Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
2xhab ich gern gelesen
geschrieben von Onivido kurt.
Veröffentlicht: 23.09.2022. Rubrik: Unsortiert


Tod im Barrio

Kein Radio plärrte aus den unverputzten, rostroten, an den steilen Abhang geklebten Ziegelbarracken, den Ranchos, mit ihren löchrigen Wellblechdächern, kein Kindergeschrei, kein Gezank. Der Barrio – der Slum- wartete mit angehaltenem Atem auf den Bandenkrieg.
Leonel hatte Chiripa erschossen, vor allen Nachbarn, als dieser ihm, bis über die Ohren gedopt, vor der Bodega des Slums mit einer Schrotflinte auf den Leib gerückt war. Am Vormittag danach wurde Chiripa beerdigt. Seine Kumpane und Cara‘e Callo, sein berüchtigter Bruder, hatten im Barrio einige Jeepseros mit Drohungen und Waffengewalt dazu gezwungen sie zum Friedhof zu fahren. Dort ballerten sie am Grab herum und schworen Rache. Hernach kehrten sie in den Slum zurück, koksten und machten sich daran Leonel aufzuspüren. Aber auch die Polizei hatte einen lauen Versuch unternommen ihn zu finden und er war längst verschwunden. Zurückgeblieben war nur seine Mutter. Sie weigerte sich hartnäckig ihr Heim zu verlassen. Seine beiden Schwestern und ein fünzehnjähriger Bruder hatten bei Verwandten im Landesinneren Zuflucht gesucht. Chiripas Bande wollte Vergeltung. Sie wollten töten um zu zeigen wer Herr im Barrio war, sie wollten töten, um ihren Frust zu ersticken. Es war egal wen, wenn sie Leonel nicht finden konnten, würden sie seine Mutter, seinen Bruder oder eine seiner Schwestern ermorden und wenn diese auch untergetaucht waren, so war im fortgeschrittenen Stadium des Kokainrausches jeder andere Bewohner des Barrios ein geeigneter Sündenbock.
Leonels Hotdogwagen, wo er ausser Hotdogs auch Crack, Kokain und gestohlene Waffen verkaufte, stand verlassen an einen Betonpfeiler des Ranchos seiner Mutter gekettet. Die engen betonierten Gassen, von denen sonst herumlungernde Jugendliche und arbeitslose Alte hinuntersahen auf das Hochhausviertel der Mittelklasse auf der anderen Seite der Strasse am Fuss des Abhangs, waren leer bis auf einige zerrissene Plastiktüten und Glasscherben. Abwasser, das aus einer gebrochenen Betonröhre hervorsprudelte, floss in einem übel riechenden Rinnsal auf der Gasse an den Mauern entlang den Hang hinab.
Goyo hatte heute Training. Er wollte nicht fehlen, denn heute ging es um seinen Einsatz als Pitcher beim Spiel am Wochenende. Er durfte, er konnte nicht fehlen. Baseball war seine einzige Chance aus diesem Treibhaus des Elends zu entkommen. Er war zwölf, der jüngste von fünf Geschwistern. Sein Vater lebte mit einer Obsthändlerin eigentlich ganz in der Nähe, aber er kümmert sich nicht um ihn. Goyo sass alleine vor dem Fernseher, seine drei Schwestern waren Nachmittags in der Schule. Seine Mutter arbeitete als Putzfrau. Sie hatte ihm eingeschärft sofort nach dem Unterricht nach hause zu gehen und sich dort einzusperren. Das hatte er auch getan. Aber das Training begann um sechs. Er durfte nicht fehlen. Er musste Baseball spielen, er wollte heraus hier, weg von dem täglichen Morden, er träumte davon von einem Scout der Big Leagues in die USA eingeladen zu werden. Er träumte davon ein Star zu werden, er träumte von Luxusautos, er würde seiner Familie ein Haus kaufen in einer anständigen Wohngegend. Nie mehr würde seine Mutter die Wohnungen anderer Leute putzen.. Im Barrio würde er als Vorbild geachtet werden, er würde ein Baseballfeld für die Kinder des Slums anlegen lassen und Sportkleidung stiften. Sogar die Choros – die Ganoven - würden ihn respek-tieren. Er musste zum Training. Er blickte durch die vergitterte Fensterlucke auf die Strasse. Niemand. Es war 5 Uhr Nachmittags, Zeit zum Gehen. Er warf seine Sportsachen in eine abgewetzte, kleine Reisetasche. Lange blickte er auf seinen Baseballhandschuh, Geschenk seines Vaters, bevor er ihn in die Tasche legte. Warum war sein Vater nicht bei seiner Mutter geblieben? Die Obsthändlerin sah nicht besser aus als seine Mutter, im Gegenteil. Wieder spähte er hinaus auf die Gasse, keine Menschenseele, nicht einmal ein streunender Hund. Er trat auf die Gasse hinaus, sah sich nach allen Seiten um und verschloss die Tür sorgfälltig, dann eilte er den Abhang hinab zur Strasse. Als er um die Ecke bog, traf ihn eine Kugel in die Schläfe.

----------------------------------------
Jeepseros sind Jeepfahrer, die in den Barrios den Personenverkehr erledigen. Ein Fahrzeug ohne Vierradantrieb wäre dazu in den engen, nach Regengüssen oft von Schlamm und Abfall bedeckten, steilen Gassen mit ihren unzähligen, tiefen Schlaglöchern nicht geignet.
Es kommt immer wieder vor, dass aufgebrachte Freunde und Verwandte von ermordeten Personen Jeeps oder einen Bus kidnappen um damit zum Friedhof zu fahren. Manchmal können sie dann am Begräbnis nicht teilnehmen, weil sie am Ziel verhaftet werden.

counter2xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von ehemaliges Mitglied am 24.09.2022:
Kommentar gern gelesen.
Das liest sich wie die Beschreibung der unappetitlichen 'B-Seite' eures Paradieses dort, Onivido, ziemlich gewalttätig. Für Menschen, die die Schokoladenseite dort nicht kennen, könnte das zu einer Bestätigung von Vorurteilen über Südamerika führen, obwohl du vermutlich nur einen fiktiven Barrio beschreibst. Saludos.




geschrieben von Onivido kurt am 24.09.2022:

Hola Horst, du hast Recht. Der Barrio ist fiktiv, aber in Anlehnung an einen typischen , hiesigen Grossstadtbarrio. Die Mehrzahl der Menschen, die in einem Barrio leben sind friedliche, arbeitsame , fleissige Menschen, aber sie werden von Banden tyrannisiert. Ohne die Menschen, die dort wohnen, waere das Leben fuer die anderen Bewohner der Stadt sauteuer. Saludos///Onivido




geschrieben von Gari Helwer am 24.09.2022:
Kommentar gern gelesen.
Spannend geschrieben, Onivido! Tragische Geschichte, kommt aber sehr glaubwürdig daher... LG




geschrieben von Onivido kurt am 27.09.2022:

"kommt aber sehr glaubwürdig daher.." Leider . Gruesse///Onivido




geschrieben von Kurt Brunner am 08.11.2022:

Gut und vor allem sehr realistisch geschrieben. Es scheint, dass Du lange in Südamerika lebst oder gelebt hast. Mich würde freuen, wenn auch ich etwas Kritik, von Leuten die mich nicht persönlich kennen, über meine etwas gruselige Katzengeschichte erhalten würde.




geschrieben von Onivido kurt am 11.11.2022:

Hallo Kurt, ja ich lebe hier , in Caracas, der Zweigstelle des Himmels, wie wir in vergangenen Zeiten meinten. Es freut mich, dass du die Geschichte gut findest. Ich habe die Katzengeschichte gelesen und finde sie ausgezeichnet. Gruesse///Onivido

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Ein karibisches Idyll
Strandkur
Föhn
Brief an Dr.Spiegel
Belauscht