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6xhab ich gern gelesen
geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 16.11.2022. Rubrik: Unsortiert


Kamingespräche 1

Wir saßen in behaglicher Runde, in den Gläsern funkelte der Glühwein, im Kamin knisterte das Holz. Über dem schwarzen Kiefernwald des Stadtparks ging gerade ein müder Mond auf.
„Über Teheran geht der Mond genau so auf“, sagte Irani nachdenklich. Sie war mit ihrer Mutter vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen.
„Ich verstehe nicht“, sagte Gisela, „was daran so staatszersetzend sein soll, wenn eine junge Frau mal kein Kopftuch umhat, wie neulich im Iran. Haben diese Mullahs Angst vor Frauenhaaren?“
„Sicherlich nicht“, sagte Holger, „aber davor, dass sie ihre Pfründe verlieren könnten. Der Iran ist von Natur ein superreiches Land, mit Bodenschätzen noch und nöcher – und was kommt beim Volk an? So gut wie nix.“
„Wie in Russland“, ergänzte Rainer.
„Aber da müssen die Frauen wenigstens nicht wie zugeschnürte Postsäcke herumlaufen“, bemerkte Gisela. „Überhaupt, der Islam … Irgendwie unheimlich, diese Religion.“
„In Afghanistan, so las ich vor ein paar Tagen“, sagte Rainer, „dürfen die Ehemänner ihre Frauen, wenn sie sich ihnen verweigern, sogar schlagen oder hungern lassen.“
„Glaub ich nicht!“, begehrte Gisela auf, „das wäre ja … das wäre ja … mir fehlen die Worte!“
„Er hat Recht“, bestätigte Holger, „steht in Artikel 132 des Gesetzes zur Regelung des Familienlebens. Hat die Regierung unlängst beschlossen. In diesem wenig erfreulichen Regelwerk wird die Ehefrau zu regelmäßigem Geschlechtsverkehr gezwungen, außer sie ist krank oder sie hat irgendein Gebrechen, dass sie für dergleichen Verrichtungen ungeeignet macht. Im Weigerungsfall drohen Ihr Prügel oder der Herr Gemahl lässt sie hungern.“
„Das ist doch pervers!“, stöhnte Gisela, „und das im Namen Allahs!“
„Nein!“ Es klang wie ein Pistolenschuss.
Alle blickten auf Irani. Sie hatte bisher still zugehört. Nun kam Bewegung in ihr Schweigen. „Nicht Allah will das!“, rief sie erregt, „sondern eine Horde durchgeknallter Fundamentalisten! Mit dem wahren Islam hat das nichts zu tun!“
„Ha! Der wahre Islam!“, giftete Gisela, „wo find ich den denn?“
„In den Schriften des Propheten und seiner Schüler.“
Schweigen.
„Am besten, ich erzähle dir eine Geschichte, Gisela“, sagte Irani sanft, „dann verstehst du, was ich meine.“ Sie setzte sich bequem und begann:
„Harit ben Schir-Khan, der Häuptling des mächtigen Monara-Stammes, ritt mit seinen Leuten hinaus in das Land des vornehmen und stolzen Suleiman ben Bariba. Er wollte um eine seiner drei Töchter werben. Harits mächtige, geölte Schultern glänzten in der Sonne, auf seinem silbernen Schild spiegelten sich zehntausend Krieger in ihren Rüstungen, jede tausend Talente wert, und fünfhundert Streitwagen, jeder zweitausend Talente wert.
Die beiden älteren Schwestern, die nicht schön waren, lehnten den Antrag ab. Aber Aischa, die jüngste, antwortete: 'Ich bin schön von Gesicht, gewandt in der Arbeit der Hände, hoch an Wuchs, edel von Abstammung. Gott möge mich strafen, wenn Harit ben Schir-Khan es wagen sollte, mich zu verstoßen!' Da sprach der Vater: 'Gott segne dich, mein Kind!'“
Der Vater ließ die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbereiten, ein großes Zelt aufschlagen und, als alles gerüstet war, die Braut ihrem Gatten zuführen. Doch als Harit sich ihr nähern wollte, wies sie ihn zurück. 'Was! Hier bei meinem Vater soll ich mein Beilager begehen – niemals!' Harit befahl, die Zelte abzuschlagen und die Kamele zu beladen, und sie ritten davon.
Es dunkelte bereits. Da ließ Harit anhalten und das Nachtlager bereiten. Aber als er sich seiner jungen Frau nähern wollte, wies sie ihn zurück. 'Was! Willst du mich etwa wie eine Magd behandeln, die man kauft', rief sie erbost, 'oder wie eine Kriegsgefangene? Bei Gott, nicht eher sollst du mich umarmen, als bis in der Mitte deines Stammes das Beilager festlich begangen werden kann mit Kamelen und Schafen, die zum Festmahl geschlachtet werden für die von allen arabischen Stämmen geladenen Gäste.'
Sie ritten weiter, bis sie zu seinem Stamm kamen. Die Gäste wurden geladen, Kamele und Schafe geschlachtet und das Festmahl gefeiert. Da nahte sich Harit ben Schir-Khan seiner Gattin, doch wieder wies sie ihn zurück. 'Wie? Du findest Zeit, mit mir zu kosen, während draußen alle Araber in blutiger Fehde sich gegenseitig vertilgen und die Dobjan und die Abs, die Stämme Sinais, sich zugrunde richten? Eile hinaus, versöhne die Stämme und kehre heim zu mir, deiner Gattin, die dich dann liebend erwartet!'
Da ritt er hinaus zu den feindlichen Stämmen, die seit vierzig Jahren in Blutrache gegeneinander wüteten, und er schloss Frieden zwischen ihnen. Er ließ auf beiden Seiten die Gefallenen zählen und verpflichtete sich, als Blutentschädigung an den Stamm, der die meisten Toten hatte, in den nächsten Jahren dreitausend Kamele zu zahlen. Als dank seiner Großmütigkeit und Freizügigkeit das Friedenswerk vollbracht war, kehrte er heim, gepriesen von allen. Seine Gattin empfing ihn mit offenen Armen und gebar ihm Söhne und Töchter.“
Irani schwieg.
„Schöne Geschichte“, kodderte Gisela weiter, „aber die Realität sieht leider anders aus.“
Ein ironisches Lächeln glitt über Iranis hagere Züge. „Die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel durch Jesus ist auch eine schöne Geschichte“, sagte sie, „aber die Realität sieht auch anders aus.“
Eine Wolkenbank schob sich vor den Mond, sein Gesicht verfinsterte sich. Für einen Augenblick kam es nicht nur Irani vor, als weine er.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Christelle am 16.11.2022:

Dem Titel nach zu urteilen, nämlich „Kamingespräche 1“, könnte ich mich eventuell auf weitere freuen? Interessante Diskussion über den Islam, gute Idee, es in ein solches Format zu verpacken.




geschrieben von Federteufel am 17.11.2022:

Hallo Christelle, deine Bemerkung ermutigt mich, dieses heikle Thema in weiteren Folgen zu vertiefen. LG




geschrieben von Gari Helwer am 18.11.2022:

Ein sehr interessantes und aktuelles Thema, wunderbar behandelt!!! Bitte mehr davon! LG




geschrieben von Christelle am 19.11.2022:

Hallo Federteufel, es würde auch passen, andere heikle Themen in dieser Art diskutieren zu lassen. LG

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