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geschrieben 2020 von eliasbaar.
Veröffentlicht: 22.02.2020. Rubrik: Unsortiert


Drei Fenster

Noch hatte sie Kleider an, als ich sie das erste Mal sah. Ob sie wohl noch etwas vorhatte, fragte ich mich. 9102 Rose, New York - die Straße, die niemals schläft. Das dämmrige, leicht rot leuchtende Licht auf meinem Nachttisch zeigte 02:23 Uhr. Es war ein Donnerstag. Etwas spät, um noch auszugehen. Oder war sie gerade erst gekommen? Ich entdeckte sie auf der anderen Seite der Straße, durch das linke der insgesamt drei Fenster, von denen ein helles, sanftgelbes Licht ausströmte, als hätte der Sommer gerade erst begonnen. Sie war wie ein frischer Gin Fizz im Sommer mit einem Hauch von Zitronenbitter. Ich spürte das Prickeln auf meiner Haut. Ich fühlte die Wärme. Doch draußen war es bereits dunkel und kühl geworden. Es wehte ein kalter Wind durch die Straße, in der wir beide lebten.

Ich wünschte zu wissen, ob sie verheiratet war. Sofern ich es von hier aus beobachten konnte, gab es keine Anzeichen für einen Mann in ihrem Leben. An der Tür hing eine rote Lederjacke, ihr Bett war gemacht. Hatte ich auf ihre Hände geachtet? Trug sie einen Ehering? Ich zuckte zusammen, als sie sich plötzlich zum offenen Fenster umdrehte, als hätte sie draußen jemanden gehört. Doch da war niemand, so sehr sie es sich auch wünschen mochte. Ich stellte mir vor, ihre Wohnung einmal von innen sehen zu können. Ich fragte mich, wie sie wohl aus der Nähe betrachtet aussah. Zu kurz waren die flüchtigen Eindrücke bislang gewesen, um eine genaue Vorstellung ihres Gesichts zu haben. Aus der Ferne konnte ich auch nicht erkennen, ob es noch andere Zimmer gab.

Die graue Fassade des schwach beleuchteten Gebäudes auf der anderen Seite verbreitete das unfreundliche Gefühl, dass es bald noch kälter werden würde. Doch sie, in ihrem von warmem Licht erfüllten Kalthaus, war abgeschottet von der Dunkelheit und der Kaltherzigkeit außerhalb ihrer Wände. Hinter den drei Fenstern war Leben. Das Gefühl der Nacht konnte sie nicht erreichen. Nur das linke Fenster war leicht geöffnet, doch kaum genug, um den kalten, düsteren Luftzug eindringen zu lassen. Viel eher strömte das Lebhafte, das Warme und das hell Duftende von innen in die Kälte der Nacht. Ich stellte mir vor, wie es in ihrer gesamten Wohnung nach ihrem Parfum roch. So weiblich, lüstern und aufregend. Keine grüne Pflanze, die den Raumduft reinigen könnte. Das Zimmer war gänzlich von ihrem Wohlgeruch erfüllt. Bei ihrem Anblick kamen mir längst vergessen geglaubte Jugenderinnerungen wieder ins Gedächtnis.

Ihre Wände waren leer, nackt, und wahrscheinlich gestrichen, ohne richtige Tapete. Wahrscheinlich eine Mietwohnung. Es gab keine Gemälde an den Wänden, auch keine schlechten. Keine Fotos, auch keine unbedeutenden. Zu betrachten gab es nur sie. Sie, wie sie einfach lebte, in ihrer kleinen Einzimmerwohnung an einer Hausecke inmitten dieser riesigen Stadt; einer riesigen Weite, in der ihr alle Möglichkeiten offenstanden. Und trotzdem blieb sie allein.

Sie hatte sich etwas nach rechts begeben. Ich erspähte sie nun im mittleren Fenster. Sie trug ein kurzes, verführerisches, rosafarbenes Kleid und was mich besonders anzog, waren ihre freien, weißen Schultern. Die Wangenknochen waren straff und machten ihr Gesicht kantig, jung und attraktiv; es sah jünger aus als der Rest. Die Art von Gesicht, die man haben wollte. Ihr Hals und ihre Beine waren im Verhältnis länger als gewöhnlich, aber es machte mir nichts aus. Im Gegenteil: Je länger sie waren, desto mehr war von ihr da. Sie schien sich der Blicke bewusst zu sein. Sie spielte ein Spiel, und ich spielte wie ein hechelndes Hündchen mit. Gerne hätte ich einen tieferen Blick gewagt, doch das Kleid war nicht kurz genug, um zu sehen, was sie darunter verbarg. Was tragen Frauen wie sie drunter? Ihren Duft kannte ich. Wie gerne hätte ich auch den Stoff ihres Unterkleids gefühlt.

Es war eine Sache, eine Frau in einem kurzen Kleid in einem Nachtlokal oder auf einer Abendfeier zu sehen, und eine andere, sie mitten in der Nacht in einer lichtdurchfluteten, winzigen Stadtwohnung durch drei Fenster zu sehen, ohne dass sie mich sah.

„Hättest Sie Lust zu tanzen?“, wäre das Zweite, was ich sie gefragt hätte. Sie sah nämlich aus, als würde sie gerne. Die runde Taille in ihrem engen, flamingofarbenen Kleid, die weißen Beine in den hohen, goldenen Stöckelschuhen und die rötlichen Wangen bewegten sich in meinem Kopf schon lieblich, ja fast rhythmisch zur Musik.

Die beste Liebesbeziehung, ist die, welche man nie hat. Auch ich hatte wenig Glück mit den Frauen; wenig Glück im Leben. Meine Träume und Wünsche blieben meist unerfüllt und ich wollte immer mehr, als ich hatte, aber vergaß, was ich eigentlich brauchte. Inzwischen lebte ich allein, in einer kleinen Wohnung, in dieser riesigen Stadt; einer unendlichen Weite und hätte alle Möglichkeiten gehabt. Auch in dieser Nacht. Aber es war in Ordnung. Ich konnte sowieso nicht schlafen.

Draußen war alles schwarz. Keine lauten Autos mehr, keine dröhnenden Menschenmengen und keine Wolke am Himmel. Nur ein peitschender Wind, der einige Plastiktüten und auf den Boden geworfenen Abfall achtlos über den Asphalt trieb und die wenigen, fahlen Bäume am Straßenrand zum Rascheln brachte.

Ich begehrte zu wissen, was sich hinter dem letzten Fenster verbarg. War sie womöglich gar nicht allein in der Wohnung? Der Gedanke an eine andere Person löste in mir Unbehagen aus. Ich zwang mich, diese Vorstellung gleich wieder zu verwerfen, denn ich wünschte mir, dass sie sich insgeheim nach etwas Gesellschaft und Zweisamkeit sehnte. Jedes Fenster zeigte sein eigenes Schauspiel, während die schweren Vorhänge die Show offenbarten. Mir wurde bewusst, dass alles vorbei sein würde, sobald sie hinter dem Vorhang des dritten Fensters verschwand. Es gäbe keine Zugabe. Der Vorhang bliebe unten

In letzter Zeit hatte ich nicht viel geschlafen. Ich war lange wach gelegen und schaute gelegentlich aus dem Fenster. Dabei hatte ich gegenüber nie Licht gesehen. Ich war in die Stadt gegangen, dann zum Einkaufen, hatte zuhause gegessen und anschließend in einem meiner Bücher gelesen, bis mir langweilig wurde. Ich war schon lange keinen Umweg mehr auf dem Nachhauseweg gegangen. Früher liebte ich es Billard zu spielen. Männer, die gerade in meinem Alter waren, gründeten Familien, hatten ein eigenes Zuhause und dachten an das Morgen. Sie hatten hoffnungsvolle Träume und sehnliche Wünsche, die sie verfolgten. Sie wussten, die Zeit war knapp, und verschwendeten sie daher nicht. Diese Männer ließen sich schnell nieder. Sie waren alle entschlossen, irgendwohin zu gelangen. Sie konnten sehen, dass Männer wie sie auf dem Weg waren, Männern wirkliche Ehre zu machen.

Plötzlich war sie weg, ich war abgelenkt, doch das Licht brannte weiter. Ich dachte, ihren nackten Schatten hinter dem Vorhang im rechten Fenster gesehen zu haben. Doch sie war nicht mehr da. Das linke Fenster stand noch offen und unverwechselbare Düfte strömten weiterhin ins Diesseits hinaus, vermischten sich allerdings sogleich im salzigen Wind. Ich hatte die Chance verpasst, zu sehen, was sie in dieser Nacht drunter trug, und den Sonnenaufgang, der die Dunkelheit ablöste und das nachtschwarze Dasein mit goldenem Licht erfüllte.

Es war das letzte Mal, dass ich sie sah. Das Licht brannte noch Tage später. Ich hätte mir gewünscht, sie noch einmal im ersten Fenster zu sehen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Dan Prescot am 23.02.2020:

Schön düster und melankolisch.

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