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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 13.02.2024. Rubrik: Unsortiert


Phobia

In unserer Familie ist Aberglaube wenig verbreitet. Was mich betrifft, nur in Form einer Marotte, und hier eher eine Petitesse, die in diese Richtung zeigt. Während meiner aktiven Zeit als Fußballer hatte ich die Angewohnheit, mir den rechten Schuh vor dem linken anzuziehen; beim Zuschnüren in umgekehrter Reihenfolge. Eigentlich ein unbedeutendes Ritual. Aber als ich dieses einmal gedankenversunken anders herum vornahm, erhielt ich im Spiel die Quittung dafür, so glaubte ich zumindest. Denn in diesem Spiel gelang mir unverständlicherweise rein gar nichts, ich spielte grottenschlecht und wurde noch vor der Halbzeit ausgewechselt - und das mir als ansonsten unumstrittenen Stammspieler. Dies passierte mir kein weiteres Mal; ich achtete fortan penibel auf die Einhaltung dieser Abläufe.

Heute kann ich über so etwas lachen, ich bin fern ab von jedem Aberglauben, so wie fast alle in meiner Familie auch. Bis auf meine vier Jahre jüngere Schwester, für die ist das Datum 13. ein besonderes. Ihr Problem damit fing harmlos an, man scherzte gerne über diesen Mythos. Später wurde er aber zu einer folgenschweren Belastung für sie, als sie ihre Prüfung zur PTA an einem Freitag, den 13. ablegen sollte. Dieses zu verschieben war nicht möglich, schon gar nicht mit der Begründung Aberglaube. Sie geriet in Panik. Ihre Befürchtung trat ein, sie fiel durch das Examen. Ich meinte, wegen mangelhafter Vorbereitung; sie war vom Fluch dieses Unglücksdatums überzeugt. Das traumatische Erlebnis um diese mystische Zahl herum verursachte bei meiner Schwester in der Folge eine panische Angst vor der Zahl 13. In ihrem Umfeld nahm sie niemand damit ernst. Ja klar, dieser seltsame Freitag, der dreizehnte Platz von Judas beim Abendmahl mit Jesus, die fehlende dreizehnte Etage in Fahrstühlen, keine Reihe 13 in Flugzeugen, kennt man alles, blah, blah, blah..., so die einhellige Meinung. Aber sie litt. Nachweislich. Und nicht unerheblich, sie musste deswegen fachärztlich behandelt werden, Diagnose, Triskaidekaphobie, volkstümlich: Angst vor der Zahl 13. Die Behandlung zog sich hin. Und es war keine Besserung in Sicht, stattdessen eine signifikante Verschlechterung.

Aus dieser Angststörung, anfänglich ausschließlich in Bezug auf diese spezielle Zahl, entwickelte sich ein generalisiertes Problem; bei ihr wurde eine Arithmophobie diagnostiziert, eine irrationale Angst vor Zahlen im Allgemeinen. Sie musste nun generell Zahlen meiden, so schwierig das auch sein mag. Parallel dazu wurde sie psychotherapeutisch behandelt, mit Gesprächen, Hypnose sowie zusätzlich mit Psychopharmaka. Nichts davon half, es wurden anfänglich lediglich die Symptome gemildert. Nach einigen Monaten galt sie als austherapiert, ein hoffnungsloser Fall, so hieß es.

In dieser desolaten Lage sah meine Schwester nur noch eine Option, den Ausstieg aus ihrem bisherigen Leben. Sie brach alle Therapien ab, dröhnte sich bis an die gerade noch verträgliche Grenze mit sedierenden Substanzen zu, um so einigermaßen unbeschadet das seelische Chaos hinter sich lassen zu können, um an irgendeinem anderen Ort des Planeten wieder bei Null anzufangen – das waren ihre Worte des dramatischen Abschieds an Familie und Freunde. Ich hörte lange Zeit danach nichts von meiner Schwester. Dann die erste Nachricht, ein handgeschriebener Luftpostbrief, abgestempelt in einer indischen Stadt namens Tiruvannamalai. Sie wäre nur noch analog unterwegs, so erklärte sie diese Art der Nachrichtenübermittlung. Denn obwohl inzwischen von ihrer Phobie befreit, lehne sie digitale Technik grundsätzlich ab, wegen der auf Zahlenreihen basierenden Algorithmen. Darauf muss man erst mal kommen! Alles andere fühle sich in ihrem neuen Leben gut und richtig an, so beschrieb sie es. Ihr neuer Lebensmittelpunkt wäre nun ein Ashram, in dem sie streng nach ayurvedischen Regeln lebt, perfektioniert durch intensives Yoga – ein Leben in spiritueller Vollkommenheit. Und zum Schluss das Beste: Ihre Phobie hatte sie überwunden. Den Erfolg der Genesung hatte sie in einem Selbstversuch demonstriert: Sie hatte ihren Geburtstag absolut beschwerdefrei gefeiert -
letztes Jahr im Januar, an einem Freitag, den 13.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Jens Richter am 13.02.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo rubber sole,
eine interessante Geschichte wie sich Deine Schwester in die Angst hineingesteigert hat.
Gut, dass sie diese unangenehme Anhaftung auflösen konnte.
Ich selber plane ja Urlaubsfahrten und Ausflüge innerhalb Deutschlands nach dem 100jährigen Kalender, was viele Menschen belächeln. Aber die Planung gibt mir recht, denn regnerische Tage im Urlaub kann ich über all die Jahre an einer Hand abzählen.
Spannend beschrieben und sehr gern gelesen!
Viele Grüße von Jens




geschrieben von rubber sole am 13.02.2024:

Hallo Jens, eine interessante Verbindung, die Du knüpfst: vom pathologischen Zustand einer Angststörung zur liebgewonnen Angewohnheit nach dem 100jährigen Kalender, der sich auf Abgleich gesammelter Daten stützt - im Prinzip eine Wette mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit. Eine Phobie, wie bei meiner fiktiven Schwester beschrieben, ist meist von irrationaler Herkunft, kann aber auch durch extremes Ausleben von Ritualen entstehen. Wodurch die Grenze zur Manie überschritten wird, ist ungeklärt. Danke für deinen Beitrag.
l.g.r.s.




geschrieben von Jens Richter am 13.02.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo rubber sole,
ich stamme mütterlicherseits von einer typischen bäuerlichen Familie ab. Da war und ist Aberglaube natürlich ein leidliches Thema.
Z.Bsp.ist noch heute das Waschen von weißer Bettwäsche zwischen Weihnachten und dem 6. Januar ein Tabuthema.
Außerdem wird in der Karwoche oder der Woche vor dem Totensonntag nichts aus-, ein- oder umgegraben.
Diese Dinge vermeide ich tunlichst. Wenn Du so willst, hat mich dieser Aberglauben ebenfalls vereinnahmt.
Das Positive ist, ich akzeptiere diesen Aberglauben als Regel und so sehe ich für mich keine Bedrohung für mein Leben.
Viele Grüße von Jens




geschrieben von rubber sole am 13.02.2024:

Hallo Jens,
genau so: Wenn es einem übertrieben erscheint, einfach darüber hinweggehen. Viele Sitten und Gebräuche basieren auf Aberglauben, gehören aber traditionell irgendwie zum Alltag dazu, nicht nur in ländlicher Umgebung, sie richten keinen Schaden an, wie Auf-Holz-Klopfen o.ä. Ich denke, Verhaltensweisen, die tatsächlich belasten, kommen extrem selten vor. Mein Text sollte keineswegs verunsichern.
l.g.r.s.




geschrieben von Ernst Paul am 15.02.2024:
Kommentar gern gelesen.
Mit dem Aberglauben ist es so eine Sache. Aber ich glaube an ihn. Erst recht als Sonntagskind. Als ich meiner ersten Freundin ein Paar Schuhe schenkte, gab sie mir nach einer Woche den Laufpass und suchte sich einen neuen Freund. Kurze Zeit später lernte ich ein anderes Mädchen kennen. Sie hatte schon neue Schuhe und suchte einen Freund. Gern gelesen. m.f.g. e.p.

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