Veröffentlicht: 06.10.2024. Rubrik: Persönliches
Der Führerschein Teil 2
Am Tag nach der Führerscheinprüfung fuhren wir in ein Autohaus, um „ Mein Auto“ abzuholen. Ein froschgrüner, gebrauchter VW Polo. Ich war überglücklich und hätte dieses Gefährt gegen keinen Sportwagen und gegen keine Limousine eingetauscht. Es hatte genau die richtige Größe, genau die passende Zahl an Pferdestärken und genau die richtige Farbe – was ja bei weiblichen Kfz-Haltern ein wesentliches Kriterium, bei der Wahl eines Autos ist.
Schon bald musste ich mir jedoch eingestehen, dass es kein Vergleich war, ob ich alleine fuhr oder mit einem Fahrlehrer an meiner Seite. Einer Person, die mich auf Gefahren aufmerksam machte, der – wenn nötig – bremsen konnte und wie ein Schutzengel auf dem Beifahrersitz einfach da war. Und so kam, was kommen musste. Nur vier Wochen, nachdem ich mein eigenes Auto in Empfang genommen hatte, fuhr ich an einem Regenabend in die Kreisstadt Wetzlar. In einer scharfen Kurve merkte ich, dass ich zu schnell unterwegs war und beging einen folgenschweren Fehler: ich bremste. Die Fliehkräfte, in Verbindung mit der regennassen Fahrbahn, trugen den kleinen VW Polo aus der Kurve heraus. Mein Bremsmanöver schien den Wagen zu beschleunigen, statt zu verlangsamen. Die Reifen ignorierten meinen Lenkeingriff. Alles drehte sich, es krachte, knalle und klirrte. Glas zersplitterte, Metall rutschte mit einem Geräusch über den Asphalt, das durch Mark und Bein ging. Dann folgte Stille – Totenstille. Ich öffnete meine Augen aus einer kurzen Bewusstlosigkeit. Nein, es war kein böser Traum. Der VW Polo hatte sich mehrmals überschlagen und lag nun auf dem Dach in einem Grasstück und ich einige Meter davon entfernt. Entgegen aller Vorschriften hatte ich mich nicht angeschnallt und wurde durch das Seitenfenster aus dem Auto geschleudert. Ich spürte nichts außer Taubheit und Leere. Auch keine Schmerzen, weshalb ich versuchte aufzustehen – aber es ging nicht. Ich konnte meinen Oberkörper nicht aufrichten und geriet in Panik. „Bitte nicht“, flehte ich in Richtung Himmel und bewegte vorsichtig meine Beine und Füße. „Gott sei Dank“, sie gehorchten den Befehlen meines Kopfes, was mich noch im selben Moment entspannte. Dann bemerkte ich, dass ich keine Schuhe trug und die Oberbekleidung zerrissen war. Blut lief über mein Gesicht und machte sich durch seinen unverkennbaren Geruch und die Wärme bemerkbar. Hilflosigkeit und Leere machten sich in mir breit.
Die Nacht hatte bereits den Abend abgelöst und Licht, sowie tägliche Geräusche sich zur Ruhe begeben. Dafür schien mein Schmerzzentrum zu erwachen. Ich war erschöpft und hörte endlich menschliche Stimmen, die sich mir näherten. „Hallo“, war das einzige Wort, das man mir zurief und „Hallo“, war das einzige Wort, das ich erwidern konnte. „Wir haben bereits die Polizei und einen Krankenwagen verständigt“, gleich kommt Hilfe. Die Nähe zur Kreisstadt war offensichtlich, denn nur wenige Atemzüge später ertönte das Martinshorn. Der blaue Lichtschein des Rettungswagens erhellte die Nacht. Ein Sanitäter lief auf mich zu. Es folgten Fragen über Fragen und nach einer gefühlten Ewigkeit die Worte: „So, jetzt geht’s los“. „Könnten Sie bitte meine Hand halten“, bat ich den Sanitäter. Schweigend kam er meine Bitte nach und sein Kollege sagte, mit zuversichtlicher Stimme: „Alles wird gut“.
Fortsetzung folgt