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geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 05.04.2023. Rubrik: Total Verrücktes


Der ungeheuerste Witz aller Zeiten

Und wieder knisterte der Kamin, der Rotwein funkelte in den Gläser, die Schale mit dem Konfekt lockte – es war der letzte Sonnabend des Monats, unser Erzählabend. Das Thema heute: Unglaubliche bis absurde Geschichten.
Als Erster erzählte Holger seine Geschichte; da wir ihn kannten, ahnten wir schon in etwa, worauf es hinauslaufen würde – und so war es dann auch: Er führte uns in eine virtuelle Welt voller wunderlicher Typen und abnormer Verwicklungen, in der sich die Protagonistin aufgrund eines Software-Fehlers total verirrte und schließlich in Holgers Kloschüssel auftauchte. Als er uns weis machen wollte, er werde sie demnächst heiraten (Holger war tatsächlich noch unbeweibt), winkten wir ab: Auch eine absurde Geschichte, belehrte ihn Anita auf ihre zupackende Art, sollte zumindest ein Minimum an Realitätsbezug haben, schließlich sei das Absurde nichts anderes als eine übersteigerte Form des Alltäglichen. Dass jemand seinen Atavar anhimmeln oder sich in ihn oder sie sogar verknallen könne, sei zwar absurd, aber doch möglich: Gebongt – aber das mit der Kloschüssel sei dann doch zu weit hergeholt.
Dann war Gisela dran. Na ja. Giselas Hirn war noch erfüllt von den Ritter-Geschichten, mit denen sie eine geschlagene Stunde versucht hatte, ihre beiden Nachttopfhelden in den Schlaf zu texten. Dementsprechend bizarr fiel ihre Geschichte auch aus: Ein Ritter zieht ins Morgenland, wird in eine Schlacht verwickelt und kehrt nur noch zur Hälfte und mit einem halben Pferd auf seine Burg zurück: Ein Sarazene hatte beide mit einem kräftigen Schwertschlag halbiert. Wir winkten ab. Die Begebenheit muss schon selbst erlebt sein, wandte ich ein. Oder bist du schon mal auf einem halben Pferd geritten?
War sie nicht. Also war Avro an der Reihe.
„So, Avro“, sagte Holger, „erzähl´ uns jetzt mal ein knackiges, unglaubliches, absurdes, himmelschreiendes, hahnebüchenes Erlebnis. Du hast doch immer solche Sachen auf Lager. Ich denke da zum Beispiel an die Episode, als du an den Elektrozaun pinkeltest. Du wolltest feststellen, ob ein Pissbogen Strom leitet –“
„Oder die“, sagte Uwe, „als du der dicken Tante Erna die Nähnadel in den Hintern jagtest, um sie zum Platzen zu bringen.“
„Ach, Kinderstreiche!“, wehrte Avro bescheiden ab.
„Und bitte nicht allzu weitschweifig“, ergänzte Anita, die Vierte in unserem Zirkel, mit einer Praline unter der Zunge.
„Ich soll also . . . ein unglaubliches, himmelschreiendes – wie? – Erlebnis . . . hmm, hi . . . beim besten Willen . . . im Moment fällt mir dazu nichts Passendes ein.“
„Komm, komm, zier dich nicht so . . . bisher ist dir immer noch was Passendes eingefallen.“
Avro dachte eine Weile nach, dann sagte er: „Es sei! Aber unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, spannte Anita.
„Dass ihr mich nicht mit überflüssigen Fragen nervt. Andernfalls höre ich sofort auf!“
„Es sei!“, riefen wir alle gleichzeitig.
Avro beugte sich vor, ergriff sein Glas, betrachtete es mit ätzender Gründlichkeit, nahm einen Spatzenschluck, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und –

SatirepatzerSatirepatzer „Vor einiger Zeit“, fing Avro nach mehreren Versuchen, die richtige Sitzposition zu finden, an, „hatte ich wieder einmal geschäftlich in Husum zu tun. Um meine Nerven zu schonen, benutzte ich diesmal nicht das Auto, sondern die Bahn; stieg also in Altona ein, kuschelte mich in einen Fensterplatz, schloss die Augen und gedachte, in Husum ausgeruht auszusteigen. Tatsächlich muss ich irgendwann eingeschlafen sein, denn ein scharfer Pfiff weckte mich. Leicht benommen blickte ich auf und nach draußen; der Zug stand, vor der Wand des Bahnhofsgebäudes ein Schriftzug: Husum. Ich ergriff meine Reisetasche und hastete nach draußen; schon schlossen sich die Türen; der große Zeiger der Bahnsteiguhr rückte gerade zitternd-zackig auf die Sieben vor. Fünfzehn Uhr fünfunddreißig.“
Avro schwieg.
„Das war´s?“, fragte Anita.
„Für´s erste, ja“, erwiderte Avro.
„Was heißt das, für´s erste?“
„So wie ich´s sage. Ich sollte doch nicht allzu weitschweifig sein.“
„Verdammt nochmal!“, rief Anita aufgebracht, „hältst du uns für blöd? Wo ist den da der Knalleffekt?“
„Ich gehe jetzt“, schimpfte Gisela, „das ist mir doch jetzt zu dumm.“
„Warte, ich habe noch nicht zuende erzählt.“
„Ach doch! Dann aber dalli!“ Anita gähnte herzhaft. „Ich bin hundemüde.“
„Die Uhr zeigte fünfzehn Uhr fünfunddreißig“, wiederholte Avro. „Will sagen: Der Zug war fast auf die Sekunde pünktlich.“
Wir alle saßen wie erstarrt. Ha! Das war ja wirklich unglaublich! Die Deutsche Bahn – pünktlich? Und dann auch noch auf die Sekunde?
Da: Ein eigenartiges Glucksen aus den Eingeweiden eines unbekannten Universums stieg auf und wetteiferte mit dem Knistern des Holzes im Kamin; wurde deutlicher; entpuppte sich als Vorbote eines gewaltigen Gelächters; Anitas runder Bauch geriet in rhythmische Bewegungen, dann brüllte sie los: „Hahaha! Ich glaub´s nicht . . . kich-kich . . . Die Deutsche Bahn . . . japs . . . auf die Sekunde . . . puh . . . das ist der ungeheuerste . . . hahah . . . Witz aller Zeiten.“
„Avro“, fragte Gisela in das Gebrüll hinein, „bist du sicher, dass du auch fünfzehn Uhr fünfunddreißig gesehen hast?“
Avros Gesicht strahlte. „Todsicher, mein Täubchen! Hier, ich hab´s auf meinem Handy.“
Anita prustete und gluckste wie eine getretene Henne. „Unglaublich . . . rrch-rrch . . . die Deutsche Bahn . . . auf die . . . kich-keuch . . . pünktlich . . . hihihi . . .“
Nur mit Mühe gelang es uns, sie wieder zur Vernunft zu bringen.

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