhaupt in Tenna hereinkommen? Tenna hat ebenso wie Kaven eine Außenmauer, die die ganze Stadt umschließt und die Tore werden auch bewacht. Sehr unwahrscheinlich, dass sie mich, mit meinem Teufelsgesicht, einfach reinließen. Ich fühlte mich niedergeschlagen und mir fiel es schwer zu akzeptieren, dass ich Mallen nun so schnell nicht oder vielleicht sogar nie wiedersehen könnte. Aber Jake hatte damit wohl Recht. Ich nickte. "Ja.., da könntest du wohl Recht haben."

Um nicht noch mehr in Trübsal zu verfallen, wechselte ich das Thema. "Was gibt's sonst für Neuigkeiten?" fragte ich schließlich.
Jake räuspere sich ein wenig. "Ja.. was gibt's Neues..? Jaden's Vater ist aus seiner Bewusstlosigkeit wieder aufgewacht."
"Und?"
"Naja, er setzt nun alles daran, dass man nach dir sucht und falls du leben solltest, du für deine Taten bestraft wirst."
"Verstehe ich nicht, ich dachte das dürfen die nicht, oder hab ich da was falsch verstanden?" fragte ich etwas entsetzt.
"Nein, nein.., das stimmt schon, nach dem Gesetz darf man einen Verurteilten nach einer Vertreibung, nicht mehr verfolgen.. Man darf zwar einen Verbannten straffrei töten, wenn man mal zufällig einen begegnen sollte, aber aufsuchen und verfolgen darf man einen Vertriebenen außerhalb der Grenzen jedenfalls nicht. Aber trotzdem solltest du vorsichtig sein, denn wie du selbst weißt, wenn Robert Grat sich was im Kopf gesetzt hat, wird es in der Regel auch so gemacht."
"..und dann werden Gesetze auch gerne etwas anders ausgelegt." fügte ich Jakes Warnung noch hinzu.
"Übrigens hat Jadens Vater deinen Onkel Jaron wohl nach alledem gefeuert."
Ich zuckte mit den Schultern. Schämte mich gleichzeitig aber dafür. Denn, obwohl mein Onkel mir immer nur gezeigt hatte, dass ich nur eine Belastung für ihn war, hatte er sich letztlich immer pflichtbewusst um mich gekümmert und meiner angenommen und es tat mir nun doch etwas Leid um ihn.

"Jaden ist übrigens nun auch wieder in der Schule. Er humpelt stark und man munkelt, dass er wohl auch für den Rest seines Lebens humpeln wird. Er ist noch unberechenbarer geworden und wird von immer mehr Schülern gefürchtet. Auch tönt er ständig herum, dass er noch nach dir suchen will und dich letzten Endes auch finden wird. Und er hofft, dass du dann noch lebst, damit er sich dann genüsslich für das, was du ihm angetan hast, rächen kann."
Mich ließ das kalt. "Soll er doch kommen. Ich habe selbst noch eine Rechnung mit ihm offen.. und dann werden wir ja sehen.."
Jake nahm nun einen kräftigen Schluck aus dem Wasserschlauch und erzählte weiter. "Ach ja, Pelle übrigens, wird wohl doch noch auf einem Auge sehen können. Zwar nur einwenig aber er soll damit wohl einigermaßen zurechtkommen. Er hat sich wie Jaden ebenfalls verändert und redet, so erzählte man mir jedenfalls, auch nur noch von Rache. Demnach solltest du in Zukunft wohl immer auf der Hut sein, wenn du oder ihr beide eure Ausflüge macht."
Ich nickte und schaute dabei auf Dai. "Wir passen beide auf".

Jake hatte mir auch diesmal wieder so einiges mitgebracht. Dazu gehörten Lebensmittel wie Salz, Zucker, Mehl, Schmalz, Marmelade und sogar ein paar Eier. Weiter hatte er mir auch noch ein paar Ersatzpfeile und eine alte Axt mitgebracht. Ich dankte ihn für alles und obwohl ich schon ein schlechtes Gewissen hatte, fragte ich ihm trotzdem noch, ob er noch Kleidung und einen Bogen für Dai besorgen könnte.
"Jake, du brauchst die Sachen, falls du sie besorgen kannst, dann ja auch nicht ganz hierher bringen. Wir können uns ja auch kurz vor diesem Geheimtunnel vor Kaven treffen und wir nehmen diese Sachen dann von dort mit."
Jake nickte. "Ich besuche dich eigentlich immer gerne mal und nun.." er schaute zu Dai und blinzelte ihr zu. "..wo du hier auch noch eine so tolle Mitbewohnerin hast, würde ich es wirklich vermissen euch noch weniger zu besuchen." Dai wirkte erst etwas verwirrt, erkannte dann aber wohl, dass das Blinzeln ihr galt und auch nett gemeint war, worauf sie Jake's Blinzeln schließlich mit einem breiten Lächeln begegnete.
"Aber du hast recht.., für mich und auch für euch ist es bestimmt sicherer, wenn ich meine Ausflüge auf ein absolutes Minimum beschränke. Von daher würde ich vorschlagen, wir treffen uns in dem Geheimtunnel nächste Woche etwas nach Mitternacht. Was meinst du?"
"Wir werden versuchen um diese Zeit da zu sein." stimmte ich Jake's Vorschlag zu.
"Sollte ich nicht um diese Zeit da sein, könnte ich, aus welchen Gründen auch immer verhindert sein. Die Sachen, die ihr benötigt, werden aber dann trotzdem auf jeden Fall dort liegen und du oder ihr beide könnt sie dann mitnehmen." dann stand Jake auf.
"Es wird Zeit und ich muss, denke ich, langsam auch wieder los.."
Dai und ich standen nun ebenfalls auf.
"Danke nochmal Jake, für alles was du für uns getan hast" sagte ich und streckte ihm schließlich die Hand entgegen. Er nahm sie und umarmte mich dann auch noch kurz. Für gewöhnlich mag dies für die allermeisten eine völlig normale freundschaftliche Geste sein. Für mich jedoch nicht. Für mich war eine Umarmung eine völlig neue Erfahrung, mit der ich erstmal lernen musste umzugehen. Ich war von dieser Umarmung, so kurz sie auch war, so überrascht, dass ich mich dabei so ungelenk bewegte, dass ich fast gestolpert wäre. Ich ließ mich jedoch nichts anmerken und tat so, als ob ich mit meinem Fuß gegen einen Stein gestolpert wäre.
"kaua e haere.." klagte Dai traurig und umarmte Jake nun ebenfalls, jedoch um einiges herzlicher als es zwischen mir und Jake der Fall gewesen war. Obwohl Dai Jake erst gerade kennengelernt hatte, wollte Dai ihn erstaunlicherweise gar nicht mehr loslassen und fing sogar an zu weinen. Jake versuchte Dai noch zu trösten. Aber mit nur geringem Erfolg. Ich ging nun zu ihr und hielt sie von Jake zurück. Dabei versuchte ich sie noch irgendwie zu beruhigen, aber sie hörte mir noch nicht einmal zu.
"Es tut mir Leid.., aber ich muss nun wieder zurück. Wir sehen uns ja bald wieder!" sagte Jake und ging dann aus der Höhle. Aber Dai ließ sich nicht aufhalten, sie riss sich von mir los, rannte Jake hinterher und versuchte ihn nochmal aufzuhalten. Ich stöhnte und ging dann ebenfalls aus der Höhle um zu sehen, was ich noch tun konnte. Jake blieb schließlich dann doch stehen, umarmte Dai nochmal kurz und sagte zu ihr noch einige Worte, dass er sich freut, wenn sie sich wieder sehen und so weiter... Letztendlich ließ Dai, Jake, dann doch gehen und kam traurig wieder zu mir zurück. Mir wurde nun bewusst, dass Dai wohl zu den Menschen gehört, die das gesellige, zwischenmenschliche Leben besonders braucht um sich glücklich zu fühlen. Und je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr befürchtete ich, dass ich ihrem Glück womöglich da im Weg stehen könnte.

Die Falle

//Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen,
sondern jedes Mal wieder aufzustehen.\\
Nelson Mandela

Essenz:
-Rota gerät in eine Falle-

Wir trafen uns schließlich nach einer Woche am besagten Treffpunkt und zur abgemachten Zeit. Dai bekam passende Kleidung und sogar einen eigenen Bogen. Dieses Treffen und auch die Treffen danach verliefen die nächsten Tage und Wochen immer reibungslos. Und als wir beim letzten Treffen von Jake sogar ein paar alte Bücher bekommen hatten, versuchte ich Dai seitdem daraus immer etwas vorzulesen. Dai liebte es, wenn ich das tat, und bettelte jeden Abend vorm Einschlafen, dass ich ihr wieder weiter aus diesen Büchern vorlas. Bezweifelte aber, dass sie die Geschichten überhaupt ansatzweise verstand, aber vielleicht täuschte ich mich auch darin.

Unsere tägliche Aufgaben, wie das Üben mit Pfeil und Bogen, das Sammeln von Feuerholz und auch unsere Jagdausflüge erledigten wir stets und gerne. Von Dai lernte ich bei unseren täglichen Ausflügen viel übers Spurenlesen und wie man sich seiner Beute unbemerkt nähert. Und obwohl wir bisher kaum Kontakt mit anderen Menschen, bis auf Dai's „Kannibalen“, hatten, tarnten wir unsere Höhle und sicherten unsere Habseligkeiten so gut es ging vor eventuell ungebetenen Gästen, bevor wir unsere Höhle verließen. Unsere Habseligkeiten versteckten wir dabei immer in eine Grube, die ich mit der Axt und meinen Händen ausgehoben hatte. Die Grube bedeckten wir jedes mal mit einer Konstruktion aus gebundenen Ästen und Sträuchern, die gleichzeitig auch eine gute Tarnung war.

Dai und ich harmonierten, trotz meiner Befürchtung, dass ihr die Geselligkeit anderer Menschen fehlen könnte, sehr gut zusammen. Wir waren meistens einer Meinung und stritten uns auch nur sehr selten. Und wenn wir es mal taten, vertrugen wir uns auch schnell wieder. Obwohl ich dazu sagen muss, dass dies im Wesentlichen daran lag, das Dai meistens ohne zu Zögern immer das tat, was ich wollte. Dai war wissbegierig und lernte schnell, insbesondere meine Sprache. Manchmal war es sogar schon möglich mich mit ihr richtig zu unterhalten.

Wir befanden uns im südlichen Gebiet, auf der anderen Talseite, unserer Höhle. Wir wollten diese Gegend näher erkunden und sofern sich eine Möglichkeit ergeben würde auch Jagd auf das eine oder andere Beutetier machen. Wir wanderten schon mehr als zwei Stunden schweigend durch die Gegend, als Dai mir plötzlich und unerwartet eine Frage stellte und so eine Unterhaltung in Gang setzte, wie wir sie bisher in dem Ausmaß auch noch nie geführt hatten.
„Du getan früher.. vor Zeit hier?“ fragte Dai als ich gerade darüber nachdachte, wie wir die gestrig abgezogenen Tierfelle zu besserem und zu weicheren Leder gerben konnten, als wie wir es bisher gemacht hatten.
„Wie… Was meinst du?“ fragte ich gedankenverloren und mehr überrascht, als das ich ihre Frage nicht verstanden hätte.
"Meinst du.. wo ich war, bevor ich hier herkam?“ antwortete ich nun mit einer Gegenfrage und fragte mich, wie ich ihr das erklären sollte. Dann hatte ich eine Idee und versuchte es auf diese Weise.
„Ich war in einem Ort namens Kaven. Viele Menschen!“ dabei zeigte ich auf sie und mich und dann auf scheinbar viele andere Menschen, die natürlich nicht wirklich da waren.
„Mochten mich nicht!“ sagte ich und zeigte auf mein Gesicht und machte verschiedene entsetzte Gesichter. Dann tat ich so, als ob ich geschubst wurde. Ich machte schließlich ein trauriges Gesicht und ging mit hängenden Schultern ein paar Schritte von ihr weg.
„Sie wollten mich nicht mehr bei sich haben. Wurde ausgestoßen.. verscheucht.. vertrieben.“ schilderte ich ihr und machte dabei Geräusche, als ob man eine Katze oder einen Hund verscheuchte.
Dai schaute mich traurig an.
„Du niecht für sie gud?“
Ich zuckte die Schultern. „Kann sein.. ja.. vielleicht war ich auch nicht gut genug für sie.“ Nun hatte ich wieder eine Idee, die mich aber etwas Überwindung kostete. Ich hielt an, ging zu ihr und umarmte sie. Ich kam mir dabei zwar etwas albern vor, aber ich wollte ihr damit ja auch nur etwas verdeutlichen.
„Dai g_e_r_n haben.“ sagte ich nun. Dai schien es jedenfalls nichts auszumachen. Im Gegenteil, sie schien sich sogar zu freuen, denn sie lächelte und drückte mich ganz fest. Dann löste ich mich von ihr und schüttelte nun den Kopf und machte ein verneinendes Zeichen mit dem Zeigefinger.
„In Kaven hatten sie mich n_i_c_h_t g_e_r_n !!“ sagte ich nun mit aller Deutlichkeit.
„Ich dich gern!“ sagte Dai und wollte mich nochmal umarmen. Ich zögerte erst, dann aber seufzte ich und umarmte sie nochmal.
„Ich hab dich auch gern.“
Dann gingen wir wieder weiter.
„Was ist mit dir.. ähm.. was hast du vor dieser Zeit gemacht? fragte ich sie nun.
Dai verstand meine Frage und sie erzählte und gestikulierte daraufhin mindestens eine Stunde lang. Aber das Wenige, was ich letztlich verstanden hatte, war das sie ihre Eltern wohl sehr früh verloren hatte und sie dann von der Schwester der Mutter aufgenommen wurde. Aber auch die Schwester und ihr Mann verstarben unglücklicherweise an einer sonderbaren Krankheit. Danach wollte niemand mehr Dai bei sich aufnehmen, da viele nun fürchteten, dass auf Dai ein böser Fluch lastete. Sie war dann wohl nur noch auf sich alleine gestellt und wurde immer wieder aus der Gemeinschaft vertrieben, sobald sie sich dieser wieder genähert hatte.
„Ich weggehen immer weg." sagte sie. "Sie nicht wollen Dai. Scheuchten zurüg Dai!“ Dai machte ebenfalls Geräusche als wenn man etwas verscheuchen wollte.
„Immer wiedr.. immer sollen weggehen..“ sagte sie immer wieder. Obwohl man sie immer wieder vertrieb, versuchte sie es trotzdem immer wieder, bis sie dann eines Tages von diesen beiden Männern abseits von ihrem Volk aufgegriffen und mitgenommen wurde.
„Esst ihr Menschen?“ fragte ich als sie mit ihrer Erzählung geendet hatte und tat so als ob ich ihren Arm essen wollte. Sie runzelte die Stirn und guckte mich entsetzt an. Nun musste ich lachen.
„Nein! Ich will dich nicht essen“ sagte ich, schüttelte dabei den Kopf und zeigte nun auf sie und bot ihr meinen Arm vor ihrem Mund zum Essen an.
„Du.. essen.. Mensch?“ wiederholte ich nochmal meine Frage. Mich interessierte die Frage, da ich des öfteren gehört hatte, dass die Krasianer Kannibalen sein sollen und ich gerne gewusst hätte, ob das auch wirklich stimmte oder es nur Gerüchte waren. Dai schien nun erleichtert.
"Ich.. rua.. rua.." sie zeigte jetzt zwei Finger. "..essen Mensch." sagte sie als wäre es das normalste auf der Welt. Mich schauderte und gleichzeitig stutzte ich. Was meint sie jetzt? Hat sie zwei Finger gegessen oder zweimal Menschenfleisch gegessen?
"Hast du zwei Finger gegessen oder zweimal Menschenfleisch gegessen?" fragte ich jetzt.
"Zwei..ma..Mensch.." sagte sie nun etwas schuldbewusst und sah mich dabei verwundert an. Vermutlich weil sie an meinem Gesichtsausdruck wohl meine Abneigung daraus erkennen konnte.
"Wir essen jedenfalls keine Menschen. Wer das macht kommt in die Hölle. Naja, so sagt man jedenfalls.. Ob man da wirklich hinkommt.. kann aber auch keiner mit Gewissheit sagen.." sagte ich mit einem Achselzucken und mir war klar, dass sie das natürlich nicht verstanden hatte.
"Warum esst ihr Menschen?" wollte ich nun von ihr wissen. Dann fiel mir das Wort für -Warum- auf krasianische ein. "Heaha?"
"Essen gut fühlt Bauch." und rieb sich den Bauch. "Mensch.. Leben in Dai.. ähh weiter.."
"Wir d_e_n_k_e_n.." sagte ich nun mit der Betonung auf -denken- und zeigte dabei auf meine Stirn
"..wenn wir Mensch essen, kommen wir nach dem Tod in die Hölle.. Die H_ö_l_l_e.." ich zeigte hierbei auf den Boden
".ist ein schrecklicher..böser.." ich machte dabei entsetzte und schmerzhafte Grimassen.
"..Ort.. Gebiet.. Haus. Und wenn wir unsere Seele rein halten und nur Gutes tun, kommen wir zu Gott in den Himmel." ergänzte ich noch, obwohl mir auch hier klar war, dass sie den letzten Teil vermutlich überhaupt nicht verstanden hatte. Dai zeigte teilweise Verständnis, schien aber auch verwirrt und beängstigt.
"Dai Angst.. kommen Hölle?"
Da ich aber ganz bestimmt nicht das Recht hatte, darüber zu urteilen was richtig und was falsch, oder was gut und was böse war, winkte ich ab und schüttelte den Kopf.
"Blödsinn! Du nicht!"
"Dai nicht?"
"Genau!" und nickte ihr zu.
Danach gingen wir wieder eine Weile schweigend weiter, bis Dai mir erneut eine Frage stellte.
"Wer God?"
"God?.. Gott! meinst du.." Ich überlegte wie ich ihr das nun erklären könnte. Schließlich versuchte ich es mit einer Frage.
"Wer ..whakapoo (glauben).. du..." ich zeigte auf sie ".hat die.. ao (Welt).." ich zeigte einmal um mich herum "..geschaffen.. gemacht?"
Dai schien mich zu verstehen und zeigte auf die Sonne "rama! Sonne!"
"Rama hat die Welt geschaffen?" fragte ich interessiert.
"Sonne macht alles.. kana (hell).. wir sehen weil gibt Sonne. Sonne nicht allein damit. Sonne hat ...du sagen..moan.."
"M_o_n_d" verbesserte ich.
"Ja. Sonne hat Mond -wir sagen zu Mond maranna- als Helfer, wenn Sonne geht schlafen.."
Interessanter Glaube, dass die Sonne und der Mond alles erschaffen haben sollen. Jedenfalls nicht viel abwägiger als der Glaube, dass es soetwas wie einen Gott gibt, der alles erschafft haben soll. Insbesondere dann, wenn man sich überlegt wer überhaupt Gott erschafft haben soll. Er sich selbst? Und wenn ja, warum? Hatte er Langeweile? Aber wer weiß schon was letztendlich die Wahrheit ist? Ich zuckte schließlich mit den Schultern.
"Unser Glaube, jedenfalls, sagt Gott war das.." sagte ich daher nur. Dai sah mich verständnislos an.
"Ich denke.. ähh.. nein, ich glaube.." ich zeigte wieder auf meine Stirn. "Gott hat das gemacht" sagte ich, obwohl ich nicht wirklich daran glaubte.
"Wo Gott?" fragte Dai und blickte sich um.
"Wir glauben Gott ist überall" und zeigte wieder überall und besonders zum Himmel hin"
Dai schaute sich nochmal um und sah mich, als sie offenbar nichts entdecken konnte, enttäuscht und verwirrt an.
"Dai Gott nicht sehen" sagte sie schließlich nur.
"Gott kann man nicht sehen. Er ist unsichtbar. Keiner..., kein Mensch.., niemand.." ich schüttelte wieder den Kopf "..hat Gott.. jemals gesehen."
"Wie wissen dann Gott?" fragte Dai wieder.
"Wissen wir nicht. Wir glauben es nur.." antwortete ich und hoffte das wir das Thema dabei belassen konnten.
"Was is glauben?" wollte Dai nun wieder wissen. Ich stöhnte und überlegte, wie ich ihr das nun wieder erklären könnte.
"Wir denken das etwas so ist. Wissen tun wir es jedoch nicht." Dai guckte immer noch verwirrt. Ich dachte nochmal nach. "Ich w_e_i_s_s , dass du, Dai, ein Mensch bist. Ich g_l_a_u_b_e das wir heute noch Beute machen. Ich weiss es aber nicht. Verstehst du jetzt?"
Dai schien nun darüber nachzudenken, bis sie schließlich antwortete: "Dai versteht.. du weisst Welt wurde erschaffen. Du glauben Gott erschaffen Welt?"
"Ja.. genau!" sagte ich, obwohl ich mir genauso gut vorstellen konnte, dass es auch irgendein anderer, der Zufall selbst oder der Teufel höchstpersönlich, es getan haben könnten.
Wir wanderten gerade einen Abhang herunter, der uns langsam zu einem bewaldeten Gebiet ins Tal führte, als ich auf meiner rechten Seite ein totes Tier, gut hundert Schritt auf dem Boden des noch ziemlich karg bewaldeten Geländes, entdeckte. Da ich neugierig war und es sich vielleicht auch um leichte Beute handeln könnte, wich ich von unserem Pfad ab und ging auf das dort liegende Tier zu.
"hare matate!" rief Dai als sie bemerkte worauf ich nun zulief und zeigte auf das Tier. Als ich näher herankam, erkannte ich, dass es ein toter Fuchs war, der dort lag. Und als ich noch näher herankam, sah ich, dass der Fuchs auch wohl noch nicht lange tot war, da das Blut noch ziemlich frisch aussah. Etwas stimmte hier jedoch nicht. Der Boden war irgendwie merkwürdig. Als ich dann noch einen Schritt auf das Tier zuging, passierte es auch schon. Es knackte und dann krachte es laut. Ich verlor jeglichen Halt unter den Füßen und dachte die Welt geht unter, als ich in die Dunkelheit hinab stürzte. Meine Landung war hart und etwas Spitzes stach mir seitlich in den Rücken. Ich war jedoch so geschockt von diesem Fall, dass ich den Schmerz erst etwas später wieder wahrnahm. "Rotaaa!" hörte ich Dai nun laut aufschreien. Ich blickte mich um und erst dann realisierte ich, dass ich wohl in eine Grube gefallen war. Ich lag zwischen Pfählen, die im Boden gerammt und an den oberen Enden allesamt angespitzt waren. Sie dienten offensichtlich dazu das herabfallende Opfer aufzuspießen und zu töten. Mir wurde nun klar, das ich nicht nur in eine Grube, sondern sogar in eine Falle getapst bin. Ich bin aber noch am Leben. Nur an meinem Rücken und am Oberschenkel verspürte ich leichte Schmerzen. Ich sah nach oben. Dai erschien nun und schaute mich mit Entsetzen an. "Rota..!" schrie sie nochmal entsetzt, bis sie mich dann dort unten liegen sah.
"Ka mahi koe.." sagte sie nun wieder etwas gelassener.
Ich versuchte nun aufzustehen, was gar nicht so einfach war, bei diesen ganzen Pfählen die hier überall steckten. Aber ich schaffte es. Ich schaute mir nun meine Verletzungen genauer an. Ich war, bis auf meinen Rücken und meinem rechten Oberschenkel, unverletzt geblieben und selbst diese Verletzungen stellten sich bei näherer Betrachtung auch nur als etwas tiefere Kratzer heraus, die vermutlich nach einer Woche oder etwas mehr kaum mehr zu sehen sein werden. Ich hatte so gesehen ein überaus großes Glück gehabt.
"Rota.. du noch leben.." sagte nun auch Dai erstaunt und sichtlich erleichtert.
"Ja, ich lebe tatsächlich noch. Unglaublich!" sagte ich ebenfalls verwundert und begann mir die Grube nun genauer anzusehen. Die Grube war sehr tief, bestimmt mehr als drei Schritte tief und sie hatte die Form eines umgedrehten Trichters, ähnlich wie die Form meiner Höhle. Die Wände waren so schräg gegraben, dass ein heraufklettern kaum möglich war. Ich fragte mich jetzt, wie ich hier überhaupt wieder heraus kommen sollte. Entgegen meiner Bedenken versuchte ich trotzdem erstmal die Wände von der Grube hochzuklettern. Musste jedoch, nach einer Vielzahl von Versuchen, dieses Vorhaben erwartungsgemäß aufgeben. An keiner Stelle dieser Grube fand ich genügend Halt, um mich so daran festhalten zu können, dass ich hier herausklettern konnte. Dai kam etwas später mit ein paar Stöckern an, die jedoch nicht gerade vertrauenerweckend aussahen. Entweder waren sie zu dünn oder sie waren vermorscht. Wir entschieden es trotzdem zu versuchen. Dai hielt mir den Stock hin, den wir für den geeignetsten hielten. Als ich das Ende von dem Stock mit beiden Händen packte und kurz daran zog um mich dann gleich mit meinem ganzen Gewicht daran hochzuziehen, schrie Dai jedoch schon bei diesem anfänglichen Zug, dass sie den Stock nicht halten konnte. Enttäuscht ließ ich wieder los. Mir fiel nur noch eine Möglichkeit ein hier wieder herauszukommen. Wir mussten in der Grube einen so großen Berg aus Erde, Sträuchern und Äste anhäufen, dass ich dann auf diesen Haufen wieder aus dieser Grube herausklettern konnte.
"Dai, hol alles was du an Sträuchern, Stöckern und Ästen finden kannst, hierher und schmeiß es hier rein."
Dai guckte mich wieder hilflos an und verstand mich offenbar nicht.
"Hol Stöcker!" rief ich ihr noch zu und überlegte, wie ich ihr das irgendwie deutlich machen konnte, was ich vorhatte. Einfach zeigen, schoss es mir durch den Kopf. Ich stieß daher nun mit einem Stock in die Grubenwand und kratzte Erde heraus. Anschließend schob ich die Erde mit meinen Füßen zu einem Haufen zusammen und legte andere umliegende Sträucher, die mit mir in der Grube gefallen waren, ebenfalls auf den Haufen. Dann stellte ich mich darauf und machte mit meiner Hand eine ansteigende Geste, bis ich zum Rand der Grube zeigte und dann so tat als ob ich daraus steigen wollte. Ich sah nun Dai an, die nun große Augen machte und mir zunickte.
"Dai verstehen! Alles in Loch. Du dann raus.."
Dann war sie auch schon weg. Das wird wahrscheinlich dauern, dachte ich, da es hier in der Nähe nur wenige Bäume gab und Dai deshalb auch sehr weit gehen musste um Sträucher und Äste zu finden.

Während wir damit beschäftigt waren, die Grube so zuzuschütten, dass ich wieder heraus kam, fragte ich mich, wer wohl so eine Falle überhaupt gebaut haben könnte und wann diejenigen wohl kommen könnten, um zu nachzusehen ob das eine oder andere Beutetier in ihre Falle gefallen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fallensteller ausgerechnet heute kommen könnten, schätzte ich aber als sehr gering ein. Es müsste schon mit dem Teu.. Aber solche Gedanken führen zu nichts. Das einzige was jetzt zählt, ist so schnell wie möglich hier herauszukommen. Dai kam gerade wieder und warf wieder ein paar Sträucher zu mir herunter.
"Dai, hast du eine Ahnung, wer diese Falle gemacht haben könnte?" fragte ich sie und erkannte sofort, dass sie mich nicht verstanden hat.
"Wer... graben.. diese Grube? Weißt du?" fragte ich sie nun nochmal deutlicher und zeigte dabei mit dem Finger rund um die Grube.
"Dai weiß es. E taku iwi.." sie zeigte auf sich selbst und sagte: "du sagen Krasianer."
"Lass uns schneller arbeiten." sagte ich nur und kratzte nun noch eifriger die Erde herunter.

Nach gut zwei weiteren Stunden, es war schon später Nachmittag, fiel mir auf, dass Dai seit sie das letzte Mal hier war, immer noch nicht wieder zurückgekehrt ist. Sie kam sonst nach gut zehn Minuten immer mit einem Bündel Äste und Sträucher wieder zu mir zurück. Anscheinend dauerte es jetzt wohl länger und konnte natürlich auch daran liegen, dass sie mittlerweile noch weiter gehen musste um weiteres Geäst zu finden. Dann jedoch, nach einer kurzen Zeit später, hörte ich auch schon wieder Schritte. Erleichtert machte ich wieder weiter, bis ich plötzlich innehielt. Das waren nicht Dai’s Schritte, die ich kannte und die mir vertraut waren. Dann hörte ich auch noch mehrere Stimmen. Die Sprache war mir inzwischen bekannt. Es war jedoch nicht meine Sprache. Es war die Sprache die Dai sprach. Dann sah ich sie auch schon. Zwei, nein drei bemalte und fremd aussehende Gesichter starrten verwundert auf mich herab. Wobei ich sie wahrscheinlich genauso verwundert anstarrte wie sie mich. Sie hatten genauso wie Dai eine braune Haut und ihre langen schwarzen Haare waren ebenfalls, jeder auf seine Art, ungewöhnlich geschnitten und geflochten. Drei Männer. Zwei von denen könnten so alt wie mein Onkel sein. Den anderen schätzte ich wesentlich jünger ein, vielleicht etwas älter als Jake. Obwohl ich in meinem Leben, bis auf Dai, nie einen Krasianer gesehen hatte, war mir klar, dass sie Krasianer waren. Ich stöhnte.
"He aha te mea?" fragte der jüngste von ihnen. "Kei te ora tonu ia?"
Ich muss mich mit ihnen verständigen. Dann fielen mir auch schon ein paar Worte auf krasianisch ein. "Mat tomine (Ich bin) Rota! Mat tomine Rota!..." sagte ich nun wiederholt und ganz aufgeregt. Sie schauten sich nun gegenseitig verdutzt an. Dann fing einer der beiden älteren Männer, er hat eine ziemlich große Narbe quer über die rechte Wange, an zu lachen. Die anderen beiden fielen danach ebenfalls in sein Lachen ein. Das beruhigte mich nun ein wenig, da sie ja zumindestens Humor besaßen.
"Mat tomine... Taishar!" sagte nun der Jüngste in einer Weise, der mir sagte, dass er mich nicht ernst nahm und mich nur lächerlich machen wollte.
"Taishar" wiederholte ich und ignorierte seine Veralberung einfach.
"Mat tomine Kartan" sagte der andere.
"Kartan" wiederholte ich nun auch seinen Namen und nickte ihm zu.
"Mat tomine Basiu" sagte nun der mit der großen Narbe ebenfalls in einem spöttischen Ton und er fing wieder an zu lachen. Ich versuchte nun ebenfalls etwas zu lachen, obwohl es ziemlich unsicher ausgesehen haben musste, denn mir war alles andere als Lachen zumute.
"Waiho ia tatou i waho?" fragte nun der sich Kartan nannte. Er besaß zwar genauso wie die anderen beiden Krasianer harte Gesichtszüge, schien jedoch von den Dreien noch am ruhigsten. Er wirkte auf mich ernsthafter und überlegener als die anderen beiden und schien aus meiner Sicht auch der Anführer von den Dreien zu sein.
Da ich ihn nicht verstand, zuckte ich nur die Schultern.
"mate ranei ora?" fragte nun Taishar, der jüngste von ihnen.
Ich zuckte wieder die Schultern.
"tuatahi mo te ora" sagte Kartan.
"Ora?" fragte Basiu, der mit der Narbe.
"whakaputa i a ia i waho ora. inaianei!" sagte Kartan langsam und sehr bestimmt.
Ich verstand nur einzelne Wörter, wie -or- was wohl -leben- oder etwas ähnliches bedeutet, oder -inaianei- was -sofort- oder -gleich- bedeutet. Dann streckten Taishar und Basiu, mir jeweils eines ihrer Arme entgegen. Ich zögerte kurz, da mir aber sowieso nichts anderes übrig blieb, stieg ich schließlich auf den Haufen, den Dai und ich bis dahin aufgeschüttet hatten. Ich konnte nun mit meinen Händen die Hände der beiden Krasianer erreichen und hielt mich an ihnen fest. Anschließend zogen sie mich mit einer solchen Leichtigkeit aus der Grube, wie eine Mutter ihr Säugling zu sich auf die Arme nimmt.

Als ich dann vor ihnen stand und sie mich nun im Hellen sehen konnten, starrten alle drei mich wieder erstaunt an. Aber auch ich konnte sie nun im Ganzen sehen und ich war mindestens ebenso über ihr Aussehen erstaunt, wie sie wahrscheinlich über meins. Alle drei sahen kräftig und durchtrainiert aus. Sie trugen Hosen und Westen aus feinstem Leder, die ihrem Körper wie eine zweite Haut zugeschnitten waren. Ihre zum Teil nackten Oberkörper waren, genauso wie ihre Gesichter, mit nicht unansehnlichen Symbolen und Bildern bemalt. Obwohl bemalt vielleicht der falsche Ausdruck war, denn bei genauerem Hinsehen waren es eher feine Verbrennungen gewesen, die sie vermutlich mit einer glühenden Nadel oder etwas ähnlichem, auf der Haut erzeugten. Und jeder von ihnen, besonders der mit der großen Narbe im Gesicht, waren am ganzen Körper übersät mit Narben. Womöglich waren Narben bei den Krasianern ein Zeichen von Stärke und Kraft; und je mehr Narben jemand hatte, umso höher war vielleicht sein Ansehen bei seinen Gefolgsleuten, mutmaßte ich.
"He aha te mea.. he whero ia.." sagte Taishar verwundert und strich mit seinem Finger über mein Gesicht.
"Taea ia. Tangohia ana e ia me a maatau. Ma te Ramanesa e whakatau tona mate." sagte Kartan und wollte sich gerade von mir abwenden, als Basiu sich auf einmal, mit meinem und auch Dai's Jagdbogen in den Händen haltend, vor Kartan zeigte. Ich stöhnte innerlich. Dai hatte natürlich auch ihren Bogen hier in der Nähe abgelegt, um ohne diesen Bogen, besser arbeiten zu können. Sie wird sich, als sie ihre Artgenossen gesehen hatte, vermutlich irgendwo in der Nähe versteckt haben und beobachtet uns wahrscheinlich aus der Ferne.
Kartan nickte Basiu zu und sagte schließlich: "Taea ia, katahi ka rapua tetahi atu!"
Dann packte Basiu von hinten meine Arme und drückte meine Handgelenke über Kreuz zusammen. Taishar fesselte anschließend meine Handgelenke mit einem Lederriemen fest zusammen. Jetzt wurde mir klar, dass dies hier wohl doch nicht mehr so glimpflich für mich enden könnte, wie ich teilweise schon gehofft hatte. Als sie mit mir fertig waren, liefen Taishar und Basiu in die Richtung wo Dai immer hingegangen war, um Sträucher zu holen. Dai, ich hoffe du hast dich gut versteckt. Ging es mir nur noch durch den Kopf.
Kartan stellte sich nun ganz dicht vor mich hin und sah eindringlich auf mich herab. "Ko wai te tuarua? Kei te rite ia ki a koe? Whero?"
Ich verstand ihn nicht und sah ihn verständnislos an. Dann schlug er mich plötzlich mit der Faust kräftig und völlig unerwartet in den Magen. Der Schmerz war gewaltig. Alles in mir krampfte sich zusammen. Ich kauerte aufgrund dieser Schmerzen zusammen und versuchte verzweifelt Luft zu bekommen. Tränen schossen mir in die Augen. Ich keuchte, schnaufte und röchelte verzweifelt nach Luft, bis sich endlich die Verkrampfungen in meinem Magen und in meiner Brust wieder lösten und ich endlich wieder Luft einatmen konnte. Erst als sich meine Atmung und mein Puls wieder einigermaßen beruhigt hatten, versuchte ich wieder aufzustehen.
Kartan stellte sich wieder ganz dicht vor mich hin. Er sah mir wieder in die Augen und verzog dabei keine Miene.
"Ko wai? (Wer?)" fragte er und zeigte dahin wohin die anderen beiden Krasianer hingegangen waren. Ich gab mir nun mehr Mühe ihn zu verstehen und vermutete, dass er wissen wollte, wer der zweite war. Ich wusste das -Mädchen- auf krasianisch -kotiro- heißt.
"kotiro!" sagte ich nun, da es für mich nicht relevant war, ob sie es wussten oder es nicht wussten.
"kotiro so groß." und deutete mit der Hand ihre Größe an, in dem ich mit meiner Hand auf Höhe meiner Brust zeigte.
"kua nui.." sagte Kartan selbstzufrieden.
"pehea ko kotiro (Mädchen)?" fragte er jetzt.
Da ich noch überlegte was er gemeint haben könnte und nicht sofort antwortete, packte er mich ohne zu zögern an mein rechtes Ohr und zog so heftig daran, dass ich mein Ohr knacken hörte und ich schon Angst hatte er würde es mir herausreißen. Ich schrie auf vor Schmerzen.
"Sie heißt Dai!! Dai ist ihr Name.. Dai!.." Er ließ mich schließlich los und ich versuchte mein Ohr wieder an meinen Kopf zu drücken, da ich schon fürchtete, dass sich dieser vielleicht davon schon getrennt haben könnte.
"Dai?" fragte er verwundert mehr zu sich selbst.
"ko Dai..." er überlegte "e mea.. Krasianer" und zeigte dabei auf sich.
Ich nickte. Er schien nachzudenken, sagte aber nichts mehr.
Es dauerte so ungefähr noch eine viertel Stunde, bis die anderen beiden Krasianer, Basiu und Taishar, wieder zurückkehrten. Ohne Dai, wie ich erleichtert feststellen konnte. Basiu schüttelte den Kopf.
"Kaore he taapiri.. I rapuhia e maatau nga mea katoa."
Als sie dann bei uns waren, packte Kartan Basiu plötzlich am oberen Teil seiner Lederweste.
"Mena kua rapua e koe nga mea katoa, kua kitea ano e koe. I te ara, ko tona ingoa Dai!" blaffte er ihn wütend an und stieß ihn dann von sich weg.
Taishar und Basiu runzelten die Stirn.
"Dai? E whakamarama ana te korero ki te korero ki te reo.." sagte Basiu.
"Tatou haere. He pouri kē. Dai whai ake ia." sagte nun Kartan und legte um meinen Hals eine Schlinge, die er dann fest um meinen Hals zuzog.
"Ommo!" rief er mir zu und stieß mich in die Richtung, wo Taishar und Basiu gerade hin liefen, weiter hinunter ins Tal.

Die Krasianer waren es wahrscheinlich gewohnt über lange Strecken zu rennen. Ich war es jedenfalls nicht. Taishar und Basiu liefen voraus und Kartan, der das Ende des Seils hielt, das um meinen Hals geschlungen war, lief immer ganz dicht hinter mir. Da ich das Tempo dieser austrainierten Krasianer kaum mithalten konnte, stieß und schlug Kartan mich unbarmherzig immer wieder auf dem Kopf und in den Rücken, wenn ich mal wieder etwas zu langsam war. Ich hasste ihn für seine Gnadenlosigkeit und mein Hass wuchs mit jedem Schlag den er mir zufügte. Auf unseren Weg kamen wir durch ein dicht bewaldetes Talgebiet, wo hin und wieder auch große umgefallene Bäume im Weg lagen und wir dadurch am Weiterlaufen gehindert wurden. Was gut war, da ich dann immer Gelegenheit hatte mich von dem äußerst anstrengenden Lauf wieder etwas zu erholen. Weiter liefen wir danach noch durch eine riesige Schlucht entlang und mussten dabei auch einige Bäche überqueren. Der größte Teil des Weges, war aber gut passierbar gewesen und man sah diesen Trampelpfaden an, dass sie auch häufiger schon benutzt worden sind.

Für mich war der ganze Weg trotzdem eine einzige Tortur, da ich die ganze Zeit, aufgrund des Tempos, immer wieder schwer nach Luft rang und meine Muskeln derart schmerzten, dass ich manches Mal fürchtete zusammenzubrechen und dann einfach von den Krasianern getötet und verzehrt zu werden. Andererseits wusste ich aber auch, dass ich Schmerzen überaus gut aushalten konnte und diese mich auch nicht daran hindern würden, nicht weiter laufen zu können. Ich biss daher die Zähne zusammen und versuchte durchzuhalten. Schmerzen kommen und gehen ja auch wieder.

Zwischen zwei Baumstämme

//Es ist immer zu früh, um aufzugeben.\\
Norman Vincent Peale

Essenz:
-Gefangen unter Kannibalen-

Nach gut zwei Stunden, es war schon Abend und die Sonne ging schon langsam unter, erreichten wir endlich ihr Dorf. Das Dorf befand sich auf einer Lichtung, in einem mit hohen Tannenbäumen bewachsenen Wald. Als sie endlich vom mörderischen Tempo ihres Laufs wieder ins normale Gehen übergegangen waren, war ich so erleichtert, dass ich mich beinahe vor Erschöpfung schon auf den verlockenden grasbewachsenen Waldboden geschmissen hätte. Weil ich aber fürchtete. dann mit Schlägen und Tritten wieder hochgejagt zu werden, konnte ich mich gerade noch zurückhalten und stützte mich daher nur kurz mit den Händen auf meine Oberschenkel auf und schnaufte gierig nach Luft. Kartan ließ mir aber keine Zeit zum Verschnaufen und zog mich wieder gnadenlos hinter sich her. Die Schlinge schnürte mir dabei erneut den Hals zu und ich stolperte wieder hinter ihm her. Als ich mich aber dann doch wieder etwas erholt hatte, blickte ich mich nun mehr in diesem fremden Ort um. Obwohl ich bei dieser zunehmenden Dunkelheit vieles nur noch schemenhaft erkennen konnte, sah ich als erstes ihre kreisrunden Hütten mit ihren runden Kuppeldächern, wo die Wände aus Stroh und Lehm gearbeitet und die runden Kuppeldächer mit Tierhäuten überspannt waren. Die Hütten standen oft in Vierer- oder Fünfergruppen kreisförmig zusammen, die sich in diesen oder ähnlichen Zusammensetzungen, so über die ganze Lichtung verteilten. Überall flackerten in der Mitte dieser Runden kleine Lagerfeuer. Auch in den Hütten schien das eine oder andere Feuer zu flackern, da diese zum Teil schwach nach außen hin leuchteten.
Es herrschte noch reges Treiben hier in diesem Dorf. Ich sah krasianische Frauen und Männer, wie sie um ihre Lagerfeuer saßen, sich daran wärmten und sich dabei unterhielten. Ich sah Kinder die herumtollten und gegeneinander kämpften; einen etwas älteren Krasianer der gerade einem Hasen das Fell abzog und Frauen die Körbe flochten, Leder gerbten oder irgendwelchen sonstigen Tätigkeiten nachgingen.
Aber alle hielten, in dem was sie gerade machten, inne und starrten mich an, als wir an ihnen vorbeigingen und sie mich erblickten. Einige blieben sitzen, einige standen auf, einige zeigten auf mich und viele liefen uns in einem gewissen Abstand sogar hinterher. Schweigsam steuerten meine Entführer mich langsam auf die größte Hütte des Dorfes zu. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, was sie wohl mit mir vorhatten. Aber nun wurde mir langsam klar, dass sie mich wohl ihrem Stammesoberhaupt zeigen werden und dieser vermutlich dann über mein Schicksal entscheiden soll. Und tatsächlich blieben wir vor der größten Hütte stehen. Kartan gab Basiu das Seil, an dem man mich wie einen Hund gebunden hatte und stellte sich vor dem mit Tierhäuten behangenen Eingang der Hütte.
"Tuakana! Ka tono ahau kia uru." sagte nun Kartan.
"Teina, tanga i whakaaetia." hörte ich eine weibliche Stimme aus der Hütte sagen. Kartan ging schließlich durch den Eingang in die Hütte hinein.
Die Krasianer, die uns gefolgt waren, kamen nun näher zu mir. Ich schätzte es waren so um die zwanzig. Sie waren genauso wie meine Entführer mit diversen Bildern und Symbolen auf der Haut bemalt. Einige trugen das Bild einer aufgehenden Sonne, einige trugen Köpfe von irgendwelchen Tieren und einige auch irgendwelche Symbole auf der Haut, deren Bedeutung ich jedoch nicht verstand. Genauso verhielt es sich mit den Narben. Alle Männer, je älter umso mehr, hatten irgendwo Narben am Körper. Bei den Frauen hingegen, gab es diesen Narbenkult scheinbar nicht, denn soweit ich bisher sehen konnte, konnte ich bei den Frauen keine auffälligen Narben am Körper entdecken.

Was ihre Kleidung anbetraf, trugen alle Krasianer ausschließlich Kleidung aus Leder, sowohl mit als auch ohne Pelz. Die Männer trugen überwiegend Hosen und darüber Westen oder Ponchos. Die Frauen hingegen trugen eher lange Kleider, die mit einem Gürtel um die Taille gebunden waren. Wobei die jüngeren Frauen vorwiegend eher knappe und körperbetonte Kleidung trugen, wie kurze Röcke und darüber fast bauchfreie Ponchos oder nur, wie mir bei zwei Krasianerinnen auffiel, breite lederne Streifen um die Brüste gewickelt. Was mir aber besonders auffiel war, dass alle Krasianer, die ich bisher gesehen hatte, sehr athletische, durchtrainierte und kräftige Körper hatten. Keiner von ihnen war zu dick oder zu dünn oder sah irgendwie kränklich aus. Und sie alle machten den Eindruck, dass sie ein hartes Leben führten und ihnen auch nichts im Leben geschenkt wurde.

"kia ora tena, Basiu! kia ora tena, Taishar!" sagte ein älterer Mann, mit grauem zu einem einfachen Pferdeschwanz gebundenem Haar, und hielt sich kurz die rechte und linke Faust vor der Brust. Offenbar eine Begrüßungsgebärde, dachte ich bei mir.
"tamaiti ke. i haere mai koe i hea?" fragte nun der ältere Mann. Dabei kamen nun einige von ihnen so nah an mich heran, dass sie mich nun mit ihren Fingern an meinem Gesicht berührten und auf meiner Haut herumstrichen, um vielleicht festzustellen ob meine Hautfarbe echt oder nur angemalt war.
"Kei a tatou ia..." begann nun Taishar die Frage wohl beantworten zu wollen, als die Tierfelle vor dem Eingang der großen Hütte zur Seite gehoben wurden und zwei junge, bemerkenswert schöne Frauen und ein großer Mann, der mich vielleicht um mehr als eine Haupteslänge überragte, herauskamen. Sein Alter schätzte ich so um die vierzig Jahre und sein Körper war ebenfalls übersät mit Narben. Auf der Brust hing ein großer durchsichtiger Stein, der im Schein des Lagerfeuers zu leuchten und zu glitzern schien. Seine schulterlangen Haare trug er, mit einen Lederstirnband gebändigt, offen. Seine Gesichtszüge waren markant und sie strahlten Ruhe, Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Klugheit aus. Alle gingen nun auf die Knie und neigten ihre Köpfe.
"Tuakana! Ora tonu! R a n a m e s a!" sagten sie nun alle laut im Chor, wobei sie das letzte Wort besonders in die Länge zogen. Ich nahm an, dass das der Name des Häuptlings war, war mir da aber nicht so sicher.
Da ich nicht sofort reagierte und auch gar nicht wusste, dass ich mich ebenfalls hinzuknien hatte, wurde ich von Basiu mit dem Seil herunter gerissen.
"teina! Rama.. te āhua. ka ara ake!" sagte nun dieser Mann, wo ich annahm, dass er Ramanesa der Stammeshäuptling war. Dann erhoben sich alle, mich eingeschlossen, wieder. Der Häuptling blickte sich nun um und als er mich sah, blieb sein Blick mit Verwunderung an mir haften. Er schien etwas sagen zu wollen, ging dann aber direkt auf mich zu und schaute mich, als er dicht vor mir stand, genauer an. Ich war immer noch etwas außer Atem, versuchte aber so ruhig wie möglich zu bleiben und mir meine Erschöpfung so gut es ging nicht anmerken zu lassen. Dann fasste auch er mich an meinem Gesicht und vergewisserte sich ob meine rote Haut auch wirklich echt war.
"whero..? he aha te tikanga..?" murmelte er leise vor sich hin, während er mich immer noch genau betrachtete. Dann ging er ein paar Schritte zurück und schaute mich im Ganzen nochmal schweigend an. Anschließend blickte er in den Himmel und betrachtete eine Weile den Mond. Wir hatten bald Neumond und der Himmel war wolkenlos. Dann drehte er sich um und ging wieder mittig zwischen seinen Leuten und seiner Hütte.
"Maranna, kei te matewai hoki tetahi patunga tapu" sagte er nun laut und klar. "Ko te tamaiti whero hei patu marama. E rua nga ra i te putanga o te rama."
"Rama! Rama! R a m a !" sagten nun alle laut und nickten alle zustimmend ihrem Häuptling zu.
"Ma te kaikuruatanga e kaha ai taatau!" sagte Ramanesa noch und ging dann, gefolgt von seinen zwei wunderschönen Frauen, wieder in seine Hütte.
"homai! Ka kawea ia e ahau ki te wahi o te ra." sagte Kartan und nahm Basiu wieder das Seil ab und zog mich wieder hinter sich her.

Ich wurde nun etwas abseits von den Hütten auf einen großen Platz geführt, wo in der Mitte zwei astlose und abgeschälte Bäume standen. Die Baumstämme waren mit einer roten Farbe angemalt und mit vielen Symbolen verziert. Als man mich dann auch noch zwischen den beiden Pfählen platzierte und ich an den Pfählen und auf den Boden Reste von Blut erkannte, fürchtete ich nun das Schlimmste. Dieser Häuptling hat sich entschieden mich ihrem Gott oder wem auch immer zu opfern. Sie wollen mich tatsächlich töten. Reflexartig versuchte ich mich nun dagegen aufzulehnen und wegzurennen. Sie waren aber zu viele. Kartan zog nun so heftig und so fest an dem Seil, dass ich nach hinten fiel und mir das Seil wieder die Luft zuschnürte. Danach wurde ich mit gespreizten Armen und Beinen an Händen und Füßen mit Seile aus geflochtenen Leder, die fast so dick wie mein Daumen waren, an den beiden Baumstämmen gebunden. Als sie damit fertig wurden, sahen sie mich, wie ich da so gefesselt mit meinen gespreizten Armen und Beinen zwischen den Stämmen stand, eine Weile an. Dabei redeten und lachten sie noch, ehe sie dann einer nach dem anderen wieder weggingen. Ich war nun etwas erleichtert, da mir nun langsam klar wurde, dass sie mich doch noch nicht töten wollten. Noch nicht. Da stand ich nun und konnte mich kaum rühren. Ich war erschöpft, müde, ausgelaugt und vor allem durstig. Ich zog einmal kräftig an eines der Seile um festzustellen wie stark die Seile waren. Da jedoch immer ein Krasianer bei mir blieb um mich zu bewachen, wagte ich noch nicht mit voller Kraft an diesen Seilen zu ziehen, weil ich fürchtete diese vielleicht einzige Chance zu entkommen unnötigerweise verlieren könnte, da der Zeitpunkt dazu noch nicht ideal genug war.

Das Grausame an dieser misslichen Lage war, dass ich keine Möglichkeit hatte mich auszuruhen. Sobald ich versuchte mich etwas hängen zu lassen, zogen mir die Seile die Arme und Beine aufgrund meines eigenen Gewichts sehr schmerzhaft auseinander. So blieb mir nichts anderes übrig, als in dieser gespreizten Haltung zu verharren und darauf zu warten, dass sich mir eine günstige Gelegenheit bot, mich von dieser Zwangslage zu befreien, um dann, wie auch immer das möglich sein sollte, zu fliehen.
Mittlerweile fragte ich mich natürlich auch wo Dai wohl nun sein könnte. Wird sie uns gefolgt sein? Ich weiß, dass sie einen guten Orientierungssinn hat, aber wird sie mich bei meiner Flucht überhaupt helfen können? Dai ist allerhöchstens acht Jahre alt, wurde mir nun wieder bewusst, und wenn sie auch älter wäre, was sollte sie in dieser Situation auch schon bewirken. Vermutlich nichts. Nein, diese Hoffnung ist illusorisch und reines Wunschdenken. Das einzige worauf ich womöglich nur hoffen konnte, war auf eine günstige Gelegenheit zu warten.
Etwas später brachten drei jüngere Krasianer Feuerholz und entfachten in meiner Nähe ein Lagerfeuer. Da mir im Stehen bereits schon ziemlich kalt wurde und ich schon zu frösteln anfing, war das zur Abwechslung mal etwas Gutes gewesen. Alle drei schauten und grinsten mich dabei aber immer blöd an, als sie diese Arbeit verrichteten. Das war jedoch etwas, was mir kaum noch etwas ausmachte und mir in meiner jetzigen Situation sogar schnurzegal war.

Wieder irgendwann später kam eine alte Frau mit einem Tongefäß und einem ledernen Beutel auf mich zu. Sie blieb vor mir stehen.
"oha atu ki a koe." sagte sie freundlich zu mir und stieß ihre Fäuste kurz vor der Brust. "Mat tomine Kijim."
"Mat tomine Rota" sagte ich müde und erschöpft.
"Whangainga ahau ki a koe?" schien sie nun zu fragen. Da ich sie nicht verstand zuckte ich nur mir den Schultern und sagte das, was ich auch so häufig schon zu Dai gesagt hatte. "Matau (versteh) e koe (nicht)."
Sie lächelte und kam nun etwas näher zu mir. Sie zeigte mir nun ihren Beutel und schüttelte ihn ein wenig. Es hörte sich an, als ob Wasser etwas Ähnliches in dem Beutel war. Dann bot sie mir den Beutel an, in dem sie ihn mir ein paarmal kurz vor der Nase hielt. Ich nickte, denn ich hatte schrecklichen Durst. Sie löste die Schnur von der Öffnung des Beutels und gab mir daraus zu trinken. Das Wasser war kühl und gut. Die alte Frau war geduldig und gab mir so viel Wasser wie ich wollte. Als mein Durst gelöscht war, gab sie mir aus dem Topf aus Ton auch noch etwas Fleisch zu essen. Obwohl das Fleisch, vermutlich aufgrund der exotischen Gewürze, anfangs sehr befremdlich schmeckte, mochte ich das Fleisch im Nachgang sehr und aß alles, was die alte Frau mir anbot. Vielleicht wollen Sie mich ja doch nicht töten, denn warum sollten sie mir sonst zu essen und zu trinken geben, fragte ich mich.
Als ich schließlich alles aufgegessen hatte, sagte ich wieder eine der wenigen Worte die ich von Dai gelernt hatte. "kiama (danke)." Die alte Frau lächelte und nickte mir zu. Danach zeigte sie auf meine Hose. Ich runzelte die Stirn, denn ich wusste nicht was sie wollte. Als sie bemerkte, dass ich sie nicht verstand, wurde sie deutlicher und zeigte direkt auf meinen Schritt. Da wurde mir langsam klar, was sie wohl meinen könnte. Ich nickte schließlich, denn ich hatte schon vor mehr als einer Stunde das Bedürfnis, dass ich Wasser lassen musste. Es war mir unangenehm, aber mir blieb letztendlich keine andere Wahl. Als sie mir schließlich geholfen hatte, dass ich mich erleichtern konnte, gab sie mir nochmal einen Schluck Wasser und ging dann ohne Worte wieder weg. Es gibt demnach wohl auch barmherzige Menschen unter den Krasianern, was mich nun wieder hoffnungsvoller stimmte. Zynisch kam mir aber trotzdem der Gedanke, dass sie vielleicht auch nur das tat, was man ihr aufgetragen hatte; mich solange zu pflegen und zu füttern, bis der Tag kam, an dem man mich zeremoniell ihrem Sonnen- oder Mondgott opferte, um mich danach dann möglicherweise auch noch genüsslich zu verspeisen. Aber das wollte ich nicht wirklich glauben.

Die Zeit zog sich danach quälend dahin. Da es mir nicht möglich war zu schlafen, schaute ich meist nur stumpfsinnig ins Feuer oder beobachtete den schweigsamen Krasianer, der vor dem Feuer saß und dort Wache hielt. Ich schätzte ihn so um die dreißig und im Gegensatz zu den anderen Krasianern, die ich bisher gesehen hatte, waren seine Haare bis zum Nacken kurzgeschnitten. Er nahm seine Aufgabe jedenfalls sehr ernst, denn er starrte mich die ganze Zeit an, ohne mich dabei auch nur ein einziges Mal aus den Augen zu verlieren. Frustrierend wurde mir bewusst, dass eine Flucht, wie ich sie mir vorstellte, nicht möglich sein dürfte. Da es mittlerweile schon spät war und ich sowieso kaum noch etwas zu verlieren hatte, versuchte ich mich mit ihm vertraut zu machen und sprach ihn, mit den wenigen Worten die ich auf krasianisch konnte, an. "Mat tomine (Ich bin) Rota!... me pēhea koe (wie geht's)?" sagte ich, ohne wirklich eine Hoffnung zu haben, dass er überhaupt darauf reagierte. Und wie ich es erwartet hatte, reagierte er tatsächlich nicht darauf. Er starrte mich ohne eine Wimper zu zucken weiter nur schweigend an.

Je später es wurde, umso müder wurde ich. Und mittlerweile wurde mir langsam bewusst, wie quälend meine missliche Lage wirklich war und insbesondere noch werden würde. Noch nie hatte ich so eine Sehnsucht gehabt mich hinzulegen. Ich versuchte meine Augen zu schließen, um vielleicht im Stehen etwas schlafen zu können. Aber sobald ich dann einschlief, bereute ich es auch gleich wieder, da ich permanent auch gleich wieder mit Schmerzen aufwachte und es mich jedes Mal umso mehr ärgerte nicht schlafen zu können. Mein Blick fiel nach dem Wachwerden auch immer gleich auf den Krasianer, und dabei hatte ich jedesmal die Vermutung, dass ihn meine Situation etwas mehr amüsierte.
Ich hätte ihn in diesen Momenten jedesmal ermorden können, wenn ich gekonnt hätte.

Die Zeit zog sich weiter quälend dahin und meine Lage wurde für mich hier zur reinsten Folter, bis ich irgendwann hinter dem Krasianer eine seltsame Bewegung wahrnahm. Etwas näherte sich von hinten an den Krasianer heran. Kann das sein..? Dai? Da der wachehaltende Krasianer mich die ganze Zeit beobachtete, durfte ich mir aber nichts anmerken lassen. Ich blieb daher ruhig und tat so, als ob ich wieder kurz vorm Einschlafen war. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich nun tatsächlich jemand erkennen, der sich kriechend von hinten an den Krasianer heranschlich. Dai, wenn du das bist, was zum Teufel hast du vor? Ich musste nun ganz besonders die Aufmerksamkeit von dem Krasianer auf mich ziehen, damit er von dem Heranschleichenden nichts bemerkte. Als der noch unbekannte Eindringling nah genug war, tat ich so als ob ich wieder schmerzlich aus meinem Halbschlaft erwachte. Ich riss die Augen nun besonders schmerzverzerrt weit auf. "Aaaaarrgghh!!" brüllte ich meine ganze Wut und meinen Ärger heraus. Der Krasianer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sah mich weiter stoisch an, was gut war und ich ja schließlich bezwecken wollte, denn seine ganze Aufmerksamkeit war weiter nur auf mich gerichtet. Dann passierte auch genau das, was ich geahnt und gleichzeitig befürchtet hatte. Der Eindringling richtete sich in diesem Moment vom Boden auf. Dann erkannte ich im Schein des Feuers, dass es tatsächlich Dai war, die mit einem Messer auf den wachhabenden Krasianer zurannte. Der Krasianer bemerkte Dai zu spät. Dai stieß das Messer tief in den Hals des Krasianers. Der Krasianer drehte sich blitzartig um und schlug Dai mit einem Schlag zu Boden. Das Messer, das immer noch in seinem Hals steckte, nahm er jetzt in die Hand und zog es heraus. Er wollte schreien, aber heraus kamen nur unverständliche und blubbernde Gurgelgeräusche. Er lief nun in Richtung des Dorfes, wo die Hütten waren, kam aber nach nur ein paar Schritten ins Wanken und fiel schließlich kurz danach zu Boden. Er versuchte sich nochmal aufzurichteten, brach dann aber wieder zusammen und blieb schließlich dort liegen.
"Dai!" rief ich nun leise und fürchtete schon das Schlimmste. Aber Dai regte sich wieder und kam langsam wieder auf die Beine. Ich war so überrascht, so erleichtert und so erstaunt, das ich erst gar nichts sagen konnte. "Dai.." sagte ich daher wieder nur und konnte das immer noch alles nicht glauben "..wie.. konntest du..?"
Dai hob das Messer auf und kam dann auf mich zugerannt. Sie umarmte mich und weinte "Rota.. opea (endlich).. ".
Mir kamen nun selbst die Tränen. "Du tapferes.. unglaubliches Mädchen... wie konntest du.." brabbelte ich völlig aufgelöst.
Dann löste sich Dai von mir und fing mit dem Messer an die Seile durchzuschneiden.
"Wir muß gehn schnell weg! Sie komm zurüg vielleicht.."
Als sie gerade dabei war das zweite Seil an meinem rechten Fuß durchzuschneiden, verflogen plötzlich meine ganze Hoffnungen auch schon wieder, als ich einen anderen Krasianer sah, der vermutlich gerade den anderen, nun toten Krasianer, von der Wache ablösen wollte.
"whakaoho! Kei te hiahia! whakaoho!..." schrie er immer wieder.
"Oh nein!" stöhnte ich. "Dai beeil dich!" rief ich in Panik, obwohl mir natürlich klar war, das Dai ihr Bestes gab. Ich zog nun so fest ich konnte an dem Seil wo Dai gerade versuchte es durchzuschneiden. Es riss schließlich und Dai wechselte nun zur anderen Seite um das andere Seil an meinem Fuß durchzuschneiden. Ich riss nun auch an diesem Seil mit aller Kraft die ich aufbringen konnte, bis es schließlich mit einem Knall ebenfalls riss. Dann jedoch kamen drei, nein vier Krasianer von den Hütten her auf uns zugerannt. Wir hatten keine Chance mehr zu fliehen. Dai versuchte trotzdem weiter verzweifelt das Seil durchzuschneiden, bis sie von einem der Krasianer schließlich davon abgehalten wurde und er sie dann von mir fort trug.
"Sie dich töten... Ich reden mit Ramanesa.. du vielleicht kämpfen dann um Leben.." rief sie mir noch verzweifelt und hektisch hinterher, bis sie dann immer wieder meinen Namen rief und bitterlich weinte.
"Dai! Keine Angst.. wir schaffen das.." rief ich ihr noch zu und wusste, dass das nur leeres Gerede von mir war und ich kaum noch eine Chance sah hier zu entkommen. Sie hielten mich nun mit drei Mann fest, wobei ich selbst kaum noch Widerstand leistete. Wir waren so kurz davor gewesen zu fliehen und gerade in dem Moment meiner Befreiung, kam die blöde Wachablösung. Ich war enttäuscht und niedergeschlagen. Niedergeschlagen wie ich nun war, nahm ich nur am Rande wahr, wie man mich mit anderen Seile wieder an diese beiden Baumstämme fesselte. Meine Gedanken waren bei Dai. Was wird man nun mit ihr machen? Sie hatte einen ihrer Leute getötet um mich, einen Fremden, zu befreien. Beim Bund wäre das Hochverrat und darauf stand der Tot. Und hier? Ich hatte meine Zweifel, das dieses Volk überhaupt das Wort Gnade kannte. Das einzige was mich dabei verwirrte war, dass Dai sagte, dass sie mit dem Häuptling Ramanesa sprechen wollte. Das spricht zumindestens dafür, dass dieses Volk oder nur der Häuptling einen möglichen Verräter zu seiner Verteidigung trotzdem noch anhört.

Nach einer Weile hatte sich alles wieder so beruhigt, als ob nichts geschehen war. Ich stand wieder gefesselt zwischen diesen beiden Baumstämmen. Den toten Krasianer hatten sie mitgenommen und der, der die Wacht von den anderen Krasianer übernehmen sollte, der übrigens ebenfalls so kurze Haare trug wie der andere nun tote Krasianer, wachte nun am Lagerfeuer über mich und starrte mich nun die ganze Zeit an. Ich wollte das alles nicht mehr. Trotz der Schmerzen die mich gleich erwarten werden, schloss ich meine Augen und ließ mich einfach hängen. Der Schmerz sollte eigentlich dafür sorgen, dass ich sofort wieder eine andere Position einnehmen sollte und ich wieder aufstand. Ich gab diesmal aber nicht nach, denn ich hatte keine Lust mehr zu stehen und wach zu bleiben. Ich wollte nur noch schlafen und versuchen diese Schmerzen auszuhalten. Ich werde mich einfach daran gewöhnen. Schmerzen kommen und gehen wieder. Das wusste ich. Über die Folgen konnte ich mir ja später Gedanken machen. Jetzt jedenfalls nicht. Dann schlief ich tatsächlich ein.

Als ich wieder wach wurde, war es schon wieder hell und obwohl es schon Herbst war, brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel herunter. Die alte Frau von gestern stand wieder vor mir und sah mich freundlich aber diesmal mit einer gewissen Traurigkeit an. Leidet sie etwa mit mir? Ich jedenfalls wollte am liebsten wieder einschlafen, aber das konnte ich leider nicht mehr und so musste ich mich wieder mit meiner Situation abfinden. Meine Hände und meine Füße waren ganz wund gerieben von den Fesseln und ich spürte sie auch nicht mehr richtig. Ich versuchte mich aufzurichten, konnte es aber nicht. Die alte Frau erkannte mein Problem und kam mir nun zur Hilfe, in dem sie mich von hinten stützte und ich so wieder langsam Halt auf dem Boden fand. Das Blut fing nun langsam wieder durch meinen ganzen Körper zu zirkulieren und ließen mir die Schmerzen spüren, die ich im Schlaf zum Teil nicht wahrgenommen hatte. Ich stöhnte und biss die Zähne zusammen. "Kijim!" sagte ich nur und mehr fiel mir in dem Moment auch nicht ein. Kijim nickte mir zu und bot mir nun wieder Wasser aus dem Beutel an. Ich nickte zustimmend, denn ich hatte großen Durst. Nachdem ich genug getrunken hatte, wischte sie mir mit einem feuchten Tuch über das Gesicht und meine Arme und Beine. Anschließend gab sie mir wieder etwas zu essen, wobei ich hoffte, dass es kein Menschenfleisch war, was sie mir zu essen gab. Danach ging sie wieder und die Zeit zog sich wieder quälend dahin.

Da ich ja sonst nichts tun konnte beobachtete ich das Treiben der Krasianer. Dabei fiel mir auf, dass viele der Krasianer schon morgens gegeneinander kämpften. Bei den Kindern sah es teilweise noch spielerisch aus, bei den Erwachsenen hingegen kämpften sie jedoch sehr verbissen gegeneinander, wo der eine oder andere Verlierer dieser Kämpfe nicht mehr selbständig gehen konnte und von den anderen weggetragen werden musste. Etwas später, ich schätzte es war so um die Mittagszeit, sah ich, dass sich einige der Krasianer aufmachten um das Dorf scheinbar zu verlassen. Weil einige der Krasianer Jagdbögen und andere Speere bei sich trugen, vermutete ich, dass sie auf die Jagd gingen. Als mein Blick auf die Speerspitzen fiel, fiel mir auf, dass auf einige der Speere Messerklingen angebracht waren. Da ich mir aber nicht vorstellen konnte, dass die Krasianer dazu imstande waren ihr eigenes Eisen oder überhaupt ein Metall herzustellen, mussten diese Klingen Eroberungen vom Bund oder vielleicht auch von Ausgestoßenen des Bundes sein. Ebenso traf das wahrscheinlich auch auf die Jagdbögen zu. Zwei der Krasianer trugen große Jagdbögen bei sich, die genauso aussahen, wie sie beim Bund üblich waren, während die anderen Jagdbögen ziemlich einfach, ja fast jämmerlich, dagegen aussahen. Mir wurde langsam klar, diese Krasianer waren zwar körperlich und kämpferisch den Menschen des Bundes weit überlegen. Technologisch waren sie es jedenfalls nicht. Und genauso verhielt es sich, meiner Ansicht nach, in ihrem sozialen Verhalten. Bei den Krasianern werden nur die Starken akzeptiert und nur derjenige, der sich im Kampf behaupten kann, wird respektiert. Auch hatte ich bisher noch keinen schwächlichen Krasianer gesehen, der beispielsweise zu klein geraten war oder irgendeine Behinderung aufwies. Nach dem, was man sich in Kaven erzählte und was auch Dai mir von sich erzählte, werden die Schwachen und Kranken der Krasianer ausgestoßen oder einfach sich selbst überlassen.
Der Bund hingegen beschützt in der Regel seine angeschlossenen Städte und Regionen, egal wie stark oder schwach diese auch sind. Jede Stadt, jede Region, genauso wie jeder einzelne Bürger des Bundes hat seine Schwächen und Stärken. Die eine Region ist besonders gut im Produzieren von Eisen, die andere von Wolle, der eine Bürger kann sehr gut Häuser bauen, der andere wiederum gut kämpfen oder kochen. Was auch immer. Alles was nützlich ist wird gebraucht, und was dem einen fehlt, hat womöglich der andere, und sofern sie miteinander Handel treiben, tauscht man sich aus und hilft einander. Und gerade dieser Zusammenhalt war vermutlich der Grund warum der Bund den Krasianern überlegen ist. Die Krasianer mögen stolze und bemerkenswert gute Kämpfer sein, im Vergleich zum Bund sind sie in meinen Augen aber nur ein armseliges Volk, die vergessen haben sich weiter zu entwickeln. Aber wer weiß schon, was für Zeiten noch kommen werden, und sich die Lebensphilosophie der Krasianer vielleicht später doch nochmal als die bessere erweisen könnte.

Zwischenzeitlich kamen auch immer wieder neugierige Krasianer zu mir und glotzten mich an. Sowohl Kinder, als auch junge und alte Frauen und Männer betatschten mich immer wieder und hatten anscheinend ihren Spaß mit mir.
"Mat tomine R o t a..!" sagten sie immer wieder gern und häufig auf eine eher lächerliche Art und Weise. Und da ich nicht darauf reagierte, lachten und alberten sie meistens daraufhin noch etwas herum, bis sie schließlich irgendwann auch wieder weggingen. Ich schloss in diesen Momenten meistens nur die Augen und wünschte, dass ich noch den Virus Krass in mir hatte.

Die Zeit zog sich weiter dahin. Irgendwann kam auch Kijim wieder und gab mir wieder etwas zu Essen und zu Trinken. Und als ich genug getrunken und gegessen hatte, half sie mir wieder, so entwürdigend und unangenehm ich es auch empfand, meine Notdurft zu verrichten. Nachdem sie wieder ging und die Zeit wieder etwas weiter vorangeschritten war, hörte ich plötzlich jemand meinen Namen rufen. Dai? Das war Dai's Stimme. Ich riss die Augen auf und tatsächlich kam Dai gerade auf mich zugerannt. Ganz alleine und ohne dass jemand sie verfolgte.
"Dai?" krächzte ich nun verwundert und ziemlich müde, denn ich versuchte gerade wieder verzweifelt einzudösen.
"Wie..wie ist das möglich?"
Dai umarmte mich kurz und schaute mich nun mit einem etwas betrübten Blick an.
"Du kämpfen heute.. Wenn Sonne geht unter gegen großen Krieger." sagte sie nun eifrig.
Fassungslos sah ich sie nun an.. "Kämpfen?" fragte ich nur.
"Sie dich sonst.. getötet für.. Rama. Sie gern kämpfen. Dai weiß das. Ich sprechen musste mit Ramanesa. Er sagen du sterben für Rama. Es nicht ging anders. Ich sagen du von Rama und du prüfen Volk von Ramanesa“ sagte sie nun hastig und ganz aufgeregt. Ich verstand jetzt. Damit ich nicht getötet werde, hatte Dai dem Häuptling gesagt ich wurde von ihrem Gott geschickt um sein Volk auf die Probe zu stellen und auf seine Kampfkraft oder so zu prüfen. Besser das, als gleich getötet zu werden, dachte ich bei mir. Ich nickte ihr zu, um zu zeigen, dass ich sie verstanden hatte. „Das hast du sehr gut gemacht! Aber was passiert nach dem Kampf, wenn ich verlieren sollte..?“
„Wenn du verlierst.. du tot. Wenn nicht.. du leben?“ sagte sie nun etwas bedrückt.
„Du nicht verlieren. Du stark. Dai weiß..!“ sagte sie noch schnell hinterher.
Ich hatte da aber meine Zweifel. Ich habe zwar die Fähigkeit Schmerzen auszuhalten, aber das war’s auch schon. Im Vergleich zu diesen durchtrainierten und kampferprobten Krasianern, war ich dagegen nur ein Hänfling oder eine Witzfigur. Da die Krasianer auch gerne lachen, werde ich für sie auf jeden Fall sehr unterhaltend sein. Aber naja, besser eine Chance, so gering sie auch ist, als gar keine.
„Was ist mit dir? Warum bist du frei? Du hast doch einen deiner Leute getötet.“ wollte ich nun wissen.
„Ramanesa sagen ich frei, solange du leben..“
„Und wenn ich tot bin, bist du nicht mehr frei..? Wirst du wenigsten dann noch weiterleben? Dai?“ fragte ich nun entsetzt.
„Ramenesa sagt.. wenn du tot.. ich muss gehen zu Rama..“ sagte sie nur und sah dabei auf den Boden.
Ich stöhnte und schloss dabei meine Augen. Also darf ich schon mal gar nicht verlieren.
Dann hörte ich in unmittelbarer Nähe auf einmal einen Gesang und als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich eine Truppe von rund zehn krasianischen Frauen auf mich zukommen. Die Gesichter und Körper der Frauen waren mit roter und gelber Farbe angemalt. Sie tanzten rhythmisch zu ihrem Gesang und als sie mich und Dai erreichten, fingen sie an mir meine Fesseln zu lösen und die Kleider auszuziehen. Dai schien nicht überrascht und ging ein paar Schritte zurück, ehe sie dann von zwei etwas älteren Frauen woanders hin gebracht wurde. Ich wehrte mich anfänglich noch, ließ es dann aber sein, da ich kaum etwas dagegen ausrichten konnte. Nachdem sie mich dann singend und tanzend komplett entkleidet hatten, wuschen sie mich und trockneten mich anschließend ab. Danach schmierten sie meinen Körper mit einer fettigen Paste ein und zogen mir anschließend eine Hose aus hellbraunem Leder an. Die Hose fühlte sich auf meiner Haut sehr geschmeidig und bequem an und passte mir wie angegossen. Eine der Frauen deutete mir nun an, dass ich ihnen folgen soll. Da ich mehr als erleichtert war diesen verhassten Ort hier endlich verlassen zu können, folgte ich den Frauen ohne zu zögern. Meine Arme und Beine taten mir beim Gehen aufgrund meiner nicht ganz so idealen Schlafposition, die ich letzte Nacht eingenommen hatte, schrecklich weh. Sie führten mich schließlich zu eine ihrer Hütten und drängten mich in diese hineinzugehen. Ich ließ mich nicht lange bitten und als ich schließlich in die Hütte hineinging, hörten sie auch endlich mit dem Tanz und dem Gesang auf. Die Hütte sah von innen geräumiger aus, als ich von außen vermutet hätte. In der Mitte der Hütte war eine Feuerstelle, wo jedoch um diese Zeit noch kein Feuer brannte. Das runde Kuppeldach, das mit vielen gegerbten Tierhäuten überspannt war, ließ genug Licht herein, dass man alles in der Hütte noch gut sehen und erkennen konnte. Auch lagen und hangen überall Felle herum, was sehr dazu beitrug, dass es in der Hütte gemütlich aussah. Zwei attraktive und sehr hübsch anzuschauende Krasianerinnen, die mit mir in die Hütte gekommen waren, führten mich nun zu einer Stelle der Hütte, wo besonders viele Felle lagen und ich annahm, dass es sich hier um eine Schlafstelle handelte. Ich legte mich mehr als bereitwillig auf diese einladend bequeme Stelle hin. Durch meinen ganzen Körper ging ein regelrechter Schauder des Wohlbehagens als ich auf diesen weichen Platz endlich mal wieder zum Liegen kam. Und wie ich so da lag, kam noch eine dritte Frau herein. Sie legte mir einen Wasserbeutel und einen Tontopf, vermutlich gefüllt mit etwas Essbarem, neben mir auf den Boden.
„te Kai me te inu“ sagte sie und zeigte mir mit verschiedenen Gesten, dass ich das essen und trinken könnte.
"kiama (danke)." sagte ich, nickte ihr zu und nahm mir einen Schluck aus dem Wasserbeutel. Sie schien zufrieden und ging dann wieder aus der Hütte. Die anderen beiden Frauen blieben jedoch bei mir und setzten sich nach einer Weile etwas zögerlich rechts und links kniend neben mir hin. Ich schaute sie nun beide an und fragte mich, was sie wohl von mir wollten.
„kei te hiahia koe i te papaririki?“ fragte nun die größere und schlankere von den beiden. Sie hatte ihre langen Haare zu mehreren Zöpfen geflochten und diese irgenwie auf ihren Kopf zu einem kunstvollen Knoten zusammengelegt, während die andere ihre langen schwarzen Haare einfach offen trug.
Da ich sie absolut nicht verstand, zuckte ich nur mit den Schultern. Dann stand sie auf und ging zu der anderen Krasianerin, die ihre Haare offen trug, und fing an sie mit ihren Händen zu massieren und schaute mich dabei mit einem fragenden Blick an. Nun leuchtete mir langsam ein, warum diese beiden Frauen hier waren. Sie waren für mein Wohlbefinden hier. Mein Herz klopfte nun schneller und kräftiger als es mir lieb war. In Kaven war eine Massage nichts ungewöhnliches und wurde auch offen praktiziert. Selbst Petra hatte Jaron, wenn sein Nacken oder Rücken wieder verspannt waren, das eine oder andere Mal massiert. Aber ich selbst wurde bisher noch nie in meinem Leben massiert. Und nun boten zwei überaus attraktive Krasianerinnen mir an, mich zu massieren. Die Vorstellung ängstigte mich genauso wie sie mich erregte. Ich musste aber in ein paar Stunden gegen ihren stärksten Krieger kämpfen und da mein ganzer Körper völlig verspannt war und mir sämtliche Muskeln schmerzten, wäre ich ein Narr gewesen, wenn ich dieses Angebot ausgeschlagen hätte.
„koa“ sagte ich schließlich und nickte ihnen zu.
"Tango atu?" fragte jetzt wieder die mit den geflochtenen Haaren und wollte mir gerade meine Hose ausziehen. Da ich darunter nichts anhatte und ich auch gar nicht wusste, ob ich meine Männlichkeit in einer solchen Situation überhaupt kontrollieren konnte, griff ich so schnell ich konnte nach meiner Hose, zog dagegen und schüttelte heftig meinen Kopf.
"Kahore (nein)!" sagte ich energisch und in aller Deutlichkeit.
Beide Krasianerinnen schauten sich nun schmunzelnd an und schienen sich vielleicht dabei sogar ein Lachen zu verkneifen.
"katahi ka kore pea koe e pupuhi i ou waewae.." sagte nun die mit den offenen Haaren, mit einer ruhigen und wohlklingenden Stimme zu mir. Dabei strich sie mit ihren Händen sanft über meine Beine und schüttelte langsam den Kopf.
Mir schmerzten aber nun mal die Beine und nur wenn ich meine Hose auszog, konnten sie mich offenbar dort auch nur richtig massieren. Was soll‘s..? Es kommt, wie es kommt.. und ließ mir schließlich dann doch von ihnen die Hose ausziehen.
Sie massierten mich über eine Stunde lang, bis sie mich schließlich danach alleine ließen. Die Massage war wohltuend, entspannend und.. natürlich auch sehr aufregend für mich gewesen. Meine Muskeln fühlten sich danach jedenfalls viel lockerer und weicher an. Ich trank und aß anschließend noch etwas von dem, was sie mir gebracht hatten, ehe ich dann versuchte meinen Körper noch etwas Ruhe und Schlaf zu gönnen. Da aber meine Gedanken nur noch um den bevorstehenden Kampf kursierten, war mir das Einschlafen nicht vergönnt. Ich versuchte daher mich in dieser Zeit nur noch etwas auszuruhen und mir zu überlegen, wie ich das Unmögliche schaffen sollte einen der besten krasianischen Kämpfer zu besiegen. Da ich aber nicht wusste, wie und mit welchen Waffen gekämpft werden soll, waren meine ganzen Überlegungen nicht viel mehr Wert als nur ein Zeitvertreib.

Rama Rama Maranna Whahai

//Wenn andere glauben, man ist am Ende,
so muss man erst richtig anfangen.\\
Konrad Adenauer

Essenz:
-Rota muss um sein Leben, wie auch um Dai's Leben, kämpfen-

Die Zeit zog sich wieder endlos dahin. Ich hasste dieses Warten, aber gleichzeitig wollte ich auch nicht, das diese Zeit immer weiter verging. Irgendwann wurde es immer stiller um mich herum und meine Anspannung wuchs mit jeder Minute die verging. Am liebsten wäre ich jetzt geflüchtet, einfach hier herausgerannt und immer weiter, bis ich mich wieder sicher fühlte. Aber das war natürlich Unfug. Die durchtrainierten Krasianer würden mich mit Leichtigkeit wieder einholen und was sie dann mit mir machen würden, wollte ich mir erst gar nicht vorstellen. Dann hörte ich auf einmal ein Trommeln und kurz darauf wie Krasianer zu diesem Rythmus im Chor sangen.
"Rama.... rama.. maranna WHAWHAI.. Rama.... rama.. maranna WHAWHAI.. Rama.... rama.. maranna WHAWHAI..."
Da die Lautstärke der Trommeln und die des Gesangs stetig zunahmen wurde mir klar, dass sie sich auf dem Weg zu mir befanden. Mein Herz hämmerte nun wie verrückt gegen meine Brust und erreichte schließlich seinen Höhepunkt als sie meine Hütte erreichten. Ich war starr vor Angst und wagte mich nicht zu bewegen. Mit einem lauten aber vorerst letzten Trommelschlag verstummten sie plötzlich und es herrschte für einen Moment völlige Stille. Ich stand auf und kam dabei etwas ins Wanken, da meine Beine vor Aufregung zitterten und sie, trotz der Massage, immer noch schmerzten. Die Felle vor der Eingangstür wurden nun von außen geöffnet. Soweit ich nun von hier aus sehen konnte, standen acht Krasianer in jeweils zwei Vierer Reihen in Spalier vor mir. Was man nicht ändern kann, muss man wohl akzeptieren, dachte ich und verließ die Hütte. Als ich dann zwischen den Reihen ging, fingen die vor mir stehenden Krasianer mit ihren Händen wieder auf ihre Trommeln zu schlagen. Sie trommelten den gleichen Rythmus wie schon zuvor und alle anderen stimmten mit ihrem Sprechgesang zu diesem Rythmus wieder mit ein. "Rama.... maranna WHAWHAI.. Rama.... maranna WHAWHAI.. Rama.... maranna WHAWHAI..." sangen sie immer wieder, mal leiser, mal lauter werdend, dann etwas schneller und dann wieder langsamer. Dann begannen die Trommler vorweg loszulaufen und die acht in zwei Reihen links und rechts neben mir stehenden Krasianer, mit mir in der Mitte eingeschlossen, folgten ihnen. In dieser Formation führte man mich schließlich im Rythmus ihres Sprechgesangs aus dem Dorf zu einem anderen offenen Platz in der Nähe ihres Dorfes.

Als wir dann dort eintrafen, fiel mir als erstes auf, dass sich scheinbar das ganze Dorf auf diesen Platz versammelt hatte. Sie alle standen im Kreis um einen beeindruckend großen Malavenbaum. Und als sie uns kommen hörten, fingen sie an ebenfalls im Rythmus der Trommeln und zu diesem eigenartigen Sprechgesang mitzusingen. An der Stelle, wo wir uns dem Kreis näherten, gingen die Leute beiseite und ermöglichten uns so in die Mitte des Kreises zu gelangen. Und als wir schließlich im Zentrum der Menschenmenge ankamen, hörten sie mit dem Trommeln und ihrem Sprechgesang auf. Es herrschte nun eine bedrückende Stille. Zwei Krasianer banden mir nun um meine Taille ein etwa drei Schritt langes Seil, wobei das andere Ende am Baumstamm des Malavenbaums befestigt war. Die acht Krasianer die mich zu diesem Platz hergeführt hatten, waren inzwischen zu den anderen Krasianern am Rand des Kreises verschwunden. Die Trommler hingegen hatten sich etwas links vom Kreis abgesetzt und schienen auf ihren erneuten Einsatz zu warten. Da die Sonne sich langsam dem Horizont näherte, wurde es allmählich immer dunkler. Ich sah mich nun etwas genauer um und hoffte Dai irgendwo im Kreis der Menge zu entdecken, konnte sie jedoch nirgends finden. Vermutlich hatte man sie auch woanders hingebracht. Ich schätzte die Menge auf ungefähr zweihundert bis dreihundert Krasianer. Männer, Frauen, Kinder, alle waren sie mit dabei und schauten mit Spannung und Neugier auf mich und was als nächstes passieren würde. Nachdem sie mich schließlich an diesem Seil gebunden hatten, gingen mit einem mal alle in die Knie und neigten ihre Köpfe.
"Tuakana! Ora tonu! R_a_m_a_n_e_s_a!" sagten sie nun alle laut im Chor, wobei sie den Namen Ranemesa besonders wieder in die Länge zogen.
Ramanesa kam nun langsamen Schrittes in die Mitte des Kreises gelaufen.
"Rama... Rama... maranna w_h_a_h_a_i.. Rama... Rama... maranna w_h_a_h_a_i..." begannen nun alle leise im Rhythmus der Trommeln wieder zu singen. Ramanesa blieb etwa zwei Schritt neben mir stehen. Er sah sich einmal um und hob dann beide Arme nach oben, mit Blickrichtung zur Sonne. In dieser Haltung blieb er eine Weile stehen, bis er schließlich seine Arme und seinen Blick wieder senkte und mit der rechten Hand seine Leute anwies mit dem Gesang und dem Trommeln aufzuhören und sich wieder zu erheben.
„Rama haere maranna haere mai“ sagt er laut und melodisch. „He kaha o tatou iwi“ dabei zeigte er im Kreis herumgehend auf seine Leute.
„Rama e Maranna kaha te iwi kaha.. Dai“ Nun zeigte er auf eine bestimmte Person in der Zuschauermenge und dann kam Dai doch tatsächlich in die Mitte zu Ramanesa gelaufen und kniete sich tief vor ihm nieder.
„I korerotia mai ki a Dai e hiahia ana a Rama ki te whakamatautau i te taangata.“ sagte Ranemesa und zeigte dabei immer noch auf Dai. Dann ging er ein Schritt auf mich zu.
„I tukuna a err he tamaiti whero“ sagte er und zeigte dabei nun auf mich. Wollte er jetzt das ich mich auch hinkniete? Ich wusste es nicht und blieb daher einfach regungslos stehen. Nachdem was Dai mir erzählte, sollte ich doch von ihrem Gott gesandt worden sein um die Kampfkraft ihres Volkes herauszufordern. Kniet ein Herausforderer vor seinem Gegner? Ich war mir unsicher und ließ es einfach.
"kaore ia e rite ki te toa. Engari ko te huarahi kaore e tino tau.." sagte er mit einem verschmitzen Lächeln und viele der Zuschauer mussten bei dieser Bemerkung ebenfalls grinsen, wobei einige sogar regelrecht dabei lachen mussten. Ich wunderte mich. Hatte er ein Witz gemacht oder mich sogar lächerlich gemacht? Ich wusste es nicht und es sollte mir auch egal sein. Besser sie betrachten mich schon jetzt als einen nicht würdigen Herausforderer und Gegner, als später im Kampf. Die Enttäuschung wäre dann jedenfalls nicht mehr so groß.

Ramanesa wendete sich nun wieder von mir ab. Er ging zu Dai und deutete ihr an, dass sie wieder aufstehen und weggehen könnte. Dai stand auf und warf mir dabei einen kurzen Blick zu. Unsere Blicke trafen sich. Ich erhob dabei kurz, fast unmerklich die Hand zum Gruß. Sie winkte ebenfalls nur ganz kurz zurück und ging dann eilig wieder dahin zurück woher sie hergekommen war.
"Kei a au te mahi ki te kowhiri i tetahi kaitoi e whawhai ana ki nga whero.." sagte Ramanesa und ging dabei nun die Reihen des Kreises entlang. Die Trommler begannen nun langsam und leise wieder auf ihre Trommeln zu schlagen.
"Whiriwhiria au .. ka whiriwhiri au..." sprach er langsam und im Rythmus der Trommeln immer wieder, bis er stehen blieb.
"Ko to maatau toa nui..." Ramanesa machte eine Pause, blickte nochmal in die Runde und rief schließlich "..R_A_G_A_A_N.!"
Ragaan war vermutlich der Namen meines Gegners, dachte ich bei mir. Alle begannen nun wieder im Chor ihren eigentümlichen Sprechgesang zu singen. "Rama... Rama... maranna whahai.. Rama... Rama... maranna whahai..."
Danach öffnete sich, an der Stelle wo Ramenesa stand, der Kreis und ein schlanker, sehniger und sehr athletischer Krasianer kam nun in den Kreis der Menschenmenge. Er wirkte auf mich noch relativ jung und hatte, im Gegensatz zu den meisten anderen Krasianern, kaum Narben am Körper. Auch zierten nur zwei eher schlichte Bemalungen seine beiden Oberarme. Im Übrigen besaß er aufgrund seiner ebenmäßigen Gesichtszüge ein gutes Aussehen und er wirkte sehr selbstbewusst. Sein Blick war fest und furchtlos. Im ersten Moment war ich ein wenig erleichtert, denn ich hatte mir einen größeren und muskulöseren Krasianer vorgestellt. Aber bei genauerem Hinsehen konnte ich mir auch sehr gut vorstellen, dass er aufgrund seiner Anatomie besonders schnell und beweglich sein könnte.

Ramanesa führte nun Ragaan zum Malavenbaum, wo er dort ebenfalls von zwei Krasianern mit einem etwa drei Schritt langes Seil um die Taille am Malavenbaum gebunden wurde. Da die Sonne nun zum Teil schon am Horizont verschwand und es auch schon immer dunkler wurde, wurden vom Dorf Fackeln gebracht, die sich flugs im Kreis der Menschenmenge verteilten.
Ramanesa wendete sich nun wieder seinen Leuten zu und wies sie mit einer Geste an wieder mit ihrem Gesang und Trommeln aufzuhören.
"teina! Rama.. te āhua. ka ara ake! Ko te waa..Ka rite te toa." sagte er und sah uns nun beide erwartungsvoll an. Ragaan begab sich nun in voller Reichweite seines Seils zum Baum auf die gegenüber liegende Seite von mir. Ich wusste nicht ob ich nun das Gleiche tun sollte, tat es aber instinktiv und begab mich nun ebenfalls in voller Reichweite zum Malavenbaum, so dass nun auch mein Seil in gespannter Länge zwischen mir und dem Malavenbaum war. Ramanesa nickte nun den Trommler zu und sagte "Ka patu a taramu i te whawhai".
Die Trommler schlugen einmal laut auf ihre Trommeln.
"Rama... rama... rama... rama... maranna whahai.. rama... rama...." begannen nun alle Zuschauer im Chor leise immer wieder diese Worte im Takt zu singen. Dann folgte der zweite Trommelschlag. Ragaan nahm nun eine Kampfhaltung ein, indem er die Hände erhob und etwas in die Knie ging. Demnach wird der Kampf vielleicht gleich beim dritten Trommelschlag losgehen, dachte ich bei mir, denn aller guten Dinge sind wohl immer noch drei. Ich machte mich nun ebenfalls bereit. Mein Herz klopfte wild und meine Beine und Hände zitterten. Ich holte tief Luft, um mich etwas zu beruhigen und nahm nun die gleiche Kampfhaltung ein wie mein Gegner. Es kommt wie es kommt. Dann schließlich erfolgte der dritte und lauteste Trommelschlag. "WHA H A I ki a koe R A M A" rief Ramanesa schließlich und verließ den Kampfplatz.

Ragaan atmete einmal kurz tief durch und kam nun in großen, leicht federnden Seitwärtsspüngen auf mich zu. Sein Blick war dabei die ganze Zeit auf mich und besonders auf meine Augen gerichtet. Und kaum als er in meine Reichweite kam, täuschte er einen Angriff vor. Er zuckte nur ganz leicht mit der Hand und Schulter. Ich fiel, ängstlich wie ich war, darauf herein und machte wie ein erschrecktes Kaninchen einen Satz rückwärts, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel schließlich auf meinen Allerwertesten zu Boden. Ragaan blieb stehen, senkte seine Hände und richtete sich nun lässig in voller Größe wieder auf. Er blickte nun auf mich herab und winkte mir dann mit beiden Händen zu.
"Öhh.. I whakawehi ahau ia koe?" sagte er in einem überheblichen Ton und grinste dabei. Ich hörte nun, wie einige Zuschauer hinter mir lachten. Obwohl ich es schon befürchtet hatte, dass dies für mich peinlich werden würde, war es doch demütigender als ich es mir vorgestellt hatte. Wütend wie ich nun war stand ich wieder auf. Da Ragaan sich nun schutzlos von mir abgewendet hatte, versuchte ich nun die Chance zu nutzen und griff ihn von hinten an. Als ich kurz davor war ihn von hinten zu packen, wich er mir jedoch geschickt aus, in dem er sich rechts von mir auf den Boden wegrollte und mir beim Fallen sein linkes Bein in den Weg stellte. Da ich sowieso schon taumelte, brachte er mich damit vollends wieder zu Fall. Diesmal landete ich, dank des weichen Grases, nicht allzu hart auf dem Bauch. Ich versuchte so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Ragaan stand jedoch bereits wieder vor mir und ließ nun eine blitzschnelle Viererkombination von Schlägen und Fußtritten auf mich niederprasseln. Mit seinen Fäusten traf er mich erst auf die linke und dann rechte Seite meines Gesichts. Sein rechter Fuß traf mich in den Unterleib und ohne eine erkennbare Verzögerung schaffte er es mit einem geschickten Hechtsprung nach rechts mir mit seinen linken Fuß so kräftig gegen meine linke Seite des Kopfes zu treten, dass ich auf die rechte Seite geschleudert wurde und wieder auf den Boden landete. Zuerst fühlte es sich an, als ob er mich nur in einer schnellen Folge von Bewegungen nur berührt hatte, doch dann breiteten sich die Schmerzen auf meinem Gesicht und besonders in meinem Unterleib wie Feuer aus. Tränen schossen mir in die Augen. Ich sank jämmerlich zusammen.

"Rama.. Rama.. Rama.. maranna WHAWHAI...." hörte ich immer noch die Zuschauer rhythmisch zu den Trommelschägen singen. Ich wusste dass ich ihm im Kampf natürlich unterlegen war, aber dass ich so hoffnungslos unterlegen war, hatte ich mir nun auch wieder nicht vorgestellt. Noch nie war ich jemand begegnet der sich so bewegte wie Ragaan. Es lag nicht unbedingt daran das er schnell war. Das war er natürlich, aber das war nicht entscheident. Es lag vielmehr an der Präzension seiner Bewegungen. Jeder Schritt, jeder Schlag, jede Drehung und jeder Sprung waren kontrolliert, sicher und genauestens durchdacht in ihrer Ausführung. Meine einzige Hoffnung lag darin ihn irgendwie packen zu können, ihn dann nicht mehr loszulassen und ihn, so unwahrscheinlich es auch war, unschädlich zu machen. Ich blinzelte die Tränen aus den Augen, biss die Zähne zusammen und stand nun wieder auf. Schmerzen hin oder her, sie gehen auch irgendwann wieder.. Aber noch ehe ich reagieren konnte, kam er wieder blitzschnell auf mich zu und schlug mir mit seiner Faust in die Magengrube, packte mich anschließend am rechten Hangelenk, zog daran und versetzte mir in einer fließenden Bewegung einen Tritt gegen das Bein. Ich schwankte und knickte ein, und im nächsten Augenblick lag ich wieder flach auf dem Boden.
"..Rama.. Rama.. Rama.. whahai...."
Ich rollte mich auf die Seite und versuchte wieder Luft zu bekommen. Wenn er gewollt hätte, hätte er mich schon längst bewusstlos schlagen können. Tat er aber nicht. Das war kein Kampf, das war eine Demonstration. Ragaan will vermutlich seine Überlegenheit gegen mich oder überhaupt die Überlegenheit der Krasianer demonstrieren. Ich musste ihn irgendwie zu packen bekommen. Aber wie? Dann sah ich das Seil, dass wie meines an einem Ende an der Taille und das andere an dem Baum befestigt war. Ich stand wieder auf, achtete aber diesmal darauf, dass er noch weit genug von mir entfernt war. Dann rannte ich los. Ich machte einen Bogen um ihn und erreichte den Malavenbaum, schnappte mir das Ende von seinem Seil und wickelte es mir einmal um mein Handgelenk. Ragaan nahm nun ebenfalls sein Seil in die Hand und kam unbeeindruckt näher. Als er nah genug war, zog er plötzlich mit einem heftigen Ruck an sein Seil. Ich hielt seinem Zug stand und versuchte nun meinerseits an das Seil zu ziehen. Aber statt meinen Zug an dem Seil zu begegnen, ließ er das Seil einfach los, sprang gewandt neben mein Bein und schlug mir mit seinem spitzen Ellenbogen mitten auf meinen dicken Muskel direkt neben dem Knie. Der Schmerz war unglaublich und ging mir durch Mark und Bein. Ich stand wie gelähmt da und bewegte mich weder vor noch zurück. Ohne zu zögern schlug er nun eine ganze Serie von raschen und harten Schlägen gegen mich. Ein Trommelwirbel von Schlägen erwischte nun meinen ganzen Körper. Wobei der schmerzhafteste Schlag meine erst vor kurzem gebrochene Nase traf und ich aufgrund des knackenden Geräusches annahm, dass sie wieder gebrochen war. Als er mit mir fertig war und sich wieder von mir abwendete, fühlte sich mein ganzer Körper wie betäubt an. Blut lief mir aus der Nase und aus dem Mund. Ich kippte nach hinten, stieß gegen den Malavenbaum und sackte mit dem Rücken am Baumstamm entlang zusammen.
"Rama.. Rama.. Rama.. M a r a n n a.. WHA haiìi..."
Ragaan drehte sich wieder mir zu. Sollte das jetzt mein Ende sein? Ich wollte mich nun darauf einstellen und versuchen das irgendwie zu akzeptieren. Aber dann fiel mir ein, dass Dai’s Schicksal ja an das meine gebunden war. Dai würde ebenfalls getötet werden, wenn ich diesen Kampf verlieren würde. Ich durfte daher gar nicht verlieren, kam es mir nun wieder in den Sinn. Meine Hand war immer noch um das Seil von Ragaan gewickelt. Ich musste meine Schmerzen einfach nur ausblenden, wie ich es schon mal getan habe. Ich fing an mich wieder zu erinnern. Seltsam, dass man sich an so etwas nur in extremen Situationen erinnert. Keine Schmerzen! Alles in mir spannte sich und dann fing ich wieder an zu schreien. Ich schrie meine ganz Wut, meinen ganzen Frust und meine ganzen Schmerzen heraus. Ich habe keine Schmerzen! Dann zog ich wieder an seinem Seil. Einen langen Augenblick sah Ragaan mich seltsam an, dann begann er auf mich zuzugehen. Er nahm nun ebenfalls sein Seil wieder in die Hand und zog jetzt dagegen. Das Seil spannte sich wieder zwischen uns. Plötzlich versuchte Ragaan mit einem plötzlichen Zug an dem Seil mich zu sich zu reißen. Ich schrie in diesem Moment noch lauter und zog nun mit meiner ganzen Kraft, die ich aufbringen konnte, nun selbst ruckartig dagegen. Diesen kraftvollen Zug an dem Seil hatte er scheinbar nicht mehr von mir erwartet und schien ihn wohl dermaßen überrascht zu haben, dass er tatsächlich sein Gleichgewicht verlor, und er auf einmal flach vor mir auf den Boden lag. Ich warf mich nun schreiend auf ihn und spürte seinen Körper unter mir. Er fühlte sich an wie Stein. Sein ganzer Körper schien nur aus harten Muskeln zu bestehen. Er wand sich unter mir wie ein wildes Tier und gab mir auch sofort einen gewaltigen Kinnhaken. Ich ignorierte es und konzentrierte mich darauf ihn mit meinem rechten Arm in einen Klammergriff zu bekommen. Er wand sich wie eine Schlange und beinahe wäre es ihm auch gelungen sich von mir zu befreien, wenn ich ihn in diesem Moment nicht in seine Hand gebissen hätte, die gerade versucht hatte mir meinen Kopf wegzudrücken. Er zischte vor Schmerzen, aber da hatte ich auch schon meinen rechten Arm um seinen Hals bekommen und klammerte mich so fest ich konnte um seinen Hals. Mit meiner linken Hand, die ich glücklicherweise ebenfalls frei bekam, umfasste ich schnell mein rechtes Handgelenk und konnte damit nun verstärkt zudrücken. Ich hatte ihn nun im Schwitzkasten und drückte so fest ich konnte zu. Nichts aber auch gar nichts würde mich jetzt noch davon abbringen können loszulassen. Ich schrie und drückte, drückte mit aller Kraft die noch in mir war und die schien mit einem Mal auch unerschöpflich zu sein.
"Maranna.. maranna.. rama.. rama.."
Ragaan versuchte alles um sich aus dieser Umklammerung zu befreien. Er schlug mich, er trat mich und obwohl ich an ihm hing wie eine Klette, schaffte er es mit mir an sich hängend, aufzustehen. Er warf sich ein paarmal gegen den Malavenbaum um sich von mir zu befreien. Ich aber ließ nicht locker und hielt mich weiter, so fest ich konnte, um seinen Hals geklammert. Ragaan taumelte immer mehr, bis er schließlich zu Boden ging. Ich drückte nun noch kräftiger zu. Verzweifelt wie er war, gab er mir noch ein paar Schläge an meinem Hinterkopf, aber ich spürte wie kraftlos die Schläge langsam wurden. Schließlich hörten die Schläge auf. Ich hörte wie Ragaan nun laut zu röcheln begann. Spucke und Rotz trieften aus Mund und Nase. Ich drückte trotzdem unaufhörlich weiter zu. Er darf nicht wieder aufstehen. Das wäre dann sowohl meins, als auch Dai’s Ende. Also drückte ich weiter zu, bis ich längere Zeit kein Zucken, kein Gekeuche oder Röcheln mehr von Ragaan hörte und spürte. Irgendwann hörte ich mit meinem Geschrei auf, und ohne dass ich Ragaan losließ, blickte ich nun auf und nahm langsam wieder meine Umwelt wahr.

Das Trommeln, der Sprechgesang, alles war verstummt. Es war dunkel und still um mich geworden. Im Schein der Fackeln konnte ich die bestürzten Gesichter der Zuschauer erkennen. Dai kam nun auf mich zugelaufen. Ich ließ Ragaan schließlich los, der reglos nur noch auf dem Boden liegen blieb. Ich stand schwankend auf. Dai weinte und lief mir in die Arme. Schweigend und völlig erschöpft umarmte ich sie ebenfalls, bis ich merkte, dass mein Blut noch immer aus der Nase lief und nun auf Dai’s Kopf tropfte. Ich drehte mich etwas von ihr ab und hockte mich schließlich zu ihr hin.
„Rota.. ich so glücklich.. du gewonnen.. du stark… du Tokatee!“ sagte Dai und weinte und lachte dabei gleichzeitig.
Da ich kaum noch etwas sagen konnte und ich mich nur noch darauf konzentrierte nicht das Bewusstsein zu verlieren, tätschelte ich sie nur leicht auf die Schulter.
Ramanesa kam nun auf uns beide zu und blieb in unmittelbarer Nähe stehen.
Alle Krasianer um uns herum gingen jetzt wieder in die Knie. Dai tat es ihnen nach und da ich mich bereits hingehockt hatte, machte ich mir auch noch die Mühe und kniete mich ebenfalls hin.
„Kua mutu te whawhai. Rama e Marnna, i homai e matou he akoranga. mauruuru Nga mihi a Rama e maranna.“ sagte Ramanesa und zeigte auf mich und in den Himmel.
Dai übersetzte mir nun leise die Worte von Ramanesa.
„Kampf zu Ende. Rama und Maranna haben Volk Lehre erteilt. Danken.. Rama und Maranna“ sagte sie zwar ziemlich unsicher, hatte aber das Gefühl, dass sie die Worte im Wesentlichen richtig übersetzt hatte. Ramanesa gab nun mit seinen Händen das Zeichen, dass sich alle wieder erheben durften.
„He pai te manaaki i te tamaiti whero. Te whakaora o ona patunga me te tuku mai i a ia.“ sagte Ramanesa und schaute dabei erst seine Leute und anschließend mich und Dai an. Dai bekam nun große Augen und schaute mich nun freudig an.
„Rota.. du frei.. Ramanesa dich gehen lassen..“ sagte sie glücklich und warf sich mir wieder in die Arme.

Leise ertönten nun wieder die Trommeln und alle anderen stimmten mit ihrem Sprechgesang wieder zum Rhythmus der Trommeln ein. "Rama... Rama... maranna.. maranna.. w h a h a i..“ Vier Krasianer brachten mich schließlich wieder in die Hütte, wo ich schon zuvor untergebracht war. Zwei andere, diesmal deutlich ältere Frauen, und auch Dai kamen mit mir in die Hütte. Eine der Frauen entfachte ein Feuer, die andere säuberte mich und behandelte meine Wunden. Sie richtete sogar meine Nase wieder. Die Schmerzen, die ich dabei spürte, waren leider nicht viel geringer gewesen, wie ich sie schon einst bei Jake zu spüren bekam. Dai wollte mir auch helfen, wurde aber von den beiden Frauen abgewiesen, so dass ihr nichts anderes übrig blieb als zuzuschauen. Sie gaben mir noch etwas zu essen und etwas zu trinken, erst danach ließen sie mich und Dai alleine. Dai kam schließlich zu mir. „Dai schlafen bei dir?“ fragte sie. Ich nickte. Dann schnappte sie sich eines der großen Felle und legte sich vorsichtig zu mir. Ich schloss die Augen und schlief auch sofort ein.

Als ich wieder erwachte, stand Kijim wieder vor mir. Es war bereits auch schon wieder hell in der Hütte geworden und das Feuer war auch wohl schon lange erloschen. Dai war ebenfalls schon wach und sah mich besorgt aber noch mit einem aufmunternden Lächeln an.
"Du anders aussehen .. nicht wie Rota vor Tagen.." sagte sie nun vorsichtig. Ich richtete mich nun etwas auf.
"Ach ne!" stöhnte ich noch sehr schwach und erschöpft. Mir taten noch sämtliche Knochen weh und mein Gesicht fühlte sich taub und ziemlich geschwollen an.
Kijim hatte einen Bündel Kleider in ihren Händen. Und wie ich beim genaueren Hinsehen erkennen konnte, handelte es sich um meine Kleidung, die sie mir gestern ja ausgezogen hatten.
„Rama hei a koe koe.. Rama“ sagte sie, kniete sich vor mich auf den Boden und überreichte mir meine Kleider. Ich sah nun zu Dai.
"Kijim grüßen..Rota" sagte Dai.
Ich nahm ihr nun meine Kleider ab und zeigte nun auf die lederne Hose, die sie mir gestern angezogen hatten und ich seit dem immer noch trug.
"Gebe diese Hose später wieder zurück." sagte ich jetzt und gab Dai mit einem kurzen Nicken zu verstehen, ob sie das Kijim übersetzen könnte.
"Homai nga tarau i muri mai" übersetzte Dai auch sofort Kijim.
Kijim schüttelte den Kopf.
"Kahore! Potonga koha na Rama. Ko koe e pupuri."
"Geschenk von Rama. Du behalten!" Übersetzte Dai wieder. Da ich mich in der Hose sehr wohl fühlte und sie mir auch sonst sehr gefiel, freute ich mich darüber.
"Kiama (danke)!"sagte ich und nickte ihr dankend zu.
"Mena kei te hiahia koe ki te haere ano hoki kei te hiahia a Ramanesa ki te korero." sagte Kijim.
"Wenn du gehen... du sprechen ähh.. noch mit Ramanesa" übersetzte Dai und wirkte dabei auf mich etwas betrübt. Irgendetwas schien sie zu belasten, aber ich wollte sie jetzt noch nicht darauf ansprechen. Ich nickte Kijim schließlich zu und fragte mich, was Ramanesa mir wohl zu sagen hatte. Kijim lächelte freundlich.
"Ka hoki atu ahau. Ka kawea mai he kai." sagte sie und stand nun auf.
"Kijim gehen und kommen wieder mit Essen." übersetzte Dai gleich.
Ich dankte Kijim nochmal und danach ging sie aus der Hütte. Dai und ich waren nun allein. Dai, die immer noch neben mir lag, wollte gerade aufstehen.
„Warte!“ sagte ich und hielt sie kurz an der Schulter fest. Sie legte sich wieder hin und sah mich nun an.
„Dai! Bevor du aufstehst, will ich dir noch was sagen.“ Ich überlegte noch kurz, wie ich ihr es am besten sagen konnte.
„Du hast gestern mein Leben gerettet. Das was du da für mich getan hast, das war unglaublich. Mehr noch.. ich kenne keinen Menschen, der jemals so etwas Mutiges und Tapferes getan hat wie du. Und du hast das für mich getan.. und dabei du bist noch so klein..“ Mir fehlten nun etwas die Worte, daher sagte ich nur „Naja, ich verdanke dir jedenfalls mein Leben und dafür wollte ich mich nochmal bei dir bedanken.“ Ich glaubte zwar nicht, dass Dai mich komplett verstanden hatte, aber darauf kam es mir auch nicht an.
Dai schaute mich nun gerührt an.
„Du danken Dai für das was Dai getan?“ sagte sie verblüfft und Tränen füllten sich langsam in ihren Augen.
„Ja“ sagte ich nur und nickte ihr zu.
Dai richtete sich nun auf. Ich fragte mich, ob ich etwas Falsches gesagt habe, aber dann umarmte sie mich fest. Ich erwiderte ihre Umarmung und drückte sie ebenfalls.
„Dai froh.. du leben!“ sagte sie nach dieser Umarmung und wischte sich dabei ihre Tränen weg. Ich war zutiefst gerührt, aber auch ziemlich verlegen und wollte daher schnell wieder in eine Umgebung, wo ich mich wieder sicherer fühlte.
„Dai, sag mal, ist dieser Ort eigentlich der Ort wo du aufgewachsen bist?“ fragte ich deshalb.
Dai sah mich verständnislos an.
„Dies hier..“ ich zeigte und kreiste mehrmals mit meinem Finger auf eine Stelle am Boden. „Deine Heimat..? Du gelebt hier.. früher?“ fragte ich und zeigte dabei nun auf sie.
„Nein.. Dai nicht gelebt hier. Dai.. gelebt..ähh weiter.. ähm noho tata.. neben.. riaka..“ sagte sie und ging nun zu Boden und kratzte mit ihrem Nagel drei Kreise auf den harten Boden. Dabei zeigte sie auf eines der Kreise.
„Hier wir jetzt. Name ist Riaka Wuruta“ sagte sie. Dann zeigte sie auf den nächsten Kreis, der ziemlich dicht an dem ersten Kreis lag. „Hier Dai‘s Heimat ist. Name ist Riaka Mautena“ und dann zeigte sie schließlich noch auf den letzten der drei Kreise, der am weitesten von den anderen beiden Kreisen entfernt lag, aber der mehr als doppelt so groß war, wie die anderen Kreise. „hier stark groß Riaka Name Riaka Krasan“.
Ich nickte Dai zu und gab ihr zu verstehen, dass ich sie verstanden hatte. Demnach war sie in einem anderen Stamm, den Stamm mit den Namen Riaka Mautena aufgewachsen. Dieser Stamm heißt Riaka Wuruta und ist der Nachbarstamm von ihrer Heimat.
Kijim kam kurze Zeit später noch und gab uns das Essen und das Trinken, was sie uns noch angekündigt hatte. Wir unterhielten uns danach noch eine Weile mit ihr. Wobei wir ihr in diesem Gespräch überwiegend nur unsere Geschichte erzählten; wer wir waren, wie wir zueinander kamen und wie wir hier hergekommen waren. Kijim hörte unsere Erzählung gebannt zu. Sie selber erzählte, dass man ihr von uns nichts erzählt hatte und sie nur von Ramanesa beauftragt wurde, sich um mich und später auch um uns beide zu kümmern.
Da ich nicht wusste, wie lange die Gastfreundschaft der Krasianer noch anhalten würde und ich ohnehin nicht länger bleiben wollte, als unbedingt notwendig, teilte ich am Ende unserer Erzählung Kijim mit, dass ich nun bereit war, wieder zurück zu meiner Heimat zu gehen.
Kijim führte uns schließlich zur großen Hütte von Ramanesa und bat um unseren Einlass.
Nachdem man uns den Einlass gewährte, verabschiedeten wir uns noch von Kijim und gingen schließlich in die Hütte Ramanesa’s hinein.

Die Hütte war zwar viel größer als die Hütte in der ich nächtigen durfte, unterschied sich aber sonst kaum von dieser. Ein Feuerplatz und sehr viele Felle bestimmten vorwiegend den Gesamteindruck der Hütte. Ramanesa war nicht allein. Rechts und links neben Ramanesa saßen wieder die zwei jungen Schönheiten mit ihren anmutigen und wohlgeformten Körpern, die ich bereits bei meiner Ankunft bewundern durfte. Ramanesa stand nun auf. Dai kniete sich auf den Boden. Ich tat es ihr nach. „
"Tuakana! Ora tonu! Ranamesa!" sagte Dai nun.
"teina! Rama.. te āhua. ka ara ake!" sagte Ramanesa und wies uns an uns wieder zu erheben.
Dann setzte er sich wieder mit gekreuzten Beinen an seinem Platz und wies uns an, dass wir uns ebenfalls hinsetzen sollten. Die beiden Frauen holten dabei noch schnell zwei Felle, auf der wir uns dann jeweils hinsetzen konnten.
„Kua rite koe ki te hoki ki te hokinga atu?“ fragte er.
Ich sah nun Dai an.
„Du gehen Heimat..? Gesund?“ übersetzte Dai mir.
Ich nickte Ramanesa zu und sagte „ae (ja)“
„I ahu mai koe i hea? He aha koe e mahi tahi ai ki tenei kotiro?“
Ich sah nun wieder zu Dai. Dai runzelte etwas die Stirn und seufzte.
„Ramanesa fragen wo du Heimat.. und ähhm.. Du und ich wie kommen das? Warum zusammen wir?“
Ich seufzte nun ebenfalls leise in mich hinein.
Da wir unsere Geschichte bereits vorhin schon Kijim erzählt hatten, erzählten wir nun auch Ramanesa alles noch einmal, diesmal jedoch in einer bereits eingeübten Fassung. Ramanesa hörte uns aufmerksam zu, stellte ab und zu ein paar Fragen, aber es schien letztlich so, als ob er unsere Geschichte glaubte.
„He pai ki te whakauru ki a Dai ki a tatou iwi. He maia, he kaha ia. Kei a ia Rama“ sagte Ramanesa am Ende unserer Erzählung.
Ich sah wieder Dai an. Dai machte ein erstauntes Gesicht und wirkte plötzlich ziemlich betroffen.
„Was sagt er?“ fragte ich nun.
„Sie mich aufnehmen wollen.. in Riaka Wuruta..“ übersetzte Dai nun.
Ich war innerlich bestürzt und fühlte mich wie vor dem Kopf gestoßen. Dai nicht mehr bei mir. Ich konnte allein schon diesen Gedanken nicht ertragen. Ich versuchte mir aber nichts anmerken zu lassen, räusperte mich etwas und sah nun Dai an, die mich immer noch ziemlich betroffen anblickte.
„Willst du hierbleiben?“ fragte ich sie nun.
„Du wärest hier jedenfalls viel sicherer und könntest hier viele Freunde haben. Auch wärst du mit mir nur immer allein und würdest dich irgendwann nur noch mit mir langweilen..“ Ich hätte am liebsten auf meine Zunge gebissen, so sehr hasste ich es, was ich ihr soeben gesagt habe. Aber es war nun mal die Wahrheit. Außerdem wollte ich immer noch meine Versprechen einlösen und dabei wäre Dai mir nur im Weg. Ich nickte ihr dann sogar noch zu.
„Auch könnte ich dich immer mal wieder hier besuchen?“ log ich und sah nun wieder zu Ramanesa.
„Na te aha?“ fragte sie nun hastig.
„Kāore ia i konei. Na he toto toto kei a ia.“ sagte Ramanesa und schüttelte den Kopf dabei.
Dai fing nun an zu weinen.
„Dai nicht wollen du allein.. Dai bleiben bei Rota… tonu..“
Ich spürte, wie mir nun selbst die Tränen in die Augen stiegen, und senkte in meiner Verlegenheit rasch den Blick.
„Dai für dich ist es besser wenn du hier bleibst. Ein solches Angebot schlägt man nicht einfach aus. Sag ja!“ sagte ich und zeigte dabei mit meinem Finger auf sie und auf Ramanesa.
„Besser für dich. Du brauchst Menschen um dich.“ ich versuchte nun eine etwas fröhlichere Miene aufzusetzen.
„..und wie gesagt, ich werde dich ja auch immer mal besuchen kommen.“ log ich wieder.
Widerwillig nickte Dai mir schließlich zu und wischte sich dabei die Tränen aus den Augen.
Ramanesa stand nun auf und wendete sich nun einen seiner beiden Frauen zu.
"Homai ki au aku kopere" sagte er. Eine der Frauen ging nun aus der Hütte geeilt und kam kurz darauf mit unseren beiden Jagdbögen wieder.
"Ka hiahia koe i tera" sagte Ramanesa und gab mir die beiden Bögen wieder, die mir seine Leute gestern weggenommen hatten. Ich gab Dai ihren wieder.
"Der gehört dir." sagte ich. Dai musste wieder weinen und umarmte mich nochmal fest. Ich biss die Zähne zusammen, versuchte nicht auch noch zu weinen und nickte Ramanesa zum Abschied zu.
„haere tahi me koe Rama" sagte Ramanesa.
Ich nahm an, dass das so eine Art Abschiedsgruß war.
"Lebt wohl.." verabschiedete ich mich ebenfalls und umarmte zum vielleicht letzten Mal Dai. Dann ging ich aus der Hütte. Ich spürte wieder wie Tränen mir in die Augen stiegen. Ich wischte sie weg und war wieder allein.

Als ich jedoch gerade das Dorf verlassen hatte, hörte ich auf einmal schnelle Schritte hinter mir. Und als ich mich gerade umsehen wollte, wer hinter mir her rannte, erfasste mich auch schon eine kleine Hand an meiner rechten Hand.
"Dai! Du? Warum?"
"Ich bleiben bei dir. Du Familie für Dai!" sagte sie ganz außer Atem und lächelte mich dabei an. Ich lächelte nun ebenfalls. Dann machten wir uns auf dem Weg wieder zurück zu unserer Höhle.

Da ich aufgrund meiner Verletzungen stark humpelte und wir deshalb auch immer wieder Pausen eingelegen mussten, erreichten wir erst am Abend, als es auch schon langsam dunkel wurde, wieder unsere vertraute Höhle.
Wir waren beide froh endlich wieder Zuhause zu sein.

Winter

//Wer kämpft, kann verliefen. Wer nicht kämpft,
hat schon verloren.\\
Berthold Brecht

Essenz:
-Suchtrupps aus Kaven machen Rota das Leben schwer-

Die Wochen vergingen, die Tage wurden kälter und irgendwann fing es schließlich auch an zu schneien. Ich liebte bisher immer den Schnee und die klare kühle Luft, die der Winter so mit sich brachte. Aber hier in der Wildnis, wo wir auf uns allein gestellt waren, begann ich den Winter zu verabscheuen, denn ich machte mir mit der Zeit immer mehr Sorgen. Die größte Sorge war, ob wir auf unseren täglichen Jagdausflügen überhaupt noch genug Beute machen würden. Auf unseren täglichen Wanderungen entdeckten wir mit jedem Tag immer weniger Tiere und die Tage häuften sich, wo wir auf unseren Jagdausflügen ohne Beute in die Höhle zurückkehren mussten.
Ein weiteres Problem war, dass wir aufgrund der Feuchtigkeit und Kälte es uns immer schwieriger fiel ein Feuer zu entfachen. Das Feuerholz mussten wir nun, damit es überhaupt einigermaßen trocken wurde, über einen noch längeren Zeitraum in unserer Höhle trocken legen. Wir mussten einmal sogar schon feuchtes Holz mit in unsere Schlafplätze nehmen, da wir tags zuvor es versäumt hatten am Feuer Anzündholz für das nächste Feuer zu trocknen.
Aber besonders machte mir nun der Schnee Sorgen. Unsere Fußabdrücke waren aufgrund des Schnees für jedermann sichtbar, zumindestens für eine bestimmte Zeit. Und damit waren wir und auch unsere Höhle jetzt natürlich auch leichter von anderen auszumachen und zu finden gewesen. Hinzu kam, dass Jake uns in dieser Zeit natürlich auch nicht mehr besuchen und mit dem Nötigsten versorgen konnte, da seine Spuren im Schnee ihn und auch uns natürlich auch verraten könnten.

Dai hingegen hatte ihren Spaß mit dem ersten Schnee. Sie rannte umher, bewarf mich mit Schneebällen, versuchte einen Schneemann zu bauen und malte mit ihren Fußabdrücken Figuren und Bilder auf die erste Schneedecke. Aber auch sie verlor allmählich den Spaß am Schnee, nachdem es immer heftiger schneite und unsere Probleme, die damit einhergingen, stetig zunahmen. Da uns nun das Feuermachen aufgrund der Feuchtigkeit und Kälte wesentlich schwerer fiel und es auch immer länger dauerte als sonst, konnten wir deshalb auch immer seltener ein Feuer machen. Zwangsläufig dauerte es auch nicht lange und Dai bekam schließlich eine Erkältung. Die Erkältung begann bei ihr mit Halsschmerzen, über die sie sich eine Weile lang beklagte. Daraufhin bekam sie einen Schnupfen, der dann später zu einem hartnäckigen und schlimmen Husten überging. In diese Zeit vermieden wir es auf die Jagd zu gehen und blieben in der Höhle. Ich versuchte das Feuer am Lodern zu halten und mich so gut es ging um Dai zu kümmern. Da unsere Essensvorräte natürlich währenddessen immer mehr zuneige gingen, wurde es langsam wieder Zeit auf die Jagd zu gehen.

Es war an einem Morgen, als ich beschloss wieder auf die Jagd zu gehen. Dai ging es wieder etwas besser, hustete aber noch so stark, dass ich es noch nicht wagen wollte mit ihr auf die Jagd zu gehen. Dai lag immer noch in Decken eingewickelt auf meinem Schlafplatz. Ich hockte mich zu ihr.
"Hör zu! Dai. Wir haben laum noch etwas zum Essen. Ich werde daher heute wieder auf die Jagd gehen müssen. Diesmal aber allein!" sagte ich und sah das sie gleich ihren Kopf schüttelte.
"Dai! Du bist zu krank um mit mir zu kommen. Es ist besser wenn du heute noch hier in der Höhle bleibst. Hörst du..?".
Dai hustete und schaute mich mit ihren großen Augen nun ängstlich an.
"Nein! Ich kommen auf Jagd.. mit dir. Ich schnell aufstehen.. jetzt!" sagte sie entschieden und machte nun Anstalten aufzustehen. Ich aber hielt sie fest und hinderte sie dabei aufzustehen.
"Dai.., du bist krank und musst dich erholen. Du musst hierbleiben! Ich mach gleich noch ein Feuer.., ja..? Und du trinkst Kräutertee und wirst wieder gesund."
Dai fing nun an zu weinen.
"Ich will nicht alleine hier.. ich haben Angst hier. Rota.. lass mich nicht hier... nicht alleine. Nein!" sagte sie bitterlich und klammerte sich an mich.
"Dai! Du bist krank und musst dich erholen. Es geht nicht anders.., ich komme so schnell es geht wieder.., ja?"
Dai weinte nun noch heftiger und hustete dabei so stark, dass ich kurz davor war in Panik zu geraten. Ich wusste nicht ob sie meine aufkommende innere Panik spürte, aber sie hörte mit einem Mal auf zu weinen und unterdrückte auch ihr Husten. Sie umklammerte mich nochmal ganz fest und ließ mich dann los.
"Ich bin stark.. ich bleiben hier.. Rota! Du kommen wieder.. ja?"
Ich nickte. "Ja... Ich komme wieder.. und mit etwas Glück gibt’s heute Abend wieder etwas zu essen und wir werden es uns dann so richtig gemütlich machen. Wir legen uns wieder schön ans Feuer und ich werde dir dann weiter aus dem Buch vorlesen... ja?"
Sie drückte mich nochmal und ich gab ihr noch einen Kuss auf ihre Wange. Dann machte ich mich auf und ging schließlich auf die Jagd.

Die letzten Tage auf unseren Jagdausflügen, waren immer weniger vom Erfolg gekrönt und wir waren schließlich gezwungen immer weiter hinaus zu gehen um Beute zu machen. Auch diesmal musste ich wieder sehr weit von unserer Höhle hinauslaufen um etwas Jagdbares zu finden. Aber diesmal hatte ich Glück und wurde fündig. Eine Rotte von vier Wildschweinen kreuzte überraschend und völlig unerwartet meinen Weg. Ich zögerte nicht lange, nahm mir schnell einen Pfeil von meinem Köcher, legte ihn auf die Sehne, spannte den Bogen, zielte und dank meines täglichen Trainings, der mich langsam zu einem sicheren Schützen werden ließ, traf ich das größte der Tiere, einen Eber, beim ersten Schuss. Und dann tat ich etwas, was ich vielleicht für den Rest meines Lebens noch bedauern werde. Ich stieß einen Jubelschrei aus. Als die übrigen Wildschweine flüchteten, näherte ich mich meiner Beute. Das Wildschwein atmete noch schwach und ich zog mein Messer um das Tier nicht länger leiden zu lassen. Doch dann als ich mich kurz umschaute sah ich sie.

Eine Gruppe von vielleicht fünf Männern kam direkt auf mich zugelaufen. Waren dies Abgesandte von Kaven? Sie waren noch gut dreihundert Schritt entfernt. Aber es war eindeutig, dass sie mich entdeckt hatten. Aufmerksam geworden, durch mein blöden Jubelschrei. Ich war so entsetzt, dass ich mich anfangs nicht rühren konnte. Nein! Nein! Nein! Neiiiin! Donnerte es mir im ersten Moment ständig durch den Kopf, bis ich meine Spuren im Schnee sah. Sie führten ja direkt zur Höhle und damit auch zu Dai! Ich musste Dai in Sicherheit bringen. Dann erst löste ich mich von meiner Angststarre und rannte los. Ich lief wie der Teufel und so schnell ich konnte zur Höhle. Und während ich rannte legte sich langsam das Durcheinander in meinem Kopf, und konnte meine chaotischen Gedanken nun besser ordnen. Mir wurde nun langsam klar das meine Spuren ohnehin den Ort unserer Höhle verraten werden. Wohin werde wir dann überhaupt noch gehen können? Was gab es für andere Möglichkeiten? Aber je mehr ich darüber nachdachte, wusste ich keinen Ort wohin wir dann gehen könnten und sah letztlich nur eine Möglickeit wie ich dieses Problem lösen konnte. Ich musste mich ihnen entgegenstellen. Keiner durfte unsere Höhle erreichen. Die Höhle war schließlich alles was wir hatten und was wir nicht einfach so aufgeben durften. Schließlich blieb ich stehen, denn ich hatte mittlerweile auch schon einen guten Vorsprung herausgelaufen. Dann atmete ich nochmal tief durch. Gut.., sollen sie doch kommen. Ich bin auch schon aus gefährlicheren Situationen irgendwie mit dem Leben davon gekommen. Warum sollte das jetzt anders sein? Man gewöhnt sich langsam daran. Ich werde auf meine Schießkünste vertrauen und versuche sie damit oder irgendwie anders aufzuhalten.

Ich versteckte mich schließlich hinter einer riesigen Wurzel eines umgestürzten Baumes. Spannte einen Pfeil in meinen Bogen und wartete. Mein Herz pochte. Dann hörte ich sie. Sie schnauften und atmeten schwer
"Wo ist er hin?" fragte einer von ihnen. Sie wurden nun langsamer. Nun gut.. jetzt war der Zeitpunkt wohl gekommen. Ich verließ meine Deckung und sah sie schließlich vor mir. Sie waren zu viert und sie schienen tatsächlich aus Kaven zu kommen. Ich konnte sie nicht alle genau aus dieser Entfernung erkennen, zumal sie auch ihre Köpfe zum Teil mit Mützen und Schals zum Schutz vor der Kälte bedeckt hatten. Aber mir kamen zwei, wenn nicht sogar drei von ihnen bekannt vor und hatte die Vermutung sie schon mal gesehen zu haben. Sie waren gut dreißig Schritt entfernt und es dauerte nicht lange bis mich auch schon der erste entdeckte.
"Da! Da ist er!" schrie er ganz aufgeregt.
Meine Erfahrung mit dem Bogenschießen lehrte mich ruhig zu bleiben und beim Zielen die Luft anzuhalten. Ich blieb ruhig, hielt die Luft beim Zielen auf diesen Mann an und ließ die Sehne meines Bogens schließlich in dem Moment los, wo meine Erfahrung mir sagte, dass mein Pfeil dort sein Ziel finden wird. Mein Pfeil flog den Bogen den ich erwartet hatte und bohrte sich direkt in den Hals dieses Mannes. Er griff reflexartig nach dem Pfeil und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Alle schauten nun entsetzt auf ihren getroffenen Kameraden.
"Taggert! Er hat Taggert getroffen! Dieser Teufel!" rief einer von ihnen fassungslos.
Der Getroffene öffnete immer wieder seinen Mund und versuchte scheinbar noch zu schreien oder irgend etwas zu sagen, bekam aber außer Würgegeräusche nichts anderes mehr heraus. Schließlich sackte er zu Boden und blieb dort liegen.
Ich legte noch schnell einen zweiten Pfeil nach. Aber sie reagierten schnell und gingen in Deckung.
"Dafür wirst du büßen.., Rota Gevill! Junge.., nun bist du sowas von erledigt!"
Ich sagte nichts und rannte einfach weiter. Jedoch nicht mehr Richtung Höhle sondern in die Richtung, wo ich wusste, dass es dort ein Versteck gab. Das Versteckt nutzte ich desöfteren auf der Jagd. Sie mochten noch zu Dritt oder vielleicht auch zu viert sein, aber dafür war ich deutlich schneller als sie und ich kannte mich hier aus. Aber auf dem Weg dorthin kam mir wieder eine andere und vielleicht sogar bessere Idee. Da sie mit Sicherheit die ganze Zeit stoisch meine Spur verfolgten, sah ich darin plötzlich meine Chance! Denn, werden sie auch merken, dass meine Spur langsam einen kreisförmigen Verlauf nehmen wird? Ich vermutete nicht und rannte nun noch schneller. Meine Lunge schmerzte und meine Muskeln brannten. Aber ich wusste auch, dass ich diese Schmerzen sehr lange aushalten konnte. Nach gut einer Stunde war es dann soweit und ich näherte mich ihnen, jetzt aber von hinten. Sie waren nur noch zu dritt. Ich meinte ich hätte, als ich sie zum erstenmal sah, insgesamt fünf gesehen. War der Fünfte bereits als Informant auf dem Weg nach Kaven zurück? Da diese Frage jetzt jedoch ohne Belang war, konzentrierte ich mich wieder auf meine vorliegende Aufgabe.

Sie verhielten sich vorsichtig. Zwei von ihnen liefen mit aufgelegtem Pfeil im Bogen rechts und links flankierend neben meiner Spur. Der Dritte, ich glaubte auch inzwischen zu wissen wer derjenige war. Es war der Vater von Pelle, er lief kampfbereit mit einer geladenen Armbrust in den Händen meiner Spur folgend voraus. Sie hatten jedoch nur ihre Blicke nach vorne gerichtet und liefen in größeren Abständen voneinander entfernt. Ein fataler Fehler und ein Glücksfall für mich. Ich legte nun wieder ein Pfeil in meinen Bogen und schlich mich auf gut zehn Schritt auf den letzten der dreien heran. Dann zielte ich, ließ die Sehne los und der Pfeil flog und blieb im Rücken des Verfolgers stecken. Der Verfolger schrie auf vor Schmerzen und drehte sich dabei um. Er sah mich mit aufgerissenen Augen an und fiel dann auf die Knie. Ich machte schnell wieder kehrt und rannte so schnell es ging wieder weg. Sie fluchten mir noch hinterher und auch zwei Pfeile flogen noch an mir vorbei, aber ich konnte auch hier wieder entkommen. Irgendwann hörten sie auf mich zu verfolgen und kehrten vermutlich zu ihrem verwundeten dritten Mann zurück. Mir kam nun ein neuer Gedanke.. Ich musste immer das tun, womit sie am wenigsten rechneten, daher rannte ich ihnen mit angelegtem Pfeil wieder hinterher. Dann sah ich sie, sie waren gerade bei ihren verwundeten Kameraden schienen sich gerade um ihm kümmern zu wollen. Ich rannte nun schreiend auf sie zu. Die Beiden waren überrascht und versuchten in Panik ihre Pfeile aufzulegen. Ich rannte so nah ich konnte an sie heran, zielte auf die Brust von Pelles Vater und ließ im vollem Lauf die gespannte Sehne meines Bogens los. Mein Pfeil durchdrang tödlich die Brust von Pelles Vater. Er brüllte auf vor Schmerzen. Ich zog mein Messer und rannte nun auf den letzten der Verfolger zu. Er wirkte sehr überrascht, sah aber noch rechtzeitig mein Messer und warf sich mir schließlich entgegen. Er hielt mit seinen beiden Händen meine Messerhand fest. Er war stark und schaffte es meinen Arm dabei auch umzudrehen. Ich konzentrierte nun meine ganze Kraft in meinem rechten Arm, schaffte es mit Hilfe meiner linken Hand mein Arm wieder zurückzudrehen und drückte mit aller Kraft die ich aufbringen konnte das Messer nun in seine Richtung. Er wirkte nun noch überraschter und seine Augen verrieten nun seine Angst.
"Du Teufel!" Ich drückte nun stoßweise mit aller Kraft zu und das Messer bohrte sich schließlich langsam in seine Brust. Er schrie vor Schmerzen. Dann ließ er jedoch meine Hand los und ließ sich gleichzeitig nach hinten fallen. Ich stürzte hinterher und stach dann mehrmals mit meinem Messer zu.
"Tut mir Leid.. aber warum musstet ihr auch wieder kommen?" sagte ich noch zu ihm und beendete mit einem letzten und tödlichen Stich sein Leben. Anschließend stand ich auf und ging nun zu Pelles Vater.

Pelles Vater atmete noch schwach, als ich mich ihm näherte. Ich hockte mich zu ihm. Er wollte scheinbar noch was sagen, sackte dann aber zusammen. Schließlich ging ich zu dem, den ich einen Pfeil in den Rücken geschossen hatte. Er lebte noch und versuchte gerade wieder aufzustehen. Da ich es mir und auch Dai nicht erlauben konnte ihn am Leben zu lassen und schoss ich ihm aus nächster Nähe einen tödlichen Pfeil in seinen Körper. Damit war nun auch der Vierte von den Verfolgern tot. Ich selbst ließ mich nun ebenfalls vor Erschöpfung in den Schnee fallen.

Sie werden wiederkommen, egal ob der Fünfte von ihnen nach Kaven zurückkehrt oder nicht. Sie werden wiederkommen und nach mir suchen. Ich werde daher die Leichen verstecken müssen, aber das musste erst mal warten. Eins nach dem anderen. Vorerst musste ich mich aber noch um unser Essen kümmern, denn das schien mir aus meiner Sicht erstmal notwendiger als alles andere zu sein. Und da ich fürchtete, das es sehr spät werden würde, wenn ich wieder in der Höhle zurückkehrte und Dai dann besonders viel Angst bekommen könnte, versuchte ich mich so gut es ging zu beeilen.

Bevor ich aber ging, versteckte ich noch ein paar brauchbare Sachen von den Verfolgern. Dazu gehörten die Armbrust mit den Bolzen, die Pfeile und Bögen, Messer und ein paar gute Kleidungsstücke. Ich beschloss mir diese Sachen vielleicht im Frühjahr zu holen, wenn der Schnee wieder geschmolzen war und keine verräterischen Spuren mehr hinterließ.

Anschließend ging ich wieder zurück zu dem Ort, wo ich das Wildschwein getötet hatte. Und als ich schließlich dort ankam und das Wildschwein immer noch dort lag wo ich es getötet hatte, schaute ich noch nach, ob es irgendwelche Spuren von dem fünften Mann dieser Gruppe gab, die mich verfolgt hatten. Ich fand diese Spuren. Nach den Spuren zu urteilen war der Fünfte tatsächlich zurück geblieben und hatte vermutlich auch noch auf die anderen gewartet. Aber irgendwann später hatte er sich dann wohl doch aufgemacht und ist dann wieder zurück Richtung Kaven gegangen. Ich überlegte noch kurz, ob ich ihn verfolgen sollte und versuchen ihn wieder einzuholen, um ihn dann unschädlich zu machen, bevor er mich in Kaven verraten kann. Ich war aber zu erschöpft und Dai hatte ich versprochen heute Abend wieder zu kommen. Hinzu kam, dass es wieder anfing zu schneien und vermutlich auch noch die ganze Nacht weiter schneien würde. Das Gute daran war, dass die Spuren dann später vielleicht, durch den ganzen neuen Schnee, nicht mehr sichtbar sein könnten. Trotzdem werden wir nun erst recht jetzt auf der Hut sein müssen. Feuer werden wir, wegen dem verräterischen Rauch, daher nicht mehr am helligten Tag machen dürfen und wenn wir auf die Jagd gehen, müssen wir jetzt besonders auch darauf achten, nur so wenig wie möglich an Spuren zu hinterlassen.

Ich konstruierte mir schließlich noch aus zwei dicken Ästen eine Schlepptrage um das getötete Wildschwein mitnehmen zu können. Als ich damit fertig wurde machte ich mich dann endlich mit dem Wildschwein auf den Weg wieder zurück zur Höhle.

Erst als es schon ziemlich dunkel geworden war, erreichte ich die Höhle. Dai kam mir gleich entgegen gerannt. Sie weinte, hustete und freute sich gleichzeitig.
"Rota! Oh Rota! Ich... lange gewartet.. ich dachte.. oh Rota..".
Ich nahm sie in die Arme.
"Dai.., es tut mir so Leid.., ich wurde aufgehalten. Aber es ist alles gut.." Obwohl mir natürlich bewusst war, dass noch noch längst nicht alles gut war.
Dann sah sie meine Beute und guckte mich nun erleichtert und freudig an. Ich nickte ihr nicht ohne Stolz zu.
"Komm Dai..! Wir haben heute Abend noch so Einiges zu tun."
Ich erzählte Dai noch an diesem Abend was alles an diesem Tag passierte und das wir nun ganz besonders aufpassen müssten. Dai sagte, dass sie keine Angst hätte, da sie ja mich, den wohl stärksten "Tokatee" der Welt hätte, wie sie in ihrer Sprache ausdrückte. Ich fühlte mich geehrt, obwohl ich die Bedeutung des Worts "Tokatee" immer noch nicht kannte.

Die Nacht und auch am nächsten Tag hatte es die ganze Zeit geschneit. Meine Spuren waren mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen. Trotzdem war ich beunruhigt. Ein erfahrener Spurenleser war vielleicht doch noch in der Lage die verbliebenen Spuren zu lesen und unser Versteck, unsere Höhle, zu finden. Ich schaute daher alle paar Minuten aus der Höhle heraus und packte das Notwendigste zusammen, um bei einer möglichen Flucht das Nötigste dabei zu haben. Alles was wir sonst nicht gerade in der Höhle benötigten, versteckte ich in unsere getarnte Grube. Ansonsten konnten wir jedoch nicht viel machen, außer warten und hoffen das keiner kam.
Mittlerweile hatte es auch schon so viel geschneit, dass der Höhleneingang drohte zuzuschneien. Auch die Höhlendecke, die auf der rechten Seite durch einen Spalt offen war, drohte ebenfalls durch den ganzen Schneefall nun zu verstopfen. Da es uns jedoch nicht möglich war die Höhlendecke von hier aus vom Schnee zu befreien, hielt ich den Höhleneingang zu mindestens bis zur Höhe meines Kopfes vom Schnee frei. Dadurch hatte ich einerseits immer noch die Möglichkeit zu sehen was draußen vor sich ging und andererseits drohten wir hier in der Höhle auch nicht zu ersticken.
Dai hustete nicht mehr so stark und ihr schien es mittlerweile auch wieder etwas besser zu gehen. Da ich nun inzwischen nur noch vor dem Höhleneingang stand und Wache hielt, spürte Dai wohl meine Unruhe. Sie stellte sich zu mir, nahm meine Hand und drückte sie. Ich zwinkerte ihr zu. Sie lächelte.
"Ich will nur sicher sein, dass auch niemand kommt. Dai! Das ist alles. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass keiner kommen wird. Wer sollte sich auch schon bei diesem Unwetter aufmachen..?"
Dai schaute mir nun in die Augen und tickte mich mit ihrem Finger an. "Rota..? Ich.. Hunger. Soll ich schneiden uns beiden Stück vom.. ähm Wildschwan.."
Und dann sah ich plötzlich etwas. Etwas Kleines und schwarzes kam plötzlich von rechts auf unsere Höhle zugerannt. Dann fing dieses kleine Wesen an zu bellen. Ein Hund!? Dann kam auch noch ein zweiter, diesmal weißer Hund bellend hinterher. Oh nein...! Ich hörte Stimmen. Panik ergriff mich jetzt. Ich sah Dai an. Dai sah meine Panik und bekam nun ebenfalls Angst.
"Sind das die..?"
Ich stürzte mich nun auf meine Sachen, die ich für eine eventuelle Flucht vorbereitet hatte.
"Dai! Nimm deine Sachen.. und dann raus hier! Beeil dich!"
Dai zögerte nicht lange und nahm ihrerseits nun ihre Sachen auf, die ich für sie bereitgestellt hatte. Dann blieb ich kurz stehen und drehte mich zu Dai um.
"Dai! Wir schaffen das.. ja?"
Dai nickte.."Ja! Wir schaffen das.. nun.. raus hier!" sagte sie und schob mich dann weiter.
Unglaublich dieses Mädchen, dachte ich in diesem Moment wieder und robbte mich aus dem zugeschneiten Höhleneingang.

Die Hunde rannten bellend und geradewegs auf uns zu. Ich nahm schnell meinen Bogen von meinem Rücken und wollte einen Pfeil an die Sehne meines Bogens anlegen, musste jedoch feststellen, dass es dafür schon zu spät war. Der schwarze Hund war schon viel zu nah. Er sprang auf mich zu und biss sich an meinem linken Arm fest, dass ich ihm gerade noch abwehrend entgegenstrecken konnte. Da ich jedoch ein Hemd, ein Pullover und sogar zwei Mäntel anhatte, war der Schmerz gut auszuhalten. Ich griff nun nach meinem Messer und stach mit einem kräftigen Hieb, dem Hund das Messer in die Seite. Der Hund heulte auf und ließ mich endlich los. Jetzt kam auch noch der andere weiße Hund auf mich zugerannt und biss sich nun an meinem rechten Unterarm fest. Ich stürzte mich nun instinktiv auf dem Boden und rollte mich im Schnee. Der Hund ließ schließlich los. Dann hörte ich wieder einen Hund aufheulen. Ich drehte mich um und sah Dai mit ihrem Messer in der Hand. Die Klinge ihres Messers war blutig. Der weiße Hund lag regungslos im Schnee. Dai musste es irgendwie geschafft haben den Hund mit ihrem Messer zu töten. Der schwarze Hund, der mich als erstes angegriffen hatte, knurrte fletschte bedrohlich seine Zähne, lief dann aber weg und brach kurze Zeit später zusammen. Ich schaute nun wieder in der Richtung, woher die Hunde kamen und dann sah ich unsere Verfolger. Vier, fünf.., nein sechs Männer liefen in Schneeschuhen auf uns zu. Allesamt bewaffnet mit Armbrüsten. Es folgte ein Gebrüll von Stimmen.
"Da ist er!"
"Wir haben den Teufel!"
"Er ist nicht allein!"
"Er hat Gini und Tara getötet!".
Sie waren nur noch gut fünfzig Schritt von uns entfernt und damit schon viel zu nah. Es blieb uns nichts anderes übrig, als in unsere Höhle zurückzukehren um uns dort zu verschanzen.
"Dai! Zurück in die Höhle!"
Dai, reagierte sofort, sie drehte sich um und rannte wieder zurück in unsere Höhle. Als wir beide wieder in der Höhle waren, nahmen wir unsere Bögen, legten jeweils ein Pfeil an die Sehne und spannten die Bögen.

Die Verfolger liefen direkt auf unseren Eingang zu.
"Warte.., lass sie kommen Dai.." Es dauerte nicht lange und sie waren schließlich nah genug an uns herangekommen.
"Dai.., du nimmst den Linken."
Wir zielten und ließen gleichzeitig die Sehnen unserer Bögen los. Beide Pfeile trafen ihre Ziele. Mein Pfeil traf den rechten Verfolger in den Bauch. Er schrie auf und sackte dann zusammen. Dai traf den anderen Verfolger direkt in den Hals. Er würgte kurz und fiel ebenfalls zu Boden. Wir legten schnell neue Pfeile an. Die Übrigen waren nun gewarnt und verteilten sich nun auf die linke und auf rechte Seite des Höhleneingangs.
"Das werdet ihr büßen!" brüllte einer. Mir kamen diese Stimmen zum Teil bekannt vor. Kannte jedoch keinen dieser Verfolger persönlich.
"Warum jagd ihr mich immer noch? Ihr habt mich verurteilt und mich zum Teufel gejagt. Warum reicht Euch das nicht?!" rief ich nun wütend hinterher..
"Ihr wollt mein Leben? Mich töten...! Dann kommt her, wundert euch aber nicht, wenn ich was dagegen habe!"

Dann wurde es still. Vermutlich hatten sie sich schon ganz dicht am Höhleneingang herangeschlichen und warteten nur noch auf einen günstigen Moment um uns anzugreifen. Wir müssen ihnen irgendwie zuvor kommen.., aber wie? Dann kam mir eine Idee. Ich zog meinen Mantel aus, stopfte ihn mit dem Heu aus unseren Schlafplätzen aus und legte in der Mitte noch einen Stein hinein. Dai schaute mich fragend an.
"Dai, ich werfe das Bündel gleich aus der Höhle und wenn ich das gemacht habe, hoffe ich, dass sie ihre Pfeile verschießen. Und wenn sie das getan haben, dann.., erst dann sind wir dran und gehen raus..! Okay?"
Dai nickte mir zu und gab mir zu verstehen, dass ich jetzt loslegen sollte. Tapferes Mädchen!

Dann warf ich das Bündel aus der Höhle und um die Täuschung noch zu verstärken schrie ich dabei so laut ich konnte noch hinterher. Es flogen tatsächlich mehrere Pfeile. Ich rannte nun mit angespanntem Bogen hinaus ins Freie. Dai tat das Gleiche auf ihrer linken Seite. Ich sah unsere Verfolger. Ich erfasste den Erstbesten und das war der, der am nahesten vor mir stand. Er starrte mich mit offenem Mund an und versuchte noch einen seiner Bolzen einzuspannen. Er erkannte nun aber, dass dies dafür wohl zu spät war und wollte sich nun auf dem Boden werfen. Mein Pfeil traf ihn tief in den Rücken. Er schrie auf. Dann hörte ich einen weiteren Schrei. Dai hatte ebenfalls einen Verfolger tödlich in die Brust getroffen. Dabei sah ich mit Schrecken, dass der Mann der hinter dem Mann stand, den Dai soeben getroffen hatte, seinen Bolzen noch nicht verschossen hatte und nun mit seiner Armbrust auf Dai zielte.
"ZURÜCK!" schrie ich Dai noch zu. Dann löste sich der Bolzen von der Armbrust. //Zong\\ Der Bolzen traf Dai mitten in die Brust..
"NEIIIIN!!"
Dai sah mich nun mit ängstlich, schmerzverzerrten Augen an und stolperte dann nach hinten wieder zurück in den Höhleneingang.

Ich wollte zu ihr. Rief mir aber ins Gedächtnis, das ich dafür noch keine Zeit hatte und ich vorher noch die zwei übrig gebliebenen Verfolger unschädlich machen musste. Wutentbrannt rannte ich nun auf den Schützen zu, der mit seiner Armbrust Dai vielleicht sogar tödlich getroffen hatte. Mit Angst in den Augen sah er mich nun auf sich zukommen. Er warf seine Armbrust weg und versuchte nun verzweifelt sein Messer aus seiner Tasche zu ziehen. Mit Gebrüll warf ich mich aber nun auf ihm und stach ihn mehrmals mit meinem Messer in seinem Leib. Er wehrte sich mit Fäusten, bis ich mit einem letzten Stich in seine Gurgel, sein Leben letztendlich beendete.

Ich drehte mich nun dem letzten Verfolger zu. Er stand mit geladener Armbrust nur wenige Schritte vor mir und befreite seinen gespannten Bolzen mit einem Klicken von der Armbrust. //Zong\\ Ich warf mich im letzten Moment noch zur Seite. Spürte dann aber einen brennenden Schmerz in meiner Seite. Der Bolzen ragte seitlich aus meinem Bauch heraus. Ich ignorierte diesen Schmerz und konzentrierte mich nun auf diesen letzten verbliebenen Verfolger. Er sah mich und warf nun seine Armbrust mir entgegen. Dann griff er nach seinem Messer und kam langsam auf mich zu.
"Jetzt ... geht's dir an den Kragen! Ausgeburt der Hölle!"
Ich war zu wütend um darauf etwas zu erwidern. Ich stürzte mich mit all meiner Kraft sofort auf ihm. Bei meinem Angriff holte er mit seinem Messer aus. Bevor er zustechen konnte, konnte ich jedoch seine Messerhand ergreifen und hielt sie mit meiner linken Hand fest und schlug mit aller Kraft und Wucht mit meiner rechten Faust ihm dabei auf die linke Seite seines Schädels. Er wankte, fiel aber nicht. Dann durchdrang mich ein stechender und reißender Schmerz wieder auf meiner rechten Seite. Der Verfolger hatte mir, mit seinem Knie, den Bolzen weiter in die Seite gerammt. Ich stöhnte auf und wich seinen weiteren Knieschlägen aus. Anschließend drehte ich mit all meiner Kraft seine Messerhand um und schlug ihm mehrmals mit der rechten Faust immer wieder auf seinen Schädel ein. Ich brüllte ihm ins Gesicht. "STIIIRRB !!!!"
Sein Gesichtsausdruck ließen nun Überraschung und Entsetzen erkennen. Dann irgendwann verlor sein Körper immer mehr an Halt und er fiel schließlich in den Schnee. Ich nahm nun mein Messer und beendete endgültig das Leben des letzten Verfolgers.

Tränen trübten meine Sicht und ich hatte große Angst vor dem, was ich nun fürchtete gleich zu sehen und vielleicht wohl auch niemals akzeptieren würde. Ich stapfte zurück in die Höhle. Dai hatte sich inzwischen zu ihrem Schlafplatz geschleppt und sie hielt ihre selbstgeschnitzte Figur Fedann in ihren Händen. Sie betrachtete ihre Puppe.., so als wollte sie Abschied von ihr nehmen. Sie atmete schwer und der Bolzen ragte immer noch unumstößlich aus ihrer Brust. Ich beugte mich jetzt zu ihr herüber. Blut lief aus ihrem rechten Mundwinkel. Sie sah mich jetzt und riss ihre Augen auf.
"Ich.. ich will bleiben ...hier ... bei dir Rota.." Dai spuckte dabei Blut. Sie keuchte und atmete schwer.
Ich hatte erst Angst in so einem Moment keine Gefühle zeigen zu können und wusste auch nicht was ich in so einem Moment machen sollte. Dann aber liefen mir doch Tränen die Wangen herunter und es dauerte nicht lange und ich konnte nicht mehr an mich halten. Aus den anfänglichen Tränen entlud sich bei mir ein ungehemmtes Weinen. Ich versuchte mich wieder zu fassen..
"Schschscht... Dai... Ich bleibe bei dir.. Dai... ich bleibe immer bei dir. Hörst du Dai. Ich bleibe immer bei dir.."
Dai weinte nun ebenfalls. Sie hob den Kopf, so als ob sie nun aufstehen wollte.
"Tut.. tut so ..weh.. Rota.." Dann jedoch sackte sie in sich zusammen.
"Nein... nein.. nicht Dai.. Bleib bei mir.... Bleib bei mir... DAI!..."
Dai rührte sich aber nicht mehr.

Abschied und Auferstehung

//Wenn ich die Wahl habe zwischen dem Nichts und dem Schmerz, dann wähle ich den Schmerz..\\
William Faulkner

Essenz:
-Rota sinnt auf Rache-

Ich blieb dann noch lange bei ihr und während ich bei ihr blieb, schwörte ich ihr wie auch mir selbst, dass ich es all denen heimzahlen werde, die dafür verantwortlich waren. Wieso können sie mich nicht in Ruhe lassen? Was hatte ich getan, dass immer wieder alles zerstört wurde, was ich zu lieben und schätzen gelernt hatte? Bevor ich aber meinen Schwur überhaupt in die Tat umsetzen konnte, musste ich erst mal dieses hier überleben.

Der Pfeil steckte immer noch in meiner Bauchseite und es blieb mir nichts anderes übrig, als nun selbst den Pfeil aus mir herauszuziehen. Ich schaute mir nun die Verletzung genauer an. Der Pfeil steckte zwar tief, aber nur an der äußersten Seite meiner linken Bauchseite. Die Organe könnten vielleicht unverletzt geblieben sein und womöglich war es auch nur eine Fleischwunde. Die Verletzung brannte und jede Bewegung die ich machte verursachte schreckliche Schmerzen, die mich jedes Mal erstarren ließen. Mittlerweile fing ich auch leicht an zu zittern und zu schwitzen. Aber, ich hatte gelernt Schmerzen auszuhalten und ich werde auch diese Schmerzen aushalten. Ich musste den Pfeil herausziehen. Je früher umso besser. Da dieser Pfeil wahrscheinlich Wiederhaken hat, wird es schwer werden den Pfeil von vorne herauszuziehen. Kann sein, dass es besser ist den Pfeil durchzustoßen, den Schaft vom Pfeil zu trennen und dann die verbliebene Pfeilspitze nach hinten herauszuziehen. Sobald ich jedoch den Pfeil anfasste, verlor ich wegen der Schmerzen schnell den Mut mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Aber wenn ich überleben wollte, dann blieb mir keine andere Wahl und ich musste es tun..

Ich schnappte mir einen handgroßen Stein und atmete noch einmal tief durch. Beim Ausatmen schlug ich dann mit voller Kraft auf den Schaft des Pfeils. Ich brüllte und krümmte mich auf den Boden vor Schmerzen. Die Pfeilspitze durchdrang den restlichen Weg durch mein Fleisch und meine Hautschicht. Die Pfeilspitze ragte nun nach hinten aus meiner linken Taille. Das Schlimmste hatte ich erstmal hinter mir. Ich nahm nun mein Messer und schnitt den Schaft des Pfeiles ab. Als ich dann soweit war, biss ich die Zähne zusammen, umfasste mit einem festen Griff die Pfeilspitze und zog mit einem schnellen Ruck aus meinem Körper heraus. Sowohl aus der Eintritts- als auch aus der Austrittswunde blutete es nun stark. Ich schleppte mich zu meinen Habseligkeiten und holte mir Verbandsmaterial und die Wundsalbe. So gut es ging legte ich mir einen Druckverband auf die offenen Wunden an. Danach war ich so erschöpft und zitterte so stark, dass ich mir nur noch meine Decken holte und mich damit schließlich in meinem Schlafplatz hinlegte.

In meinem Schlafplatz liegend, kamen mir dann auch schon wieder schmerzliche Gedanken. Nie wieder wird Dai hier bei mir sein.., nie wieder werde ich ihr was vorlesen können.., nie wieder wird sie mit ihrem Lächeln und ihrer liebenswerten Art mein Leben erfreuen. Sie fehlte mir und ich werde sie wohl für immer vermissen. Ich konnte nun nicht anders und fing wieder an zu weinen, bis ich irgendwann in einem unruhigen und fiebrigen Schlaf fiel.

Es dauerte vier Tage bis das Fieber langsam nachließ und ich aus meinem fiebrigen Dämmerzustand wieder zu Bewusstsein kam. Es war sehr kalt. Der Höhleneingang war fast zugeschneit. Dai lag noch immer reglos in ihrem Schlafplatz. Ich kroch zu ihr.
"Dai?" fragte ich leise. Ich erwartete nicht wirklich eine Antwort, denn ich wusste sie war tot.. aber irgendwie konnte und wollte ich es wohl noch immer nicht wahr haben. Ich fühlte mich schwach und hatte starken Durst. Der Wasserschlauch lag neben meinem Schlafplatz. Ich hatte ihn wohl irgendwann in meinem Fieberwahn geholt und daraus getrunken, denn er war mehr als halb leer getrunken. Ich nahm nun mehrere kleine Schlucke daraus. Obwohl ich mich schwach fühlte, entschied ich mich trotzdem aufzustehen und mir etwas zu essen zu holen. Ich hatte stark an Gewicht verloren und brauchte nun viel Kraft und Energie um das, was ich noch vorhatte, noch in die Tat umzusetzen. Mit wackeligen Beinen und völlig entkräftet schleppte ich mich zum Höhlenausgang und bahnte mir durch den ganzen Schnee, der inzwischen wieder gefallen war, einen Weg nach draußen. Es hatte seit dem Kampf mit den Verfolgern wieder sehr viel geschneit. Tote und alle Kampfspuren waren vom vielen Schnee der gefallen war, nichts mehr zu sehen. Ich stapfte nun zu der Stelle wo ich eine Grube ausgehoben und unsere Habseligkeiten sowie Lebensmittelvorräte versteckt hatte. Ich entfernte den Schnee darauf und zog dann das Tarnverdeck beiseite. Ich holte mir ein gefrorenes Stück vom verbliebenen Wildschwein und dazu noch etwas Salz und Marmelade. In der Höhle gelang es mir mit viel Mühe ein Feuer zu entfachen und schnitt anschließend das Fleisch klein und briet es in der Pfanne. Schließlich würzte ich es mit dem Salz und aß es mit der Marmelade auf. Danach legte ich mich wieder hin und versuchte wieder einzuschlafen.

Nach drei weiteren Tagen fühlte ich mich wieder soweit, dass ich entschied das Grab für Dai auszuheben. Der Boden war gefroren und es dauerte mehr als vier Stunden bis ich mit dem Grab für Dai fertig war. Ich legte Dai so behutsam ich konnte in dieses Grab. Ich weinte und konnte nicht aufhören zu weinen. Ich blieb noch eine Weile bei ihr und konnte mich nicht von ihr lösen. Irgendwann stand ich aber auf und küsste sie zum Abschied auf ihre Stirn. Dann legte ich noch ihre selbstgeschnitzte Puppe Fedann zu ihr und ihre Lieblingsdecke über sie. Sie sah so friedlich aus. Schließlich fing ich an das Grab wieder mit Erde zu füllen. Ich wagte jedoch nicht ihren Kopf mit Sand zu bedecken. Ich hörte schließlich auf und stieg dann doch nochmal ein letztes Mal zu ihr herunter. Ich entblößte das letzte Mal ihr stilles und lebloses Gesicht.
"Dai... ich werde immer bei dir sein.. hörst du.. immer."
Dann küsste ich sie zum letzten Mal, stieg aus dem Grab und beerdigte sie.

Wie es auch bisher immer so war, verheilten meine Wunden sehr schnell und ich fühlte mich mit jedem Tag besser und kräftiger. Irgendwann unternahm ich wieder kurze Ausflüge zum Jagen und Holz sammeln. Die Jagdausflüge waren meistens auch immer erfolgreich, jedoch hatte ich jegliche Freude daran verloren. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, wann, wie und an wen ich mich, für das was man mir angetan hatte, rächen will. Da jedoch immer noch viel Schnee lag und es auch immer wieder schneite, war ich gezwungen mein Rachefeldzug auf den Tag zu verschieben, wo mich meine Spuren nicht mehr durch den Schnee verrieten. Alles erschien mir nun trostlos und irgendwie sinnlos. Ich verspürte keine Freude mehr an irgendetwas. Ich hatte auch keine Freude mehr ans Bogenschießen, keine Freude mehr daran meine Höhle besser auszustatten. Meine einzigen Gedanken kursierten nur noch um Rache. Jaden.., Johnas Goldan und auch Pelle und Gero sollten noch dafür büßen, was sie mir angetan hatten. Es dauerte noch drei weitere quälende Wochen bis es langsam endlich wärmer wurde und es anfing zu tauen und weitere drei Tage bis der Schnee komplett geschmolzen war. Schließlich machte ich mich dann, als ich soweit war, am frühen Abend auf den Weg nach Kaven.

Begegnung

//An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser.\\
Charlie Chaplin

Essenz:
-Rota bekommt ein verlockendes Angebot und muss sich entscheiden-

Nach gut zwei Stunden erreichte ich den Backenfluss. Unter anderen Umständen hätte ich die herrliche Abendluft und die Abendwanderung genossen. Meine Gedanken aber kreisten jedoch die ganze Zeit nur darum, wie ich mich in dieser Nacht für das Geschehene rächen konnte. Erst als ich plötzlich vor mir Stimmen hörte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Erschreckt schaute ich nun nach vorne, in der Richtung, in der ich die Stimmen vermutete. Und tatsächlich, da stand eine Gruppe von Menschen vor mir, deren Konturen ich im nächtlichen Mondschein erkennen konnte. Instinktiv wollte ich gerade weglaufen, bis schließlich jemand rief: "Warte! Wir wollen dir nichts tun. Wir wollen nur mit dir reden.."
Die Stimme klang ruhig und vertrauensvoll und schien nach dem Klang zu urteilen einem älteren Mann zu gehören und da sie noch zu weit von mir entfernt waren, als das sie mir gefährlich werden konnten, lief ich nicht davon und blieb stehen. Wer könnte das sein? Bürger Kavens bestimmt nicht. Somit konnte es sich hier eigentlich nur um Vertriebene handeln.
"Was wollt ihr von mir?" rief ich zurück.
Ein Mann trat nun aus der Gruppe hervor und kam etwas näher.
"Wir wollen dir nichts Böses. Wir wollen nur mit dir reden."
Reden wollen sie, aha.., vielleicht.., vielleicht aber haben sie auch nur ein wenig Hunger und suchen etwas Essbares, wie mich beispielsweise.
"Ich habe bereits Erfahrungen mit Euresgleichen gemacht und die waren gelinde gesagt.. nicht gerade vertrauenserweckend!" und rief noch hinterher: "Was wollt ihr denn mit mir bereden?"
Es herrschte nun Schweigen und ich wollte gerade schon gehen, bis der Mann schließlich doch noch antwortete.
"Auch unter uns Vertriebenen gibt es solche und solche. Wir haben ebenfalls unsere schlechten Erfahrungen mit so manchen Ausgestoßenen gemacht. Wir sind aber nicht so!" sagte er und kam nun wieder ein paar Schritte näher.
"Hör zu, wir haben dich schon seit längerem beobachtet und wissen mittlerweile so einiges über dich."
"Und was wisst ihr über mich?" Wollte ich nun wissen.
"Wir haben dich schon häufig auf deinen Jagdausflügen gesehen und wir haben auch mitbekommen, dass du eine Krasianerin bei dir aufgenommen hast und du sie scheinbar auch gut behandelt hast. Wir wissen auch, dass es einen Kampf zwischen dir und einigen Männern, womöglich mit Bürgern aus Kaven, gegeben hat und du oder ihr beide es sogar geschafft habt eure Gegner zu besiegen. Dabei wurde bedauerlicherweise auch wohl die Krasianerin getötet worden zu sein. Sie schien ein wirklich tapferes Mädchen gewesen sein.. Wir hätten sie auch gerne in unsere Gruppe aufgenommen.. Verstehst du nun worauf wir hinaus wollen?"

Ich war fassungslos. Die haben mich die ganze Zeit beobachtet! Ich hatte nie etwas bemerkt, gesehen oder geahnt. Und jetzt.., jetzt bietet dieser Mann mir an, dass ich mich ihnen womöglich anschließen kann? Warum? Ich habe jetzt erstmal ganz andere Pläne.
"Warum? Und warum jetzt?" Fragte ich nun.
Der Mann kam nun wieder etwas näher. "Wie wäre es, wenn wir diese und andere Fragen gemeinsam in einer gemütlichen Runde am Feuer besprechen?"
Obwohl ich wenig Lust dazu verspürte und ich unbedingt meinen Plan auch in die Tat umsetzen wollte, war ich neugierig geworden. Was soll‘s.. und Zeit hatte ich ebenso noch genug. Ich nickte schließlich und sagte: "Gut.. einverstanden.., ich denke dafür habe ich noch etwas Zeit."
Der Mann schien nun erleichtert. "Gut, sehr vernünftig!" Er kam nun auf mich zu. Er war, so konnte ich nun erkennen, von kräftiger Statur und er trug, einen selbstgemachten Mantel aus diversen zusammengenähten Fellen. Als er schließlich vor mir stand, streckte er mir seine Hand entgegen.
"Ich bin Eldar Wordan. Freut mich dich endlich kennenzulernen!"
Ich nahm seine Einladung an und ergriff seine entgegengestreckte Hand.
"Ich bin Rota." Erwiderte ich nur.

Er führte mich dann zu seinen Leuten. Sie waren insgesamt zu viert. Eine erwachsene Frau und drei erwachsene Männer.
"Das ist Jolanda.." stellte Eldar nun die Frau vor. Die Frau die nun ein Schritt vortrat, war groß, stämmig und schaute mich grimmig und widerwillig an. Sie sagte kein einziges Wort und nickte mir nur kurz zu.
Ich nickte ihr ebenfalls nur kurz zu. Jolanda gehörte anscheinend nicht zu denjenigen die mich gerne in ihre Gruppe aufnimmt.
"Die anderen beiden hier, sind Kaspar..." Eldar zeigte auf einen kleinen, stämmigen kahlköpfigen Mann mit einem schwarzen Bart. "...und Tokar".
Kaspar kam jetzt auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen. Ich ergriff seine Hand. Sein Griff war sehr fest, aber ich konnte genug Kraft aufbringen um diesen festen Handgriff entsprechend zu begegnen. Er schaute mir nun eindringlich in die Augen.
"Teufel! Ich hoffe nicht, dass du der bist nach dem du aussiehst! Auf der anderen Seite.., wäre es natürlich gut für uns, dich dann auf unserer Seite zu haben." Er lachte dabei und die anderen, bis auf die Frau, fielen in sein Lachen ein.

Dann kam Tokar auf mich zu. Tokar sah aus wie ein Krasianer und vermutlich war er auch einer. Seine Haut war dunkel und er hatte diese typisch langen schwarzen Haare, die nach krasianischer Art auf den Kopf zu einem Knäuel gebunden waren. Seine Kleidung bestand ausschließlich aus Leder, die perfekt und mit hoher Kunst seinen Körper kleideten. Er sah wie der geborene Krieger aus und er trug ebenfalls, wie ich, einen Bogen auf den Rücken. Tokar legte seine Faust an die Stirn und nickte mir respektvoll zu.
"Tokar ist Krasianer.." sagte Eldar nun. "..Wir haben ihn vor gut zwei Jahren bei uns aufgenommen, nachdem wir ihn aus.., sagen wir mal, einer heiklen Lage befreit haben. Wir haben diese Entscheidung nie bereut. Ganz im Gegenteil!" Eldar klopfte dabei Tokar kurz auf die Schulter und schaute mich dabei an.
"Und bei dir habe ich ein ähnlich gutes Gefühl."

Sie wollten mich tatsächlich in ihre Gruppe aufnehmen. Auf der einen Seite freute ich mich natürlich über dieses Angebot. Es war schon immer mein Wunsch gewesen irgendwo und zu irgendwem dazuzugehören und in einer Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Aber warum musste dies gerade jetzt sein? Jetzt, wo sich meine Wut sich so tief in mir eingefressen hat und ich diesen unstillbaren Drang nach Rache und Genugtuung habe es denjenigen heimzuzahlen die mein Leben so verabscheuten und mir all das genommen hatten, was ich lieb gewonnen hatte. Aber könnte diese Gruppe mir vielleicht helfen? Wollte ich das überhaupt? Was war, wenn jemand oder sogar mehrere wegen meiner Angelegenheit dabei getötet wurden? Wollte ich das? Nein, je mehr ich darüber nachdachte wollte ich das nicht.

"Du hast sicherlich eine Menge Fragen und wir ebenso an dich. Wie wäre es, wenn wir uns einfach hinsetzen und alles in Ruhe besprechen?" fragte nun Eldar.
Ich wollte eigentlich wieder weiter und nicht hier sitzen und reden. Trotzdem nickte ich und setzte mich wie die anderen. Tokar und Kaspar entfachten ein Feuer. Die Geschwindigkeit in der sie das aber machten war einfach atemberaubend. Sie mochten vielleicht Ausgestoßene sein, aber diese Menschen hier hatten gelernt zu überleben und sich ihre Daseinsberechtigung zurück erkämpft. Das sah man jedem Einzelnen von ihnen an.

Eldar schaute mich nun wieder an und sprach schließlich weiter:
"Wir sind mittlerweile vierzehn. Neun Männer und fünf Frauen. Und wir wollen uns vergrößern und stärker werden. Es gibt viele Gefahren für uns hier in der Wildnis. Wir müssen uns um Nahrung kümmern, wir müssen dem Wetter trotzen, wir müssen uns den Krasianern und den Milizen des Bundes erwehren. Häufig kommt es auch vor, dass wir uns auch vor anderen Ausgestoßenen, die sich zu räuberischen Banden zusammengeschlossen haben, zur Wehr setzen müssen. Krankheiten und Unfälle machen uns darüber hinaus zu schaffen. Damit wir uns diesen Gefahren erwehren können, brauchen wir eine starke Gemeinschaft. Wir nehmen daher besonders auch nur diejenigen auf, die der Gemeinschaft von Nutzen sind und willens sind, sich einer Gemeinschaft unterzuordnen. Dafür erhält derjenige die Sicherheit und den Schutz in der Gemeinschaft. Wir haben dich beobachtet und es gab zugegeben viele Vorbehalte die gegen dich sprachen. Vielen von uns war besonders deine Erscheinung.., naja, sagen wir.. unheimlich. Aber letztendlich hast du die meisten von uns mit deinem Verhalten davon überzeugt, dass wir dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen wollen." Eldar schaute mich nun an.
"Also.. wie denkst du darüber?"

Ich wäre sicherlich gern in diese Gemeinschaft eingetreten. Aber ich hatte mir und auch Dai Rache geschworen und diesen Schwur wollte ich nicht einfach so aufgeben.
"Ich danke Euch für Euer Angebot, aber ich habe vorher noch etwas zu erledigen. Ich habe es mir geschworen.."
Eldar runzelte die Stirn und fragte in ruhigen Ton:
"Was willst du denn machen? Willst du dich für das rächen, was man dir angetan hat? Ist es das was du willst? Jemand hat dir Unrecht getan und nun willst du Genugtuung oder sowas ähnliches? Du magst vielleicht bisher so manchen Kampf überlebt haben, aber in meinen Augen bist du immer noch ein Kind und weißt gar nicht auf was du dich da wirklich einlässt und weißt du..., ich werde dir sagen was du damit erreichst.. Nichts! Gar nichts! Du magst bestenfalls deine Rache bekommen und, was ich sehr bezweifle, vielleicht sogar dein Leben behalten. Aber wirst du dich danach wirklich besser fühlen? Ich glaube nicht!! Vielleicht wirst du für einen kurzen Moment eine Befriedigung empfinden, aber mehr nicht. Dann aber wird man sich wiederum für das rächen wollen, was du angerichtet hast. Du wirst dich dann wieder verstecken müssen..., musst immer auf der Hut sein und du wirst nie wirklich Frieden finden. Was ist, wenn du bei deiner Rache Unschuldige mit hineinziehst und sie dabei getötet werden oder du vermeintlich Schuldige tötest und diese in Wahrheit sich unschuldig erweisen? Könntest du dir das dann verzeihen?" Er machte eine Pause.
Ich wollte gerade etwas erwidern, als er die Hand hob. "Warte..., lass mich dies bitte noch sagen. Wir haben alle unsere eigene Geschichte, und glaube mir, jeder von uns hatte seine Gründe, dass er oder sie aus der Gemeinschaft des Bundes oder im Falle Tokars aus der Gemeinschaft der Krasianer verstoßen wurde. Jolanda, beispielsweise, wurde deshalb ausgestoßen, weil sie ihren Mann getötet hat. Dass sie das in Notwehr getan hat, weil er sie wieder mal wegen einer Kleinigkeit fast zu Tode geprügelt hatte, wurde in ihrem Fall nicht berücksichtigt, da die einzige Zeugin, die Schwester des Gatten, diese Tatsache geleugnet hat. Jolanda hätte genauso wie du einen Grund dazu gehabt sich zu rächen. Sie hat es aber nicht getan. Denn man sollte sich vielleicht auch immer die Frage stellen, bevor man sich an den Personen rächt, warum diese Personen so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben. In Jolanda's Fall hat die Schwester deshalb geschwiegen, weil sie sicherlich zum einen die Schwester ihres Mannes war und ihren Bruder liebte. Zum anderen hasste sie aber auch Jolanda. Jolanda hatte ihre Schwester oftmals ungerecht behandelt und dies wurde ihr erst später klar, als sie sich diese Frage ehrlich stellte. Es war demnach verständlich gewesen, dass die Schwester sie verleugnet hat und Jolanda, da gelandet ist, wo sie nun ist. Nämlich hier.., hier bei uns. Vielleicht hat man dir wirklich übel mitgespielt. Aber manchmal, wenn man wirklich ehrlich zu sich selbst ist, gibt es vielleicht auch Gründe für die man selbst verantwortlich ist, warum man da ist wo man nun mal ist. Und du bist in diesem Moment nun mal auch hier, hier bei uns und stehst vermutlich wiedermal vor einer wichtigen Entscheidung die dein zukünftiges Leben vielleicht wesentlich beeinflussen könnte. Es liegt nun an dir, was du letztlich daraus machst."

Ich dachte über die Worte von Eldar nach. Jedoch konnte ich keine Schuld in meinem Tun und in meinen Taten erkennen. Ich hatte mich letztendlich immer nur gewehrt und versucht zu überleben. Auch hatte ich aus meiner Sicht nicht angefangen etwas Unrechtes zu tun oder hatte jemanden etwas angetan, bevor er mir etwas angetan hat. Jaden hingegen aber liebt es mich zu ärgern und mich zu quälen. Er fühlte sich vermutlich überlegener und stärker, nur weil ich anders bin als die anderen. Und dieses Gefühl der Überlegenheit verflog und schlug in Hass um, als er mich mit Mallen sah. Mallen, das mit Abstand wohl hübscheste und beliebteste Mädchen von Kaven. Und wie Jaden erging es vielen anderen womöglich ähnlich. Konnte ich aber aufgrund meiner Andersartigkeit dafür verantwortlich sein, dass Jaden deshalb meine Baumhöhle zerstörte und vor Gericht gelogen und so die Spirale der Gewalt in Gang gesetzt hatte? Ich hatte mir meine Andersartigkeit nicht aussuchen können und konnte somit auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Jetzt habe ich jedoch die Wahl mich dieser Gruppe anzuschließen oder mich zu rächen. Ich hatte aber mir, Dai und meinen Feinden diese Rache geschworen und ich wollte immer noch dass keiner ungestraft davon kam. Vielleicht mochte ich mich mit meiner Entscheidung nun schuldig machen, aber dies einfach versuchen zu vergessen...? Nein.., das kann ich nicht und will ich auch nicht.

"Ich habe es geschworen! Von daher.., ich kann mich euch jetzt nicht anschließen. Ich wünschte ich könnte es, aber da ist für mich einfach zu viel passiert, was ich nicht vergessen kann und auch nicht will." Sagte ich schließlich. Sie schauten mich nun alle an und bis auf Jolanda stand ihnen die Enttäuschung in den Gesichtern geschrieben.
"Dir ist klar, dass dieses Angebot nur jetzt gilt!" sagte Eldar. "Denn wenn du diese Entscheidung wählst, dann wirst du auch nie in unsere Gemeinschaft passen. Bedenke das bitte."
Ich stand auf, schloss die Augen kurz. Es kommt, wie's kommt. Und genau wie's kommt, ist es richtig, wird gesagt. So soll es dann auch kommen, wie es kommt. Schließlich sagte ich: "Ich wünschte wirklich es wäre anders.., aber ich kann nicht anders. Ich danke euch trotzdem für euer Angebot und wünsche euch alles Gute für eure Zukunft." Dann ging ich wieder weiter.

Unheil in Kaven

//Im Grunde ist jedes Unglück gerade nur so schwer, wie man es nimmt.\\
Marie von Ebner-Eschenback

Essenz;
-Rota löst sein Versprechen ein-

Ich drehte mich nicht mehr zu ihnen um und sie machten auch keine Anstalten mehr mich umzustimmen oder mich aufzuhalten. Mir fiel diese Entscheidung schwer. Ich wollte immer dazugehören.. und hier ergab sich für mich zum ersten Mal in meinem Leben eine wirkliche Chance in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden und dazuzugehören. Und jetzt? Jetzt machte ich mich auf, um mich zu rächen und Menschen Gewalt anzutun, die mir aus meiner Sicht Unrecht getan haben.

Auf meinem Weg nach Kaven ließen mich aber die Worte von Eldar an mein Vorhaben immer mehr zweifeln. Wen traf für das Geschehene wirklich Schuld und was ist wirklich gerecht?
Gero ist dumm und lediglich ein Mitläufer. Er wird von Jaden benutzt und beeinflusst. Kann ich Gero dafür verantwortlich machen, weil er schwach ist und letztendlich nur das macht, was man von ihm verlangt?
Pelle hingegen hat die Stärke eigene Entscheidungen zu treffen. Er hatte jedoch, denke ich, für seine Taten auch schon ziemlich büßen müssen. Sein Vater war wegen mir nicht mehr am Leben und ich hatte ihm sein rechtes Augenlicht genommen. Auch kann er wohl, nach Jakes Angaben, auf dem verbliebenen Auge nur noch wenig sehen. Er wird für immer auf Hilfe angewiesen sein.
Und Johnas Goldan.., der Bürgermeister, ein sehr beliebter Mann in Kaven, er wollte Mallen schließlich auch nur vor mich beschützen. Ich, der für die meisten in Kaven wohl so etwas wie ein Ungeheuer bin. Er misstraute mir und hatte letztlich vielleicht auch nur Angst um Mallen gehabt. Um zu verhindern, dass ihr vermutlich etwas zustieß, war ihm jedes Mittel recht und dazu gehörte eben mich zu verleugnen und damit das Problem von Kaven endgültig zu beseitigen. Und hat auch er womöglich nicht auch schon für seine Lügen büßen müssen? Denn Mallen, seine einzige Tochter, sein ganzer Stolz, hat sich wahrscheinlich von ihm abgewandt und hasst ihn nun für das was er getan hat.
Blieb nur noch Jaden. Bei Jaden hatte ich immer noch das hartnäckige Gefühl, mich für das, was er getan hatte, zu rächen. Er hasst mich und ich will, dass er für seine Taten zu mindestens noch Reue zeigen sollte. Eldar's Worte hatten mich daher nun tatsächlich beeinflusst. Ich will mich nur noch auf Jaden konzentrieren. Er soll jedenfalls bereuen, was er mir angetan hat.

Es dauerte noch mehr als zwei weitere Stunden, bis ich endlich in Kaven ankam. Es war noch stockdunkel und es würde noch drei weitere Stunden dauern bis der Tag anbrach und die Sonne wieder aufgehen würde.
Ich ging zu dem Abhang, wo sich der Eingang zum Tunnel befand. Der Tunneleingang war jedoch nicht mehr wie sonst mit Steinen getarnt. Irgendwas stimmte hier nicht. War der Tunnel entdeckt worden oder schlimmer noch, war Jake aufgeflogen? Jake war seit dem ersten Schneefall auch nie mehr zur Höhle gekommen. Das musste zwar nichts bedeuten, denn Jake hatte selbst gesagt, dass er erst wieder kommen wollte, wenn kein Schnee mehr liegen würde.

Ich nahm mein Bogen und legte einen Pfeil auf und ging dennoch in den Tunnel. Ich ging vorsichtig und blieb immer wieder kurz stehen und horchte nach etwas Verdächtigem. Aber nichts regte sich und ich kam schließlich ungehindert durch den Tunnel zum Brunnen. Es stellte sich nun die Frage, ob der Brunnen oben bewacht wurde. Sollte ich nun die Leiter vom Brunnen benutzen, wäre ich wohl auf dieser völlig ungeschützt. Man müsste nur oben auf mich warten oder man könnte sogar gleich mich von oben mit ein paar Pfeilen von der Leiter schießen. Ich horchte, aber es war nichts Verräterisches zu hören. Mir blieb letztlich nichts anderes übrig, als es zu wagen und anhand der Leiter hinauf durch den Brunnenschaft nach oben zu steigen. Als ich jedoch oben angekommen war, blieb entgegen meinen Befürchtungen auch hier alles ruhig. Seltsam. Ich atmete nun erleichtert aus und machte mich nun in aller Stille auf den Weg nach Jaden's Zuhause.

Jaden hatte keine Geschwister und er wohnte, soweit ich wusste, mit seinen Eltern in einem großen Haus, etwas abseits im wohlhabenden Viertel von Kaven. Obwohl ich so gut wie nie dort gewesen bin, wusste ich von den Beschreibungen meines Onkels welches Haus es nur sein konnte. Mein Onkel beschrieb das Haus der Grat's als das prächtigste und größte Gebäude von Kaven. Mein Onkel schwärmte von diesem Haus und das er irgendwann einmal ein ähnliches Haus haben würde. Doch nun scheint er, mehr denn je, von diesem Traum entfernt zu sein.

Nun stand ich aber hier vor dem noch scheinbar friedlichen Haus der Grat's. Alles war, bis auf die Geräusche des Windes, still und friedlich ruhig. Mein Herz klopfte heftig und mir kam diese Situation ziemlich skurril vor. Gleich werde ich diese friedliche Stille stören und womöglich Terror in die Familie Grat bringen. Ich ging zur großen Eingangstür und versuchte die Tür zu öffnen, die jedoch erwartungsgemäß verschlossen war. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Ich schaute mir die Fenster an. Alle Fenster bis auf das rechte vordere Fenster waren mit Fensterklappen verschlossen. Ich ging zu dem offenen Fenster. Das Fenster war jedoch für meine Größe zu hoch, um das ich etwas dadurch hätte etwas sehen können, geschweige denn durch dieses Fenster im Haus der Grat's zu gelangen. Glücklicherweise entdeckte ich nicht weit davon ab, am Nebengebäude eine kleine Leiter. Ich schnappte mir die Leiter, stellte diese unterm Fenster und kletterte diese schließlich hinauf. Hinter das Fenster befand sich das Schlafzimmer von Jadens Eltern und beide schienen auch in ihrem Bett zu liegen und tief und fest zu schlafen. Was jetzt? Mein Herz raste und meine Nerven waren zum zerreißen gespannt. Ich stieg erst mal ein paar Stufen die Leiter wieder runter. Atmete nochmal tief durch. Was will ich eigentlich? Ich hatte mich doch entschieden, dass ich Jaden für seine Taten zur Rechenschaft ziehen will. Nun war ich hier. Also. Was willst du jetzt? Schließlich ging ich die Leiter wieder nach oben. Mit zitternden Händen nahm ich meinen Bogen und meinen Köcher mit Pfeilen ab und legte diese so vorsichtig und so leise ich es konnte durch das offene Fenster auf den Boden im Zimmer der Grat's. Dann kroch ich selbst durch das Fenster. Die Eltern von Jaden schliefen scheinbar immer noch fest und hatten von meiner Ankunft noch nichts bemerkt. Ich legte mir den Köcher wieder über den Rücken. Den Bogen nahm ich in die Hand und spannte vorsichtig einen Pfeil an die Sehne des Bogens. Dank des offenen Fensters konnte ich zu mindestens noch die Zimmertür und die Möbel die im Zimmer standen erkennen. Jadens Vater lag laut schnarchend auf dem Rücken und die Mutter schlief eng an ihm geschmiegt auf der Seite im Bett. Beide friedlich in trauter Zweisamkeit. Kaum vorstellbar, dass diese Beiden einen Sadisten als Sohn hatten. Vorsichtig ging ich nun Richtung Zimmertür. Ich wusste nicht was es letztlich gewesen war, was mich verraten hatte, denn plötzlich wurde es ganz still im Schlafzimmer der Grat's. Geräusche, ein kurzes Murmeln.., dann die Stimme von Jadens Vater, Robert Grat.
"Jaden? Was.., was willst du...? Jaden...?".
Mist! Fluchte ich innerlich.
"Ich bin nicht Jaden.." sagte ich so ruhig und selbstsicher ich noch konnte. Dann wachte auch die Mutter auf.
"Robert! Wer ist das? Was geht hier vor?" schrie sie entsetzt auf.
"Wer bist du und was willst du von uns?" fragte nun Robert, Jadens Vater und sprang dabei schnell aus dem Bett.
"Stehen bleiben!" schrie ich und spannte den Pfeil im Bogen und zielte nun auf Robert. Robert blieb stehen.
"Eine klitzekleine Bewegung noch und ich schieß dir ein Pfeil in deinen fetten Bauch! Hast du mich verstanden?" drohte ich nun. Panik ergriff mich. Das war so nicht geplant. Was sollte ich nun mit diesen beiden machen?
"Bist du.., bist du nicht der, der meinen Sohn ins Bein gebissen hat..? Du bist Rota Gevill! Verdammt! Was willst du hier?! Hast du nicht schon genug angerichtet?"
Jadens Mutter unterdrückte einen Schrei und fing nun hysterisch an zu weinen. "...der rote Teufel...? der... Sohn Satan's..! Nein...! Oh Gott nein...!"
Ich ging zwei Schritte zurück um ein wenig Abstand von den Beiden zu bekommen.
"Von euch will ich nichts! Ich will nur mit eurem „lieben“ Sohn sprechen.."
Da mich die Dunkelheit nun doch sehr störte, fragte ich nun: "..Sagt mal, habt ihr hier keine Petroleumlampe oder sowas..? Man kann ja kaum was sehen."
"Wir haben hier eine auf unseren Tisch stehen.., warte.." antwortete Jadens Vater und drehte sich langsam zur rechten Wand, wo scheinbar ein kleiner Tisch stand. Dann plötzlich drehte er sich blitzschnell wieder um und warf den Tisch mit voller Wucht in meine Richtung. Ich erkannte dies zu spät und der Tisch traf mich voll auf meinem Oberkörper. Ich verlor dabei meinen Bogen aus der Hand. Der Pfeil löste sich und schoss ins Leere. Jadens Vater stürzte sich auf mich. Er war stark und ich konnte ihm erst mal nichts entgegensetzen. Er warf mich mit ganzer Wucht zu Boden und schlug mit der Faust auf meinen Kopf. Er traf mein Ohr, das sich sofort taub anfühlte.
"...DU SATAN! ICH WERD DICH LEHREN ... UNS ZU BEDROHEN!!".
Ich hob nun meine Hände um meinen Kopf zu schützen. Er jedoch schlug mich dann mit seinen Fäusten in den Magen. Ich konnte nun keine Luft mehr bekommen und ich krümmte mich vor Schmerzen. Dann griff er nach meinen Hals und drückte mit aller Gewalt zu. Ich war geschockt und wusste nicht wie mir geschah. War das jetzt mein Ende? Schmerzen! Ich kann Schmerzen ertragen! Schmerzen kommen und gehen wieder! Konzentriere dich! Ich packte nun die Handgelenke von Jadens Vater und drückte mit aller Gewalt die würgenden Hände von meinem Hals weg.
"Grrrrrnngggg... du Teufel! das.., das.. gibt‘s doch niiicht..." Jadens Vater versuchte vergeblich nochmal kräftiger zuzudrücken. Dann drehte ich mich aber schnell zur Seite weg und zog mit der rechten Hand mein Messer. Robert warf sich wieder auf mich. Dann stach ich zu. Zwei, drei, vier Mal und immer wieder.. Jadens Vater brüllte vor Schmerzen.
"Robert! Nein! Nicht..! Bitte niiiicht! Nein! NIIIICHT!!!" Schrie Jadens Mutter, bis ich ihn schließlich mit einem letzten tödlichen Stich in sein Herz sein Leben beendete. Jadens Vater brach schließlich zusammen und lag nun tot über mich. Ich schob ihn nun keuchend und atemlos beiseite.
"Du Mörder!!!! Was hast du getan?... Du... du Satan! Du Ausgeburt der Hölle!" Schrie sie mich immer wieder an und eilte zu ihrem toten Mann.
"Was habe ich getan?" Stellte ich murmelnd und entsetzt mir selbst diese Frage. Bin ich ein Mörder? Mein Gott! Was habe ich getan..?
Die Mutter von Jaden weinte und schrie wieder: "Ich werde dir sagen was du getan hast! Du Monster hast einen geliebten Menschen, meinen geliebten Mann getötet. Das hast du getan! Du Teufel.. du verdammte Ausgeburt der Hölle...! Ich hasse dich...! Ich verfluche dich..!" Dann weinte sie wieder bitterlich.

Ich hatte genug und mit einem Mal schämte ich mich für das was ich getan habe. Meine Rachegelüste waren nun wie weggeblasen. Ich stand auf und wollte gerade durch die Zimmertür gehen um mich auf den Rückweg machen. Dann jedoch erschien Licht und.. Jaden kam herein.
"Mama, was ist los... was ist..." Jaden blieb nun wie erstarrt stehen und schien nicht zu glauben was er hier gerade sah. Mit offenem Mund, einer Lampe in der rechten Hand haltend und im Nachtanzug bot er einen nahezu lächerlichen Anblick. "Du...?" Und dann starrte er auf den Boden "VATER!!! NEIN! " Schrie er und rannte humpelnd zu seiner Mutter und zu seinem nun toten Vater.. "Was.., was ist los? Vater! Was hat er dir angetan?"
Er bot einen so mitleiderregenden Anblick.. Ich musste schlucken.
"WAS HAST DU GETAN? DU VERDAMMTE MISSGEBURT!" Dann stand er auf... "Dafür wirst du büßen.." und stürzte sich auf mich. Ich hatte keine Lust mehr mich zu wehren und weiteres Unheil anzurichten und ließ zu, dass er mit seinen Fäusten auf mich eindrosch. Schmerzen! Schmerzen kommen und gehen wieder..! Er traf mich überall. Ich ging zu Boden und er trat mich mit seinen Füßen. Er warf den Tisch auf mich, der daraufhin zerbrach. Jaden nahm dann den abgebrochenen Tischbein in die Hand und prügelte mit Geschrei und üblen Beschimpfungen weiter auf mich ein. Irgendwann hörte er auf, bückte sich über mich und nahm mich im Würgegriff.
"Nun, mein Lieber, wirst du für deine Taten büßen...!!!" Dann drückte er fest zu. Ich fing an zu würgen. "Wusstest du eigentlich Rota, dass Jake..., dein schwuler Freund, aufgeflogen ist.. Hmm.. wusstest du das? Man hat ihn gehängt... oh ja.. und nun ist er mausetot. Du hättest ihn sehen sollen. Er hat geflennt.., geflennt wie ein Baby..!"
Jake tot? Nein! Er war also wirklich aufgeflogen. Ich war schockiert und fühlte eine totale Leere in mir. Jake verdanke ich mein Leben und jetzt ist auch er nicht mehr am Leben. Trauer und Wut packten mich jetzt. Oh Jaden..! Ich glaube das war ein Fehler und du hättest das besser für dich behalten sollen..
Jadens Mutter stand nun plötzlich mit meinem Bogen und einem aufgelegten Pfeil vor mir und spannte langsam den Bogen.
"Jaden..., halt ihn jetzt gut fest..!" Sagte sie mit einer bedrohlich ruhigen Stimme.
Gerade in dem Moment, wo Jadens Mutter die Sehne vom Bogen losließ, packte ich Jaden an den Kopf und zog ihn mit aller Kraft die ich noch aufbringen konnte vor mir und seiner Mutter. Der Pfeil traf nun nicht, wie gezielt, in meine Brust. Jadens Mutter riss die Augen entsetzt auf und schrie: "NEIIIIN..!!"
Der Pfeil traf Jaden direkt in den Hinterkopf. Jaden kreischte und sein ganzer Körper zuckte dabei wild hin und her. Dann irgendwann hörte er auf zu schreien. Sein Körper hörte auf zu zucken und rührte sich schließlich nicht mehr.

Jadens Mutter hat ihren eigenen Sohn getötet. Ich stieß Jaden beiseite, stand schwankend auf und ging langsam zu Jadens Mutter. Als ich schließlich vor ihr stand, nahm ich ihr meinen Bogen aus der Hand. Sie starrte mit Entsetzen und einem völlig irren Blick ins Leere. Vermutlich befand sie sich gerade in einem Zustand des Schocks. Ich beachtete sie nicht weiter, hob noch meinen Köcher mit den verbliebenen Pfeilen auf, legte diesen um meinen Rücken und machte mich dann wieder auf, um aus dem Haus der Grat's zu kommen.

Als ich dann wieder draußen war und das Haus der Grat's verließ, sah ich, dass in der Nachbarschaft die Schreie und der Lärm im Haus der Grat's nicht unbemerkt geblieben waren. In fast jedem der umstehenden Häuser schien Licht aus den geöffneten Fenstern. Leute standen vor ihren Eingangstüren, Stimmen waren zu hören.
"Was ist da los?... Stadtwache!... Überfall bei den Grat's.... ...Hat jemand was gesehen..?" und schließlich ... "Da...! da ist dieser Rote Teufel! Der Rote Teufel..! Rota der Teufel war im Haus der Grat's!!"
Mir war das Getöse nun ziemlich gleichgültig. Alles was mir bisher wichtig war, was ich schätzten und lieben gelernt hatte, hat man mir genommen. Vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht. Egal! Ich wollte das alles jetzt nicht mehr. Ich wollte nur noch in Ruhe gelassen werden. Wer mich aufhalten will, der soll nur kommen. Ich nahm einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn bereit zum Schuss an die Sehne meines Bogens. Dann machte ich mich auf dem Rückweg zur Höhle.

Auf halbem Weg zum Tunneleingang stieß ich aber noch auf drei alarmierte Soldaten von der Stadtwache Kavens. Alle drei waren mit Armbrüsten bewaffnet. Als sie mich dann erkannten, blieben sie abrupt stehen. In ihren Gesichtern konnte ich Angst erkennen. Der Größte von ihnen, vermutlich auch der Befehlshabende, schrie: "Worauf wartet ihr Holzköpfe denn! Schiiießt! Verdammt SCHIIIIEßT!!"
Ungelenk nahmen sie ihre Armbrüste in Schießstellung. Ich wunderte mich. Sie waren mehr als fünfzig Schritt noch von mir entfernt. Es dürfte sehr schwierig werden, mich aus dieser Entfernung zu treffen. Ich ging langsam weiter auf die drei Soldaten zu. Dann... //Zong\\, //Zong\\... //Zong\\. Die Pfeile flogen.. und flogen alle an mir vorbei. Aber ein Pfeil flog sogar gegen meiner Erwartung tatsächlich nur knapp über meinen Kopf vorbei. Nun rannte ich auf dieses Trio zu, spannte dabei den Bogen, zielte.. und als ich dann nah genug heran gekommen war, ließ ich die Sehne los. Mein Pfeil flog und traf den Soldaten, der soeben den Befehl gab auf mich zu schießen, in die Brust. Er fing vor Schmerzen an zu schreien. "AHHH.. verdammt! Dieser Teufel!.. schiiiiießt... schiieß.." Ich sah jetzt, dass die anderen beiden Soldaten noch sehr jung waren, vielleicht nur drei oder vier Jahre älter als ich. Sie boten einen erbärmlichen Anblick. Beide fummelten wild an ihren Armbrüsten herum und versuchten diese mit jeweils einem Bolzen zu nachzuladen.

In aller Ruhe legte ich einen neuen Pfeil auf und schoss den links stehenden Soldaten absichtlich nur in die Schulter. Er schrie vor Schmerzen.
"AHHH! Er hat mich getroffen...! Ohhhh mein Gott.., dieser Teufel.., er hat mich getroffen....!" Er stolperte ein paar Schritte zurück, fing sich aber gerade noch, drehte sich und rannte schließlich weg.
Der verbliebene Soldat hatte es jedoch endlich geschafft seinen neuen Bolzen in seine Armbrust zu laden. Er zielte nun auf mich. Aber ich hatte inzwischen auch wieder einen Pfeil im Bogen gespannt und zielte ebenfalls nun auf ihn.
"Los schieß schon.." sagte ich im ruhigen Ton. "Worauf wartest du..? Ich habe nichts mehr zu verlieren. Also..?"
Der junge Soldat schwitzte und zitterte. "Wenn.. wenn ich schieße wirst du mich ebenfalls töten.." Protestierte er ängstlich.
"Könnte sein.., muss aber nicht sein. Kommt sicherlich auch darauf an, ob du mich überhaupt triffst. Aber..., ich will dir ein Vorschlag nachen. Du legst einfach deine Waffe auf den Boden und gehst mir aus dem Weg und ich gehe dann meiner Wege. Was hältst..."
Dann machte es..//Zong\\! Er hatte sein Bolzen abgeschossen, während ich noch sprach. Ich konnte aber noch schnell einen Schritt zur Seite machen. Der Bolzen traf mich nur leicht an meinem Oberarm. Es schmerzte, aber es war wohl nur ein Kratzer. Ich schoss ebenfalls nun meinen Pfeil ab, aber dieser traf im Gegensatz zu seinem Schuss, tödlich. Danach zog ich noch kaltschnäuzig meine Pfeile aus den Leibern der beiden Soldaten und ging dann wieder weiter, wieder zurück zu meiner Höhle.

Träume und Wirklichkeit

//Man muss erst einige Male sterben,
um wirklich leben zu können.\\
Charles Bukowski

Essenz:
-Aufgrund der vorhergehenden Ereignisse ist Rota des Lebens überdrüssig geworden und durchlebt aufgrund eines Besuchs ein Wechselbad der Gefühle-

Der Rückweg zu meiner Höhle verlief ohne besondere Vorkommnisse. Keiner hielt mich auf oder verfolgte mich. Das einzig Bemerkenswerte war, dass es auf dem Rückweg an diesem frühen Morgen immer kälter wurde und es wieder begonnen hatte zu schneien. Ich störte mich nicht daran und war tief in meinen Gedanken versunken. Ich wollte Rache und ich bekam meine Rache. Jedoch fühlte ich keine Genugtuung, keine Befriedigung oder etwas Ähnliches. Es fühlte sich nicht so an, wie ich es mir vielleicht auch erhofft hatte. Viele mussten wegen mir sterben. Konnte ich aber so viele Tote tatsächlich auch rechtfertigen, nur weil es mich gab? Jake, mein einziger, aber dafür der beste Freund den man überhaupt haben konnte, musste sterben weil er mir helfen wollte. Jake, der mir aufopfernd und nur weil er es für richtig hielt, immer wieder geholfen und so mein Leben gerettet hat. Jake hatte sich nie von anderen beeinflussen lassen, sondern stets die Dinge aus mehreren Blickwinkeln betrachtet und daraus dann seine eigene Meinung gebildet. Das er dann auch den Mut und die Kraft hatte, sich gegen alle Widerstände aufzulehnen, weil er aus seiner Sicht das Richtige tun wollte, dass machte ihn für mich noch bemerkenswerter. Er war ein richtiger Held. Ich konnte nicht weinen, ich fühlte nur unendliche Trauer und eine Niedergeschlagenheit die mich erdrückte. Als ich schließlich meine Höhle erreichte, schnappte ich mir sämtliche Decken die ich noch finden konnte, deckte mich in meinem Schlafplatz damit ein, legte mich schlafen und wollte nie wieder aufwachen.

Entgegen meinem Willen wachte ich aber natürlich immer wieder auf. Aber letztlich aufgestanden war ich nur dann, wenn ich meine Notdurft verrichten musste oder ich so einen Durst bekam, dass ich einfach Schnee in meinem Mund genommen habe und diesen einfach schmelzen ließ und schließlich runterschluckte. Ich verspürte keine Lust mehr irgendetwas zu machen, wie Feuerholz zu sammeln, auf die Jagd zu gehen oder den Höhleneingang vom Schnee zu befreien. Alles war für mich irgendwie sinnlos geworden und ich wollte nur noch schlafen. Es wurde hell, es wurde wieder dunkel, es wurde wieder hell, es wurde wieder dunkel und so weiter. Inzwischen hatte es nun so viel geschneit, dass wieder so viel Schnee lag wie schon ein paar Wochen zuvor. Ich fror immer mehr und ich wurde schwächer. Ich stand immer seltener auf und die Zeiten wo ich schlief oder döste wurden länger. Meine Träume waren meistens wirr, doch es gab auch schöne Träume. Träume wo ich mit Dai auf der Jagd ging oder sie sich über meine Kochkünste beschwerte oder wo wir gemeinsam abends zusammen in meinem Schlafplatz lagen und Geschichten aus einem der wenigen Bücher, die wir von Jake erhielten, lasen. Ich hatte auch Träume wo ich Mallen wiedersah. Wir streiften gemeinsam mit Zisko durch die Wälder und kletterten die höchsten Bäume mit den schönsten Aussichten hinauf. Wir hatten viel Spaß und ich hatte in diesen Träumen sogar gelacht. Mit der Zeit schienen die Träume auch immer intensiver zu werden und mir fiel es immer schwerer die Träume von der Realität zu unterscheiden.

Es war so kalt und ich hörte Mallen irgendwann immer wieder mit Angst und Besorgnis nach mir rufen. Warum hat sie denn Angst um mich? Hell, es wurde mit einem Mal heller. Dann hörte ich sie wieder laut nach mir rufen. Mallen schien, nach der Lautstärke zu urteilen, nun auch ganz nah zu sein. Ich konnte mich in dem Traum in dem ich mich befand nicht rühren. Ich wollte ihr zurufen, dass ich hier bin und das sie keine Angst haben musste, dass alles gut war. Aber nichts war gut. Ich konnte nichts sagen, ich konnte mich nicht bewegen, ich war völlig erstarrt. Wahrscheinlich lag es an der Kälte. Ich musste irgendwie zu einem Eisblock oder sowas gefroren sein. Seltsamer Traum. Plötzlich hörte ich jedoch Mallen erleichtert meinen Namen rufen "Rota! Endlich..!" Nach dieser anfänglichen Erleichterung klang sie aber wieder besorgt und sie rief "Mein Gott.. Rota! Was.., was ist mit dir passiert...?" Dann endlich schaffte ich es meine Augen zu öffnen und ich sah Mallen vor mir. Ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck voller Angst und Besorgnis. In dem Moment wo ich sie jedoch ansah, verschwand der angstvolle Ausdruck schnell wieder aus ihrem Gesicht und ein vertrautes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Sie schien irgendwie verändert.., sie wirkte.. älter.., ja, älter.. und.. schöner als jemals zu vor. Dann schloss ich die Augen jedoch wieder und ich verlor diesen Traum und fiel wieder in einem dieser anderen wirren Träume, dorthin wo es vielleicht auch nicht so kalt war. Ich kehrte jedoch auch immer wieder zu diesem seltsamen Traum zurück. Einmal sah ich Mallen mit Holzgestrüpp in den Armen kommen. Ich wollte ihr sagen, dass ich hier bin und das mir so kalt ist. Konnte jedoch immer noch kein Wort herausbringen. Ein anderes Mal war sie ganz dicht bei mir und es fühlte sich so an, als ob sie meine Füße und Waden massierte. Sie tat mir weh, aber es fühlte sich danach dort etwas besser und wärmer an. Ein anderes Mal hörte ich sie auf einmal laut jubeln. "..JA... ja.... JAAH... ENDLICH! ES BRENNT! Verflucht nochmal! Es brennt! Endlich!" Ich dachte ebenfalls.., Feuer, ja.., das ist gut.., Feuer ist schön warm. Wieder später spürte ich ihre Hände an meinem Kopf. Sie fühlte sich so warm an. Sie hob meinen Kopf zu sich auf ihren Schoß und gab mir etwas an den Mund.
"Rota, du musst etwas essen. Mach dein Mund auf.., bitte.., mach doch bitte.. eben dein Mund auf..!" Ich machte natürlich was sie sagte und schluckte, was auch immer es war, herunter. Ist das alles ein Traum oder passierte das gerade wirklich. Es fühlte sich so echt an. Dann.., war ich wieder woanders. Mallen sang und redete ständig vor sich hin. Und dann hörte ich sie sagen: "Himmel! Wie du riechst...! Das müssen wir ändern.. und du hilfst mir dabei.., ja? Rota..? Wach auf..! Bitte..! Wach auf..!"
Irgendwann sah ich Mallen wieder. Zog sie mich gerade aus? Dann wieder etwas später lag ich völlig nackt vor ihr und sie schien mich mit einem heißen Lappen.. zu waschen und mich dann überall durchzukneten und zu massieren. Dann.., war ich wieder woanders.... und wieder später........... …wieder.. in der Höhle! Ich sah Mallen! Sie saß gerade hockend vor dem Feuer und legte Holz nach. Als sie genug nachgelegt hatte, stand sie auf und schaute zu mir herüber..
"Rota.., bist du.." Ich wollte was sagen, aber ich war noch zu schwach. Ich schloss daher nur kurz die Augen und öffnete sie wieder. Sie atmete nun erleichtert aus, schloss für einen Moment ihre Augen und dann kam sie mit einem strahlenden Lächeln zu mir gelaufen und umarmte mich.
"Rota! Endlich! Du bist wieder wach! Ich hatte solche Angst! Was.., was ist passiert? Oh Rota.., bin ich froh das du wieder da bist!"
Ich versuchte etwas sagen. War aber dafür noch zu schwach. Das einzige was ich herausbrachte war ein unverständliches Gestöhne. Mallen umarmte mich wieder und schüttelte dann mit dem Kopf.
"Ist schon gut.., du musst jetzt nichts sagen! Du erholst dich erstmal und wir reden dann morgen.., ja? Ich.., ich bin selber viel zu erschöpft um noch irgendetwas zu machen oder zu sagen.."
Sie stand nun wieder auf und dann tat sie etwas, wovon ich in meinen kühnsten Träumen nicht gewagt hätte zu träumen. Sie zog sich ihre Kleider aus und legte sich schließlich zu mir unter die Decke. Mir stockte der Atem und mir schien mit einem Mal wieder alles unwirklich zu werden.
"Du musst wissen..., " sagte sie flüsternd "..das Beste was man bei einer Unterkühlung machen kann, ist der Austausch von Körperwärme. Das habe ich von meinem Studium in Heilkunde gelernt. Also.."
Sie schmiegte sich wie selbstverständlich ganz nah hinter mir an meinem Rücken und legte ihren linken Arm um meine Hüfte. Ich spürte nun ihre Haare und ihre warme und weiche Haut an meinem Körper. Ich nahm ihren anziehenden und bezaubernden Duft wahr. Mein ganzer Körper begann nun wieder lebendig zu werden. War ich im Himmel oder passierte das gerade wirklich. Es war jedenfalls die mit Abstand aufregendste und schönste Nacht die ich in meinem Leben bisher je erleben durfte.

Wiedersehen

//Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist. Mich interessiert, was getan werden muss.\\
Marie Curie

Essenz:
-Mallen und Rota erstellen einen Plan-

Obwohl ich eine lange Zeit nicht schlafen konnte, weil ich diese vielleicht nur kurze Zeit mit Mallen einfach nur bis zur letzten Minute genießen wollte, schlief ich doch irgendwann ein. Am nächsten Morgen erwachte ich und fragte mich wieder, ob ich das alles nicht doch nur geträumt hatte. Aber dann spürte ich Mallens warmen weichen schönen Körper an meiner Haut. Sie lag immer noch, genauso wie gestern, eng angeschmiegt hinter mir an meiner Seite. Das fühlte sich zu real an, als das es nur ein Traum sein konnte. Mallen schlief noch immer tief und fest. Mir gingen nun viele Fragen durch den Kopf. Wie lange lag ich hier schon? Ich fühlte mich so schwach und ausgemergelt. Es musste daher schon eine sehr lange Zeit gewesen sein. Warum habe ich es nur soweit kommen lassen? Und jetzt ist Mallen hier.., hier bei mir..! Das ändert vieles. Aber warum ist sie überhaupt hier und warum gerade jetzt? Ich drehte mich nun langsam mit Schmerzen zu ihr um. Sie wurde nun ebenfalls wach. Mein Herz klopfte heftig. Dann wurde mir plötzlich bewusst, dass auch ich ja völlig nackt war. Sie hatte mich wohl, als ich mich teilweise im bewusstlosen Zustand befand, gewaschen und meine Muskeln massiert. Obwohl ich mich körperlich schwach und leer fühlte, konnte ich mich nicht dagegen wehren und ich wurde erregt. Ich glaube nicht, dass sie meine Erregung spürte und wenn, dann ließ sie sich jedenfalls nichts anmerken. Sie schaute mich nun an und lächelte.
"Hallo Rota.." sagte sie nur.
"Hallo Mallen!"
Wir hatten uns so lange nicht mehr gesehen, hatten vielleicht beide auch die Hoffnung schon aufgegeben, uns je wieder zu sehen und nun lagen wir plötzlich beide zusammen nackt unter einer Decke.
"Wie geht's dir jetzt?" fragte sie nun.
"Dank deiner Behandlung.., bin ich wieder hier.. und der Rest von mir.., wird denke ich auch noch kommen." antwortete ich schwach.
"Was ist mit dir passiert?" fragte sie nun.
"Das.., ist eine lange Geschichte und auf vieles bin ich nicht gerade stolz. Aber sag du mir erstmal, wie kommt es das du hier bist und wie du überhaupt hier hergefunden hast?"
Mallen lehnte sich zurück und fing an zu erzählen.
"Vor drei Tagen hatte ich in Tenna erstmals davon erfahren was sich in Kaven unglaublicher Weise ereignet haben soll. Es war in Tenna das Gesprächsthema überhaupt! Man erzählte sich, dass ein mordlustiger, teuflischer Junge, den man zum Teufel gejagt hatte, entgegen aller Erwartung in der Wildnis überlebt haben soll. Ein Trupp von fünf Soldaten soll diesen Jungen zufällig in der Wildnis entdeckt haben. Von den fünf Soldaten kehrte jedoch nur ein einziger wieder zurück. Man nimmt an, dass die anderen Soldaten wohl auf mysteriöser Weise von diesen Jungen getötet wurden. In Kaven beschloss man kurz darauf, einen Trupp von sechs oder sieben erfahrenen Soldaten mit Spürhunden nach diesem Jungen suchen zu lassen um ihn dann festzunehmen und zurück nach Kaven zu bringen und ihn dann für diese Taten erneut zu verurteilen. Dieser Trupp kehrte aber auch nie wieder nach Kaven zurück. Unglaublicher weise soll dieser Junge, den man nur noch den roten Teufel nennt, etwa eine Woche später nachts nach Kaven gekommen sein und soll dort ein regelrechtes Blutbad angerichtet haben. Er terrorisierte angeblich dort eine Familie namens Grat und tötete den Vater und den Sohn. Die Mutter ist völlig verstört und befindet sich in einem Schockzustand. Zwei weitere Wachsoldaten sollen ebenfalls auch noch von diesen Jungen getötet worden sein.

Ich war natürlich froh, dass du noch lebst. Aber.., hat sich das alles wirklich so zugetragen? Ich kann das irgendwie nicht glauben, dass du das alles getan hast und überhaupt.., warum?"

Ich wollte eigentlich ungern darüber sprechen und fühlte mich noch zu schwach dafür, aber ich wollte auch das Mallen mich versteht.
"Es ist wahr und hat sich so ereignet, wie du es mir gerade erzählt hast." Antwortete ich schließlich.
"Aber wieso bist du nach Kaven gegangen und hast diese ganzen Menschen getötet? Aus Rache?"
Ich schaute sie nun in die Augen und nickte. "Ja, letztlich war es wohl nur Rache gewesen." Schließlich erzählte ich ihr, mit schwacher Stimme, meine ganze Geschichte. Ich erzählte ihr von den Lügen im Tribunal, wie Jake mir geholfen hatte. Ich erzählte ihr wie ich auf Dai gestoßen bin, wie ich sie befreite und wie gut wir uns verstanden hatten. Und schließlich erzählte ich ihr auch wie Dai getötet wurde und ich schließlich das tat, was ich getan habe. Mallen legte nun sanft ihre Hand auf meine Wange und schaute mich nachdenklich und traurig an. Mein Herz schlug wieder schneller und ich musste schlucken.

"Es tut mir sehr leid, was sie dir und deiner kleinen Freundin Dai angetan haben. Du hast damit sicherlich genug Gründe gehabt, dass du das getan hast, was du aus deiner Sicht tun musstest. Ich wünschte ich wäre damals bei Euch gewesen und hätte Euch irgendwie helfen können."
Es herrschte nun eine für mich etwas beklemmende Stille zwischen uns und wir waren uns so nah.. Ich hätte sie in diesem Moment am liebsten geküsst, aber dann redete Mallen doch wieder weiter.
"Ich wollte eigentlich schon viel früher zu dir kommen, aber mir fehlte letztendlich immer der Mut dazu. Aber der Grund warum ich jetzt tatsächlich hier bin, ist Jake. Denn ich hörte in Tenna auch, dass Jake Tage zuvor wohl nachts in der Wildnis gefasst und festgenommen wurde. Er wird verdächtigt dir geholfen zu haben und sitzt nun, wie du damals auch, im Kerker von Kaven und wartet auf seine Verurteilung. Da Jake mir damals noch genau beschrieben hatte, als du vertrieben wurdest, wo diese Höhle liegt und ich dich finden kann, habe ich mich noch am selben Tag nachts allein auf den Weg zu dir aufgemacht. "

Wusste Mallen noch gar nicht, das Jake nicht mehr lebte?
"Jake ist tot!" sagte ich nur.
"Jake ist tot? Wieso soll er tot sein? Wann...? Und woher weißt du das?"
Ich erzählte ihr schließlich wie und von wem ich diese Information erhalten hatte.

"Glaubst du das? Glaubst du wirklich was Jaden dir kurz vor deinem.. drohenden Ende gesagt hat?" fragte sie mich nun und sah mich dabei eindringlich an.
"Jaden war ein niederträchtiges Großmaul! Ich glaube eher, dass er dir einfach nur noch eine, ja.., schockierend schlechte Nachricht mit auf den Tod geben wollte. Mehr nicht. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Jake tot ist!"
Mallen war sichtlich erschrocken und entsetzt über meine Behauptung. Da war mehr als nur Freundschaft zwischen Mallen und Jake, das war mir spätestens jetzt klar geworden. Aber an dem, was Mallen sagte, könnte wirklich etwas dran sein. Jaden war gemein und niederträchtig genug um solche Lüge zu äußern. Hoffnung keimte in mir auf.
"Vielleicht hast du Recht, Mallen. Dann, verdammt, lass uns keine Zeit verlieren!".
Sie lächelte und dann nahm sie mein Gesicht in ihre beiden Hände und küsste mich direkt auf den Mund. Ich erstarrte und fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Sie grinste.
"Dafür liebe ich dich!" Sagte sie, stand auf und zog sich ohne irgendwelche Scham ihre Kleider an.
"Ich werde uns Beiden erst mal etwas zu Essen zubereiten und vielleicht versuchst du schon mal wieder aufzustehen und dich zu bewegen. Oder? Was meinst du?"
Ich nickte nur und versuchte erst mal wieder klare Gedanken zu bekommen.

Mallen hatte noch Brot und genügend Dörrfleisch in ihrer Tasche und ich hatte noch reichlich Zucker und Mehl in meinem Lager gehabt. Ich schaffte es aufzustehen, mich sogar selbständig anzuziehen und ein paar Schritte zu machen. Ich fühlte mich zwar schwach, aber wenn ich mich zu etwas zwang, tat mein Körper das, was ich wollte. Wir aßen schließlich. Mallen hatte es sogar geschafft wieder ein Feuer zu machen. Mallen redete dabei unablässig. Sie erzählte was sie alles in Tenna erlebt hatte, dass sie sich speziell für das Studium der Heilkunde interessierte und ihre Chancen sogar ziemlich gut waren diese Ausbildung auch zu bekommen und.. vieles mehr.

Irgendwann fragte ich sie, wie nun ihre Beziehung zu ihrem Vater sei.
"Mein Vater hat mich damals mit Gewalt von Kaven nach Tenna verschleppt. Er sagte er wollte mich nur vor dir beschützen und ich ihm eigentlich dankbar sein müsste, wenn ich nur wüsste, was er wüsste. Er hat mir aber nie gesagt was das wäre. Aber ich.., ich glaube ihm das nicht, denn ich kenne dich und du.. bist nicht so.., du magst vielleicht anders sein wie die anderen, aber ich denke du bist im Kern ein guter Mensch. Ich habe seit dem auch nie wieder ein Wort mit ihm gesprochen.."
Ich musste schon etwas schlucken als Mallen das sagte. Ich.., ein guter Mensch?
"Wenn ich es aber nun aus der Sicht deines Vaters betrachte, dann hatte er in gewisser Weise vielleicht auch Recht. Tatsache ist, ich habe viele Menschen getötet und habe vielen anderen damit auch Kummer bereitet. Und so wie es aussieht, bringe ich nun offensichtlich auch dich in Gefahr. Von daher.., hatte dein Vater wohl nicht ganz unrecht und ich bin tatsächlich nicht gut und sogar gefährlich für dich."

Mallen stand nun auf und hockte sich ganz dicht vor mir hin. Sie nahm meine rechte Hand in ihre Hände und schaute mir nun in die Augen. Mein Gott.., wie schön sie ist.. Ich schluckte. Ihr Anblick verunsicherte mich wieder und ich fragte mich abermals, was so ein Mädchen wie Mallen nur von mir wollte.
"Hör mir zu Rota! Ja.., du magst Menschen getötet haben. Aber.., du hast es letztlich doch nur getan, weil du um ein lebenswertes Leben, also um dein Leben, gekämpft hast! Oder nicht? Du hast doch nur das getan, was du in den jeweiligen Momenten für richtig gehalten hast. Du hast um deinen Platz auf dieser Welt gekämpft und das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung so und verdient aus meiner Sicht sogar Respekt. Außerdem glaube ich, dass ich an deiner Stelle vermutlich das Gleiche getan hätte, wenn ich es gekonnt hätte. Davon mal abgesehen will ich ab jetzt auch nur noch das tun, was ich für richtig halte!" Dann stand sie wieder auf und setzte sich wieder zu ihrem Platz.
"Und jetzt hältst du es für richtig Jake aus dem Kerker zu befreien. Egal was kommt?" Fragte ich nun.
"Genau!" Antwortet sie kurz und knapp und mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
"Und, wie ist dein Plan?" Fragte ich.
"Du.., bist mein Plan!" Antwortete sie nur.
"Also.. Ich habe mir eigentlich nie richtig einen Plan gemacht." Erwiderte ich nun ebenfalls mit einem leichten Grinsen.
Fing jedoch nun aber darüber nachzudenken.

"Die Zitadelle nachts zu überfallen, um in den Kerker zu gelangen, wird schwierig werden, da die schweren Tore der Zitadelle am Abend geschlossen und erst morgens wieder geöffnet werden. Von daher werden wir nur tagsüber in die Zitadelle gelangen können und ich denke die beste Zeit dafür wird morgens sein, kurz nach der Öffnung der Tore. Ich denke, dass die Wachstube am Tor auch immer nur mit einem oder zwei Leuten von der Stadtwache bewacht wird. Wir werden diese Wachsoldaten dazu bewegen müssen uns zur Zitadelle zu folgen oder wir werden sie oder, falls es nur einer ist, dann gleich unschädlich machen müssen. Das bedeutet wir müssen am besten auch beide bewaffnet sein. Kannst du mit Pfeil und Bogen umgehen?"
Mallen schüttelte den Kopf. "Nein, nicht wirklich."
"Dann bekommst du eine Armbrust. Davon habe ich noch mehr als genug hier rumliegen. Unser Vorteil ist, wenn es schneit, werden wir mit den Waffen auch nicht so schnell erkannt werden und wie es momentan aussieht, könnte es auch morgen noch schneien. Tja, und wenn wir dann durch das Tor sind, werden wir in die Wachstube der Zitadelle gelangen. Was uns da aber letztlich erwarten wird, weiß ich nicht und können wir somit nur erahnen.. Kann sein, dass die Wachstube nur schwach besetzt ist, was sehr gut möglich ist, wenn man die Verluste der Stadtwache der letzten Wochen bedenkt.. Aber wir dürfen uns darauf nicht verlassen. Das einzige worauf wir uns verlassen können ist, dass es auf jeden Fall gefährlich werden wird und wir mit allem rechnen müssen. Wenn wir das aber tatsächlich geschafft haben und wir den Kerkermeister dazu gebracht haben Jakes Zelle zu öffnen, werden wir, denke ich, am besten hierher wieder zurückkehren.."
Mallen sah mich gebannt an und sagte schließlich: "Du musst mir nur noch zeigen wie man mit dieser.., dieser Armbrust überhaupt umgeht. Ansonsten.., wann brechen wir auf?"

Befreiung

//Niemand kann zurückgehen und einen neuen Anfang machen. Aber jeder kann jetzt anfangen und
ein neues Ende machen.\\
-Carl Bard-

Essenz:
-Rota und Mallen setzen ihren Plan in die Tat um, mit desaströsen Folgen-

Wir machten uns dann sehr spät in der Nacht auf, um Kaven früh morgens zu erreichen. Ich hatte Mallen noch gezeigt wie man mit der Armbrust umgeht und sie erwies sich als ziemlich talentiert. Sogar das Einspannen eines Bolzens ging ihr ziemlich flink von der Hand. Um in Kaven nicht gefährlich aufzufallen bedeckten wir mit Decken noch unsere Waffen. Es schneite, was vielleicht für die Tarnung sogar ganz gut war. Denn weil es schneite konnten wir unsere Kapuzen unserer Mäntel über unsere Köpfe ziehen und waren damit nicht so leicht zu erkennen. Ich fühlte mich immer noch ziemlich schwach, aber ich vertraute auf meine außergewöhnlichen Kräfte. Wir erreichten bei Tagesanbruch schließlich Kaven. Der Schnee war feucht und es war nebelig. Mallen und ich waren ziemlich durchnässt und froren. Wir gingen, trotz der Gefahr, dass dieser nicht mehr sicher war, wieder durch den Tunnel. Aber, wie auch bei meinem letzten Besuch in Kaven, wurden wir nicht aufgehalten. Scheinbar war der Tunnel doch nicht entdeckt worden und war demnach wohl doch noch sicher. Mallen war den ganzen Weg nach Kaven ungewöhnlich ruhig gewesen und jammerte auch kein einziges Mal über die Strapazen. Sie war konzentriert und zielstrebig.. stellte ich bewundernswert fest.

Als wir schließlich den Brunnen erreichten und die Leiter nach oben gestiegen waren, merkten wir sofort, dass irgendetwas hier in Kaven nicht stimmte. Es war ungewöhnlich still. Es war zwar noch sehr früh, aber für gewöhnlich waren um diese Zeit schon viele Bürger von Kaven wach und gingen ihrer morgendlichen Arbeit nach. Schließlich sahen wir den Grund. An einigen Häusern flatterten schwarze Tücher und Fahnen an den Häusern. Schwarze Tücher.., mussten und das wurde überall in den Schulen des Bundes gelehrt, dann an einem Haus angebracht werden, wenn der Virus Krass in diesem Haus ausgebrochen war und dort wütete. Mallen schaute mich nun entsetzt an. "Die schwarzen Tücher! Rota!"
Ich nickte nur. Es mochte zynisch sein.. ja, aber ich dachte in diesem Moment auch, dass dies für unser Vorhaben vielleicht auch ganz nützlich sein konnte. "Lass uns weiter gehen.. Mallen, und das tun weswegen wir hierhergekommen sind."
Sie nickte und wir machten uns weiter auf den Weg zur etwa noch vierhundert Schritt weit entfernt liegenden Zitadelle von Kaven.

Als wir schließlich ankamen, war alles so wie wir es eingeplant hatten. Die Tore wurden gerade geöffnet und das Wachhaus am Tor wurde glücklicherweise auch nur mit einem Wachsoldaten bewacht. Wir atmeten nun beide tief durch und schauten uns an.
"So hier sind wir jetzt...! Bist du bereit?"
Mallen atmete nochmal tief durch und nickte schließlich. "Ja.., wenn du bereit bist.." Ich nahm nun die Decke von meinem Bogen und spannte einen Pfeil in meinen Bogen und machte mich nun auf dem Weg zum Wachhaus am Tor der Zitadelle. Mein Herz klopfte wieder wie wild. Das wird schon.., versuchte ich mich zu beruhigen. Es kommt.., wie es kommt!

Der wachhabende Soldat, ein kleiner aber kräftiger Mann im mittleren Alter und mit einem langen Bart nahm uns, wie vermutet, aufgrund des Nebels und des Schneefalls tatsächlich auch erst sehr spät wahr. Ich stellte mich schließlich mit gespanntem Bogen bedrohlich vor ihm.
"Eine einzige Bewegung und du bist tot!" Sagte ich so ruhig und unbekümmert ich es in meiner Verfassung noch konnte. Mallen blieb hinter mir und bedrohte ebenfalls mit ihrer geladenen Armbrust diesen Wachsoldaten. Er erkannte mich sofort und dies schien auch seine Wirkung zu haben. Er erschrak.. und rief noch.. "Teufel!" Dann hob er aber sofort seine Hände hoch und ergab sich.
"Bleib schön von der Bimmel weg.., dann passiert dir auch nichts. Okay? Und nun verrate uns erst mal wie viele von euch sich in der Zitadelle befinden?"
Der Soldat überlegte.. und überlegte.. Ich wurde ungeduldig. "Sind es drei..! Sind es vier..! Verdammt.. WIE VIELE!!" Brüllte ich ihn nun an und drohte ihm nun ganz dicht mit meinem Pfeil vor seinem rechten Auge.
"Es.., es sind nur.. nur zwei!" Sagte er schließlich.
"Solltest du gelogen haben, dann bist du erledigt.. klar?! So, du kommst jetzt mit uns.. und.., hör gut zu.., du lässt dir auf dem Weg nichts anmerken. Hast du mich verstanden? Du läufst langsam voraus, läßt dir nichts anmerken und dir wird nichts passieren. Und jetzt los!"
Er blieb immer noch stehen und schien mich wohl nicht richtig verstanden zu haben. "Ich sagte.. LOS jetzt!" Dann endlich bewegte er sich, zwar unsicher, aber er lief langsam Richtung Eingangstür der Zitadelle. In sicherem Abstand und ohne die Waffen auf ihm zu richten folgten wir ihm verdeckt. Als wir dann die Tür zur Zitadelle erreichten, blieb er stehen.
"Tür aufmachen und langsam reingehen.." sagte ich nun leise. Dann öffnete er die Tür und ging rein.

"Ja.., sagen sie.., sind sie denn wahnsinnig! Sie haben Wache! Soldat!" Hörten wir daraufhin jemanden im Korridor vor der Wachstube der Zitadelle brüllen. Als wir dann schließlich eintraten bekam der andere wachhabende Soldat, der soeben den eintretenden Wachsoldaten angeschrien hatte, große Augen. Er war eine wirklich imposante Erscheinung, ein Riese mit einem mächtigen Schmerbauch. Diesen Mann kannte ich. Ich durfte ihn bei meinem damaligen Aufenthalt hier im Kerker bereits kennenlernen.
"Was ist hier los? Wer seid ihr?" Als ich meine Kapuze abnahm, wurde er kreidebleich. "Der.., der rote Teufel..!"
Mallen wechselte nun ihre Position und richtete nun ihre Armbrust auf diesen wachhabenden Soldaten.
"Na du Pisser! Erinnerst du dich an mich..?" Ohne darauf eine Antwort zu erwarten fragte ich weiter: "Wo ist der Kerkermeister?"
Keine Antwort. Dann plötzlich machte es ...//Zong\\. Ein Bolzen schoss direkt aus der Wachstube und flog direkt auf mich zu. Ich hatte keine Chance mehr auszuweichen.
"ROTA!! Nein..! NEIIIN..!! " hörte ich Mallen schreien.
Ein Bolzen steckte nun mitten in meine Brust. Genau an der Stelle wo auch Dai tödlich getroffen wurde. Erst spürte ich nicht viel. Danach folgte jedoch ein beklemmendes Druckgefühl in meinem ganzen Körper und das Atmen fiel mir plötzlich sehr schwer. Ich sah Mallen an und Mallen starrte mich ensetzt an. Dann plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck zu einem Ausdruck zügelloser Wut. Sie wirbelte nun mit einer gekonnten Drehung sich wieder dem wachhabenden Soldaten zu und schoss ihm ihren Armbrustbolzen in die Brust. Anschließend ließ sie ihre Armbrust fallen, zog ihr Messer und rannte damit in die Wachstube. Ich wollte es verhindern und Mallen hinterherschreien, dass sie das nicht machen sollte, aber mir fehlte die nötige Luft dazu. Dann plötzlich versuchte der erste Wachsoldat mit dem langen Bart auch noch zu flüchten. Mir blieb keine andere Wahl. Reflexartig spannte ich mit schrecklichen Schmerzen in der Brust meinen Bogen, zielte und schoss meinen Pfeil in den Rücken des flüchtenden Wachsoldaten. Er schrie und kreischte vor Schmerzen laut auf. Ich legte so schnell es ging einen neuen Pfeil auf und bewegte mich schwer atmend zur Wachstube hin. Mallen kämpfte tatsächlich mit dem Kerkermeister, einem alten aber noch ziemlich rüstigen Mann. Er war jedoch stärker und warf sie gerade zu Boden. Mallen verlor das Messer aus der Hand.
"Aufhören!" Schrie ich mit aller Kraft die ich noch aufbringen konnte und zielte mit meinem gespannten Pfeil im Bogen direkt auf des Kerkermeisters Kopf. Er sah mich jetzt und schien noch zu überlegen. Dann aber hob er schließlich die Hände. Mallen stand auf, Tränen liefen ihr die Wangen runter. Sie schaute mich mit Entsetzen an. Dann drehte sie sich wieder zum Kerkermeister und trat mit voller Wucht ihren Fuß in das Gesicht des Kerkermeisters. Er flog mit seinem Kopf gegen eine im Raum stehende schwere Truhe und war dann erst mal außer Gefecht.

Mallen wendete sich wieder mir zu, schaute auf meine Brust und dann wieder mich an. Ich legte mich nun auf den Boden. Dann kam sie weinend zu mir gelaufen.
"Rota..! Du bist stark.. und du wirst das überleben, wir werden das irgendwie wieder hinbekommen.. Wenn einer das schafft, dann bist du das.." Das Atmen war das Schlimmste für mich. Die Schmerzen nahmen stetig zu und wurden immer unerträglicher. Schmerzen kommen und gehen auch wieder, dachte ich wieder.
"Mallen. Nimm.., nimm deine Armbrust und.. und bring ihn dazu.." ich zeigte nun auf den Kerkermeister ".. Jake zu befreien. Ich.., ich warte hier.."
Mallen nickte mir zu und küsste mich auf die Wange. "Ja, du hast Recht. Ich hole Jake.., du wartest hier und ich komme mit Jake gleich wieder zurück.."
Dann wendete sie sich wieder dem Kerkermeister zu. "Aufstehen! Steh auf!!" Fauchte sie ihn an. Er rührte sich nicht oder wollte sich von ihr nichts sagen lassen. Dann tat sie aber etwas, was mich dann doch wieder überraschte. Sie schoss mit ihrer Armbrust einen Bolzen in das Bein des Kerkermeisters. //Zong\\ Er schrie auf und fluchte wie wild. "HAST DU MICH JETZT VERSTANDEN!!!" Brüllte sie ihn nun an und lud einen weiteren Bolzen in die Armbrust.
"Wo sind die Schlüssel?"
Das schien der Kerkermeister nun zu verstehen. Er stand nun mit Mühe und Schmerzensschreie auf und zeigte schließlich Mallen wo die Schlüssel waren. Sie lagen in einem Schlüsselschrank an der Wand.
"So du Holzkopf! Jetzt nimmst du die Schlüssel, die du brauchst um die Zelle von Jake Flanders zu öffnen. Kapiert?!"
Der Kerkermeister holte nun ein paar Schlüssel aus dem Schrank und fragte: "Und jetzt?"
Mallen verpasste dem Kerkermeister nun einen Tritt in das Bein, wo der Bolzen steckte. Der Kerkermeister heulte nun vor Schmerzen auf.
"Was meinst du wohl.., du Schwachkopf..? Los vorwärts!" Dann verschwanden sie durch die Tür, die zum Kerker der Zitadelle führte. Ich wäre gern mitgegangen, aber ich musste meine Kraft nun gut einteilen. Ich wollte noch nicht sterben. Ich wollte überhaupt nicht mehr sterben. Nicht jetzt..! Ich hatte doch gerade erst mein Leben wieder zu lieben gelernt. Warum gerade jetzt? Aber vielleicht kann Mallen mir helfen, sie kennt sich ja in der Heilkunde gut aus. Außerdem kann ich ja Schmerzen sehr gut aushalten und habe doch diese ungewöhnlichen Kräfte.. Das muss doch irgendeinen Sinn haben! Das kann doch nicht einfach so zu Ende gehen! Ich wünschte ich könnte diesen Bolzen einfach herausziehen und alles wäre wieder gut. Aber dieser steckte fest in meiner Brust und ich wagte diesen Bolzen noch nicht einmal anzufassen.

Dann nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich endlich Mallen nach meinen Namen rufen. "Rota... halte durch! Ich habe Jake! Wir kommen!" Und dann sah ich sie. Mallen mit einem vom vielen Weinen verquollenes Gesicht und... Jake! Mallen hielt Jake stützend unter seinem rechten Arm. Jake sah ziemlich mitgenommen aus. Nein, schlimmer.., er sah tot krank aus! Sein Gesicht war voller roter Flecken. Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Nase war tief rot und völlig verschleimt. Dann sah Jake auch mich und er winkte mir unglaublicher Weise zu.
"Hallo Rota..! Du auch... im Club... der.., der Totgeweihten? Tut mir Leid.., ich wollte nicht.. mit.. aber.. aber dieses.. dieses wundersame Wesen hier.. hatte mich einfach.. mir nichts dir nichts… einfach mitgeschleppt. Ich hatte keine Chance."
Oh, nein! Nicht auch noch Jake und dann wurde mir noch etwas bewusst..
"Mallen..... oh nein...!" Das waren die einzigen Worte die mir noch über die Lippen kamen.

Leben und Tod

//Du kannst dir nicht aussuchen wie du stirbst. Oder wann. Du kannst nur entscheiden wie du lebst. Jetzt.\\
-Joan Baez-

Essenz:
-Krass-

Jake hatte das Krass und Mallen wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit nun ebenfalls mit dem Virus angesteckt haben. Ich musste jetzt aufstehen. Mallen hatte genug mit Jake zu tun. Aber Mallen kam mir dann doch zur Hilfe und half mir wieder hoch zu kommen. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte meine Schmerzen so gut es ging zu ignorieren.
"Wir gehen erst mal zu mir nach Hause!" Sagte Mallen nun entschieden.
Zu ihr nach Hause? Dort wo ihr Vater wohnt? Das kann ja interessant werden.., dachte ich nur. Ich war aber zu schwach um noch irgendetwas darauf zu sagen. Ich versuchte mich auf meine Schritte zu konzentrieren und mich so zu bewegen, dass die Schmerzen in meiner Brust mir nicht auch noch mein Bewusstsein nahmen.

Auf dem Weg musste ich immer wieder stehen bleiben und schwer nach Luft schnappen. Da Jake das Gehen aber noch schwerer fiel, half Mallen Jake beim Gehen, in dem sie ihn unter seinen Arm stütze. Sie liefen vor mir und wir verließen die Zitadelle und gelangten wieder nach draußen. Es schneite wieder kräftig, was gut war, denn das Bild was wir zu dritt auf dem Weg zu Mallens Zuhause boten, war schon ziemlich aufsehenerregend. Jake stöhnte und keuchte. Ich musste immer wieder anhalten und versuchte verzweifelt Luft zu bekommen. Schmerzen kommen und gehen wieder.., sagte ich mir ständig. Irgendwann erreichten wir dann aber endlich Mallens Zuhause.

"Nein..! Bitte nicht!" Hörte ich irgendwann Mallen dann entsetzt laut aufstöhnen. Dann sah auch ich es. Auch am Haus der Goldan's hing ein großes schwarzes Tuch vor der Tür. Mallen ging mit Jake im Arm halten trotzdem zur Eingangstür. Sie klopfte.., aber niemand kam. Dann drückte Mallen die Klinke nach unten und die Tür.. ging.. auf! Die Tür war nicht geschlossen. Erleichterung! Ich hätte wohl sonst keinen Fuß mehr vor dem anderen setzen können. Wir gingen schließlich rein. Die Räume des Hauses waren groß und sehr komfortabel eingerichtet. Mallens Vater scheint auch ein wirklich vermögender Mann zu sein. Wir gingen schließlich in die große Wohnstube. Hier gab es einen riesigen Kamin, in dem sogar noch Feuer brannte. Jedoch schien keiner hier zu sein. Mallen legte Jake auf die große gepolsterte Sitzbank ab und legte ihm eine Decke über. Er fror und zitterte am ganzen Körper. Dann kam sie zu mir.
"Rota, leg du dich hier hin.." Mallen hatte nun eine große Decke und Kissen auf dem Boden gelegt. Ich legte mich schließlich hin. Ich hatte mittlerweile viel Blut verloren und mir war mindestens so kalt wie Jake sich anhörte. Mallen zitterte ebenfalls und Panik lag in ihrem Gesicht. Sie legte noch eine Decke über mich und rannte anschließend in den Korridor.
"Vater! Vater bist du hier!" Rief Mallen. Ich meinte eine Stimme gehört zu haben. Daraufhin hörte ich Mallen die Treppe hochrennen und kurze Zeit später wie sie heulend immer wieder "Vater.." rief. Nach all dem was passiert war, liebte sie anscheinend immer noch ihren Vater. Irgendwann kam Mallen dann wieder nach unten und legte sich zu mir hin. Ihre Augen waren nun vom vielen Weinen ganz verquollen und rot. Sie schien irgendwie am Ende und völlig fertig zu sein.
"Was soll ich machen Rota? Ich kann dir nicht helfen. Der Bolzen.., er sitzt zu tief und zu fest. Dazu reicht das, was ich in Tenna gelernt habe, bei weitem nicht aus. Ich kann auch Jake nicht helfen. Ich würde euch so gerne helfen.., aber ich weiß nicht wie und was ich überhaupt machen kann?"
Ich hätte Mallen nur zu gern geholfen. Ich hätte alles getan, wenn ich nur gekonnt hätte. Das Einzige was ich jetzt nur noch konnte war hier zu liegen, versuchen so gut es ging noch Luft zu bekommen und nicht zu sterben.

Die Wohnzimmertür öffnete sich nun und Mallens Vater, Johnas Goldan, schlurfte keuchend und völlig entkräftet durch die Tür zu uns herein. Johnas Goldan, der mich verleugnet und mich letztlich zum Teufel gejagt hatte. Man sah ihm sofort an, dass er sehr krank war. Er hatte ähnlich rote Flecken, wie Jake. Sein Blick war traurig und niedergeschlagen.
"Ihr.. ihr.. braucht keine Angst zu haben. Ich werde euch nicht rausschmeißen oder euch verraten.. oder sonst was. Ich will nur das tun, was ich hätte schon längst hätte tun sollen.. Ich will mich.. für das entschuldigen was ich euch angetan habe." sagte er in einer ungewohnt leisen und heiseren Stimme und kam dabei langsam auf mich zu geschlurft. "..Insbesondere dir.., Rota. Ich weiß, es ist vermutlich überhaupt nicht mehr zu entschuldigen.., aber ich will es trotzdem tun." Er kniete sich nun zu mir herunter. "Rota..! Es tut mir Leid.., was ich dir angetan habe. Ich habe gelogen.., weil ich einfach nur Angst hatte. Angst um Mallen.. Es tut mir Leid.., es tut mir wirklich Leid.. Ich wünschte ich könnte es wieder.. gut machen... aber.. " Dann brach er weinend zusammen und setzte sich schließlich auf einen der herumstehenden Sessel. Ich wollte das nicht hören und hatte nun auch keine Kraft mehr um irgendetwas darauf zu antworten. Aber vielleicht war das auch ganz gut so und sollte so sein.

"Was können wir aber jetzt machen? Sollen wir nur noch warten, bis wir alle tot sind...?" Stellte Mallen verzweifelt nun die Frage mehr an sich selbst gerichtet als an uns.
"Gibt es denn gar nichts...?" Sie stand wieder auf und lief unruhig hin und her. Dann blieb sie auf einmal stehen.
"Obwohl.., wartet mal..., im Unterricht in der Heilkunde wurde einmal erwähnt, dass es sehr wohl eine Behandlung gibt das Krass zu besiegen. Bei dieser Behandlung überträgt man das Blut einfach von einem Menschen der das Krass überlebt hat auf einem der daran erkrankt ist. Die Aussichten diese Behandlung zu überleben sollen zwar sehr gering sein.., aber es hat demnach auch Fälle gegeben, wo die Behandlung wohl auch angeschlagen hat und Erkrankte den Virus damit überlebt haben. Es ist zu mindestens eine Chance.. und allemal besser als gar nichts zu machen.. und hier nur auf den Tod zu warten." Mallen ging nun zu ihrem Vater.
"Vater, kennst du jemanden, der das Virus früher einmal überlebt hat?"
Mallens Vater schüttelte begleitend mit einem rasselnden Hustenanfall gleich den Kopf. "Nein, ich kenne niemanden. Die, die den Virus damals überlebt hatten, hatten sich soweit ich weiß, erst gar nicht angesteckt..."
Ich aber.., ich hatte damals den Virus überlebt! Ich versuchte mich nun aufzurichten, um das zu sagen. Ich war aber zu schwach. Ich konzentrierte mich und versuchte meine Schmerzen zu ignorieren.. Dann endlich schaffte ich es mich doch aufzurichten und sagte das, was ich schließlich sagen wollte:
"Ich.. ich habe Krass überlebt…! Nehmt.., mein Blut.. ihr müsst mein Blut nehmen.. Mallen..., nehmt bitte mein Blut...!" Dann sackte ich schließlich wieder zusammen.

Was im Einzelnen danach genau passierte, wusste ich nicht. Mallen musste es irgendwie geschafft haben sich eine Injektionsspritze aus dem Kavener Hospital zu besorgen. Irgendwann spürte ich wie Mallen mir Blut abnahm. Mallen blieb die ganze Zeit immer ganz dicht bei mir. Sie redete unentwegt und streichelte und küsste mich immer wieder.
Am frühen Morgen des nächsten Tages fiel mir das Atmen immer schwerer und zunehmend verlor ich meine letzte Hoffnung auf eine wundersame Heilung. Ich wollte noch nicht sterben und ich fragte mich was mein Leben letztlich für ein Sinn gehabt haben soll. Ich habe mir die Frage nach dem Sinn des Lebens nie gestellt. Da ich mich aber jetzt wohl in einer ziemlich kritischen Situation befinde, scheint dies wohl eine der Fragen zu sein, die man sich dann scheinbar wohl stellt. Wenn ich den Sinn des Lebens aus der Sicht eines Einzelnen betrachte, ist es sicherlich sinnvoll ein glückliches Leben geführt zu haben. Habe ich ein glückliches Leben geführt? Gab es glückliche Momente in meinem Leben? Ja…., die gab es! Ich musste insbesondere an die schönen Zeiten denken, die ich mit Mallen, Dai und auch Jake hatte. Es waren zwar nur sehr wenige glückliche Momente im Vergleich zu meinem nicht glücklichen Leben gewesen, aber sie waren für mich lebenswert gewesen. Lebenswert genug, um mir selbst sagen zu können, dass ich mein Leben immer und immer wieder leben möchte nur um diese Momente wieder zu erleben.

Andererseits dürfte es für das Leben im Allgemeinen ohne Bedeutung sein ob man sein Leben nun glücklich oder unglücklich gelebt hat. Der Sinn des Lebens könnte demnach dann wohl eher die Entwicklung des Lebens selbst sein, also..., wie und wohin sich das Leben zukünftig entwickeln wird. Bedeutsam wäre demnach dann wohl, was wir im Leben hinterlassen und wie wir unser Leben gelebt haben. Habe ich das Leben, oder besser gesagt die Entwicklung des Lebens, etwas hinterlassen? Habe ich das Leben nach meinem Sinn oder im Gegenteil sogar gegen meinem Sinn beeinflusst? Ich habe vielen Menschen Angst und Kummer bereitet, was sicherlich nicht unbedingt in meinem Sinn war. Auch gab es sonst sicherlich noch vieles mehr, was ich eigentlich so nicht gewollt habe. Aber war es wirklich so falsch was ich getan habe und was ich vielleicht auch nicht getan habe? Was ist wirklich gut und was ist wirklich böse? Ich denke, daß das letztlich nur eine Ansichtssachte ist. Was für den einen gut ist, muss für den anderen noch lange nicht gut sein. Es macht aus meiner Sicht daher wenig Sinn sich darüber Gedanken zu machen. Entscheidender ist für mich eher, ob ich überhaupt versucht habe, das aus meiner Sicht Richtige zu tun.. und das..., denke ich, habe ich stets versucht. So gesehen könnte ich vielleicht sogar mit meinem Leben zufrieden sein und mein drohendes Ende hier auf dieser Welt etwas gelassener begegnen. Naja, und vielleicht lag der Sinn in meinem Leben ja auch einfach nur darin, Mallen und Jake durch mein Blut zu retten. Wer weiß, was das Leben mit den beiden noch vor hat..

Mir fehlte jetzt aber die Kraft noch weiter über den Sinn des Lebens und solche Dinge nachzudenken und ich habe große Mühe meine Augenlider noch offen zu halten. Ich schaute mich daher ein letztes Mal um. Ich sehe Jake und Jake sieht mich ebenfalls an. Er lebt und er sieht sogar etwas besser aus als gestern. Er hebt nun schwach seine Hand und winkt mir.. zum Abschied.. zu.

Schließlich sehe ich Mallen.
Sie schaut mich lächelnd und mit Tränen in den Augen an.
Ich staune wieder, wie schön sie ist.
Sie beugt sich jetzt langsam über mich.
Ihr Kuss ist warm.., weich.. und tröstlich.
Es war das Letzte, was ich im Leben noch spürte.
Ich schloss meine Augenlider.
Dann war nichts mehr.

ENDE


 
Nachwort / Warum ich eine Geschichte schrieb!

Die Gründe eine Geschichte zu schreiben sind sicherlich verschieden. Die einen möchten dem Leser etwas mitteilen, die anderen den Leser damit unterhalten, andere wiederum suchen vielleicht Bestätigung in ihren Werken, etc. Neben diesen Gründen eine Geschichte zu schreiben, war mein Grund sicherlich auch eine Art Selbsthilfe.

Ich hatte nie Selbstvertrauen in mein Schreiben gehabt. Meine Aufsätze in der Schule waren kläglich, immer mehr schlecht als recht. Sätze zu bilden fiel mir immer schwer und ich haderte oftmals lange über dem was und wie ich etwas schrieb. Mit einem Satz: Punkt, Komma, Strich das liegt mir einfach nicht. Von daher mied ich das Schreiben gerne. Obwohl das Wort "gerne" nicht richtig ist. Denn ich wollte ja gerne schreiben, konnte oder besser, meinte es nicht zu können.

Das fehlende Selbstvertrauen hatte ich nicht nur im Schreiben, sondern auch im Sprechen. Und wenn man ungern spricht und schreibt, dann fühlt man sich irgendwann wie ein vollgestopfter Schwachkopf, der mit dem ständigen Input, Input, Input... den er bekommt, irgendwann nichts mehr anfangen kann. Ich hatte das Gefühl innerlich irgendwie zu verstopfen oder anders gesagt zu verkümmern und das deprimierte mich.

Ich habe mir mein Problem dann irgendwann bewusst gemacht. Was mir fehlte war klar. Mir fehlte Selbstvertrauen mich zu äußern. Wie kann man also, in dem, was man vermeintlich nicht glaubt zu können, an Selbstvertrauen gewinnen? In dem man sich seinen Ängsten logischerweise stellt und einfach macht, was man meint nicht zu können. Ich entschied mich daher einfach erstmal eine Geschichte zu schreiben. Da mein Handy immer schnell zur Hand ist, entschied ich mich eine Geschichte auf meinem Handy zu schreiben. Der Anfang war, wie ich auch erwartet hatte, frustrierend und ziemlich behäbig.

Das Tippen mit dem Handy war an sich schon eine Herausforderung und dann auch noch eine Geschichte damit zu schreiben, wo ich mir fast bei jedem Satz gesagt habe, dass wird doch nichts. Aber ich blieb hartnäckig und wollte endlich einmal eine Geschichte bis zum Ende schreiben. Auch wenn ich noch gar keine Ahnung hatte wie die Geschichte überhaupt enden sollte. Entscheidend, denke ich, war für mein Durchhalten, dass es mir irgendwann egal war wie ich die Geschichte schrieb, ob schrottig oder nicht. Die Hauptsache war für mich, dass ich überhaupt was schrieb und dass ich mit der Geschichte vorankam.

Im Laufe der Zeit merkte ich, dass ich langsam Gefallen daran fand an dieser Geschichte zu schreiben. Obwohl mir natürlich bewusst ist, dass ich niemals ein guter Schreiber sein werde. Dafür habe ich einfach gesagt auch zu wenig Talent und mir fehlt einfach auch die langjährige Erfahrung mit Worten gut umzugehen. Aber mir machte es langsam immer mehr Spaß die Geschichte weiter zu schreiben. Frustmomente und Schreibblockaden gab es dennoch immer wieder. Es gab immer wieder Momente, wo ich meinte an meine Grenzen zu kommen. Der Grund war aber immer der Gleiche und zwar die Angst, die Geschichte die ich für mich dann doch langsam liebgewonnen hatte, zu vermasseln. Ich musste mir jedes Mal sagen, dass ich die Geschichte nur dann vermasseln konnte, wenn ich sie nicht zu Ende schrieb und das es nicht mein Ziel war etwas Tolles zu schreiben, sondern nur eine eigene Geschichte zu schreiben und das ohne meinen eigenen Anspruch zu erfüllen. Mein größtes Hindernis, so musste ich immer feststellen, war letztlich immer mein eigener Anspruch gewesen.

Erst als ich mir wieder bewusst gemacht hatte, dass ich nur für mich schreiben wollte, ohne jeden Anspruch, war es mir möglich weiter zu schreiben und letztendlich diese Geschichte überhaupt zu Ende zu bringen. Als ich letzten Endes meine Geschichte tatsächlich fertig geschrieben hatte, mit all diesen Rechtschreibfehlen, schiefen Sätzen und logischen Ungereimtheiten, stellte ich fest, dass mir die Geschichte trotzdem gefiel. Ich entwickelte nun den Ehrgeiz meine Geschichte noch zu verbessern, in dem ich die Fehler - so gut es ging - berichtigte und logische Ungereimtheiten so gut es ging umgeschrieben habe. Mit dem Ergebnis, dass ich nun sogar stolz auf meine selbstgeschriebene Geschichte bin.

Ich hoffe, dass Euch meine Geschichte zu mindestens etwas unterhalten hat und vielleicht Euch sogar inspiriert mal selbst eine Geschichte zu schreiben.

Mein Ratschlag, wenn ihr schreibt, dann lasst Euch nicht, wie bei mir es oft der Fall war, das Schreiben durch einen überhöhten Anspruch, den man an sich hat, zu vermiesen. Verbessern kann man danach immer noch..

counter3xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Wossi van Kitzelmaus am 20.08.2018:

Boah, das ist ja schon keine Kurzgeschichte. Das ist ja schon ein kleiner Roman. Und was für einer. Schön erzählt und in sich schlüssig. Die Rechtschreibfehler schleichen sich nun mal ein, bei der Länge. Leider hatte ich immer das Gefühl, dass die Geschichte zwischen Gegenwart und Vergangenheit schwankte. Kann es aber nicht an irgendwas fest machen. Aber die Geschichte hat mich gefesselt. Ich hätte nie gedacht, dass da jemand schreibt, der Probleme hat sich auszudrücken. Alle Achtung. Ich jedenfalls freue mich auf mehr aus deiner Feder und hoffe, dass da wirklich noch einiges kommt. 1a




geschrieben von Wossi van Kitzelmaus am 20.08.2018:

Ach übrigens, hatte ich jetzt doch glatt vergessen.: Auch ich schreibe unter anderen auf dem Handy, da ich es überall bei habe. Ich habe mir eine kleine Bluetooth-Tastatur geholt. Die passt in den Rucksack und ich kann im Bus und auf Arbeit leichter schreiben, als einfach nur auf dem Handy, was ich auch sehr mühevoll finde. Nur so als Tip vielleicht.




geschrieben von Wilhelm.wilts@gmx.de am 22.10.2018:

Danke!! Endlich mal ein Kommentar zu meiner Geschichte! Ich wollte gerade schon die Geschichte hier auf dieser Web-Seite löschen und sehe nun erst den ersten Kommentar. Danke! für die Kritik. Das mit dem Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit war mir selber schon bewusst. Irgendwie hatte die ganze Zeit Probleme damit gehabt.. Mittlerweile habe ich die Geschichte aber wiedermal überarbeitet und so manchen Fehler noch korrigiert. Auch habe ich noch so einige Ergänzungen geschrieben.. (Anfang.. und auch das Ende..). Danke nochmal für dein Kommentar!




geschrieben von abc_user am 12.03.2020:

Sehr ausführlich! Würde mich über noch eine Geschichte freuen. :)




geschrieben von BjarneP am 28.02.2023:

Ohauaha

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