Kurzgeschichten-Stories
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2xhab ich gern gelesen
geschrieben von Markus Luthardt (Lutti).
Veröffentlicht: 21.05.2021. Rubrik: Fantastisches


Im Labyrinth des Schlangentempels

MARKUS LUTHARDT


IM LABYRINTH DES SCHLANGENTEMPELS


Die unterschiedlichsten Gerüche strömten aus allen Richtungen des großen Basars zusammen. Auf den riesigen Markt der imirischen Hafenstadt Kandara wurde mit allen nur vorstellbaren Gütern gehandelt. Es gab Stände an denen Speisen aller erdenklichen Art zubereitet wurden. Bei manchen handelte es sich um bekannte einheimische Gerichte, die nach imirischer Art scharf gewürzt waren und einen besonderen Gaumenkitzel darstellten. Einige andere dargebotene Speisen, wie geschmortes Affengulasch, waren sehr exotischen Ursprungs und ihr Geschmack durfte sehr gewöhnungsbedürftig sein. Weiter im Zentrum des belebten Großbasars reihten sich Stände mit allen erdenklichen Gewürzen aneinander, deren nicht selten scharfen Gerüche oft in Nase und Augen brannten. An anderer Stelle wiederum, gab es Stände an denen Stoffe aus allen Winkeln der Tyranischen Welt angeboten wurden. Manche davon waren so kostbar, dass man aus ihnen Gewänder fertigen konnte, wie sie eines Königs würdig waren. Dementsprechend hoch waren auch die Preise, die die aus aller Welt stammenden Händler dafür verlangten. Nicht selten wurden diese Stände zusätzlich von angeketteten Bluthunden bewacht, die so groß und scharf waren, dass sie, wenn man die Tiere von ihren Ketten nahm, einen Menschen zerfleischen konnten.
Durch das morgendliche Gedränge des Basars bewegte sich eine Frauengestalt, deren Gesicht durch die tiefe Kapuze eines dünnen schwarzen Seidenmantels verdeckt wurde. Aus dem Schatten der Kapuze heraus beobachtete sie alles was an den Ständen um sie herum so vor sich ging. Der Großbasar von Kandara zog die Menschen der reichen Händlerstadt aber auch Reisende, die nicht selten von weither kamen, gleichermaßen an. An keinem anderen Ort der Welt wurde so reger Handel getrieben wie hier. Die Frau im Seidenmantel kam an ein paar Ständen vorbei, an denen lebende Tiere zum Kauf angeboten wurden. Oft waren gleich mehrere der armen Kreaturen in Käfige gepfercht, die so eng waren, dass sie sich kaum bewegen konnten. Manche Tiere waren für den Kochtopf bestimmt, andere war sehr exotisch und wurden vornehmlich zur Belustigung reicher Menschen als Haustiere gehalten. In einem größeren fahrbaren Eisenkäfig mit Rädern, befand sich sogar ein männlicher Löwe, der immer wieder in der Beengtheit seines Käfigs hin- und herlief. Dieses Exemplar war jedoch längst kein König aus der Savanne mehr. Seine Augen waren trüb, die Mähne an mehreren Stellen verfilzt und wenn er sein Maul öffnete, sah man, dass ihm zwei seiner großen Reißzähne fehlten.
Betrübt über das traurige Schicksal des armen Löwen und der anderen gefangenen Wildtiere, suchte die Frauengestalt den südlichen Ausgang des Basars, um in das angrenzende Hafenviertel von Kandara zu gelangen. Sie ging um eine Biegung, hinter der die Stände zu beiden Seiten allmählich weniger wurden. Auch das Gedränge menschlicher Leiber wurde hier weniger, was ein schnelleres Vorankommen deutlich erleichterte. Endlich ließ sie den Großbasar ganz hinter sich. Als sie sich frei durch die hafennahen Straßen bewegen konnte, fiel der Frau im Seidenmantel erst so richtig auf, was für eine schöne Stadt Kandra doch war. Palastartige Gebäude mit verschiedenfarbenen Zwiebeltürmen reihten sich in den prunkvollen Stadtteilen aneinander. Je näher man dem Hafen kam, wurde sie von schlichteren Steinhäusern abgelöst, die in ihrer gegensätzlichen Einfachheit ihren eigenen Charme ausstrahlten. Von weitem kamen die Masten mehrerer Schiffe in Sicht, die in dem großen Hafenbecken auf Anker lagen. Die Frauengestalt erreichte den großen Platz unmittelbar vor den Hafen. Frische Seeluft stieg ihr hier in die Nase. An dem ersten Schiff, das sie sah, waren ein paar Männer damit beschäftigt, über eine breite Holzplanke Fässer vom Schiffsdeck auf den Hafenplatz zu rollen. Das Handelsschiff, das mit Fässern beladen war, war kurz vorher in dem Hafenbecken von Kandara eingelaufen und hatte an dem ihm zugewiesenen Ankerplatz angelegt.
Um die Geschehnisse auf dem Hafenplatz weiter zu beobachten, blieb die Frau im Seidenmantel stehen. Einer der Seeleute, der wesentlich jünger und schmächtiger als seine übrigen Kameraden war, geriet als er eines der Fässer vom Schiffsdeck ans Land rollen wollte, ins straucheln. Da der Junge noch sehr unerfahren war, entglitt ihm das Fass und rollte den Landungssteg hinunter und noch ein Stück über den Hafenplatz, bevor es mit zwei der dort stehenden Fässer zusammenstieß und liegen blieb. Ein paar der anderen Seemänner fingen über die Tollpatschigkeit ihres jüngsten Mannschaftsmitgliedes laut zu lachen an. Ein besonders hochgewachsener Mann, der auf seinem kahlen Schädel ein rotes Kopftuch trug, hatte das ganze vom Schiffsdeck aus beobachtet. Zornig brüllend packte er den Heranwachsenden an seiner leicht zerlumpten Seemannskleidung und zog ihn zurück an Bord, wo er ihn eine knallende Ohrfeige gab.
Das Augenmerk der Frau gehörte jedoch nicht den Seeleuten und ihrer Fracht. Ihre übernatürlichen Sinne ließen sie erspüren, dass hier in der Nähe etwas im argen lag, was noch nicht zu sehen war. Es dauerte nicht lange, da wurden von weiter weg Rufe laut. Ein großes Tier kam um die Wegbiegung einer dem Hafenplatz angrenzenden Gasse gelaufen. Nach kurzen Hinsehen erkannte die Frau im Seidenmantel, dass es sich um einen Leopard handelte. Die geschmeidige Raubkatze war an ihrem mit schwarzen Flecken durchzogenen sandfarbenem Fell unverkennbar. Das Tier befand sich dem Anschein nach in Panik, denn es rannte so schnell seine vier Beine es trugen, über den Hafenplatz. Augenblicke später wurde auch der Grund dafür offensichtlich. Vier Männer in den Lederharnischen der Stadtwache, die jeweils einen Speer in ihren Händen hielten, liefen der Raubkatze aufgeregt hinterher. Die fässerausladenden Seeleute hielten verstummend mit ihrer Arbeit inne, um wie die Frau, das ungewöhnliche Treiben zu beobachten. Jeder fragte sich, wo der Leopard wohl herkam. War die Großkatze vielleicht aus der Gefangenschaft eines Raubtierkäfigs von einem der Wildtierstände des Großbasars entflohen? Dagegen sprach, dass sie aus der falschen Richtung kam. Trotz der gebotenen Eile, blieb der Blick des Leopards im Vorbeilaufen auf der Frauengestalt haften, deren Gesicht von dem tiefsitzenden Kapuzenschatten verborgen war. Doch die animalischen Sinne der Raubkatze schienen ihr wahres Wesen zu erspüren. Eine Fähigkeit, welche Menschen für gewöhnlich nicht besaßen. Die durchdringenden Augen des Leoparden sahen sie mit einem hilfeerbittenden Blick an. Dann lief die wendige Großkatze einen Bogen, um über ein paar Holzkisten auf das Schiferndach eines niederen Gebäudes zu springen. Leichtpfotig lief das Tier über das Dach, um auf eine angrenzende Mauer zu gelangen und von dort auf die Pflastersteine einer schmalen Seitenstraße zu springen.
„Diese verdammte Katze versucht uns auszutricksen!“, fluchte ein ebenholzfarbener Hüne. Der schwarze Riese, der den kleinen vierer Trupp anführte, besaß noch mehr als seine Mitstadtwachen eine muskelbepackte Statur. Seiner dunklen Hautfarbe und seinem Akzent nach zu schließen, war er kein Imirer, sondern wurde irgendwo in den Weiten der Namenlosen Reiche geboren. In einer liberalen Großstadt wie Kandra, konnten Ausländer, die sich verdient machten, zu Hauptmännern der Stadtwache aufsteigen. Sogar, wenn sie eine andere Hautfarbe besaßen. Aus diesem Grund kamen viele Menschen aus den Namenlosen Reichen, die in der Zivilisation ihr Glück suchten, nach Kandara oder in eine der anderen Städte an der imirischen Küste.
Die vier Soldaten der Stadtwache verfolgten die freilaufende Raubkatze weiter, in dem sie in die schmalere Seitengase einbogen, in der sie gezwungen waren, hintereinander herzulaufen. Sie verfolgten das Ziel, den Leoparden, von dem in ihren Augen eine Bedrohung für die Bevölkerung ausging, mit ihren Speeren zu töten. Die Männer besaßen keinerlei Erfahrung mit Raubtieren, daher war es unwahrscheinlich, dass sie auch nur den Versuch unternahmen, den Leoparden einzufangen.
Während die Seeleute unter den Anweisungen ihres strengblickenden Kapitäns mit ihrer Arbeit fortfuhren, folgte die Frau im Seidenmantel heimlich den Stadtwachen. Sie lief eine leicht ansteigende Gasse hoch, die zwischen eng zueinanderstehenden Häuserschluchten entlang führte. Alleine durch die hafennahen Straßen und Gassen von Kandara zu laufen war nicht gerade ungefährlich. Besonders für Frauen barg dieser Teil der Stadt so manches Risiko. Im Hafenviertel jenseits des belebteren Stadtkerns trieb sich nicht selten Gesindel herum. Die Stadtwachen patrouillierten hier nur in Ausnahmefällen. Die Menschen von Kandara, die nicht aus diesem Viertel stammten, wagten sich selbst bei Tag nicht weiter als bis zum Hafenplatz. Selbst Auswärtige verirrten sich nur selten hierher, da ihnen von den Einheimischen ausdrücklich davon abgeraten wurde. Neugier und vor allem ein inneres Verbundenheitsgefühl der gejagten Raubkatze gegenüber, trieben die Frau im Seidenmantel dazu an, immer weiter in das Gassenlabyrinth vorzudringen.
Hinter einer Wegbiegung, über die man in eine etwas breitere Straßen gelangte, wurden mehrere durcheinanderbrüllende Männerstimmen laut. Den vier Stadtwachen war es mit ihren Speeren gelungen, den Leoparden in einen schmalen Hof zu treiben, über den man durch einen offenen Zugang zwischen zwei Häusern gelangt und der von einer Mauer begrenzt wurde. Auf eine besonders geschickte Weise gelang es der Frauengestalt mit dem Schatten des Hofzugangs zu verschmelzen. So wurde sie zur Zeugin von dem, was sich wenige Meter vor ihr in dem Hinterhof zutrug, ohne dass sie selber dabei von fremden Augen beobachtet wurde.
Der Leopard, in dessen Augen panische Furcht vor den Waffen seiner Verfolger aufblitzte, wurde immer weiter an die hintere Hofmauer gedrängt. Die vier Soldaten der Stadtwache bildeten einen Halbkreis um die fauchende Großkatze, die eine geduckte Abwehrhaltung einnahm. Gerade als sie die Spitzen ihrer Speere in den Leib des Leoparden stoßen wollten, löste sich die Raubkatzengestalt plötzlich auf. Zur Verblüffung der Stadtwachen stießen ihre Speerklingen ins leere. „Was für eine Hexerei ist das?“, fluchte einer von ihnen. Verwirrt tauschten die Männer Blicke aus. Vor ihren überrascht starrenden Gesichtern flatterte ein Flughund durch die Luft, der schnell an Höhe gewann. Zwei Soldaten versuchten dem Fledertier mit ihren langen Stangenwaffen nachzusetzen. Durch geschickte Flugmanöver entkam es aber den wirren Attacken.
Auch wenn sie es anders als die Stadtwachen, nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, wusste die Frau im Seidenmantel, dass der Leopard sich in den Flughund verwandelt hatte. Anders als die abergläubischen Soldaten, dachte sie nicht, dass es sich um Hexerei handelte. Ein Leopard konnte sich natürlich nicht in einen Flughund verwandeln, doch für dieses Phänomen gab es eine Erklärung.
Geduldig wartete die Frau im Seidenmantel ab, bis die Stadtwachen mit ihrer Suche nach dem Flughund aufgaben und resignierend zum Hafenplatz abzogen. Ihre Verschmelzung mit dem Schatten auflösend, folgte sie einem inneren Gefühl. Statt zum sichereren Hafen zurückzukehren, leitete dieses Gefühl sie weiter durch das Gewirr aus Straßen und Gassen. Keine einzige Menschenseele begegnete ihr, bis zu dem Moment, bis sie rechts an einem Haus vorbeikam, dessen vulkanrote Backsteinfassende an verschiedenen Stellen Risse aufwies. Die Gläser zweier Fenster waren eingeschlagen. Als die Frau im Seidenmantel das auffallend runtergekommene Gebäude passierte, sprangen hinter ihr aus dem Schatten des spitzbogenförmigen Hauseingangs drei Männer grobschlächtigen Aussehens auf das Pflaster der Straße. Anstatt ihren Gang zu beschleunigen, wurde die Frau im Seidenmantel langsamer. Sie drehte sich um, damit sie die Männer sehen konnte, die sie da verfolgten. Einer war hochgewachsen, besaß keinen Bart und auch sein Schädel war glattrasiert. Seine beiden Begleiter waren eher untersetzt. Sie trugen Stoppelbärte und öliges schwarzes Haupthaar, das sie nach hinten gekämmt hatten. Den unfreundlichen Konturen ihrer narbigen Gesichter nach zu urteilen, handelte es sich bei den zwei kleineren Männern um Brüder.
Die drei Verfolger holten schnell auf. Als sie mit ihrem auserkorenen Opfer auf gleicher Höhe waren, zückten die beiden Brüder Krummsäbel, deren Klingen sie halb mit ihrer Kleidung abdeckten.
„Wohin des Weges so ganz alleine?“, fragte der große Kahlkopf.
„Das geht Euch nichts an“, erwiderte die Frauengestalt, deren Gesicht noch immer von dem Schatten ihrer Kapuze verborgen wurde.
Der kahlköpfige Imirer lief an der Frau vorbei und versuchte ihr den Weg zu verstellen. Einer der Brüder hingegen, drückte ihr die Flachseite seiner Dolchklinge gegen die linke Hüfte.
„Da irrt Ihr Euch“, fuhr der Hüne fort. „Das hier ist unser Bezirk. Fremde Frauen, die hier herkommen, müssen sich erst einmal mit uns vergnügen. Wenn sie ihre Sache gut macht, lassen wir sie vielleicht am leben.“
„Zeigt Euch uns!“, entgegnete der Straßenräuber mit dem Krummdolch an ihrer Hüfte. Sein Bruder zog darauf gewaltsam die Kapuze ihres Seidenmantels zurück. Das überdurchschnittlich schöne Gesicht einer jungen Frau mit hellbrauner Haut kam zum Vorschein. Es wurde von langen schwarzgelockten Haaren umrahmt.
„Weicht von mir und kehrt in das dunkle Loch zurück, aus dem ihr kamt, sonst werdet ihr es bereuen“, drohte die schöne Fremde. Dem Akzent ihrer Worte nach zu urteilen, war sie keine Imirerin, sondern stammte aus dem nördlichen Nachbarkönigreich Asur. Die beiden Brüder begannen dreckig zu lachen, während der dritte Mann sie finster anstarrte. „Ihr habt Mut, doch das beeindruckt uns nicht im geringsten“, sagte die ruhe Stimme des Kahlkopfs. „In diesem Viertel haben wir unsere eigenen Gesetze. Tut was wir von Euch verlangen oder Ihr seid des Todes.“
Anstatt noch etwas zu erwidern, machte die Asurerin einen Satz zurück. Durch die wendige Bewegung befreite sie sich von der unmittelbaren Nähe der beiden Brüder. Die Klinge des Krummdolchs, der ihr vorher an die Seite ihres Leibs gedrückt worden war, stieß ins leere. Keiner der entgeistert starrenden Männer hatte mit dieser Schnelligkeit gerechnet. Mit den Händen zog die Asurerin den seidenen Kapuzenmantel zurück. Zum Vorschein kam ein schwarzer Lederharnisch, zu der sie eine Hose aus enganliegender dunkelgrauer Seide und Stiefel aus dem selben schwarzen Leder trug. Aus der Scheide eines ledernen Waffengürtels zog sie ein Langschwert. Finster blickend nahm die Schwertkämpferin einen breitbeinigen Stand ein und hielt die Klingenwaffe hiebbereit vor sich. „Glaubt ihr wirklich, wenn ich eine wehlose Frau wäre, würde ich mich in das verruchteste Viertel von Kandara wagen?“
Die Gesichter der drei Männer verfinsterten sich noch ein wenig mehr. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass ihr auserkorenes Opfer unter seinem Mantel ein Schwert bei sich trug. Die Art wie die Asurerin vor ihnen stand, deutete darauf hin, dass sie durchaus im Umgang mit dem Schwert geübt war. Während der kahlköpfige Hüne sogleich die Veränderung der Verhältnisse erkannte und rückwärts auf Abstand ging, wollten die Brüder es nicht hinnehmen, tatenlos vor einer Frau zurückzuweichen.
„Ihr seid eine schwertschwingende Hure!“, rief der Straßendieb, der ihr vorher seinen Dolch an die Seite gehalten hatte. Gemeinsam mit seinem Bruder, der sich ein paar Zentimeter hinter ihm hielt, ging er unerschrocken auf die Asurerin zu. Die Klinge ihres Langschwertes warnend durch die Luft schwingend, versuchte die schwarzhaarige Kriegerin die Schurken auf Distanz zuhalten. Auf dem Gesicht des hinteren Bruders traten nun doch Zweifel, worauf er stehen blieb. Der andere jedoch stieß vor Wut schreiend seinen Dolch nach dem Körper der Asurerin. Bevor die unüberlegte Attacke sie erreichte, hieb die Kämpferin ihr Schwert auf den vorschnellenden Arm hernieder. Die herabschwingende Klinge wurde von der schmutzigen Straßenkleidung des Diebs nicht aufgehalten. Sie schnitt durch Fleisch und Knochen, bevor sie auf der Unterseite des Unterarms wieder herausdrang. Die Hand, die den Dolch hielt, stürzte mitsamt der vorderen Hälfte des Unterarms auf die Pflastersteine der Straße. Aus dem anfänglichen Wutschrei des Diebs wurde ein Schrei unsäglicher Schmerzen. Mit der linken Hand fasste er sich an den Armstumpf, aus dem ein Schwall Blut herausspritzte. Seine weit aufgerissenen Augen starrten entsetzt zu Boden, wo der abgeschlagene Teil seines Unterarms lag. Die noch leicht zuckenden Finger der Hand hielten noch immer den Griff des Krummdolchs umfasst. Instinktiv wich der verletzte, als auch entwaffnete Straßenräuber vor seinem Gegenüber zurück. Als er feststellte, dass seine beiden Kameraden längst die Flucht ergriffen hatten, drehte er sich um, um wie sie, so schnell es seine Beine zuließen, loszurennen. Kurz darauf waren die drei Gesetzlosen hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden.
Notdürftig säuberte die Asurerin die blutbefleckte Klinge ihres Schwertes mit einem Tuch, das sie mit sich führte. Dann schob sie die Schwertklinge wieder in die Gürtelscheide zurück, um ihren Weg fortzusetzen. Sie beschloss die Kapuze ihres Seidenmantels erst einmal nicht mehr über den Kopf zu ziehen. Es stellte sich als die richtige Entscheidung heraus, denn nach wenigen Schritten stellte sie über sich das Flattern eines heranfliegenden Tieres fest. Als die Asurerin aufblickte, erkannte sie, dass es sich um keinen Vogel, sondern einen Flughund handelte. Es musste jener Flughund sein, in den der Leopard sich verwandelt hatte. Gebannt blieb sie stehen und beobachtete, wie das Fledertier wenige Meter vor ihr auf der Straße landete. Noch, bevor der Flughund Bodenkontakt hatte, begann sich bereits seine geflügelte Gestalt zu verändern. Die dünnen Flügel verloren ihre arttypische Form. Sie wurden fleischig und wuchsen in die Länge. Auch der restliche Körper wurde stetig größer und veränderte seine Erscheinung, bis kein Tier mehr, sondern eine menschliche Gestalt vor der Asurerin stand. Die dunklen Augen eines schmächtig gebauten Mannes, der bis auf einen schwarzen Lendenschurz nackt war, sahen die Frau im Seidenmantel erkennend an und nickten ihr zu.
„Ich grüße Euch, Anischa“, sagte der Gestaltwechsler. „Schon seit einer geraumen Zeit habe ich Eure Präsens in dieser Stadt gespürt, dunkle Baronin. Nun da Ihr hier vor mir steht, bin ich froh, dass sich meine Sinne nicht getäuscht haben.“
„Auch ich grüße Euch, Zaramir“, erwiderte die Asurerin. „Scheint mir eine Ewigkeit her zu sein, dass wir beiden uns zum letzten Mal begegnet sind.“
Zaramir, der einen halben Kopf kleiner als Anischa war, runzelte nachdenklich die Stirn. „Dreiunddreißig Jahre, sieben Monate und achtzehn Tage, um genau zu sein. Es war am Hofe eines asurischen Fürsten“
Anischa bewunderte Zaramir nicht nur wegen seiner angeborenen Fähigkeit, sich in jede beliebige Gestalt verwandeln zu können, ohne dabei anders als bei einer Seelenräuberin, Magie wirken zu müssen, sondern auch wegen dem bemerkenswerten Gedächtnis, das der Formwandler besaß. Zaramir konnte sich an Ereignisse, die viele Jahrzehnte zurücklagen, noch auf den Tag genau erinnern. Anders als Anischa war der Formwandler kein unsterblicher Halbdämon, doch konnte die Rasse, der Zaramir angehörte, mehrere Jahrhunderte erreichen, ohne dabei groß zu altern.
„Freut mich wirklich, Euch nach all der langen Zeit wiederzusehen“, sagte die dunkle Baronin. „Allerdings finde ich die Umstände, die dazu führten etwas merkwürdig. Warum seid Ihr ausgerechnet in der Gestalt eines Leoparden durch die Straßen von Kandara gelaufen. Ihr hättet doch wissen müssen, dass die Stadtwachen Euch nach Eurer Entdeckung jagen würden.“
Zaramir winkte ab. „Zugegeben, das war eine äußerst unbedachte Aktion. Nachdem ich Euch erspürte, begab ich mich auf die Suche nach Euch. Ich dachte, mir könnten dabei die Sinne einer Raubkatze von Nutzen sein. Der Gedanke, dass das in einer mit Menschen angefüllten Stadt, eine ganz schön dumme Idee ist, kam mir erst, als die Stadtwachen bereits mit ihren Speeren hinter mir herjagten. Zum Glück fand ich Euch kurz darauf am Hafen. Als Flughund floh ich über die Dächer hierher. Ich wäre Euch ja gegen die drei Gossendiebe zur Hilfe gekommen, aber Ihr habt Euch dieses Problems ja auch alleine entledigt.“ Zaramirs Blick wanderte zu dem halben Unterarm, der mit dem Krummdolch in seiner nun regungslosen Hand, in einer Blutpfütze lag.
„Warum wolltet Ihr mich unbedingt finden?“, fragte Anischa.
„Um Eure Hilfe zu erbitten“, antwortete Zaramir. „Vor ein paar Jahren heiratete ich eine Menschenfrau. Ihr Name lautet Mirana. Sie ist meine große Liebe. Wir ließen uns hier in Kandara nieder. Ich arbeite wieder als Schmied. Meine Schmiede und unser gemeinsames Haus liegen im Nordviertel der Stadt. Mirana ist eine sehr talentierte Schneiderin. Ihre Kleider verkauft sie auf dem Basar. Wir haben einen fünfjährigen Sohn namens Talius, doch wir rufen ihn gewöhnlich nur Tali. Er hat meine Fähigkeiten als Formwandler geerbt. Allerdings kann Tali die Verwandlungsvorgänge noch nicht so richtig beherrschen. Wenn er versucht sich in einen Hundewelpen zu verwandeln, wird meistens ein Waschbär oder ein Eichhörnchen daraus. Auch kann er eine Gestalt noch nicht länger als ein paar Sekunden aufrechterhalten. Doch es ist mir eine Freude tagtäglich zu beobachten, wie sich die Talente meines Jungen langsam entwickeln.“ Auf einmal veränderte sich der Ausdruck auf Zaramirs Gesicht. Das Lächeln, mit dem er vorher über Frau und Sohn erzählt hatte, verschwand und wurde zu einem Ausdruck tiefster Betrübnis. „Männer haben Mirana und Talius vor drei Tagen entführt. Als ich abends von meiner Schmiede heimkehrte, fand ich die Wohnräume unseres kleinen Hauses verwüstet vor. Inmitten des entstandenen Chaos fand ich einen Brief, der an mich gerichtet war. Darin hieß es, dass die Entführer im Auftrag der Schwesternschaft des Schlangentempels handelten. Hyrana, die Hohepriesterin des Schlangenkults, muss davon Wind bekommen haben, dass ich ein Formwandler bin. Mehr noch, sie weiß, dass ich früher einmal, dank meiner gestaltenwandlerischen Fähigkeiten, ein höchst erfolgreicher Auftragsmörder war, der in den Diensten verschiedener Edelleute stand. Nun fordert Hyrana mich auf, dass ich als Mörder in ihre Dienste trete und wenn sie es verlangt, den einen oder anderen Auftrag für den Schlangenkult erledige. Falls ich mich weigere, drohen die Schlangenpriesterinnen damit, meine Familie beim nächsten Vollmond ihrer grausamen Schlangengöttin Nagara zu opfern.“
Anischa dachte einen Augenblick lang nach. „Vollmond ist heute Nacht“, stellte sie fest. Zaramir nickte niedergeschlagen. „Bitte helft mir meine Familie zu retten. Hyrana ist ein durch und durch boshaftes Weib, die ihre Drohungen für gewöhnlich wahr zu machen pflegt. Ich will niemanden mehr töten. Erstrecht nicht für einen finsteren Schlangenkult. Die Zeit als Mörder liegt wie ein eisiger Schatten auf meiner Vergangenheit. Diese Vergangenheit darf mich nicht wieder einholen. Ich will mein einfaches aber friedliches Leben als Schmied und Familienvater weiterführen. Meine Frau habe ich meine Vergangenheit gebeichtet. Trotzdem ist Mirana bei mir geblieben. Unser Sohn soll unberührt von alle dem aufwachsen und seine Fähigkeiten später nur für gute Dinge einsetzen.“
„Ihr sagt die Entführung ist drei Tage her, warum habt Ihr Euch dann nicht an den zuständigen Grafen gewandt?“
Zaramir schüttelte den Kopf. „Graf Kasparian ist wie viele Edelmänner seines Standes im höchsten Maße pragmatisch und in der Auslegung seiner Rechtsprechung käuflich. Niemals würde er sich für die Familie eines einfachen Schmiedes mit den Schlangenpriesterinnen anlegen, die im verborgenen imstande sind Fäden zuziehen, die seine eigene Macht übersteigen. Darüber hinaus wird insgeheim gemunkelt, dass der Graf von der Hohepriesterin Hyrana mehr als nur die üblichen Steuern bezieht. Es heißt neben Geldleistungen wären auch gelegentliche Gefälligkeiten sexueller Art im Spiel. Im Gegenzug ist Kasparian gegen die Untaten des Schlangentempels auf beiden Augen blind.“
„Da mögt Ihr recht haben“, entgegnete Anischa. „Ich habe davon auch schon gehört. Schließlich ist Kasparian der jüngere Halbbruder von Graf Pepado, dessen Sohn ich vor einem knappen Jahr in dem Palast von Bashra tötete. Das ist der Grund dafür, dass ich innerhalb der Grenzen von Imir mein Gesicht die meiste Zeit über unter dem Schatten einer großen Kapuze verborgen halte. Nicht das Graf Pepado auf Rache für seinen Sohn auswähre, den er zutiefst verachtet hatte, doch ich stahl darüber hinaus ein magisches Saphirkästchen aus seinem Besitz. Darüber ist er schon äußerst verstimmt. Zu mindestens charakterlich sollen die zwei Halbbrüder sich nicht so unähnlich sein.“
„Ihr hingegen seid ganz anders. In der Vergangenheit habt Ihr immer wieder anderen aus der Not geholfen. Daher bitte ich Euch nicht nur unserer früheren Freundschaft wegen, mich in dem Versuch zu unterstützen in den Schlangentempel einzudringen und meine Familie zu retten, bevor sie in einem grausamen Ritual geopfert wird.“
Überlegend verzog die dunkle Baronin kurz das Gesicht. „Ich helfe Euch. Wir sollten allerdings nicht überstürzt handeln. Es wäre unklug, wenn wir die Stadt zusammen verlassen würden. Der Schlangentempel liegt drei Meilen südlich vor den Mauern von Kandara. Auf dem Weg hierher bin ich daran vorbeigekommen. Die Umgebung des Tempels wird von flachem Grasland dominiert, das von mehreren Palmenhainen und einer Gruppe Felsbrocken unterbrochen wird. Der größte und in seiner Form auffälligste Felsen wird der Felsen der Schlang genannt. In seinem Schatten werden wir uns bei Sonnenuntergang treffen.“
Mit Anischas Vorschlag einverstanden nickte Zaramir. Die Wege der beiden trennten sich, um zu einer späteren Tageszeit, an einem anderen Ort, wieder zueinander zu finden.

Leicht geduckt kauerte Anischa hinter einem großen Felsbrocken, der nach oben hin die Form einer züngelnden Schlange besaß. Hin und wieder lugte sie hinter der Deckung des Felsens hervor, um zu der großen Tempelanlage hinüberzuspähen, die sich einige Meter weiter östlich erstreckte. Im rötlichen Licht der letzten Sonnenstrahlen, die gerade am Horizont weit hinter dem Schlangentempel unterging, schimmerten seine Mauern in einem Purpurton auf. Mehrere große Schlangenskulpturen zierten die geheimnisvolle Fassade. Sie verstärkten die mystische Atmosphäre des riesigen Gebäudes, das sich einsam in der Grassteppe erhob. Viele Reisende, die hier auf dem Landweg nach Kandara waren, machten einen hohen Bogen um den Tempel. Aber am wichtigsten für die Erbauer war wohl die abschreckende Wirkung der Tempelmauern. In den letzten Jahren hatte niemand ungebetenes mehr versucht in die Tempelanlage einzudringen. Für Diebesbanden war dieser Ort tabu.
Anischa zog sich wieder hinter den Felsen zurück. Bis auf ein paar Tempelwachen vor dem großen Hauptportal der Anlage, hatte sie keine menschlichen Gestalten ausmachen können. Da von Zaramir noch jegliche Spur fehlte, setzte die dunkle Baronin sich im Schatten des Schlangenfelsens mit angewinkelten Beinen nieder. Ihren Blick schweifen lassend, sah Anischa, dass sich ein Stück vor ihr das Gras teilte. Als sie eine Weile mit den Augen den Bewegungen im Gras folgte, entdeckte Anischa ein kleines flinkes Tier, das ohne Scheu direkt auf sie zulief. Es handelte sich um ein Erdmännchen, das ein Stück vor ihr stehen blieb und sich nach allen Seiten umblickend auf seine Hinterbeine stellte. Überrascht zog Anischa die Augenbraun hoch. Ihres Wissens nach kam diese Tierart nur weiter südlich in den Savannen und Halbwüsten der namenlosen Reiche vor. Einem solchen Tier in der imirischen Grasebene zu begegnen war so ungewöhnlich wie einer Schar roter Drachen, die das Land in Schutt und Asche legten. Dann fiel Anischa wieder ein, dass Zaramir ein Formwandler war, der seine Fähigkeit wahrscheinlich dazu nutzte, in der Gestalt eines Tieres zu erscheinen, das nicht so schnell von ungewollten Augen erspäht werden konnte. Wie um ihre Vermutung zu bestätigen, begann das niedliche Erdmännchen sich vor Anischas Augen zu verwandeln, bis statt eines kleinen Tieres, Zaramirs dürre Menschengestalt vor ihr stand.
„Seid nochmals gegrüßt, dunkle Baronin“, sagte Zaramir mit einer kurzen Verbeugung. „Danke dass Ihr meiner Bitte gefolgt seid.“
Lächelnd nickte Anischa und erhob sich. „Ich habe die Umgebung ausgespäht und denke, wir könnten uns von der Seite dem Schlangentempel unbemerkt nähern.“
Nach einer kurzen Besprechung einigten sich die beiden darauf, in den Gestalten zweier harmloser Schlangen zum Tempel zu kriechen. Dies hatte den Vorteil, dass alle Schlangen, ganz gleich welcher Unterart, den Mitgliedern des dunklen Kults heilig waren und keiner der Wachen es wagen würde eine Schlange einzufangen oder gar zu erschlagen. Für den Fall, dass ihnen unterwegs ein Raubtier mit Appetit auf Schlangenfleisch begegnen würde, mussten sie halt schnell eine Rückverwandlung einleiten.
Anders als Zaramir, musste Anischa magische Energie aufwenden, da Selbstverwandlung nicht zu ihren Fähigkeiten gehörte. Die beiden nahmen die Gestalten von Ringelnattern an, die durch das meist kniehohe Gras auf den Schlangentempel zukrochen. Ihre Befürchtungen von Raubtieren entdeckt zu werden, bewahrheiteten sich nicht. Ohne Zwischenfall erreichten sie eine Stelle der Tempelanlage, die ein gutes Stück von großem Eingangsportal entfernt lag. Keine Wachsoldaten waren hier in Sicht. Nachdem sie sich als Schlangen soweit wie möglich aufgerichtet und umgesehen hatten, leiteten sie die Rückverwandlung ein. Noch immer auf der Hut, blickten sie sich um. Da die Luft rein zu sein schien, richtete Anischa ihre Aufmerksamkeit der Tempelmauer zu. Ihr Ziel war es möglichst schnell in das Innere des Tempels zu gelangen. Dies ging nur, wenn sie die Mauer überwanden. Beide Hände an das noch von der Hitze des Tages aufgewärmte Mauergestein legend, beschwor Anischa einen Zauber in der uralten Sprache ihres halbdämonischen Volkes. Die Außenwand vor ihnen begann auf einmal zu flimmern. Ihr Anblick ähnelte einem Trugbild, das von zu heißer Luft verursacht wurde.
„Die Barriere der Tempelmauer ist für wenige Augenblicke unterbrochen“, sagte Anischa. „Lauft schnell durch das magische Portal, bevor es sich wieder schließt.“
Zaramir befolgte Anischas Rat und sprang durch den flimmernden Teil der Außenwand. Die dunkle Baronin folgte ihm dicht auf. Gemeinsam fanden sie sich in einem halbdunklen Gang wieder, an dessen inneren Wand alle paar Meter eine brennende Fackel in einer Halterung steckte. Als sie sich umdrehten war die flimmernde Portalaufwallung verschwunden.
Anischa und Zaramir sahen den Gang hinunter, der relativ breit und lang war. In der vor ihnen liegenden Richtung gelangte man tiefer in das Labyrinth hinein, das sich hinter dem großen Altar- und Opferraum erstreckte, in dem sich die gläubigen Anhänger des Schlangenkults einfanden, um ihre religiösen Rituale abzuhalten.
Einem inneren Gefühl folgend, dass sie zu Zaramirs Familie führen sollte, schlugen sie die Richtung ein, in der man tiefer in das Labyrinth des Schlangentempels gelante. Wachsam und mit geschärften Sinnen, hielten Anischa und Zaramir sich dabei dicht an der Wand. Unbehelligt kamen die beiden so einige Meter weit, bis sie zu einer Gangabbiegung kamen, wo sich nähernde Schritte laut wurden. Sofort drückten Anischa und Zaramir sich mit ihren Rücken gegen die Wand, wo die dunkle Baronin dafür sorgte, dass ihre Gestalten mit den Schatten verschmolzen. Fast unsichtbar warteten sie ab. Nach ein paar angespannten Augenblicken kamen vier in Schuppenrüstungen steckende Wachmänner um die Ecke marschiert. Die Tempelsoldaten patrouillierten durch die Gänge, da dieser Teil des Tempels geheim war. Nur die Priesterinnen und die ihnen dienenden Wachen hatten in dem Labyrinth Zutritt. Für die normalen Gläubigen war es unter Verbannung aus dem Kult verboten, sich in den Teilen des Tempels aufzuhalten, die nicht zu den Gebets- und Opferräumen gehörten. In ihren Händen hielten die Wachen Piken. Darüber hinaus steckte jeweils ein Krummsäbel in ihren Waffengürteln. Auf ihren Köpfen trugen die Männer spitze Helme, die nach oben hin wie züngelnde Schlangen geformt waren. Obwohl einer der Tempelwachen so nah an Anischa und Zaramir vorbeimarschierte, dass sie seinen Atem spürten, nahm er keine Notiz von ihnen. Solange sie sich nicht bewegten, war die Schattentarnung, die Anischa über sie gelegte hatte fast perfekt.
Nachdem die vier Wachen außer Sichtweite waren, setzten Anischa und Zaramir ihren Weg fort. Sie bogen in die Richtung ab, aus der die Soldaten gekommen waren. Der Gang verbreiterte sich hier noch ein wenig und endete nach einer Weile an einer in die Tiefe führenden Treppe. Decke und Wände waren hier nicht mehr aus ebenen Mauerwerk, sondern bekam zunehmend eine felsige Struktur.
Oben am Fuß der Treppe überkam Anischa das Gefühl, dass sich von unten eine Bedrohung näherte. Sie gab Zaramir ein Zeichen, dass er stehen bleiben sollte und zog dann ihr Langschwert. Kurz darauf drangen Geräusche zu ihnen herauf, die an gurgelnde Stöhnlaute erinnerten, die von einem noch eindringlicheren Zischeln begleitet wurden. Ein gutes Dutzend menschlicher Gestalten kam in Sicht, deren Gesichter bleich waren, während ihre veränderten Augen wie die von Besessenen vor sich hinstarrten. Mit ausgebreiteten Armen kamen sie langsamen Schrittes die felsigen Stufen hochgeschlurft. Ihr Anblick erinnerte Anischa an den von Zombies. Als Seelenräuberin besaß sie die Fähigkeit, niedere Untote zu beeinflussen. Sie ging geistig in sich und versuchte den Gestalten zu befehlen, sich umzudrehen und in die Tiefe zurückzukehren aus der sie kamen. So sehr Anischa sich auch bemühte, es gelang ihr nicht die menschlichen Wesen zu beeinflussen, die weiter auf Zaramir und ihr zukamen. Diese Menschen waren keine Untoten, sondern waren von etwas bezaubert worden, das den freien Willen ihres Geistes beeinflusste. Ihre Augen waren nicht so blutunterlaufen wie es bei Zombies üblich war, sondern erinnerten an die Augen von Reptilien. Hinter ihnen kroch noch etwas großes Schwarzes die Stufen hoch. Eine schwarze Riesenschlange richtete sich auf. Ihr Anblick erinnerte an eine Kobra mit aufgerichtetem Vorderkörper. Aus dem schwarzen Maul der Riesenschlange schoss eine vorne gespaltene Zunge, deren züngelnde Bewegungen in dem vorherrschenden Halbdunkel kaum auszumachen waren. Die Schlange trieb die Menschen, die in ihrem Bann standen, die letzten Stufen der Treppe hoch.
Neben Anischa verwandelte Zaramir sich in einen Säbelzahntiger. Er riss sein Maul auf, das mit zwei großen Säbelzähnen bestückt war und sah den Angreifern fauchend entgegen.
Die ersten vier Bezauberten erreichten das Plato oberhalb der Felsentreppe. Ohne Waffen griffen sie Anischa und den Säbelzahntiger, der Zaramir war, an. Es waren normale Menschen in einfacher Kleidung, wie man sie auf den Straßen von Kandara tausendfach sah. Einer von ihnen war sogar in den Lumpen eines Obdachlosen gekleidet. Es schien, als ob man diese Menschen wahllos entführt und bezaubert hatte. Ihnen fehlte jegliche Furcht und der Wille das eigene Leben zu schützen. Mit bloßen Händen, die unnatürlich spitze Fingernägel besaßen, gingen sie auf Anischa und dem Säbelzahntiger los. Anischa vermied es mit dem Schwert nach den Angreifern zu schlagen, da sie wusste, dass es sich nur um bezauberte Menschen handelte, die in ihrem normalen Zustand wahrscheinlich schreiend die Flucht ergreifen würden. Auch Zaramir unterdrückte den Instinkt mit seinen Smilodonsäbelzähnen zuzubeißen. Dafür hielt er sich mit den Raubtierkrallen einen Angreifer vom Leib. Er traf einen Mann mit langen weißgrauen Haaren und riss ihm einen Teil des rechten Unterarms auf. Der intensive Schmerz, der von dem blutenden Kratzer ausging bewirkte, dass das schlangenhafte aus seinen Augen wich. Zunächst verwirrt, blickte der Alte sich um. Als die Erinnerung zurückkehrte, an das was die Priesterinnen des Schlangenkults mit ihm gemacht hatten, wich er panisch schreiend vor dem Kampfgetümmel zurück.
Wissend, dass die eigentlich Bedrohung von dem schwarzen Schlangenwesen ausging, das sich mit aufgerichtetem Vorderkörper bisher im Hintergrund hielt und die Szenerie mit einer boshaften Genugtuung beobachtete, stieß Anischa zwei Angreifer von sich, um sich dann einen Weg zur Felsentreppe zu bahnen. Ein paar der bezauberten Menschen setzten ihr nach, doch die dunkle Baronin war zu geschwind, als dass sie davon abgehalten werden konnte, die Stufen hinunterzulaufen. Züngelnd erwartete die Riesenschlange sie, die von ihrer beobachtenden Position das Haupt neigte und in eine Kampfhaltung wechselte. Der Kreatur war eine gewisse Furcht vor dem kämpferischen Geschick der Seelenräuberin anzumerken. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass die bezauberten Menschensklaven Anischa nicht aufzuhalten vermochten.
Zaramir sprang mit seinen Vorderpfoten einen Mann an, der vor ihm stand und riss ihm mit dem Gewicht der großen Säbelzahnkatze zu Boden. Dann sprang seine Smilodongestalt geschmeidig über den gestürzten Leib hinweg. Auf seinen vier Pfoten hechtete Zaramir die Felsenstufen hinunter, um an Anischas Seite zu gelangen.
Das sich öffnende Maul der Riesenschlange schnappte nach Anischa, als sie mit dem Schwert in der Hand herangestürmt kam. Die dunkle Baronin entkam den zuschnappenden Schlangenkiefern, indem sie pfeilschnell einen Satz zur Seite vollzog. Als der Biss der Bestie ins leere ging, stieß die Schwertkämpferin ihre Klinge gegen die Seite des schwarzen Leibes der Riesenschlange. Die Schwertschneide durchdrang den natürlichen Schuppenpanzer und wurde von Anischa tiefer in das Fleisch der Kreatur getrieben.
Im nächsten Moment war Zaramir zur Stelle. Fauchend holte er mit den Vorderpranken des Smilodons nach der schwarzen Riesenschlange aus. Seine scharfen Raubkatzenkrallen schrammten über die Schuppenhaut hinweg ohne der Kreatur eine ernsthafte Verletzung zuzufügen. Allerdings schaffte Zaramir einen Teil des Zornes der Schlange auf sich zu lenken. Zischelnd riss die Riesenschlange ihren Kopf zu ihn herum. Sie schnappte nach der Säbelzahnkatze und versuchte ihre Schlangenzähne in seinen Tierkörper zu jagen. Der Smilodon wich vor dem Maul der Schlange zurück. Auf den nach oben verlaufenden Stufen kam er jedoch nicht schnell genug voran. Dazu gerieten seine Hinterbeine ins straucheln. Das Maul der Riesenschlange holte ihn ein und verbiss sich in einer Stelle oberhalb seines Halses. Zwei der langen Fangzähne wurden dabei in Zaramirs Fleisch getrieben, der sich brüllend zu winden begann.
Anischa hatte inzwischen ihr Schwert aus dem Leib der schwarzen Riesenschlange zurückgezogen. Blut rann aus der Wunde, die sie dem Ungetüm zugefügt hatte. Von der abgelenkten Riesenschlange unbehelligt, wollte sie mit dem Schwert nachsetzen, um Zaramir aus seiner lebensbedrohlichen Situation zu befreien. Als sie die Waffe mit beiden Händen heben wollte, spürte die Seelenräuberin wie von hinten mehrere Hände nach ihr griffen und versuchten sie ein Stück von der Kreatur fortzuziehen. Ein paar der bezauberten Menschen waren auf den telepatischen Befehl ihrer Herrin gekommen, um die dunkle Baronin an einen weiteren Angriff zu hindern. Ihre Hände packten Anischas Arme und sorgten dafür, dass sie ihren beabsichtigten Hieb gegen die Riesenschlange nicht ausführen konnte. In ihrer Kampfrage, in die Anischa sich hineinsteigerte, gelang es ihr innerhalb von Augenblicken Kräfte zu wecken, die selbst der stärkste Mensch nicht besaß. Sie riss sich von den Händen los und rang dabei noch zwei der bezauberten Menschen, die sie bedrängten zu Boden. Befreit sprang die Seelenräuberin zwei Felsenstufen auf einmal hinunter. Einen festen Stand annehmend kam sie wieder dichter an den riesigen Körper der schwarzen Schlange heran. Diesmal gelang es ihr ungestört mit dem Langschwert in ihren Händen zu weiten Schwungbewegung auszuholen. Die Schwertklinge beschrieb einen hohen Bogen und traf dann mit der ganzen Wucht, die Anischa aufbrachte, auf die geschuppte Schlangenhaut. Durch den kraftvollen Hieb, drang die Waffe tief in das Fleisch der Kreatur ein. Als Anischa ihr Schwert aus dem Schlangenleib zog, spritze ihr eine Blutfontäne entgegen. Sie hatte eine lebenswichtige Ader im Körper des Monstrums getroffen. Die schwere Verletzung blieb dem intelligenten Schlangengeschöpf nicht verborgen. Etwas ausstoßend, das sich wie eine Mischung aus einem animalischen Fauchen und ein menschlichen Schrei anhörte, riss es sein Maul auf. Zaramir nutzte die Gunst des Moments, als die Umklammerung der reißzahnbestückten Kiefern sich von seiner Raubkatzengestalt lösten. Leicht verletzt aber am Leben sprang er auf die Stufen der Felsentreppe zurück.
Anischa befand sich auf einer Stelle der Treppe, an der sie das Maul der Riesenschlange nicht erreichen konnte. Auch von den Bezauberten war ihr keiner gefolgt, wahrscheinlich weil die telepatische Verbindung zwischen der Kreatur und ihnen abgebrochen war. Die dunkle Baronin war besessen davon, der Riesenschlange den entgültigen Todesstoß zu versetzen. Dank ihrer besonderen Fähigkeiten schaffte sie es sich an den schwarzen Schuppen der Schlangenhaut in die Höhe zu schwingen. Auf diese Weise gelangte sie auf den Rücken des Ungetüms, wo sie kurz mit der Balance kämpfend zum stehen kam. Obwohl die Riesenschlange sich mehrmals hintereinander ruckartig bewegte, gelang es der geschickten Kriegerin, ohne ins straucheln zu geraten, in die Richtung des monströsen Kopfes zu gelangen. Anischa erreichte eine Stelle, an der das Haupt der Schlange schräg unter ihr lag. Diese begann, als sie spürte was die Kämpferin auf ihr vorhatte, wie wild mit der vorderen Hälfte ihres Körpers hin- und herzuschwenken. Die Hoffnung der Kreatur, die Seelenräuberin irgendwie abzuschütteln zu können, waren vergebens. Die dunkle Baronin behielt ihr Gleichgewicht und ihren breitbeinigen Stand bei. Mit den Augen fixierte sie ihr Ziel, um dann das Schwert in ihren Händen mit einem Schrei hinabzustoßen. Durch die Wucht die Anischa in den Stoß legte, durchstieß die Klingenspitze die Schädeldecke der Schlange. Wutbetont trieb die Kriegerin ihr Schwert in das darunter liegende Gehirn. Augenblicklich erstarrte die Kreatur in ihren vorher so schnellen Bewegungen. Anischa drehte das im Kopf der Schlange steckende Langschwert ruckartig herum und zog es schließlich aus der Schädelwunde heraus, als sie merkte, dass der Leib der Bestie erschlaffte. Der angehobene vordere Teil des Schlangenkörpers stürzte auf die felsigen Stufen der Treppe hinab.
Leichtfüßig sprang Anischa von dem Rücken der Riesenschlange hinunter, die ihren letzten Lebensatem ausgehaucht hatte. Im Tod begann eine Verwandlung mit der Kreatur einherzugehen, die in sich zusammenschrumpfte. Auch die Menschen, die von ihr bezaubert gewesen waren, fasten sich zum Teil schreiend an ihre Schläfen. Das reptilienartige verschwand aus ihren Augen und das menschliche kehrte in ihnen zurück. Auch Zaramir leitete eine Rückverwandlung ein und nahm wieder seine Menschengestalt an. Der Formwandler verzog sein Gesicht und hielt sich die rechte Seite, wo eine blutende Fleischwunde klaffte.
„Seid Ihr schwer verletzt?“, fragte Anischa.
„Nein, es geht schon“, antwortete Zaramir mit einer abwinkenden Handbewegung. Anischa fühlte, dass er versuchte seinen mit dem Schlangenbiss einhergehenden Blutverlust zu überspielen.
Die Menschen, die vorher im Bann der Schlange gestanden hatten, sahen sich verwirrt um. „Was ist mit uns geschehen“, fragte eine junge Frau an Anischa gewandt.
„Ihr habt unter einem Zauberbann gestanden“, antwortete Anischa. „Die Mitglieder des Schlangenordens haben euch in ihren Tempel verschleppt. Wahrscheinlich um euch zu versklaven. Diese Kre...“ Die dunkle Baronin stockte mitten im Satz, als sie nach unten deutete. Sie stellte fest, dass dort kein schwarzes Riesenschlangenwesen mehr lag, sondern eine tote Frau. Es handelte sich um eine Tempelpriesterin in einem dünnen schwarzen Schleiergewand. Ihr kahlrasierter Schädel war durch Anischas Schwert gespalten. Er besaß an seinen Seiten zwei Schlangentätowierungen, die typischen für die Priesterinnen dieses Ordens waren. Sie stellten ein Zeichen für ihre Zugehörigkeit dar. Anischa nahm an, dass die Priesterin, deren Gesichtszüge nicht besonders schön, aber auch nicht unansehnlich waren, zwar einen hohen Rang in der Hierarchie des Ordens besessen hatte, sie aber nicht die Hohepriesterin gewesen war. Sie war mächtig genug gewesen, um dauerhaft die Gestalt einer schwarzen Riesenschlange anzunehmen und ihre menschlichen Opfer zu bezaubern.
Nachdem die Situation sich beruhigt hatte, riet Anischa den Menschen oberhalb der Felsentreppe zu warten, da es nicht ungefährlich war sich auf eigene Faust einen Weg aus dem Tempel zu suchen. Während die entzauberten Menschen etwas verängstigt zurückblieben, wagten Anischa und Zaramir den Abstieg in die unter dem Tempel befindliche Tiefe.

Sie ließen die mehr als hundert Stufen umfassende Felsentreppe hinter sich. Unten erwartete sie ein verzweigtes System aus unterirdischen Stollengängen. Eigentlich hätte in dieser Tiefe absolute Finsternis herrschen müssen, doch dieser Ort schien mit einem dauerhaften Zauber belegt zu sein, der für so eine Art Halblicht sorgte, das sowohl für Anischas als auch für Zaramirs Augen ausreichte, um mehr als bloße Schemen zu erkennen. Immer damit rechnend, dass Tempelwachen oder noch weitaus gefährlichere Gegner ihnen den Weg versperren konnten, ließen Anischa und Zaramir sich von ihrem innern Gefühl leiten. Besonders der Gestaltenwechsler spürte bald, dass seine Frau und sein kleiner Sohn in der Nähe waren. Ohne in den Stollen anderen Feinden zu begegnen, kamen sie voran, bis sich vor ihnen ein großer unterirdischer Felsensaal auftat. Mit geschärften Sinnen sorgte Anischa dafür, dass sie wieder mit den Schatten verschmolzen. Dicht an der unebenen Felsenwand haltend, betraten sie den Höhlensaal. In seinem Zentrum ragten neun mehrere Meter hohe Schlangenskulpturen auf, die dort einen Kreis bildeten. Anischa nahm an, dass dieser Ort zur Durchführung geheimer Rituale diente, zu denen nur die Priesterinnen des Schlangenordens zugelassen wurden. Wahrscheinlich wurden hier unten sogar Menschenopfer dargebracht. Aus dem Innern des Kreises aus Schlangenskulpturen war lautes Weinen und Schluchzen zu hören. Zwei unterschiedlich große Menschen lagen in Ketten auf einem Schrein. Zaramir erkannte sofort, dass es sich um seine Frau und seinen Sohn handelte. Von kahlköpfigen Priesterinnen fehlte jede Spur. Lediglich zwei Tempelwachen bewachten die beiden Opfer auf dem Steinaltar. Die Männer waren hochgewachsen und von grobschlächtigem Aussehen. Statt mit Piken wie ihre Kameraden, waren sie mit großen zweihändigen Schwertern bewaffnet, die sie mit nach unten geneigten Klingen vor sich hielten. In der Vergangenheit hatte Anischa immer wieder eine solche Waffe bevorzugt, auch wenn sie im Moment ein leichteres Langschwert trug.
Bei dem Anblick von Frau und Kind hielt Zaramir nichts mehr in dem Schattenversteck. „Mirana, Talius!“, rief der Formwandler ihre Namen. Alle Vorsicht außer acht lassend, stürmte die schmächtig wirkende Menschengestalt des Formwandlers auf den Kreis der Schlangenskulpturen los. Er zog dabei seinen im Vergleich zu den Zweihändern der Tempelwachen kleinen Krummsäbel. Anischa, die sich im klaren war, dass ihr angedachter Plan des Abwartens und Heranschleichens zunichte war, zog ebenfalls ihr Schwert und folgte Zaramir zähneknirschend.
Die zwei Tempelwachen hoben ohne eine Regung auf ihren beiden Gesichtern ihre Zweihänder. Zaramirs und Anischas plötzliches Auftauchen schien sie nicht im geringsten zu überraschen. Sie hielten ihre Positionen rechts und links von dem Opferaltar. Zaramir rannte zu dem rechten Wachsoldaten und schwang dabei seinen Krummsäbel. Obwohl die Tempelwache aufgrund ihrer längeren Klinge eine höhere Reichweite besaß, stellte der Gestaltenwechsler sich als zäher und wendiger Gegner heraus. Als der Wachmann mit seinem Zweihänder nach ihm ausholte, gelang es Zaramir dem Hieb durch eine geschickte Drehung auszuweichen. Er nutzte den Moment, um an den Wachen vorbeizuhechten und in die Nähe des Opferschreins zu gelangen, auf dem seine Familie in Ketten lag.
In dem Augenblick als Anischa den Kreis der Schlangen betrat, überkam sie ein sehr böses Gefühl, das mit einer düsteren Vorahnung einherging. Sie spürte die Gegenwart von jemand sehr mächtigen. Kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, da manifestierten sich im hinter dem Opferaltar liegenden Schatten die Gestalten von drei kahlköpfigen Priesterinnen. Zwei der Frauen, die aus dem Nichts erschienen waren, trugen wie die Priesterin auf der Treppe dünne schwarze Schleiergewänder, durch die ihre nackte Haut hindurchschimmerte. Die vorderste Priesterin, die eine Haupteslänge größer als ihre Glaubensschwestern war, war in eine goldene Robe gekleidet, auf der mehrere Schlangenabbildungen gestickt waren. Ihre Augen waren ebenso golden wie ihre Priesterinnenrobe und sie schwarzen Pupillen in ihnen waren nicht menschlich, sondern die einer Schlange. Bei dem Anblick der Frau mit den goldenen Schlangenaugen überkam Anischa ein eisiger Schauer, der sie wissen ließ, dass es sich um die Hohepriesterin handelte. Höhnisch lachend kam Hyrana auf sie zu. Der Mund der goldäugigen Hohepriesterin öffnete sich und eine lange schwarze Zunge schnellte daraus hervor, die wie bei einer Schlange vorne gespalten war. Hyrana begann etwas in einer unverständlichen Sprache zu singen, was sowohl melodisch als auch Furcht einflössend klang. Aus Öffnungen in den Mäulern und Augen der hohen Schlangenstatuen kamen die Leiber verschiedener Schlangenarten gekrochen. Es war, als ob die Tiere von dem Gesang der Hohepriesterin angelockt wurden. Sie schlängelten sich über das raue Gestein der neun Skulpturen in Richtung Boden hinab. Immer mehr Schlangen folgten ihnen. Es mussten weit mehr als hundert seine. Viele davon waren giftig. Zwischen den Sockeln der Statuen krochen nun auch einige größere Würgeschlangen wie Anacondas oder Pythons in Anischas Blickfeld. Die dunkle Baronin hatte jedoch kaum Augen für die vielen Schlangen, noch für die beiden Tempelwachen, die sich nicht von der Stelle bewegten. Ihr Augenmerk galt alleine Hyrana und den beiden Priesterinnen, die ihrer Herrin nachfolgten, was sich als ein fataler Fehler erwies. Urplötzlich spürte Anischa wie etwas ihre Beine umschlang, gerade als sie auf Hyrana zustürmen wollte. Zuerst dachte sie an Schlangen, doch das was sich da um ihre Schenkel legte fühlte sich viel zu hart und uneben an. Als Anischa an sich hinabsah stellte sie fest, dass es sich um Eisenketten handelte, die sich mit jeder Bewegung ihrerseits immer weiter zuzogen. Zu spät stellte die dunkle Baronin fest, dass sie in eine Falle getappt war.
Weiter vor ihr am Opferaltar hatte Zaramir seine Frau und seinen Sohn von den Ketten befreit. Weder Priesterinnen noch Tempelwachen kümmerten sich noch um den Formwandler, der seine Familie in die Arme schloss. Zaramir war für Hyrana uninteressant geworden. Sie und ihre Diener ignorierten den Gestaltwechsler mit seiner Menschenfrau und ihrem gemeinsamen Sohn. Die ganze Aktion hatte nur dem Zweck gedient, Anischa in den Kreis der Schlangen zu locken.
Inzwischen wimmelte es am Boden des Skulpturenkreises von den verschiedenen Schlangenkörpern, die überall herumkrochen. Sie zischten und züngelten. Kobras stellten sich wütend mit ihren Vorderleibern auf. Klapperschlangen klapperten mit ihren Klappern. Gleich neben Anischa kroch eine große Felsenpython zwischen ihren von den Eisenketten gefangenen Beinen entlang. Keines der Tiere wagte es Anischa oder einem der anderen Menschen in dem Schlangenkreis anzugreifen oder gar zu beißen. Sie alle standen im Bann von Hyranas überlegenen Geist.
Die Hohepriesterin des Schlangenkults stand Anischa nun gegenüber. Dabei hielt Hyrana soviel Abstand, dass sie ein knappes Stück außerhalb der Reichweite von Anischas Schwert blieb.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte die dunkle Baronin, wobei sich der Blick ihrer smaragdgrünen Augen feindselig verengte.
„Könnt Ihr Euch das nicht denken?“, stellte Hyrana eine Gegenfrage. Ein noch bösartiger Ausdruck nahm von dem schönen aber auch sehr kühlen Gesicht der Hohepriesterin Besitz. „Zaramir war nur ein Mittel zum Zweck. Er hat mir geholfen Euer habhaft zu werden, dunkle Baronin. Das Blut einer Seelenräuberin wird mir endlich die seit langem angestrebte Macht verleihen. Ein fast unsterbliches Leben und Fähigkeiten, die meine eigenen ergänzen werden.“
In einigen Metern Entfernung schleppte sich Zaramir an ihnen vorbei. Seine Frau und sein Sohn stützten ihre erschöpften Körper auf den Formwandler. Der schuldbewusste Blick des Formwandlers traf auf den der Seelenräuberin. „Es tut mir so leid!“, rief Zaramir. „Bitte verzeiht mir. Ich musste es tun, sonst hätten die Priesterinnen meine Familie ihrer Schlangengöttin geopfert.“ Tränen liefen über Zaramirs Wangen, als er mit seiner Familie bedauernd den Kreis der Schlangen verließ.
„Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um Euch zu verschlingen, dunkle Baronin“, sagte Hyrana. Die Hohepriesterin begann eine Verwandlung einzuleiten. Ihre gerade noch menschliche Haut wies plötzlich goldene Schuppen auf. Hyranas Frauengesicht verwandelte sich in das einer Schlange. Auch die Arme und Beine zogen sich zurück. Der gesamte Körper der Hohepriesterin verformte sich zu dem einer goldenen Schlange mit einem langen schwarzen Streifen auf dem Rücken, die stetig größer wurde. Hyrana wuchs zu einer Schlange an, die noch mächtiger als die Kreatur auf der Treppe war.
Bald darauf war Hyranas Schlangengestalt so riesig, dass sie mit ihren Körper spielend den Statuenkreis einnehmen konnte. Ihre Augen, in denen eine bösartige Intelligenz auffunkelte, musterten Anischa genauestens. Sie schienen die Beschaffenheit von Anischas Körper geradezu zu studieren. Aus ihrem sich öffnenden Schlangenmaul schnellte eine lange gespaltene Zunge. Hyrana nahm damit Anischas Körpergeruch auf und regte ihren eigenen Blutdurst an.
Mühsam versuchte Anischa ihre Beine von den Ketten, die sie gefangen hielten zu befreien, doch alle Kraftanstrengungen waren umsonst. Der Zauber, der die Eisenketten belebt hatte war einfach zu stark. Dazu entschlossen nicht kampflos von Hyrana verschlungen zu werden, hob Anischa ihr Schwert in die Höhe. Sie erwartete, dass das Haupt der Riesenschlange jeden Moment zu ihr hinabstieß. Es vergingen ein paar angespannte Sekunden in einer bedrückenden Stille. Dann bewegte sich der Leib der goldschwarzen Riesenschlange. Hyranas Kopf näherte sich Anischa zunächst von der Seite. Ihr Plan war es so plötzlich zuzuschnappen, dass die dunkle Baronin erst gar nicht zu einem Hieb mit dem Schwert ausholen konnte. Ein weiteres Mal züngelte ihre Zunge aus dem Maul. Der Geruch von Anischas Schweiß gab Hyrana Auskunft über ihre Verfassung. Außerdem half es dabei ihre exakte Position besser zu orten. Als die gespaltene Zunge zurück in ihr Maul schnellte, gab Hyrana endlich ihre abwartende Distanz auf. Ihr Maul stürzte auf Anischa zu. Dann erschütterte ein tierhaftes Kreischen den unterirdischen Felsensaal. Ein Seeadler mit einer enormen Flügelspannweite kam in den Kreis der Schlangen geflogen. Sogleich erkannte Anischa, dass der Greifvogel Zaramir war. Der Formwandler war zurückgekehrt, um Anischa gegen Hyrana beizustehen. Furchtlos hielt der Adler auf das Haupt der Riesenschlange zu. Klauen und Schnabel richtete er dabei zum Angriff aus. Hyrana war so sehr auf Anischa geprägt, dass sie zu spät auf den Seeadler aufmerksam wurde, der trotz seiner majestätischen Erscheinung, neben der goldenen Riesenschlange winzig wirkte. In der unmittelbaren Nähe zu dem Schlangenhaupt bremste Zaramir seine Fluggeschwindigkeit abrupt ab. Mit dem spitzen Schnabel des Raubvogels pickte der Formwandler gezielt nach Hyranas rechten Schlangenauge, während sich die scharfen Krallen seiner Klauen in der Schuppenhaut ihres Gesichtes verkrallten. Zaramirs Schnabelspitze schnellte zielsicher vor und stach so unbarmherzig in das Auge, bis davon nur noch eine eitrige Masse übrig blieb. Einseitig geblendet zischelte Hyrana auf. Kraftvoll schlug Zaramir mit seinen Flügeln und gewann gerade noch rechtzeitig an Höhe, denn Hyranas Zunge peitschte nach seiner Seeadlergestalt durch die Luft und verfehlte sie um Haaresbreite. Halbseitig blind sah die Riesenschlange nicht wie der Seeadler dicht über ihr ein Wendemanöver flog, um unbemerkt an deren andere Seite zu gelangen. Hyrana, die mit einem weiteren Angriff auf ihre augenlose rechte Seite rechnete, wurde von Zaramirs Angriffswut übertölpelt, als seine Klauen auf einmal ihre linke Gesichtshälfte attackierten. Wieder krallte er sich mit seinen Greifvogelklauen in der Schuppenhaut fest, um seinen Schnabel in das verbliebene Auge der Riesenschlange zustoßen. Dieses Mal war die Schnabelattacke noch wutbeseelter als beim ersten Mal. Mit seinem scharfen Adlerschnabel fraß Zaramir den Augenapfel förmlich aus seiner vergrößerten Höhle. Was von der glitschigen Augenmasse übrig blieb, spuckte der Gestaltenwechsler aus, bevor er seine Klauen von der Schuppenhaut löste, um flügelschlagend ein Stück an Höhe zu gewinnen.
Wahnsinnig vor Schmerzen und der Wut über den Verlust ihres Augenlichtes, wand Hyrana den vorderen Teil ihres Riesenschlangenleibs unkontrolliert hin und her. Dabei kreischte sie auf, was auf einmal eher menschlich klang.
Anischa, die Zeugin von Hyranas gewaltsamem Erblinden geworden war, erkannte ihre Chance, der verwandelten Hohepriesterin einen tödlichen Schlag zu versetzen. Blind und Wahrsinnig achteten die übrigen Sinne der Riesenschlange nicht mehr auf ihre Umgebung. In ihrem Anfall hielt Hyrana keinerlei Distanz mehr ein. Als ihr Schlangenvorderkörper in seinen Windungen näher als ein Meter an Anischa herankam, holte die dunkle Baronin mit ihrem Langschwert nach Hyrana aus. Die erfahrene Schwertkämpferin traf am Leib der Riesenschlange eine Stelle, die sich unmittelbar hinter dem Kopf des Monstrums befand. Unter der Wucht, die Anischa in den Hieb legte, glitt die Schwertschneide durch das Schlangenfleisch und trat auf der anderen Seite wieder aus. Vom Rest des Körpers abgeschnitten stürzte das Riesenschlangenhaupt zu Boden. Sekundenbruchteile später erschlaffte der monströse Leib, in den die Hohepriesterin sich verwandelt hatte. Aus Kopf und Körper ergoss sich Blut auf ein paar der Schlangen, von denen es in dem Skulpturenkreis noch immer wimmelte. Die Tiere, die plötzlich von dem Bann unter dem sie gestanden hatten befreit waren, wurden von dem frischen Lebenssaft so wild, dass sie sich gegenseitig angriffen.
Nach Hyranas Tod fielen die Ketten von Anischas Unterschenkeln ab. Wieder frei stürmte die Kriegerin an dem enthaupteten Ungetüm vorbei, dass sich allmählich in die menschliche Hohepriesterin zurückverwandelte. Mit Hyranas Tod verlor ihr Verwandlungszauber seine Wirkung.
Nach einigen Augenblicken begriffen die zwei Priesterinnen, die sich zusammen mit Hyrana im Kreis der Schlangen manifestiert hatten, dass ihre Meisterin tot war. Getötet von einer wahren Kampffurie. Man sah ihnen ihre Angst vor der Seelenräuberin an. Hyranas Tod beklagend, wichen die Priesterinnen vor der dunklen Baronin zurück. Dabei achteten sie kaum darauf wo sie hintraten. Über dem Boden krochen noch mehr als hundert Schlangen durcheinander, die nicht mehr durch den Geist der Hohepriesterin gebändigt wurden. Die zwei Frauen traten auf ein paar der Tiere, die sich im höchsten Maße bedroht fühlten. Eine der leicht bekleideten Priesterinnen wurde von einer schwarzen Mamba in den linken Unterschenkel gebissen. In Erwartung eines baldigen qualvollen Todes, kreischte die Klerikerin auf, als eines der stärksten Schlangengifte in ihren Blutkreislauf gelangte. Gestützt von ihrer Glaubensschwester verließ die Todgeweihte dieses Mal achtsamer den Kreis der Schlangen. Anischa zog es vor ihnen nicht zu folgen. Die dunkle Baronin schützte sich vor Schlangenbissen, indem sie ihre Fähigkeit nutzte, die schlichteren Gemüter von Tierwesen beeinflussen zu können. Von ihren Feinden waren nun nur noch die beiden Tempelwachen mit ihren Zweihändern in dem Kreis übriggeblieben. Diese waren durch ihre Schuppenrüstungen weitgehend vor den Bissen giftiger Schlangen geschützt. Nervös tauschten die zwei hochgewachsenen Männer Blicke aus. Kurz darauf war von oben ein Grollen zu hören, das von den dunklen Felsen der Höhle weitergeleitet wurde. Sowohl Anischa als auch die beiden Wachsoldaten schauten kurz hoch. Dieses eindringliche Geräusch konnte nur bedeuten, dass dort oben im Schlangentempel etwas vor sich ging. Einer der Wachen machte Anstalten auf die dunkle Baronin zustürmen zu wollen, doch er wurde von einer Hand seines Kameraden, der seine linke Schulter berührte davon abgehalten.
„Garius, wir müssen hier sofort raus!“, sagte der eine Wachmann zu seinem kampfwütigen Waffenbruder. „Der Tempel wird einstürzen!“ Wissend, dass sein besonnender Kamerad recht hatte, warf der Soldat der dunklen Baronin einen letzten feindseligen Blick zu. Dann drehten die beiden Tempelwachen sich um, um den Skulpturenkreis rennend zu verlassen. Ein paar der Schlangen an denen sie vorbeikamen zischten wütend auf, woran die fliehenden Männer sich nicht weiter störten.
Anischa ahnte, dass die zwei Tempelwachen recht hatten. Die Mauern des Schlangentempels waren von Hyranas bösem Geist beseelt gewesen. Durch den Tod der Hohepriesterin stand nun auch ihr Ende bevor. Auch wenn es sich um ein solides Bauwerk handelte, würden die Mauern des Tempels in dieser Nacht einstürzen. Die dunkle Baronin sah sich ein letztes Mal um. Statt der goldenen Riesenschlange lag nur noch der enthauptete Körper von Hyrana der Tempelpriesterin hinter ihr. Dann beschloss Anischa dem Beispiel der Tempelwachen zu folgen. Sie verließ den Kreis der Schlangen und rannte durch den Felsensaal zu den angrenzenden Stollen. Am unteren Teil der Felsentreppe traf Anischa auf Zaramir und seine Familie. Der Formwandler hatte sich in einen Menschen zurückverwandelt und nickte Anischa dankbar zu. Ein dankbarer Gruß, den die dunkle Baronin erwiderte. Nur weil Zaramir in der Gestalt des Seeadlers zurückgekommen war und mit seinem Schnabel der Riesenschlange die Augen ausgestochen hatte, konnte sie den entscheidenden tödlichen Schlag gegen Hyrana setzen.
„Kommt!“, rief Anischa. „Wenn der Schlangentempel nicht unser Grab werden soll, dann müssen wir sofort hier raus!“
Die Vier liefen die Felsentreppe hoch. Oben warteten keine Menschen mehr. Anscheinend hatten die Entzauberten es vorgezogen nach Einsetzen des Mauergrollens, eigenständig einen Weg aus dem Tempel zu suchen. Das taten Anischa und ihre Begleiter nun auch. Wieder verließ die Halbdämonin sich auf ihr inneres Gefühl, das sie in der Auswahl des Weges den sie nahmen führte. Durch die Gänge des Tempels gelangten sie in den großen Altarraum. Hier hielt sich niemand mehr auf, denn das Erbeben der Tempelmauern hatte an Intensität weiter zugenommen. Gesteinsbrocken stürzten vor und neben ihnen zu Boden. Anischa und die anderen waren gezwungen, den einstürzenden Trümmern auszuweichen. Unbeschadet gelangten sie zu dem großen halboffenstehenden Hauptportal. Über eine Treppe liefen sie ins Freie. Draußen herrschte tiefe Nacht. Nachdem die Vier genügend Abstand zwischen sich und der Tempelanlage gebracht hatte, drehten sie sich um und wurden Zeugen wie die einst eindrucksvolle Fassade der Tempelanlage immer weiter bröckelte. Ein Stück weiter weck standen noch weitere entsetzte Menschen herum, von denen die meisten Anhänger des Schlangenkults waren. Keiner von ihnen nahm noch großartig Notiz von Anischa und der Familie des Formwandlers. Sie alle wurden im Licht des Vollmonds und der vielen glitzernden Sterne um ihn herum, zu Zeugen, wie die Mauern des Schlangentempels nach und nach in sich einstürzten. Gegen Morgengrauen blieb nichts weiter als ein riesiger Haufen aus Schutt und Mauergeröll davon übrig. Niemals wieder würden hinter dem Mauern des Tempels Menschenopfer abgehalten werden.

In den folgenden drei Tagen lebte Anischa als Gast im Haus von Zaramir und seiner Familie. Die Kunde von der Zerstörung des Schlangentempels verbreitete sich innerhalb kurzer Zeit in ganz Kandara. Die meisten Menschen der Stadt waren froh über diese Nachricht, Nur wenige die sich dem Kult verbunden fühlten, trauerten um Hyranas Tod und dem Ende des Tempels vor den Toren Kandaras.
Der Tag kam, an dem Anischa Kandara verlassen wollte, um sich auf die Reise in ihre Heimat Asur zu begeben. Anfänglich hatte sie befürchtet, dass Anhänger des Schlangenkults an Zaramir und seiner Familie Rache nehmen könnten, doch Nachforschungen die sie anstellte ergaben, dass die wahren Anhänger spurlos aus der Umgebung von Kandara verschwunden waren. Nach der Zerstörung ihres Tempels waren die führungslosen Priesterinnen mit ihrem Gefolge weitergezogen, um irgendwo zu einem oder mehreren der anderen Tempel ihres dunklen Kults zu gelangen. Sie interessierten sich nicht mehr für Zaramirs Familie. Außerdem hatte Anischa mit eigenen Augen gesehen wie wehrhaft der Formwandler war.
Am Morgen ihrer Abreise verabschiedete Anischa sich von Zaramir und Mirana. Der kleine Talius verwandelte sich in einen Fuchswelpen und sprang fröhlich um Anischa herum. Dies war die Art des jungen Formwandlers, der ganz nach seinem Vater kam, Abschied zu nehmen.
Danach ging die dunkle Baronin zu einem in der Nähe befindlichen Stall, in dem sie ein weißes Pferd untergestellt hatte. Anischa striegelte und sattelte den Schimmel, um dann auf ihm aus Kandara hinauszureiten. Auf ihrem Weg nach Asur kam Anischa noch einmal an den Trümmern des Schlangentempels vorbei, denen sie nur einen kurzen Blick würdigte. Wenig später lag der eingestürzte Tempel und die Stadt Kandara hinter ihr.

counter2xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Susi56 am 18.06.2021:

Zuerst die nicht so gute Nachricht... Zahlreiche grammatikalische Fehler haben sich eingeschlichen, auch ein paar Rechtschreibfehler. Aber nix, was sich nicht reparieren lässt. Und: am Anfang ist es mir ein bisschen viel Infodump (zuviel Beschreibung, gerade die Szenerie auf dem Basar). Das empfand ich als grenzwertig. Aber: Du hast eine sehr gute Art, Szenen lebendig zu gestalten, Spannung zu erzeugen und auch aufrecht zu erhalten. Die Kampfszenen sind dir sehr gut gelungen (bin da kein Fan, aber die sind wirklich gut) und insgesamt gestaltest du Charaktere, Umgebung und Handlung logisch. Respekt! Falls du nicht vorhast, daraus ein Buch zu machen, würde ich sagen... Denk nochmal drüber nach. Da findest du deine Leser mit Sicherheit. Über diesen Text nochmal mit der feinen Raspel drüber und dann fängt er an, zu glänzen. 👍🏻👍🏻👍🏻




geschrieben von Winterrose am 18.06.2021:

Ich stimme Susi56 voll und ganz zu. Hab die Geschichte gern gelesen - eher: verschlungen! Die Idee mit dem Buch kam mir auch...würde sich bestimmt lohnen.




geschrieben von Lutti am 22.06.2021:

Vor ein paar Jahren habe ich eine Geschichte in einer Anthologie veröffentlicht. Ein eigenes Buch zu veröffentlichen ist nicht so ganz einfach. Allerdings ist es ein Ziel an dem ich arbeite.

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