Veröffentlicht: 05.10.2024. Rubrik: Persönliches
Der Führerschein Teil 1
Nur einen Monat nach meinem 18. Geburtstag bestand ich erfolgreich meine Führerscheinprüfung. Auf dem Weg zum Bahnhof war ich mir sicher, dass jeder mein Glück bereits aus der Ferne erkennen konnte – nein, erkennen musste. Ich strahlte über das ganze Gesicht und hätte am liebsten jedem Passanten meinen „Grauen Lappen“ gezeigt. Ich ging nicht, ich schwebte. Auf dem Weg zum Bahnhof, am Bahnsteig und im Zug suchte ich krampfhaft nach bekannten Gesichtern, denen ich mein Glück mitteilen konnte.
Zu Hause erwartete mich meine Familie. „Bestaaaanden“, rief ich laut im Hof. Die Nachbarn schauten verwundert und monierten sicherlich, dass ich nicht grüßte – was in einem kleinen Dorf fast einem Kapitalverbrechen gleichkam. Aber dafür war kein Platz in meinem Kopf. Was gab es Wichtigeres auf der Welt, als meinen Führerschein ?
Mein Vater nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegen. Ab jetzt hatte er keine Ausrede mehr, abends noch einmal wegzufahren. Er übernahm gerne den Fahrdienst zu Dorffesten. Wir waren zwar zusammen aber jeder ging seine Wege und jeder von uns hatte seinen Spaß. Zu einer verabredeten Zeit trafen wir uns wieder auf dem Parkplatz. Auch den Bring- und Holdienst in die Disko war für einen fürsorglichen Vater immer ein willkommener Grund, abends noch einmal wegfahren „zu müssen“. Aber der gewichtigste Negativfaktor meines Führerscheins war für ihn: er kannte seine Tochter und wusste, dass sie gerne flott unterwegs war. Hinzu kam, sein 18-jähriger Bruder verunglückte nur 5 Monate nach der Führerscheinprüfung tödlich.
Die Sichtweise meiner Mutter auf die Fahrerlaubnis war genau gegenteilig. Endlich hatte die ständige Fahrerei meines Vaters ein Ende und endlich musste sie sich nicht mehr von Dorfbewohnern anhören, dass man mich beim Trampen gesehen hatte. Leider verpasste ich des Öfteren den Schulbus oder eine Bahn. Für den Schulbus gab es keine Alternative und bei der Bahn hätte ich eine volle Stunde auf die nächste Verbindung warten müssen. Handy gab es noch nicht und der Gedanke an das Mittagessen war für mich ein ganz klares Argument dafür, die schnellste Fahrgelegenheit nach Hause wahrzunehmen. Und da gab es auf dem Land nur eine: Trampen.
Fortsetzung folgt