Veröffentlicht: 01.09.2025. Rubrik: Aktionen
Das 20. Jahrhundert im Teppichfass (KI Lösung)
Niemand wusste mehr, woher es kam – das Teppichfass, wie es die Kinder nannten. Es stand einfach eines Morgens auf dem Hof des alten Lagerhauses in der Nähe der Bahnlinie. Eine bauchige Holzkonstruktion, mit Metallreifen zusammengehalten, in sich versponnen wie ein alter Weinfass-Torso, aber mit Teppichstücken überzogen: Perserteppiche, Flokatis, abgetretene Flickenteile, und irgendwo war sogar ein Stück IKEA-Läufer draufgetackert.
Es roch nach Geschichte. Und nach Mottenpulver.
Der Erste, der hineinging, war Paul – elf Jahre, immer auf der Suche nach Abenteuern oder verlorenen Dingen. Er kroch durch die niedrige Luke hinein und verschwand für drei Stunden. Als er wieder herauskam, war er blass, die Augen weit aufgerissen. „Ich war im Krieg“, sagte er nur. Dann ging er nach Hause und sprach wochenlang kein Wort.
Am nächsten Tag wagte es Lisa. Als sie zurückkam, war sie voller Fragen: „Warum schreien Leute, wenn die Mauer fällt? Und was ist eine Mondlandung?“ Ihre Eltern schauten sie nur verwundert an.
Bald wusste ganz Kleinwinzach von dem Teppichfass. Manche behaupteten, es sei ein Zeitportal, andere ein Kunstprojekt eines verrückten Historikers. Ein Lehrer schlug vor, es stamme aus dem Nachlass eines ehemaligen DDR-Agenten. Niemand wusste es genau.
Doch alle, die hineingingen, kehrten verändert zurück.
Ein alter Mann kroch hinein und kam lachend wieder heraus. „Ich hab mich selbst 1968 demonstrieren sehen – was für ein Idiot ich war!“ rief er, bevor er zum Bahnhof schlenderte und sich eine Fahrkarte nach Prag kaufte. „Etwas zu Ende bringen“, murmelte er.
Einmal versuchte die Stadtverwaltung, das Fass abzutransportieren. Doch als der Gabelstapler es anheben wollte, riss ein Reifen. Der Mann, der es versuchte, behauptete später, er habe in dem Moment Hiroshima gesehen.
Die Zeit verging. Das Fass blieb.
Im Jahr 2025 war es plötzlich leer. Kein Teppich mehr außen, kein Holz innen – nur eine Kuhle im Gras, als hätte jemand ein schweres Fass fortgetragen. Die Kinder sagten, es sei „weitergezogen“. Vielleicht ins nächste Dorf. Vielleicht in die Vergangenheit. Vielleicht in die Zukunft.
Manche sagen, wer lange genug am ehemaligen Platz des Teppichfasses sitzt, hört Stimmen – Radiobruchstücke aus alten Zeiten: Winston Churchills Stimme, Beatles-Songs, das Dröhnen von Bomben, das Knistern von Vinyl.
Andere sagen, das Fass hat das 20. Jahrhundert nur aufgesogen, wie ein Teppich den Staub – und ist nun auf der Suche nach dem 21. Jahrhundert.
Und Paul?
Paul spricht wieder. In Vorträgen. Über Geschichte. Aber er beginnt jeden mit denselben Worten:
„Ich habe das Jahrhundert gerochen, und es roch nach Schweiß, Rauch… und Mottenkugeln.“

