Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2021 von Ernst Paul.
Veröffentlicht: 28.03.2021. Rubrik: Nachdenkliches


Eine Rose für Jacob

„Warst Du zum Begräbnis, Theo?“ Ich schaue auf, stütze mich auf meinen Spaten und schiebe meine Mütze in den Nacken. Mein Kreuz schmerzt.
„Von welchem Begräbnis redest Du, Roland?“
„Jacob ist vorgestern beerdigt worden. Er hatte sich in seiner Laube aufgehängt. Weißt Du warum?“
Roland hat auch einen kleinen Schrebergarten in unserer Anlage. Immer, wenn er auf dem Weg dahin ist und mich sieht, bleibt er stehen und wir wechseln ein paar Worte.
Ich wusste vom Freitod Jacobs und nahm deshalb diese Nachricht gefasst.
„Warum er sich das Leben genommen hat, weiß ich auch nicht. Er war erst kürzlich bei mir. Ich habe nicht bemerkt, dass es ihm so schlecht geht.“
„Die Leute munkeln wegen seiner Frau“, sagte Roland, „die ist doch weg von ihm. Oder wegen seiner Arbeitslosigkeit? Ich kannte ja Jacob nicht näher“.
„Ja, ich weiß, er erzählte mir letztens, dass Liane ihn verlassen hat. Und von seiner Arbeitslosigkeit weiß ich auch schon lange. Hat er ein Urnengrab?“
„Nein, er ist auf der grünen Wiese beigesetzt. Es waren auch nur seine Frau und seine Tochter zur Beerdigung, sagen die Leute. Ich dachte aber, dass Liane Dir wenigstens Bescheid gegeben hat. Ihr kanntet euch doch ganz gut.“
„Liane hat mich nicht informiert. Als ich Jacob das letzte Mal traf, sagte er mir, dass Liane und er sich schon vor drei Monaten schon getrennt haben. Und da weder meine Frau noch ich mit Liane viel im Sinn haben, hat sie es unterlassen uns Bescheid zu geben. Und anrufen und mich erkundigen konnte ich auch nicht. Ich weiß ja nicht, wo sie wohnt. Danke, Roland, dass du mir Bescheid gegeben hast.“
Ich stelle den Spaten ins Gerätehaus, hole die Gartenschere, gehe spontan zu meinen Rosenbüschen und schneide eine langstielige „Gloria Dei“ ab.
Diesen Rosenstock hatte mir Jacob geschenkt als ich Pächter dieses Schrebergartens wurde. Wir pflanzten ihn gemeinsam. Beim anschließenden Grillen erklärte er mir, dass Rosen das ganze Jahr über gepflanzt werden können. Der günstigste Zeitpunkt sei aber der Herbst. Den Winter über habe die Rose Zeit ihr das Wurzelwerk auszubilden. Im ersten Jahr ihres Blühens hat sie dann die volle Lebenskraft, um kräftige und schöne Blüten zu entwickeln. Pflanzt Du die Rose im Frühjahr, muss die Rose ihre Lebenskraft teilen. Einmal zum Aufbau des Wurzelwerkes, zum anderen für die Entwicklung ihrer Blüten. Die Rose sieht dann im ersten Jahr etwas mickrig aus. Dazu schenkte er mir ein Handbuch für Rosen. Jacob hatte sein Herz für Rosen entdeckt und war in seiner Freizeit in einem Rosenverein aktiv. Er gab sein Wissen gern und nicht ohne Stolz weiter.
Ich nehme seine Rose, setzte mich auf mein Fahrrad und fahre zum Friedhof.
Das Fahrrad stelle ich auf dem Parkplatz ab, schließe es an, nehme die Rose und gehe zur grünen Wiese. Vorbei an Urnengräbern und Stelen. Ich suche, finde aber keine frischen Eingrabungen auf der grünen Wiese, die auf eine Urnenbeisetzung schließen lassen. Vereinzelte Blumengebinde liegen da, geben aber keinen Hinweis auf Jacobs letzte Stätte. Für Jacobs Rose wähle ich einen Platz am Rand der Wiese, lege sie dort nieder, nehme meine Mütze in meine Hände und gedenke seiner. Die Erinnerungen schießen in meinen Kopf, landen in meinem Herz und kullern schließlich als Tränen über mein Gesicht. Ich schäme mich meiner Tränen nicht.
***
Jacob und ich kannten uns seit unserer Jugend. Im Sportverein hatten wir uns dem Ringkampf verschrieben, kämpften aber nicht gegeneinander. Er war zwei Jahre älter, etwas größer und schwerer und kämpfte im Halbschwergewicht. Ich kämpfte zwei Klassen tiefer. Nennenswerte Erfolge konnten wir nicht erzielen, aber wir hatten unseren Spaß an diesem Sport.
Als wir unsere Frauen kennenlernten und in unser Berufsleben starteten, gaben wir den Sport auf, kümmerten uns um unsere Familien und unser Berufsleben. Wir pflegten unsere Freundschaft. Am Anfang trafen wir uns oft zu geselligem Beisammensein, feierten unsere Geburtstage und die unserer Kinder, unternahmen gemeinsame Ausflüge oder gingen zur Disco. Seine Frau entwickelte sich aber immer mehr zu einer Person, die den Ton angeben wollte. Es musste alles nach ihrem Kopf gehen, wenn wir zusammen waren. Sie bestimmte immer den Ablauf. Ohne Ihr okay lief nur selten etwas. Ob es mit ihrer Tätigkeit als Erzieherin im Kinderheim zusammenhing oder an ihrem Charakter lag, vermag ich nicht zu sagen. Ihr Verhalten gefiel uns immer weniger. Wir zogen uns nach und nach zurück und beschränkten unsere Kontakte auf das Wesentliche. Jacob kam gelegentlich zu mir in den Garten, um zu fachsimpeln und über alte Zeiten zu plaudern, sprach aber nie ein schlechtes Wort über seine Frau. Ich hielt mich deshalb auch zurück, wenn die Sprache auf Liane kam. Es war für mich so in Ordnung. Wichtig war, dass er mit Liane klarkam. Es war sein Leben und er bestimmte, wie er es gestaltete.
Als Jacob mich das letzte Mal besuchte, erzählte er mir, dass er nunmehr seit über fünf Jahren arbeitslos ist. Am Anfang, als er noch Arbeitslosengeld bezog, klappte es in seiner Beziehung noch ganz gut. Aber dann, als die Unterstützung auslief, wurde es zum Problem. Liane wollte es nicht begreifen, dass es verdammt schwer ist mit über fünfzig noch eine vernünftige Arbeit zu finden. Sie trug jetzt die finanzielle Hauptlast der Familie und ließ es Jacob auch spüren. Die Ersparnisse schrumpften und die Gelegenheitsjobs von Jacob reichten nicht, um dem Schrumpfen Einhalt zu bieten. Die Unterstützung bei der Stellensuche vom Arbeitsamt war mehr als flau und die Weiterbildungsmaßnahmen ein Witz. Er schrieb jedes Jahr mehr als 50 Bewerbungen, doch ohne Erfolg. Eine Antwort erhielt er nur selten. Als Erfolg wertete er schon, wenn er eine schriftliche Absage bekam. Diese Absage konnte er wenigstens Liane als Nachweis vorlegen, dass er sich auch beworben hatte. Doch von Absage zu Absage wurde Liane in ihren Kommentaren immer verletzender und beschimpfte ihn immer mehr. Sie hätte ja auch Arbeit. Wenn man arbeiten will, dann bekommt man auch Arbeit. Jacob wäre nur zu faul und würde es sich auf ihre Kosten gut gehen lassen. Das von der eigenen Frau zu hören, ist niederschmetternd und deprimierend zugleich. Doch Liane konnte oder wollte die Lage, in der sich Jacob befand, nicht begreifen. Vergangenen Monat ist sie ausgezogen. Ob ein anderer Mann der Grund war, wusste Jacob nicht. Die Wohnung könne er behalten, habe sie gesagt. Sie hat keine Lust noch länger mit einem Versager unter einem Dach zu leben. Ihr Leben wäre zu kurz, um es mit einem Verlierer zu vergeuden. Danach ist sie gegangen.
Er war seitdem allein.
***
Ich fahre wieder zurück in meinen Garten und setze mich in meinen Lehnstuhl. Zum Graben habe ich keine Lust. Mein Kreuz schmerzt noch immer. Manchmal braucht man einen Moment der Stille, um wieder das Wesentliche zu hören. Einen Moment mit geschlossenen Augen, um wieder klarzusehen. Einen Moment auf das Herz hören, um das Leben zu spüren. Einen Moment des Rückzuges, um wieder stark zu werden

counter4xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Dan Prescot am 05.10.2021:

Mir gefällt der Spiegel unserer Wegwerfgesellschaft und der Wert dem das Individuum darin von uns beigemessen bekommt. Auch die Lösung dazu, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Auf stille und ruhige Weise.




geschrieben von Ernst Paul am 05.10.2021:

Vielen Dank Dan für deine Einschätzung.




geschrieben von Gari Helwer am 25.04.2022:

Zu: "Ich wusste nicht, dass es ihm so schlecht ging." - Ich hatte mal einen Lehrer, der immer lustig wirkte und uns zum Lachen brachte - an einem Wochenende hat er sich dann in seinem Badezimmer erhängt... Niemand von uns - wir waren schon ältere Schüler - hätte das für möglich gehalten!

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Gipfeltreffen
Kanzlerdämmerung
Sekretär Knott und die Zauneidechsen
Haiku (5-7-5) Bundestag
Sünden in der Jugendzeit