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geschrieben 2023 von Georg von Andechs (Georg von Andechs).
Veröffentlicht: 12.10.2023. Rubrik: Satirisches


Eignung oder Aneignung?

Eignung oder Aneignung?

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Wir sind alle Diebe. Alle, durch die Bank. Sie, ich – und jeder andere Mensch auf diesem Planeten, nur wir Deutschen geißeln uns selbst dafür.
Den meisten Menschen ist dies ziemlich egal. Sie leben fröhlich in den Tag hinein und denken nicht einmal daran, wem sie oder ihre Vorfahren irgendwann einmal ihre Rechte geraubt haben könnten. Aber nicht wir Deutschen! Wir stehen zu unseren Untaten der Vergangenheit und tun alles, um sie wieder gut zu machen, was prinzipiell für Charakter spricht. Lächerlich wird es jedoch, wenn man in Sack und Asche geht, egal, ob sich die mutmaßlich Verletzten noch daran erinnern können, wollen oder sogar überhaupt kein Interesse an einer Wiedergutmachung haben, weil sie über die Vorstellung verletzt worden zu sein, allenfalls belustigt sind. Aber in unserem kollektiven Schuldkomplex schreien wir schon „mea culpa“ und wälzen uns im Staub, wenn auch nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,0005% jemand vor langer, langer Zeit von unseren Ur-Ur-Urgroßvätern beleidigt worden sein könnte.
Sie schütteln den Kopf oder runzeln die Stirn, weil Sie keine Ahnung haben, wovon ich schreibe? Dann lassen Sie mich das Ganze konkret belegen.
2021 begann die große Diskussion um kulturelle Aneignung. Es ging los mit den Verbot der Karl-May-Romane um Winnetou, Old Shurehand und der Darstellung der Indianer – pardon, der indigenen Einwohner Amerikas. Die Diskussion, ob ein Nicht-Indigener einen Sioux, Arapahoe oder sonstigen Indigenen in einem Film darstellen darf, war dann die nächste Stufe, gefolgt von dem Verbot an die Kinder, Cowboy oder Indianer zu spielen. Selbst zuvor populäre Schlager wie „Komm hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und…“ (na ja, Sie wissen schon) oder „Wo sind all die In….digenen Menschen Amerikas hin“ (nein, so hat PUR es nicht gesungen) wurden ganz plötzlich nicht mehr im Radio gespielt.
Aber wer geglaubt hatte, danach wäre die Geschichte ausgestanden, sah sich getäuscht. 2023 wurde das Konzert eines Musikers vom Veranstalter abgesagt, weil er Didgeridoo spielen wollte, ohne Aborigine zu sein. Und diese kulturelle Aneignung war dann der Funke ins Pulverfass. 2024 hatte sich das Saxophonspielen in Deutschland erledigt – denn der Erfinder Adolphe Sax war bekanntlich Belgier. Und wer meinte, dass man ja auf Jazz gut verzichten könne und lieber klassische Musik hören sollte, wurde bald eines Besseren belehrt. 2025: Verbot des Violine Spielens, da dieses Instrument ja aus Italien stammt – ebenso wie das Cello und die Bratsche. Also wurden Sinfonieorchester überflüssig. Die Blasinstrumente wie Trompeten und Posaunen wurden im Nahen Osten (Ägypten oder Palästina) erfunden. Selbst die Posaune ist kein deutsches Erzeugnis, und Klaviere und andere Tasteninstrumente leiten sich vom Monochord ab, welches schon im alten Griechenland verwendet wurde. Wer dagegen protestierte, wurde auf Bartolomeo Christofori verwiesen, der den ersten Hammerflügel der Welt baute. Er stammte aus Padua. Also waren die Tasteninstrumente ebenfalls passé. Alle Diskussionen, dass der Gebrauch dieser Instrumente lediglich eine Ehrung ihrer Schöpfer sei wurde von den Moralwächtern in Politik und Medien abgeschmettert; schließlich könnten wir die Intentionen der jeweiligen Schöpfer doch nicht einfach unterstellen. Dies sei eine Aneignung! Es blieb also lediglich die Flöte übrig, da das älteste jemals gefundene Exemplar in der Schwäbischen Alb ausgegraben wurde. Die Musik in Deutschland wurde daher verdammt eintönig.
Immerhin, zur Flöte können wir noch singen. Aber nur einstimmig, denn die Polyphonie wird auf die Notre-Dame-Schule im 13. Jahrhundert zurückgeführt. Was wir aber nicht haben, ist Verkehr. Nein, nicht den lustvollen im Bett, sondern das Autofahren, Fliegen und so weiter. Zwar sind wir berechtigt, uns mit einem Laufrad nach Art des Karl von Drais fortzubewegen, aber ein Fahrrad, wie wir es kennen ist ausgeschlossen, da der Tretkurbelantrieb vom Franzosen Pierre Michaux und das Stying als Sicherheitsniederrad von dem Engländer John Kemp Starley erfunden wurden. Autos wären zwar gestattet, wurden aber 2027 aus Umweltgesichtspunkten untersagt. Straßen gibt es sowieso nicht mehr, da der Asphalt aus Mesopotamien stammt. Und das Fliegen? Klar, Gleitflüge sind erlaubt, da das Konzept von Otto Lilienthal stammt, aber der Motorflug? Richtig, die US-Amerikaner Wilbur und Orville Wright haben das ja erfunden. Und jeder Flugverkehr funktioniert nur mit Radar, das wir von den Fledermäusen abgekupfert haben. Zudem konnten keine Start- und Landebahnen mehr gebaut werden (siehe Asphalt). Alle Schiffe wurden verschrottet, weil sie Sonar benutzten, das wir von den Walen abgeguckt haben. Und mit der Eisenbahn fahren? Aber nicht doch! Die Nutzung der Dampfkraft verdanken wir dem Engländer James Watt, und darauf baute sein Landsmann Robert Stevenson auf, als er die erste Lokomotive baute.
Also sitzen wir inzwischen zu Hause herum und drehen Däumchen. Radio hören ist nicht, da das Patent an Giugliermo Marconi vergeben wurde - obwohl dieser eine Erfindung des Kroaten Nicola Tesla nutzte. Fernsehen ist out, da der erste funktionsfähige Fernseher 1928 von dem Ungarn Dénes von Mihály präsentiert wurde. Also sitzen wir im Dunklen oder bei Kerzenschein, denn die Glühbirne wurde vom Amerikaner Thomas Alva Edison erfunden, dem die Menschheit auch den Gleichstrom verdankt – und Tesla den Wechselstrom.
Seit 2035 lebt das, was früher einmal Deutschland war, technologisch und kulturell wieder im Mittelalter, aber da wir uns aller durch Diebstahl erlangten Erfindungen entledigt haben, fühlen wir uns richtig gut dabei. Lesen dürfen wir, da der Buchdruck tatsächlich mal die Erfindung eines Deutschen war. Nur hat keiner mehr Lust darauf, zu einer Druckerei zu laufen und sich dort ein Buch zu holen. Positiv ist, dass wir sicher wie in Abrahams Schoß sitzen, denn kein Land spielt auch nur mit dem Gedanken einer Invasion. Nicht, weil wir die besseren Raketen haben (die waren ja eine chinesische Erfindung), sondern weil die Welt fürchtet, sich an unserem Wahnsinn anzustecken.
Jetzt haben wir nur noch eine Sorge: dass unsere obersten Moralwächter auf die Idee kommen, wir hätten den Lungenfischen das Atmen abgeguckt…

© 2023 by Georg von Andechs

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Jens Richter am 14.10.2023:

Hallo Georg,
deine Geschichte trifft den Nagel auf den Kopf.
Einige wenige Moralapostel wollen uns tatsächlich alles untersagen, was die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft und daraus resultierend das heutige Europa positiv beeinflusst hat.
Gut, dass wir wenigstens das Computermonopol dank Konrad Zuse besitzen.😎
In dem Sinne liebe Grüße von Jens


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