Veröffentlicht: 17.04.2024. Rubrik: Menschliches
Im Schatten der Nacht
Er kannte das Augenpaar, das ihn aus dem Schutz der Hecke heraus, zu beobachten schien. Lange stand er am Fenster und wartete, was sich tat. Das wohlige Kaminfeuer im Rücken und ein Glas Rotwein in der Hand, so ließ es sich aushalten. Vielleicht käme der Streuner ja doch noch aus seiner Deckung, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen.
Schließlich wusste jeder Vierbeiner in der Siedlung, dass es an seinem Fenster nicht nur Schmuseeinheiten gratis gab, sondern manchmal auch ein Leckerli. Oft hatte er schon überlegt, ob er sich nicht auch ein Haustier anschaffen sollte, um seiner Einsamkeit entgegenzuwirken.
Doch immer wieder verwarf er diesen Gedanken, es gab so viele Katzen und Hunde in der Siedlung, dass er fast Tag täglich Besuch erhielt.
Dass die Hunde nicht selten ihr Herrschen im Schlepptau hatten, ließ sich leider nicht vermeiden. Er hasste die erzwungenen Smalltalks. Warum ließ man ihn nicht einfach das Tier streicheln und Herzen und hielt seinen Rand.
Kein Vorteil ohne Nachteil, dachte er sich immer wieder und es war ja schließlich seine Entscheidung, sich selbst kein Haustier zuzulegen, auch wenn es seiner Seele helfen würde, die ganz einsamen Abende zu überstehen. Ein zweites Augenpaar tauchte am anderen Ende des Rasens auf.
Aufgrund der Entfernung dauert es etwas, bis er es identifizieren konnte. Das roch nach Ärger im Revier! Kurz überlegte er, ob er eingreifen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Die Eigenart des Menschen, sich überall ungefragt einmischen zu wollen, war ihm schon immer unsympathisch, deshalb vermied er es tunlichst, selbst so zu handeln. Meistens erfolgreich.
Die beiden Augenpaare fixierten sich, jetzt wurde es spannend, würde es auf einen Kampf hinauslaufen oder ging man sich lieber aus dem Weg? Die letzte Auseinandersetzung war erst wenige Tage her. Der Sieger war eigentlich immer derselbe, aber ohne Blessuren kam auch er nie davon!
Von daher schien er stets zu überlegen, ob er seine Energie dafür aufwenden sollte, dem Rivalen zu zeigen, wer hier der Chef ist, oder beließ er es lieber bei reinen Einschüchterungsversuchen. Heute wurden nur mündliche Nettigkeiten ausgetauscht. An seinem Gegner vorbeizustolzieren, war aber Pflicht!
Schnurstracks kam er auf die Terrasse zu und scharwenzelte an der Tür auf und ab. Ein bettelndes Miauen ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht gedachte selbst zu jagen, sondern sich seine extra Portion Futter zu erschmusen.
Die Leckerli Dose stand immer gut gefüllt an der Tür und auch wenn die Nacht nicht zum Langen ausharren einlud, nahm er sich viel Zeit, den Rabauken hinter den Ohren zu kraulen. Das zweite Augenpaar verhielt sich abwartend, und es schien so, als wolle er später auch noch auf einen kleinen Mitternachtssnack vorbeischauen.