Veröffentlicht: 02.08.2024. Rubrik: Kinder und Jugend
Mein erstes, eigenes Zimmer
Als ich 5 Jahre alt war, wagten meine Eltern den Schritt ein Grundstück zu kaufen und ein Haus zu bauen. Sie verfügten über keine größeren Ersparnisse – wovon auch. Ihre finanzielle Ausgangssituation war so schlecht, dass keine Bank des Landkreises bereit war, ihnen einen Kredit zu gewähren. Nur ein Freund meines Vaters, der bei der Sparkasse in Weilburg arbeitete, schaffte es, dass meinem Vater ein Darlehen über -sage und schreibe – DM 10.000,- ausbezahlt wurde.
Die Entscheidung ein Haus zu bauen schien unausweichlich, da meine Eltern mit meiner Schwester, und später auch mir, bereits seit 11 Jahren in nur einem einzigen Zimmer, im Haus meiner Großeltern lebten. Diese Wohnsituation führte zu massiven Spannungen in der ganzen Familie, unter der wir alle zu leiden hatten. Ich nenne es heute: „Ritt auf dem Pulverfass „.
1,72 DM kostete 1m2 des Grundstücks, das sich am anderen Ende des Dorfs befand und bei dem es weder Straße noch Nachbarn zu dieser Zeit gab. Egal – denn dort entstand UNSER neues zu Haus, in dem ich über ein eigenes Zimmer verfügen und in dem es ein Badezimmer mit Badewanne geben würde. Ein Haus mit beheizten Zimmern, in denen die Fenster im Winter nicht mit dicken Eisblumen bedeckt sein würden. Einer Toilette im Haus, statt einem Plumpsklo im Hof und fließendem, warmen Wasser - was für ein Luxus !
Jeden Tag, an dem meine Eltern auf der Baustelle arbeiteten, war ich dabei und überwachte, dass sie und die anderen Bauhelfer auch alles richtig machten. Es waren alles Männer aus dem Dorf die ich gut und später noch besser kannte. Ich ließ mir jeden Handgriff erklären und bekam mein eigenes Werkzeug: einen kleinen Kinderhammer und kurze Nägel mit breiten Köpfen ( Dachpappennägel ), die ich emsig in Abfallbretter trieb. Bei einfachen Botengängen konnte ich mich nützlich machen und staunte, wie schnell das Haus Gestalt annahm. Jedem, dem ich es noch nicht erklärt hatte, zeigte ich mit stolz geschwellter Brust: da ist MEIN Zimmer. Niemand geriet in Panik, wenn ich über schmale Planken balancierte und Leitern hochkletterte. Nur den Kübeln mit Löschkalk, denen durfte ich mich nicht nähern.
Wir feierten Richtfest und es kam der sehnlichst erwartete Tag, an dem wir in unsere eigenen 4 Wände einziehen konnten. Einen Großteil der Möbel hatten uns die Eltern meines Vaters überlassen und so schlief ich in einem großen Bett, in dem vor mir Oma oder Opa geschlafen hatte. Die Wände zierte eine bunte Tapete mit Disneyfiguren und ein Katzenbild, das Fenster ein farbiger Vorhang, den meine Mutter aus Stoffresten genäht hatte.
Noch nie zuvor war ich mit einer solchen Begeisterung zu Bett gegangen. Ein eigenes Zimmer – was für ein Gefühl !