Kurzgeschichten-Stories
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geschrieben von Bugs_on_line.
Veröffentlicht: 17.04.2025. Rubrik: Unsortiert


Human Soul Saver

Human Soul Saver


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Die Tage waren noch nicht gezählt. Möglich, dass es einst so sein wird, doch hier, in dieser Welt, in dieser Zeit gab es das, was keine andere Welt hätte je zu bieten gehabt. Das Ziel war nicht der Weg und der Weg war nicht das Ziel. Es war die kontinuierliche Kraft, die von aller Ewigkeit ausging und sich in aller Ewigkeit verlor um in aller Ewigkeit wieder geboren zu werden.
Das war der Kreislauf und das war das Wunder.
Das war das Wunder.
Es begann nirgends und endete auch nie, weder war das Eine in Sicht noch konnte man das Andere aus den Augen verlieren. Als sich die Zeit aus dem formte, das einst die Ewigkeit war, als sich die Meere füllten und als sich das Land aus dem Wasser grub, sah die eine Gestalt, dass es Zeit würde, Leben um des Lebens willen zu schaffen.
Als das geschah, war die Macht glücklich, lehnte sich zurück und betrachtete alles.
Das Leben entwickelte sich, bahnte sich einen Weg, erst aus dem Meer auf das Land, vom Land dann in die Lüfte.......
Die Macht betrachtete das Alles und staunte darüber.
Das Leben veränderte sich, es gedieh und die Macht sah, wie es erwachsen wurde.
Doch bald schon merkte die Macht, dass das Leben hilflos war.
Das es gefangen war im Leben selbst und in allem, was es war.
Da schickte die Macht die leuchtenden Wesen, ihnen zu helfen zu leiten und zu führen.
Das Leben nannte sie „Engel.“
Und die Engel nannten sie „Leben.“

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***

Müde suchte Kavie sich einen Weg durch die Menschen, die sich um sie herum drängelten. Irgendwo ganz hinten in der Ecke war tatsächlich noch ein freier Tisch und sie hatte das Gefühl, dass sie nun wirklich und tatsächlich einen großen, heißen, süßen Kakao mit einem riesigen Klecks Sahne vertragen könnte. Ihr Tag war lang, ihre Beine schmerzten und ihre Füße fühlten sich an. als hätte jemand Betonklötze dran gebunden.
Sie suchte sich den Weg zum Tisch, stellte ihre Tasche zwischen ihren Füßen auf den Boden und hielt Ausschau nach der Kellnerin, die sie jeden Samstag hier bediente.
Die stämmige Dame namens Gerda, etwa Mitte vierzig mit seltsamer blauer Hochsteckfrisur bemerkte Kavie recht früh. Sie hielt lächelnd ihren Block hoch, um ihr zu signalisieren, dass sie gleich zu ihr kommen würde und wandte sich dann wieder dem jungen Mann zu, dessen Bestellung sie gerade aufnahm.
Wahrscheinlich ein Student. Nicht mal zwanzig Jahre jung, mit dunklen, kurzen Haaren und einer typischen Studentenbrille.
Er hatte picklige Haut und große Narben im Gesicht. Kavie schätze, dass es Spuren einer jugendlichen Akne waren, die so langsam aber sicher verblassten.

Während sie auf Gerda wartete, spürte sie die Auren der Menschen um sie herum.
Ihre Farben, die sie so deutlich wahrnahm und erkennen konnte, waberten um jeden Einzelnen herum, bedeckten sie gar fast und gaben Geheimnisse preis, die die Menschen von sich selber kaum kannten.
Farben, manche so hell, manche so trüb, für die Menschen keine Namen hatten.
Kavie spürte auch ihre pochenden Herzen. Spürte ihre Wärme, die sie umgab.
Sie wärmten ihre Hände und ihr Gesicht.
Bedächtig lehnte sie sich ihn ihrem Stuhl zurück und genoss den Augenblick.
Irgendwann vernahm sie Gerdas Stimme neben sich. Ihre grüne, schmutzige Schürze war mit einem Band hinten über dem beachtlichen Po zusammengehalten und ließ ihre Figur noch unförmiger erscheinen, als es ohnehin der Fall war.
"Bestellst du wieder das Selbe wie immer, Schätzchen?" fragte sie und Kavie stellte nicht ohne Verblüffung fest, dass Gerda einen Kaugummi kaute, den sie unverhohlen zwischen ihren Lippen platzen ließ.
Kavie nickte, lächelte und kramte aus ihrer Hosentasche einen zerknitterten Fünfer, den sie Gerda reichte.
Sie nahm ihn, lächelte abermals und entblößte eine Reihe erstaunlich gelber Zähne. Kavie musste an Zigaretten, Kaffee und einer verkürzten Lebenserwartung denken.
Etwa zehn Minuten später hatte sie einen heißen, wunderbar duftenden Kakao vor sich stehen und auf dem leeren Platz ihr gegenüber eine heiße Tasse schwarzen Kaffees.
Sie wartete und sie wartete jeden Samstag mit freudiger Erwartung und einen schlechtem Gewissen.


***

Maric betrat das Cafe und durchsuchte mit seinen hellen Augen die Szenerie. Als er Kavie bemerkte, lächelte er und hob eine Hand zum Gruß. Kavie stellte ihre Tasse beiseite, grinste und gestikulierte wild mit den Armen. Eine junge Frau warf ihr missbilligend einen Blick zu und murmelte irgendetwas, dass sie sowieso nicht verstand.
Jedes Mal, wenn sie ihn sah wurde ihr komisch zumute. Seine schwarzen, zotteligen Haare, die ihm oft in die Augen fielen, hatte er heute mit einem Gummi im Nacken zusammen gebunden. Seine blauen, klaren Augen, die immer neugierig waren, durchdrangen sie oft so unangenehm, dass sie sich erwischt fühlte. Bei was auch immer. Und doch, in der ganze letzte Woche sehnte sich nach diesen Augenblick.
Nur dieser Moment, diese halbe Stunde, die sie hatten. Eine halbe Stunde Leben in einer Welt voller Lebender.
Wieder fühlte sie das eigenartige Gefühl zwischen Bauch und Magengrube, dass sie verwirrte und verunsicherte.
Ein Gefühl, dass sie an etwas erinnerte, das schon lange vorbei war.
Seine Gestalt war nicht groß, nicht klein. Zwar war er gut einen Kopf größer als sie, aber sie war ja auch nur eins-siebzig. Seine Figur war kräftig, aber nicht übermäßig. Er hatte breite Schultern, einen knackigen Po...wobei das selbstverständlich das Letzte war, an das sie dachte.
Sie schämte sich für diese Gedanken, aber sie verdrängte sie auch nicht.
Er trug ein neues Piercing in seiner Augenbraue. Das Letzte hatte er die Woche verloren und er sah nackt aus ohne es.
Sein Wesen war einnehmend und immer fröhlich, wenn auch ruppig. Sie genoss einfach seine Gesellschaft und hoffte inständig, niemand würde es je bemerken.
Gut möglich, dass sie dann ihren Job los würde.
Gut möglich, dass sie noch viel mehr los wurde. Sie wagte zu bezweifeln, dass sie ihre Existent an sich aufs Spiel setze, aber sie glaubte doch, dass sich sehr vieles für sie ändern würde.
Man könnte gegebenenfalls an Verrat denken, wobei sie die Letzte war, die solches im Sinn hatte.
Aber sie wollte sich auch nicht wirklich Gedanken darüber machen.
Sie waren ja vorsichtig. Sie passten auf.


***

Im Gegensatz zu Kavie nahm Maric niemals Rücksicht auf die Menschen, während er sich seinen Weg durch die Menge bahnte.
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, drückte er eine ältere Frau beiseite, die im Mittelgang stand und in ihrer Tasche kramte.
Halb fallend, halb stolpernd fand sie Halt an einer der Steinsäulen, die mit Plakaten und Ankündigungen neuer und vergangener Attraktionen verklebt waren.
„ Hey!“ rief ein Mann und wollte sich brüsten. Doch nach einen Blick in Marics Augen beschloss er, an einem anderen Tag heldenhaft zu sein und widmete sich wieder angestrengt den Anzeigen seiner Tageszeitung.
Maric machte einen äußerst zufriedenen Eindruck.
„ Das war sehr unhöflich,“ sagte Kavie, als Maric sich setzte.
Er lachte herzhaft und deutete auf die Tasse Kaffee. „ Meiner?“ fragte er.
„ Nein, den hab ich für George Washington bestellt,“ konterte sie und wunderte sich über sich selbst.
Maric lachte wieder und versetzte ihr einen sanften, freundschaftlichen Fausthieb auf die Schulter.
Sie kicherte und hasste sich im gleichem Moment für diese Mädchenhaftigkeit.
Maric nahm einen Schluck , verzog leicht das Gesicht und musterte sie über den Tassenrand hinweg.
„ Wie viele hast du heute schon beliefert?“ Er machte nicht einmal den Versuch, die Neugierde in seiner Stimme zu verbergen.
Kavi machte große Augen und warf einen verstohlenen Blick auf ihre Tasche.
„ Das bind ich dir doch nicht auf die Nase! wie kannst du nur fragen?“
Maric lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück und bemerkte dann, dass er seinen Rucksack noch auf den Rücken trug.
Er nahm in ab und hängte ihn über die Stuhllehne.
Seine Augen wanderten über ihr schönes Gesicht.
Die herrliche, leicht gebräunte Haut, die hübschen grünen Augen, die manchmal so niedlich verwirrt dreinschauten.
Ihre süße Stupsnase, die im Frühling immer ein bisschen rot war, wegen des Heuschnupfens.
Ihr Haar das in sanften Wellen auf Schulter und Rücken fielen.
Ihr schüchternes Lachen, das eine trotzige Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen preisgab.
Zu Hause ertappte er sich manchmal dabei, wie er an sie dachte.
Was machte es schon, dass sie Konkurrenten waren?
Das er vermutlich in blutige Fetzen gerissen würde, wenn jemand von ihren Treffen erfuhr.
Er liebte diese Zusammenkünfte mit ihr. Er wusste noch genau den Tag als es begann. Der Tag an dem sie sich kennen lernten.
Der Tag, an dem er hoffte, einen frühen Feierabend zu machen.
Ein herrlicher , sonniger Tag......

***

.....der ihm wieder und wieder den Schweiß auf die Stirn trieb. Es war heiß, beinahe 34 Grad und er hatte längst seine schwarzen Hemden gegen sehr luftige T-Shirts eingetauscht.
Seine Haare band er mit einem Gummi im Nacken zusammen und dort, wo das Haar des Zopfes auf die kleine Vertiefung zwischen den Schultern fiel, schien sich tatsächlich eine kleine Pfütze Schweißes zu bilden.
Er sah die Frau kommen, zumindest sah er ihren Mercedes die Einfahrt zum " All 4 Your Baby" herauf fahren und schaute kurz und eher automatisch als aus Interesse auf seine Armbanduhr.
Es war viertel nach vier.
Der dunkelblaue Mercedes kam vor einer Parklücke zum Stehen, fuhr dann wieder weiter und verschwand in einer Anderen.
Maric hatte einen blöden Spruch über Frauen am Steuer in seinem Gedanken, den er schnell wieder verdrängte.
Nicht, ohne vorher ein bissiges Lächeln auf den Lippen zu haben.
Die Frau stieg aus dem Wagen, was bei ihren Maßen ein wenig unbeholfen wirkte, knallte die Tür zu und strich sich mit einer Hand über den riesigen Bauch.
Marics Schätzung war sie etwa Ende achter Monat.

Im Laufe der Jahre hätte er lernen sollen, es besser abzuschätzen, aber das Einzige, was er gelernt hatte, war, dass jede Frau anders schwanger war. Manche Frauen sahen aus, als müssten sie bald auf der Straße ihr Kind verlieren, waren aber erst im vierten Monat, Andere verloren es fast auf der Straße und er hätte schwören können, die tragen noch sechs Monate.
Er fand es verwirrend.
Mit einem Kopfschütteln versuchte er, die störenden Gedanken abzuschütteln und konzentrierte sich wieder auf die Frau, die sich mittlerweile auf dem Weg zum Eingang machte.
Links und Rechts der großen Glastüren standen Top Sonderangebote, Kinderwagen und so hohe Holzstühle mit Platten davor, damit der zukünftige Nachwuchs seinen Mist darauf verschmieren konnte.
Maric grinste und folgte der Frau in den Laden.


Als er durch die Tür schritt erntete er einige verwunderte Blicke von anderen Kunden und einer Verkäuferin, die sich sogleich mit einem verhaltendem, geschäftsmäßigem Lächeln an ihn wendete.
Sie trug ein grellgelbes Shirt auf der ein riesiges Babygesicht abgebildet war, das unweigerlich alle Blicke auf sich zog. Ihre kurzen Haare standen in unregelmäßigen Zacken vom Kopf ab und erinnerten ihn ein wenig an einen Igel. Ihr Mund war eine dünne Linie aus rosa Lippenstift.
"Kann ich ihnen helfen?"
Maric warf ihr einen kurzen Blick zu, zog die Oberlippe zu einem künstlichen Lächeln hoch und ging an ihr vorbei.
In dieser Nacht hatte die Verkäuferin furchtbare Alpträume.
Sie träumte von Schlangen und Käfern, die mit ihr in einen dunklen Raum gesperrt waren und sie nicht entkommen ließen.

Die Frau, dessen Namen er nicht kannte, durchsuchte erst einen Ständer mit Stramplern, durchforstete dann einen kleinen Wühltisch mit Lätzchen und sah dann staunend an einer Wand hoch, die mit Kindersitzen bestückt war.
Maric stellte sich hinter einem Ständer mit Taufkleidern und kramte in seinen Rucksack, den er auf den Rücken trug und nun umständlich Bauchseits zerrte.
Seine Hand ertastete das kalte Glas und sogleich spürte er das unangenehme Kribbeln, das sich bis zu seinem Schulterblatt hochzog.
Er öffnete den groben Verschluss und er pulte mit seinen Fingerspitzen einen der sich windenden , etwa ein Zentimeter großen Würmchen heraus und hielt es fest in seiner geschlossenen Hand.
Vorsichtig zog er es aus dem Rucksack und warf einen verstohlenen Blick in den Laden, um sicher zu gehen, dass ihn niemand bemerkte.
Die Verkäuferin hatte sich längst in den Personalraum begeben.
Aus irgendeinen Grund hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Pause vorziehen sollte.
Vielleicht sollte sie sogar kündigen.
Sie dachte ernsthaft darüber nach.

Maric hatte nun den Punkt erreicht, wo nichts Anderes mehr wichtig war, als die Lieferung auszutragen. Wäre seine Konzentration nicht so sehr auf einen Punkt fixiert, hätte er sie vielleicht sogar gesehen.
Vielleicht hatte er sie sogar schon gespürt, als sie freundlich lächelnd "All 4 your Baby" betrat, und tatsächlich noch Sekunden staunend vor winzigen Babysöckchen stehen blieb.
Sie nahm sich sogar die Zeit, eines dieser winzigen Paare in die Hand zu nehmen, schmunzelnd über den weichen Stoff zu streicheln und sie dann wieder weg zu hängen.
Er hätte auch sicherlich reagiert, als sie den Gang hoch schlenderte, der sich rechts von ihm befand, und ihrerseits eine Hand in die Umhängetasche steckte, um herauszuholen, weswegen sie hier war.
Aber da er das alles nicht mitbekam, da er sie nicht sah, da er sie nicht merkte, viel ihm einfach der Kiefer herunter als sie vor seiner Nase hinter die Frau trat, ihr wie einen Handkuss ein kleines, leuchtendes Bällchen in den Nacken hauchte und dann den Weg weiter hinunterschlenderte.

Die Frau lachte kurz und umfasste dann ihren Bauch mit beiden Händen. Ein wundervolles, warmes Gefühl hatte sich in ihr ausgebreitet. Es war etwas wundervolles passiert und das wusste sie nun. Irgendetwas war mit ihr passiert, dass ihr Leben würde wunderbar machen.

Maric stand mit offenem Mund, vor Staunen geweiteten Augen und einem Würmchen in der Hand wie zur Salzsäule erstarrt da. Sein sonst so kalter und berechnender Gesichtsausdruck glich nun dem eines Mannes, der soeben erfahren hatte, dass die Geliebte der Nacht ein Mann war.
"Das war nun echt mal dreist.", murmelte er und nahm die Verfolgung auf.

Das Lichtwesen war völlig sorglos. Sie trug ein leichtes Sommerkleid das mit bunten Blumen bestückt war und ihr bis zu den Knien reichte. Ihre blonden Harre trug sie offen und an den Füßen trug sie Sandalen.
Sie hatte einen lockeren Gang drauf, schlenderte von Schaufenster zu Schaufenster und warf hier und da ihre Haare wieder über die Schulter auf ihren Rücken.
Sie trug eine blassblaue Umhängetasche in der sie vermutlich ihre Ware transportierte.
Maric beobachtete sie Zähneknirschend, versteckte sich hin und wieder hinter Passanten, wenn das Lichtwesen stehenblieb und nahm wieder die Verfolgung auf, wenn sie weiterging.
In seinen Augen gab es nur zwei Möglichkeiten.
Entweder versuchte er selber, das Wesen schnell und zügig zu vernichten, oder er machte eine Meldung und es würde sich jemand Anderes um sie kümmern.
So oder so, das Lichtwesen musste fort.
Tatsache, das Lichtwesen musste sterben.
Und als ob jemand seine Gedanken gelesen hatte, verschwand sie in einer der zahlreichen Seitengassen, die schließlich zum Busbahnhof führten.
Maric fühlte wieder ein boshaftes Grinsen auf seinem Gesicht wachsen und trat mit ihr zusammen in die Gasse.

**

Forman saß nun schon seit gut und gerne vier Stunden auf einem der Pappkartons und hatte die Flasche Prosecco zwischen seinen Beinen.
Er war einfach nur glücklich, dass es Sommer war und das er sich keine Gedanken darüber machen musste, ob er die Nacht überlebte oder nicht. Das Einzige, über das er sich jetzt noch Gedanken machen musste, war, wo er seine nächste Flasche her bekam.
Seine Jetzige war nur noch zu einen Viertel voll und er merkte, wie er langsam aber sicher nervös wurde.
Ein junges Mädchen ging an ihm vorbei, schaute ihn traurig an und warf ihm einem Fünfer zwischen seine Beine.
Unter ihrem Blümchenkleid zeichnete sich deutlich ihre schlanke Silhouette ab.
Was dann passierte, konnte er kaum seinem Kumpel erklären, der ihn später fragte, wo seine Flasche war.
Alles ging sehr schnell.
Er hörte jemanden rufen, eine Stimme, die aufgebracht und ruhig zur gleichen Zeit klang.
Das Mädchen drehte sich um.
Ihr Gesicht, das im erstem Augenblick so gütig und traurig wirkte, veränderte sich schlagartig.
Forman konnte förmlich ihr Herz rasen hören, konnte spüren, wie sich der Magen der Kleinen zusammenzog und wie sie ihre kleinen, zierlichen Hände zu Fäusten zusammenballte.
Alles änderte sich. Der Tag, gerade noch hell und beinahe ohne Sorgen, wollte sich verdunkeln.
Hätte Forman auf die Uhr geschaut, vorausgesetzt er hätte eine besessen, die er noch nicht zu Geld gemacht hatte, hätte er festgestellt, dass es keine Zeit mehr gab.
Sie stoppte einfach an dem Punkt. Sie flüchtete.
Seiner Eier schrumpften zu Rosinen zusammen und der sich in seinem Magen befindliche Alkohol wollte sehr schnell wieder raus.
Er kotze reflexartig und pisste sich gleichzeitig in seine schmutzige Hose.
"Ein Schattenwesen!", hörte er das Mädchen rufen und kaum waren diese Worte ausgesprochen, leuchtete es um sie herum als ob jemand einen Scheinwerfer auf sie gerichtet hätte.
Nein, so, als wäre sie einer.
Ihr Haar schien in Flammen zu stehen und Forman merkte, wie ihm alle Haare, die er am Körper hatte, und bei Gott, es waren viele, zu Berge standen.
Das Mädchen führte ihre Hände zusammen und bildete mit ihnen einen Hohlraum, aus dem ein Glimmen strömte, so hell wie die Sonne an manchen Morgenden brannte.
Forman wagte einen Blick die Gasse herunter und sah ihn dort stehen.
Einen jungen Mann, noch keine achtzehn Jahre alt, mit schwarzem Haar und schwarzer Kleidung.
Obschon er gut und gerne zehn Meter von ihm entfernt stand, konnte Forman seine Augen erkennen. In seinem hellem Gesicht saßen sie wie weißglühende Kohlen.
Er machte einen Schritt auf das Mädchen zu, stoppte, machte einen Weiteren und dann, bei Gott, er schwörte, war er einfach da.
Einfach da, er war so schnell, dass Forman ihn nicht mal heran kommen sehen konnte.. Lediglich ein dunklen Schleier, der seinen Weg kennzeichnete, lag wie ein Dunst in der Gasse.
Nur ein Bruchteil von Sekunden und sie standen sich gegenüber.
Forman sah, dass das Mädchen etwas, dass sie in der Hand hielt, ihm entgegen schleudern wollte, doch sie schaffte es nicht.
Er packte ihre Hände.....sie schrie, krümmte sich, schrie wieder und fluchte laut.
"Du sollst nicht fluchen!", spuckte der junge Mann( oder seien wir ehrlich, das Wesen, das wie ein junger Mann aussah.) in ihr Gesicht und schleuderte sie gegen die Hausmauer, die hinter ihr war.
Tatsächlich donnerte es ganz beträchtlich.
Das Mädchen blieb einen Augenblick verwirrt liegen, stütze sich dann auf den Händen ab und kam in dem Moment wieder zum Stehen, als der Andere sie an den Haaren zu packen versuchte.
"Nicht meine Haare!", schrie sie und versetzte ihn einen gewaltigen Fußtritt in den Magen.
Seine Augen weiteten sich, dann beugte er sich vornüber und verharrte.
Sie schien ihre Chance zu wittern, klaubte Forman die Flasche zwischen seinen Beinen weg, ( er nahm es mit Bedauern wahr), und holte aus.
Das andere Wesen war schneller.
Bevor sie auch nur reagieren konnte, versetzte er ihr einen gewaltigen Schlag ins Gesicht. Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert und Forman stellte nicht ohne Verwunderung fest, dass er ihr die Nase blutig geschlagen hatte. Jeder Tropfen bildete eine dunkle Blüte auf ihrem Kleid.
Es packte die Flasche und drehte sie dem Mädchen aus den Händen.
Sie konnte nur ein erstauntes "Hey!" von sich geben, drehte sich um ihre eigene Achse und trat mit der Behändigkeit einer Raubkatze hinter ihm. Sie vergrub ihre Hände in seinem Rucksack, ließ sich nach hinten fallen und riss so heftig daran, dass das andere Wesen strauchelte, wild mit den Armen ruderte und schließlich nach hinten kippte.
Der Rucksack rutschte von seiner Schulter. Das Mädchen riss ihn auf , griff hinein und wie eine Trophäe hielt sie eine rauchige Flasche hoch über ihren Kopf. Sie warf Forman einen trotzigen Blick zu und stieß ein forderndes "HA!" aus.


Forman zuckte die Schultern und deutete mit einer Handbewegung auf das andere Wesen, das mittlerweile wieder auf die Beine gekommen war.
Das Mädchen drehte sich um und alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
Mit einem schiefem Grinsen hielt das andere Wesen die blassblaue Umhängetasche des Mädchens in den Händen und schwank sie lässig hin und her.
Das Mädchen ließ den Rucksack sinken.
"Gib mir meine Tasche wieder. Sofort.!!!!"
Forman schaute interessiert von Einem zum Anderen.
"Du hast gut reden." Das andere Wesen machte eine Kopfbewegung zu seinem Rucksack hin und kam einen Schritt auf sie zu.
Sofort wich sie zurück.
"Wenn du mir zu nahe kommst, ist deine Flasche zerbrochen. Und all deine .....äh...Dinger hier....gehen ein!" Geistesabwesend wischte sie sich das Blut von den Lippen, beachtete es aber nicht weiter.
"Du hast mir in die Haare gezogen," fügte sie hinzu und rieb sich die Stelle auf ihrem Kopf.
Er legte den Kopf schief und machte einen mitleidigen Gesichtsausdruck.
"Tut mir so leid, ehrlich." Er griff in seine Hosentasche und holte eine Schachtel Zigaretten hinaus. Ohne sie einen Blick zu würdigen, steckte er sich eine Zichte zwischen die Lippen, machte sie an und zog den Rauch tief in die Lungen.
"Wir haben ein Problem," bemerkte er durch den Rauch seiner Zigarette.
Forman merkte, wie sein Blick auf seine noch unzerbrochene Flasche fiel, die nun unbeachtet auf dem Boden lag.
Er fragte sich tatsächlich, ob er sie holen sollte.
Noch eher er eine Entscheidung getroffen hatte, kickte das andere, das männliche Wesen die Flasche mit den Füßen in seine Richtung. Scheppernd kam sie vor seinen Füßen zum stehen.
"Trink Dir noch einen," sagte das Wesen abfällig.
"Arschloch", murmelte das Mädchen, bückte sich und nahm die Flasche des Menschen an sich.
Forman blickte ihr hinterher.
Das Mädchen schwank die Flasche und schmiss sie die Gasse abwärts, wo sie hörbar zerbrach.
"Wir brauchen einen Deal," sagte sie. "Deine Tasche gegen meine"
Das andere Wesen grinste und hielt ihr ihre Tasche entgegen.
"Nimm sie dir."
Das Mädchen zögerte, aber sagte nichts.
Schließlich kam ihr eine Idee:" Ich kenne ein Cafe`"
"Schön für dich," sagte das dunkle Wesen und schnippte die inzwischen auf gerauchte Zigarette in die Gasse.
"Ich gebe deinen Rucksack dort hin zur Kellnerin, aber nur, wenn sie einen für mich hat."
Das dunkle Wesen dachte einen Moment darüber nach, kramte dann wieder in seine Tasche und nahm abermals die Schachtel raus.
"Du rauchst zuviel." bemerkte das Mädchen trocken und Forman stimmte ihr im Gedanken zu.
"Ok,", sagte das dunkle Wesen.

Forman hörte, wie das Mädchen eine Beschreibung gab und dann ging.
Das dunkle Wesen blieb noch stehen und sah ihr nach. Dann wandte er sich Forman zu und zuckte die Schulter.
"Weiber," sagte er und stöhnte.
Das dunkle Wesen warf die Schachtel, die es noch in der Hand hatte Forman vor die Füße.
"Rauch dir eine," murmelte er, als er sich wieder auf den Weg machte.
Das war der Tag, an dem sie sich kennen lernten. Der Tag, der alles veränderte, ohne, dass sie beide es eigentlich wollten.
Abends saß er noch lange in seinem Sessel, dachte über das Mädchen nach, sah sie vor seinem geistigem Auge und legte öfters als es ihm lieb war, die Stirn in Falten.
Dann holte er die blassblaue Umhängetasche, sah hinein, bewunderte die schlichte Eleganz des Gefäßes, (das er sich hütete zu berühren) und hängte sie an den Hacken seiner Garderobe.
Samstag würde er seine Tasche wiederbekommen und das Lichtwesen ihre und der ganze Kram würde vermutlich wieder von vorne losgehen.
So war es geschehen und so würde es einst geschrieben stehen.


Und wie auch alles weitere geschehen sein mochte, nun sahen sie sich schon seit über drei Monaten jeden Samstag seid dem ersten Male.
Wie es dazu kam, konnte er nicht einmal sagen. Es passierte schleichend. Aber er konnte sich noch ziemlich gut an ihren verdutzen Gesichtsausdruck erinnern, als er in das Cafe kam, einen Kaffee bestellte, ihr freundlich zuwinkte und sie fragte, ob sie auch einen möchte.
"Ich mag keinen Kaffee," erwiderte sie damals tonlos und bestellte sich einen Tee.
Sie sahen sich also jedem Samstag.
Und die ganze Woche freute er sich darauf.
Er würde es nie zugeben. Foltern könnte man ihn und ihm seine Nägel ausreißen....oder schlimmeres.
Nie würde er zugeben, dass er sich nach diesem Moment sehnte.


***

„.....denkst du?“
Kavie holte ihn aus seinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit.
„ Was?“ fragte er.
„ Woran denkst du?“ wiederholte sie.
„ An meine nächste Kundin,“ log er.
Er kramte in seinen Rucksack und holte ein Päckchen Zigaretten hervor.
Er steckte sich eine an und inhalierte genüsslich den Rauch . Kavie wedelte ihn mit der Hand weg und machte ein garstiges Gesicht.
„ Warst du denn erfolgreich ?“ Sie stellte die Frage, als wäre es eine Belanglosigkeit.
Sie spielte mit dem Löffel in ihrem Tee und vermied es, ihn anzusehen damit er nicht die Neugierde in ihren Augen lesen konnte. Ohnehin wusste dieses eigenartige Schattenwesen viel zu viel von ihr.
Maric suchte nach einem Aschenbecher, fand einen auf dem Nebentisch und klaute ihn einfach runter.
Der Student, der gerade abaschen wollte glotze ihn verdutzt an, war dann aber wohl der Meinung das seine Untertasse den selben Zweck erfüllte.
„ Ich bin immer erfolgreich. Ich habe eine Quote zu erfüllen.“
Sie nickte. Es wurmte sie, dass er manchmal so selbstgefällig war.
„ Manchmal kotzt mich dieser Job einfach an,“ flüsterte er durch den Rauch hindurch verschwörerisch.
Kavie lächelte.
„ Wir machen das schon so lange. Wir können doch gar nichts Anderes.“
Sie schien einen Moment zu überlegen, dann wuchs ein fröhliches Grinsen auf ihrem hübschem Gesicht.
„ Na ja, ich wäre gerne Schokoladenfabrik Abgestellte. Das wäre doch toll.“
Ihre grünen Augen strahlten, als ob die Möglichkeit Realistisch sein könnte. Irgendwie, irgendwann.
Maric hatte das Bild genau vor Augen. Seine Kaverie in einem weißem Kittel an einem Laufband und Tonnen von Schokoladentafeln liefen an ihr vorbei. Und keine war süßer als sie. Er überlegte, ob er ihr das sagen sollte.
Statt dessen: „ Davon wirst du fett und bekommst Pickel.“
Sie zog einen Flunsch aber war nicht wirklich beleidigt.
„ Was würdest du lieber machen?“ wollte sie wissen.
Eine Weile sah er aus dem Fenster und überlegte. Die helle Nachmittagssonne zauberte Frohsinn und Hoffnungen in die Herzen der Menschen. Und jeder von ihnen dachte, er hätte sein Schicksal in der Hand. Vor dem Café war ein Springbrunnen und ein paar Kinder warfen Münzen in das Wasser. Jede einzelne ein Wunsch.
Er hörte eine Frau lachen und sah, wie sie einem kleinem Jungen mit rosa Bäckchen über das blonde, struppige Haar strich.
Es machte ihn traurig und doch pflichtbewusst.
Dämliche Narren, dachte er.
„ Ich wäre gerne Gärtner oder so. Hauptsache draußen in der Natur.“
Kavie wollte etwas witziges sagen, sah aber die Ernsthaftigkeit mit der er es ausgesprochen hatte und schwieg. Genau wie er vorher stellte nun auch sie sich vor, wie er in grünen Overall auf irgendeiner Wiese stand und Laub zusammen kehrte. Beiläufig dachte sie, dass ihm ein grüner Overall auch gut stehen würde. Nun musste sie doch schmunzeln.
Maric trank die letzte Pfütze seines Kaffees und er kam ihn bitterer vor als sonst.
„ Ich muss los, ich habe noch eine Kundin,“ stellte er fest und nahm seinen Rucksack.
Er schwang ihn auf seinen Rücken als wäre etwas völlig Gewöhnliches darin.
Aus seiner Jeans fischte er einen Fünfer und legte ihn auf den Tisch neben seiner leeren Tasse.
„ Schade.“ sagte Kavie leise, als er schon auf den Weg zur Tür war.
Sie legte ihre Tasche auf Schoß und schaute hinein.
In der gläsern wirkenden Kugel leuchtete nur noch ein Licht.
Jemand klopfte von außen an das Fenster.
Maric hatte seine Nase an das Glas gepresst und brachte sie damit zum Lachen. Er hob den Arm und deutete auf seine Uhr.
Sie nickte: „ Ja,“ bildete sie mit ihren Lippen, „ Samstag, selbe Zeit.“

***

Maric lief eiligen Schrittes zu dem Punkt, an dem ihn sein Zeitplan verschlagen hatte. Er kannte seine Kunden, kannte ihre Gewohnheiten und oft sogar ihre Termine. Das war einer der wichtigen Dinge in seinem Job. Sein Rucksack klopfte ihn bei jedem Schritt energisch auf dem Rücken, als wollte er ihn daran erinnern, dass es höchste Zeit war.
Seine Kundin stand mit einem hoffnungsvollen und irgendwie desolatem Gesichtsausdruck vor einem Brautgeschäft.
Er war so flott gelaufen, dass er schon völlig außer Atem war. Wieso musste er auch so viel Zeit im Café` verbringen?
Er hätte erst seine Arbeit erledigen sollen und sich dann mit Kavie treffen.
Eigentlich, sagte eine innere, mahnende Stimme zu ihm, solltest du dich gar nicht mit ihr treffen. In den letzten Monaten hatte er diese Stimme sehr häufig vernommen, versuchte sie aber zu ignorieren. Die Sache war nur die, dass sich diese Stimme immer sehr plötzlich meldetet. Er bezweifelte fast, dass sie ein Teil von ihm war. Sie schien fast jemand Anderen zu gehören.
„ Fuck you!“ keuchte er und stellte seinen Rucksack zwischen seine Füße, öffnete ihn und suchte unter Walkman und Einkauf für Morgen nach seiner Lieferung.
Er fand die kleine, rauchfarbene Flasche und zog sie an ihrem Hals heraus.
Ein dicker, schwarzer Wurm, dessen zuckender, glänzend schwarzer Leib sich wand, war darin. Maric öffnete den Schraubverschluss und schüttelte den Wurm in seine Hand.
Sofort breitet sich kribbelnde Kälte von seiner Handfläche bis zu seiner Schulter aus.
Die Flasche steckte er wieder zurück in den Sack und schnürte ihn mit Hilfe der Lederriemen zu .
Er buckelte ihn wieder und achtete darauf, dass dem Würmchen nichts geschah.
Dann machte er das Gleiche, das er bei seinen Lieferungen beinahe immer tat.
So unauffällig wie möglich schlenderte er die Straße hinunter und hielt die geschlossene Hand mit dem Wurm in der Manteltasche.
Er war in Höhe der Frau, lief grade an ihr vorbei, da holte er die Hand aus der Tasche und warf den Wurm geschickt und mit unglaublicher Genauigkeit in den Blusenkragen der Frau. Sie stand einen Moment starr, rief „Huch“ und „Aua“, klatschte sich mit der Hand in den Nacken und fluchte. Kurz krümmte sie sich und hielt sich den Bauch. Eine furchtbare Kälte und Taubheit hatte sich über ihren Unterleib gelegt und sie schwankte ein wenig. Doch dann war das Gefühl so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war.
Am Abend würde sie Zuhause ihrem Freund erzählen, dass sie einen neuen Termin bei ihrem Frauenarzt machen würde.
Irgendetwas schien nicht zu stimmen.
Und als sie in der Nacht im Bett lag, fror sie trotz der dicken Daunendecke.
Maric allerdings war zufrieden.
Nicht nur das der Wurm seinen Weg schon finden würde, er hatte auch frei. Das war schließlich der Letzte.
Auf den Weg nach Hause pfiff er eine Melodie die er Morgens im Radio gehört hatte und auch diese lästige Stimme sprach an dem Tag nicht mehr zu ihm.
Aber das sollte sich noch ändern.

***

Kavarie hatte es da schon nicht so einfach. Dummerweise lag Ihre Kundin im Krankenhaus. Sie hatte wohl Frühwehen. Sie stand in der Vorhalle, wo Angehörige und Kranke, die sich irgendwie hierhin schleppen konnten, auf den Plastikbänken saßen und rauchten oder sich , manche auch unerlaubter Weise, ein Stückchen Kuchen gönnten.

Links von ihr, in einer kleinen Nische in der Wand, hing ein Telefon, rechts war die Tür zur Cafeteria. Dort saß die Frau in einem Bademantel gekleidet, der viel zu klein zu sein schien und sie war nicht allein. Eine Freundin war bei ihr. Kavi bemerkte einen Becher Kakao auf dem Tisch. Unwillkürlich bekam sie Durst von dem Anblick.

Kavies Aufmerksamkeit war die eines hungrigen Wolfes. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt wie Gitarrenseiten. Ihr Kopf war eine alles aufsaugende Leere, die jeden Laut, jede Bewegung aufnahm und katalogisierte nach wichtig-unwichtig.
Ihre Füße nahmen jede Vibration unter sich war.
Die Frau in der Cafeteria, ihr Name war Susan Leithaus, unterhielt sich angeregt mit ihrer Bekannten als Kavi durch die Tür schritt. Unauffällig setzte sie sich an den Tisch hinter ihr.
Sie legte ihre Tasche auf den Schoß und öffnete sie. Sie blieb mit den Händen in der Tasche, damit das, was sie tat, den Augen der Menschen verborgen blieb.

Das, was verborgen bleiben musste, war ihr Gefäß. Zwar machte es den Anschein einer einfachen Glaskugel, doch wer genau hinschaute, der merkte, dass die Oberfläche kein durchgehendes Glas war, sondern aus vielen Teilen bestand, die durch die Energie selbst in der natürlichen Form einer Kugel gehalten wurde. Würde jemand sehr genau hinschauen, so würde derjenige die eher raue und brüchige Oberfläche bemerken und würde derjenige sie in die Hand nehmen und ein wenig daran rum drücken, dass würde er feststellen, wie leicht sich die Form verändern ließe. Und wie schnell sie dann auch wieder in ihre ursprüngliche Form zurück fallen würde.
Auch würde sich derjenige über das wundervolle, nebelhafte Leuchten wundern, dass von der Kugel selbst aus zu gehen schien. Ein Leuchten, das Menschen in ihrer Welt nicht kannten.
Es kam aus einer anderen Welt.
Kavie nahm ihre Kugel in die eine Hand und strich mit der Anderen darüber. Der leuchtende Punkt, der einen Durchmesser von ca. zwei Zentimeter hatte, glitt durch die Oberfläche der Kugel, wobei es so ausschaute, als spüre sie einen leichten Widerstand, in ihre Hand, die sie sofort darum schloß.
Dann legte sie die Tasche auf den Steinfliesenboden neben ihrem Stuhl.
Sie bekam einen Bruchteil der Unterhaltung der beiden mit, etwas von ihrem Mann und dessen Schwester und deren Hund so weiter.
Kavie drehte sich langsam um und hielt ihre Hand vor ihrem Busen. Ihr Herz donnerte. Dann, innerhalb von Sekundenbruchteilen entließ sie die warme und kitzlige Kraft ihrer Hand. Sie hielt sie vor ihren Lippen und pustete sie an, als wollte sie jemanden einen Handkuss zuwerfen.
Sie verfehlte ihr Ziel nicht.
Sie schwebte schnell und unbemerkt von Anderen direkt in den Nacken der Frau. Diese stoppte in ihrer Ausführung von perfekten Rababerkuchen und kicherte.
Ihre Freundin sah sie stutzig an.
„ Tut mir leid,“ entschuldigte sich Susan. „ Es hat in meinem Bauch gekitzelt.“
Liebevoll streichelte sie mit einer Hand darüber und lächelte.
"Wird wohl mal ein Komiker."
Kavi war mit sich und der Welt zufrieden.
Sie musste kurz an Maric denken und daran, was er sagte und das es stimmte.
Sie hatte ihre Quote anscheinend erfüllt.

_____________
Kapitel 2

Lühr


Als Maric Zuhause ankam, war es später Nachmittag. Er entledigte sich seiner schweren Stiefel und schmiß seinen Mantel in die Ecke.
Als er in sein zweckmäßig eingerichtetes Wohnzimmer kam, wurde er schon erwartet.
Maric erstarrte und wusste einen Moment nicht, ob er laufen oder lachen sollte. Vielleicht wäre auch beides eine gute Idee gewesen.
„ Ein wunderschönen guten Tag, Maric.“, sagte die adrett gekleidete Frau im Sessel und führte sich eine Hand zum Gruß an die Stirn. Ihre Stimme war spöttisch und aus ihren dunklen Augen war Missgunst zu lesen.
„ Ja, Tag auch,“ brummte er. „ Was tust du hier?“
Die Frau weitete verdrossen die Augen und schob trotzig die Unterlippe vor, was ihr einen seltsam verletzlichen Eindruck verlieh. „ Begrüßt man so eine Kollegin? Wo ich doch den ganzen, weiten Weg gemacht habe, nur um dich, meinen lieben Freund und Kollegen, zu besuchen. Um dich mal wieder zu sehen, mal ein bisschen zu schnacken und vielleicht ..."..Sie legte den Kopf ein wenig schief und setzte sich in aufrechter Position hin, "...vielleicht mal was Neues zu hören.“
Bei diesem Satz leuchteten ihre Augen und Maric dachte dabei an die rote Signalleuchte seines Anrufbeantworters.
Unbewusst baute er sich in aggressiverer Pose vor ihr auf. Sein Körper war auf Abwehr gegangen. Eine Art natürlicher Mechanismus.
„ Du arbeitest im Nachbarbezirk. Du brauchst nur zwanzig Minuten hier her. Was soll also der Scheiß?“
„ Ich wollte dich nur an unsere Versammlung erinnern, Süßer. Nicht, dass du es vergisst. Wir werden alle da sein...auch der Chef.“


Maric lachte kalt. „ Ich bin gerührt von so viel Kollegialität, ganz ehrlich. Ich könnte mir vor Rührung eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Du entschuldigst, dass ich gleich weine, ja?“
Sie schmunzelte. Sie liebte seinen Sarkasmus. Wieder sank sie ein wenig bequemer in seinen Sessel.
Ein Bein hatte sie lässig über die Lehne geworfen, das Andere stand auf einer leeren Pizzapackung, die schon seid zwei Tagen auf seine Weiterverwertung durch die Altpapier Tonne wartete. Er registrierte es mit Missmut und dachte, dass er nun lange keine Pizza mehr essen könnte, weil er nun immer daran denken müsste, wie Lühr mit einem Fuß drauf stand.
„ Ich wollte dich heute schon einmal besuchen, aber du warst wohl noch nicht da.“, sagte das sonst so quirlige Schattenwesen beinahe beiläufig und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als hätte sie Blut geleckt.
„ Da hab ich mir gedacht, `ach , geh doch einen Kaffee trinken im Café um die Ecke und siehe da, wen ich da gesehen habe.“
Maric spürte, wie seine Glieder steif wurden und sich ein Klos in seinem Hals bildete. Seine Augen verdunkelten sich und in seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken wie Fliegen um einem Kadaver. Er hatte sich schon ungezählte Male die Frage gestellt, was würde passieren wenn......Nun würde er es wohl erfahren.
`Oh man.`, dachte er. `Ich sehe große Probleme auf mich zukommen.`
Lühr, die ihre kurzen Haare mit etwas Gel zurück gekämmt hatte, zuckte cool mit den Schultern.
„ Und?“ fragte er als würde er auf eine Pointe warten.
Lühr erhob sich und funkelte ihn mit messerscharfen Blicken an.
„ Du weißt genau, was ich meine, du kleiner Wichser,“ fauchte sie. „ Glaubst du, ich habe sie nicht gesehen, die kleine Fotze? Ich bin nicht blind und ich bin nicht blöd.“
Nicht blind, das stimmt wohl, dachte er zusammenhangslos und konnte sich ein spitzes Grinsen nicht verkneifen. Es hatte sich auf sein Gesicht gezaubert und bildetet eine Momentaufnahme seines Gedankengutes.
Maric ging langsam auf sie zu. Bald war sein Gesicht ihrem so nahe, dass ein Außenstehender hätte denken können, sie würden sich gleich küssen. Und noch vor zwanzig Jahren hätte dies auch der Fall sein können.
Er konnte ihren Atem riechen. Nach Minze ,ein bisschen nach Bier und nach Zorn.
„ Wenn du auch nur ein Wort verlierst,“ hauchte er in ihr verzerrtes Gesicht, „ dann werde ich dir dein schwarzes Herz raus reißen und es dir zu fressen geben. Ich werde es in deine Schnauze stopfen, bis du daran erstickst und ich werde erst gehen, wenn du es wieder aus geschissen hast.“
Seine Stimme war ruhig, aber innerlich war er so aufgewühlt, dass seine Finger zuckten.
Lühr hielt ihren Minzatem an. Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch er klappte mit einem hörbaren Plopp wieder zu. Behände drückte sie ihn von sich und wich ein paar Schritte von ihm zurück. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich und plötzlich. Aus der wutverzerrten Fratze war eine Oase der Ruhe und Gelassenheit geworden.
„ Nun....ich wollte dich ja auch nur erinnern. Damit du die Versammlung nicht vergisst, mein Hübscher.“ Sie schickte sich an zu gehen, nahm ihren Pilotenkoffer, in dem sie ihre Flasche trug und drehte sich noch einmal um.
„ Ach ja...... das Eine noch.“ Sie wandte ihn den Rücken zu und er sah nur das ihm zugewandte Profil. „ Wer weiß, vielleicht bin ich nicht die Einzige, die es weiß. Du bist ja nicht gerade vorsichtig. Denk mal drüber nach.“
„ Verpiss dich,“ sagte er tonlos, doch ihre Stimme wehte wie rauher Wind in seinem Hirn. Und langsam aber sicher würde es ein Sturm werden. Da war er sich sicher.
Er musste etwas tun, entweder das Eine, oder das Andere.
Nachdem Lühr die Tür hinter sich geschlossen hatte, sackte er selbst in seinem Sessel zittrig zusammen. Seine Finger fühlten sich eiskalt an.
"Scheiße!", spie er aus und trat mit ungeahnter Wucht den leeren Pizzakarton in eine Ecke des Zimmers.


***


Am Montag kam immer die neue Lieferung und Maric stand an der vereinbarten Ecke vor einem Gasthaus mit schmierigen Fenstern. Lautes Männerlachen drang durch die angelehnte Tür und selbst hier draußen konnte er Bier und Zigaretten riechen.
Maric sehnte sich nach einem Bier, aber er durfte nicht trinken. Noch nicht.
Der Bote kam nach 10 Minuten mit einem VW-Käfer. Er stieg aus dem Wagen und begrüßte Maric freundschaftlich. Sie kannten sich schon eine halbe Ewigkeit.
Sein Name war Markus, gut einen Kopf größer als Maric und blondes, dünnes Haar.
Seine Augen waren trüb vom Job.
Seine Haut blaß.....aber seine Nase ein echtes Original.
So lange Maric lebte hatte er nie so einen Zinken gesehen.
Markus musste Unmengen von Taschentüchern bei einer Erkältung verbrauchen.
„ Ist heute nicht viel,“ rief er Maric zu, als er den Kofferraum öffnete und das Päckchen raus holte.
Maric zuckte die Schultern. Ihm war es egal.
Er nahm das Päckchen und quittierte auf dem Lieferschein. Alles musste seine Ordnung haben.
„ Ach ja,“ Markus kramte in seiner Hosentasche noch einen kleinen zusammen gefalteten Zettel raus.
„ Post vom Chef. Mach `s gut, bis nächste Woche.“
Markus stieg wieder ins Auto und winkte noch einmal, bevor er um die nächste Häuserecke verschwand.
Maric sah den Brief eine Weile an, ohne sich zu bewegen. Dann faltete er ihn auseinander.


Hey Ric!
Super Zeit letzte Woche .
Denk ans Meeting ;-)
Grüß schön...
Lutz


Maric starrte lange auf den Zettel.
Grüß schön?
Er dachte wirklich ernsthaft daran, sich einfach zu übergeben. Hier auf der Straße. Vor der Bar. Und wahrscheinlich würde er damit nicht einmal auffallen. Die Mauern dieser Kneipe hatten mit sicherheit schon so manchen auf diesen Gehweg kotzen sehen.
Statt dessen packte er das Päckchen aus und warf den Zettel sowie das Packpapier in die nächste Mülltonne.
In dem Päckchen lag das neue Fläschchen mit einem Etikett darauf geklebt.
3/90 stand darauf.
Also drei Stück in neunzig Stunden.
Das ging noch.
Er verstaute gerade die Flasche in seinen Rucksack, als er aus den Augenwinkeln Lühr sah, die der Straße richtig Discounter folgte. Maric schulterte seinen Rucksack und sah ihr nach. Sie war flott unterwegs. Sie schaute sich nicht um, lief schnell und schien genau zu wissen, wohin sie wollte.
Ihre Haare hatte sie rot gefärbt und ihre Haare waren ungestylt. Sie trug einen langen Mantel und dazu passende Boots.
Sie trug keinen Koffer bei sich, was also bedeutete, dass sie nicht vorhatte, zu arbeiten. Es wäre auch mehr als eigenartig gewesen, wenn ausgerechnet Lühr versuchen würde, in seinem Bezirk ihre Lieferungen los zu werden. Nicht, dass es nicht schon mal vorkam, dass man in den Nachbarbezirk eindrang. Schwangere wuchsen ja nicht auf Bäumen und davon abgesehen wussten die Menschen ja nichts davon, dass ihre Stadt in ungeahnte Bezirke aufgeteilt waren. So hielten sich die Frauen nicht an die Grenzen der Bezirke. So blieb einem armen Schattenwesen oft nichts anderes übrig als seine Lieferungen in den Nebenbezirk zu tragen.
Aber für Lühr war das keine Option. Lühr war eines der Lieblingskinder des Chefs was zwei Dinge zur Folge hatte. Erstens war ihr Bezirk direkt neben Marics angelegt. Nicht, dass sie je zugegeben hätte, darum gebeten zu haben. Nein, mitnichten. Aber jeder in der unteren Sphäre tuschelte darüber.
Zweitens lag in ihrem Bezirk das Hebammenhaus St. Marien. Jeder beneidetet sie darum. Sie hatte niemals Schwierigkeiten, ihre Lieferungen los zu werden. Sie konnte sogar noch nicht losgewordene Ladungen ihrer Kollegen und Kolleginnen unter bringen. Und zwar locker.
Also, um die Sache auf dem Punkt zu bringen und mit Sicht auf die gestrigen Ereignisse.....sie war nicht zum Arbeiten hier.
Maric wurde flau. Sie tummelte sich nicht also nur aus einem Grund in seinem Gebiet. Dem Gebiet, das er mit dem Lichtwesen teilte..
Ohne, dass sie ihn bemerkte, heftete er sich an ihre Fersen. Mit einem Abstand von ca. 15 Metern folgte er ihr durch die Menschenmengen, die sich im diese Zeit schon auf den Straßen sammelten. Ihre Auren waren farbenfrohe Lichtspiele und spiegelten sich in den Schaufenstern und auf den Lacken der Autos.
Dort, inmitten der Menschen, die über die Straßen hechteten und versuchten ihrem Leben einen Sinn zu geben, dort, wo das Leben pulsierte, wo die Auren der Menschen in Farben glänzten, für die Menschen keinen Namen hatten, dort sah er sie sich durch die Leute fügen wie ein schwarzer Pflug.
Unwillkürlich und kontinuierlich saugte ihre Existenz an dem Leben der Menschen. Die, die vorübergingen, machten ohne es zu merken einen kleinen Bogen um ihr, Kinder drehten sich nach ihr um und suchten nach den Hände ihrer Mütter.
Jeder, der in Nähe ihrer schwarzen, nebligen Aura kam, spürte diesen kleinen, unangenehmen Stich, diese aufkommende Übelkeit, dieses Kribbeln, das einem Mann die Eier zu Rosinen schrumpfen ließ.
Die plötzlich und sinnlos aufkommende Wut, oder die Stimmung, die verzweifelt wurde, obschon man glücklich war, noch bis vor einer Sekunde.
Es bestand kein Zweifel. Lührs wallende Wut pulsierte um sie herum und das machte ihn nervös. Verdammt nervös sogar.
Seine Schritte beschleunigten sich und er ertappte sich bei einem Stossgebet.

***

Seit sie Marics Wohnung verlassen hatte, nagte die Wut an ihr wie Rattenzähne.
Sie war nach Hause gerannt und hatte kaum Stop gemacht um nach Luft zu schnappen. Sie maß sich selber immer wieder eine Idiotin, verfluchte die Wut und die Hilflosigkeit. Zuhause angekommen, warf sie sich auf ihr Bett und das erste Mal seit über vierzig Jahren gönnte sie sich Tränen. Sie weinte, bis sie vor Schluchzen keine Luft mehr bekam und bis ihre Augen so schmerzten, dass sie sie nicht mehr öffnen konnte. Irgendwann, nachdem sie sich beruhigt hatte, war sie in die Küche gegangen, hatte eine weitere Flasche Bier aus den Kühlschrank genommen und sich auf den Balkon gesetzt. Der Mond war voll und die Nacht sternenklar. Kaum eine Wolke hing am Himmel. Von irgendwo her erklang die Sirene eines Krankenwagens und Lühr musste daran denken, dass es ein einsamer und unwirklicher Laut war.
Ihr Hirn wollte nicht an den Nachmittag denken, aber sie war unfähig ihre Gedanken zu lenken.
Früher, als es Maric noch nicht gab, war sie stärker.
Sie war härter. Und nun, da sich alles im Laufe der letzten zwanzig Jahre geändert hatte, fühlte sie sich wie ein Mensch.
Schlimmer noch, sie fühlte sich wie eine Frau. Und diese Frau war kraftlos. Verzweifelt schwappten ihre Gedanken zu Maric. Zu seinen hellen Augen, Augen, die so blau waren, dass Lühr jeden Stern über ihr mit ihnen vergleichen konnte.
Erst kommt das Gefühl, dachte sie , und dann?
Nicht nur, dass dieses blöde Schwein es wagte, sich mit der Lichtschlampe zu treffen, er schütze sie auch noch und maß sich an, Lühr zu bedrohen.
Es ging ihr nicht um Regeln, es ging ihn auch nicht um das missbrauchte Vertrauen des Chefs, oder um des Verrats, den er begannen hatte. Es ging um sie. Lühr, die sich hinter Ecken versteckte, um Maric zu sehen. Die in die Kanalisation kroch, um seine Stimme zu hören. Die auf Häuserdächern stand und fror, um sein Haar zu sehen.
Es ging um sie. Und um ihr Herz. Ihre Träume von ihm schreckten sie aus dem Schlaf und führten ihre Hände zu oft in ihren Schritt. Ihre Gedanken an ihn machte sie an manchen Tagen so wirr, dass sie nicht um die Ecke denken konnte.
Sie hasste sich deswegen und sie hasste ihn deswegen.
Und sie hasste die Schlampe des Lichtes, mit der Maric nun die Zeit verbrachte, die einst sie gemeinsam verbracht hatten. Damals, als es noch leicht war. Damals, in der unteren Sphäre, als sie noch unbeschwert waren.
Nun war die Zeit vorbei und sie wusste ganz genau, was sie zu tun hatte.
Nein, sie würde nicht zum Chef gehen.
Nein, sie würde keinen Verrat begehen, wie Maric es getan hatte
Nein, Nein, Nein.
Als sie in dieser Nacht die Augen schloss, fiel sie in einen traumlosen Schlaf.

***

Der nächste Tag war viel zu schnell da. Die Zeit schien einen immensen Sprung gemacht zu haben, fast so, als wollte die Zeit selbst die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Sie war nicht hungrig, als sie aufstand, sie war nicht mehr müde und sie hatte nicht einmal Kopfschmerzen vom Bier am Vorabend.
Aber sie hatte einen Plan und das, zumindest dachte sie es, war besser als nichts.
Nachdem sie sich angezogen hatte, schloß sie die Haustür hinter sich und winkte sogar dem Postboten zum Gruß, der freundlich den Gruß der jungen, etwas schrägen Frau erwiederte.

Lühr war schnell. Sie wollte nicht riskieren, von jemanden gesehen zu werden. Ihre Schritte waren zielstrebig. Sie wusste genau, wohin sie wollte.
Sie musste auch nicht lange suchen. Die Straßen der Stadt waren von dem Geruch des Lichtwesens erfüllt. Sie brauchte dem Duft nur zu folgen wie einem Trampelpfad. Und es dauerte keine zwanzig Minuten, bis Lühr das Lichtwesen ausmachen konnte.
Da stand sie. Abrupt blieb Lühr stehen. Es sah aus, als ob jemand bei voller Fahrt die Bremse gezogen hatte. Sie hätte Bremsstreifen auf den Boden hinterlassen können.
Lührs Augen fixierten den vermeintlichen Feind.
Ihr Verstand war voll Bitterkeit.

Kavie lehnte an einer Hauswand und beobachtete eine Frau an einem Zigarettenautomaten. Ihre Tasche hatte sie um ihre Schulter gehängt.
Sie versuchte also eine Kundin zu beliefern.
Lühr kochte vor Wut.
Ohne sich noch um die Menschen zu scheren ging sie auf Kavie zu.
Sie stellte sich vor, sie betrete ein Theater und die Straße war die Bühne. Reden, Lachen, Plärrende Kinder auf dem Gehweg und das Hupen der Autos auf den Straßen war ihr Applaus. Lühr beobachtete mit Genugtuung wie Kavie den Moment für angebracht hielt, ihre Ware abzuliefern. Sie kramte in ihrer Tasche . Ihre Aufmerksamkeit war somit auf einen Nullpunkt.
Zumindest war es bei Lühr immer so.
Sie ging schneller und faste unter ihre Jacke. In der Innenseite hatte sie mit einer festen Schnurr einen etwa zwanzig Zentimeter langen Dolch an den Stoff ihres Mantels gebunden. Sie löste ihn vom Stoff und merkte beiläufig, dass ihre Hände schwitzen.
Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander.

***

Als Maric sie sah, sie beide, Kavie und Lühr, hielt er es für durchaus realistisch, dass er jetzt einen Herzinfarkt bekommen könnte. Lühr hatte tatsächlich Kavie aufgespürt und holte nun aus ihrer Jacke ein Riesenmesser.
Für Bruchteilen von Sekunden stockte ihm der Atem. Schweiß hatte sich durch seinen Spurt hinter Lühr her auf seiner Stirn gebildet und tropfte ihm nun in die Augen, was seine Sicht für ein Blinzeln vernebelte.
Dann rannte er los , packte sich den Regenschirm eines Passanten, ohne das dieser auch nur merkte, was geschah und ließ die Welt um ihn herum unwichtig werden. Die Zeit stoppte.

***

Kavie hielt tatsächlich den Zeitpunkt für passend. Aber ihre Aufmerksamkeit war nicht auf den Nullpunkt, sondern völlig auf einen einzigen Punkt konzentriert. Den Nacken der Frau am Zigarettenautomaten.
Sie hatte gerade ihre Hand geöffnet, als sich die Frau weg drehte und ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtete. Sie machte ein entsetztes Gesicht, lief ein paar Schritte zurück und stockte. Sie stockte in ihrer Bewegung. Ein Fuß war am Boden, das Andere in der Luft verharrt.
Kavie schreckte auf, wollte ihre Hand gerade um den kleinen, strahlenden Punkt schließen, doch es war zu spät. Sie hatte ihn schon entlassen und nun schwirrte er orientierungslos im Kreis.

„ Nein!“ rief Kavie und mußte mit Schrecken mit ansehen, wie die kleine, junge Seele ihr Ziel verfehlte und einen Bogen beschrieb, der sie Richtung Himmel führte.
Kavie glotze mit offenem Mund hinterher.
Dann sah sie sie auch.
Gelähmt vor Schock sah sie die Frau vor sich stehen. Mit einem boshaften Grinsen, die schwarzen Augen blitzend vor Hass.
Ein riesiger Dolch reflektierte das Sonnenlicht auf seiner Klinge.
Es war ein Automatismus, der nun einsetzte. Ein Naturgesetz, dem die Zeit und die Wirklichkeit unterlag.
Es stoppte. Das Leben um sie herum stoppte. Ein Mann, der seinen Mantel ausgezogen hatte um ihn über seine Schulter zu schwingen, war zur Salzsäule erstarrt. Sein Mantel lag wie ein Fächer in der Luft und sein Schatten hatte sich auf das Gesicht eines Kindes hinter ihm gelegt, das lachend danach zu greifen versuchte. Es war in der Luft erstarrt. Sein Lachen war zu einem Bildnis geworden.
Die wenigen Tropfen, die der Mann beim Schleudern seines Mantels in die Luft geworfen hatte, bildeten einen Schleier aus glitzernden Kristallen über ihren Köpfen.
Kavi sah hoch. Über ihren Köpfen stand eine Taube in der Luft. Ihre Flügel waren leicht verschwommen, wie bei einem Standbild, dass in einer heftigen Bewegung stecken blieb.
Kavie bewunderte das Lichtspiel der Sonne auf den plumpen Körper des Vogels.
Licht war wundervoll, wenn es stand.
Es war mehr als Licht. Es war alle Farben.
„ Ich sag dir was,“ raunte die Frau und haschte nach Kavies Aufmerksamkeit. Ihre Stimme war Blutgier. „ Wie spielen Sterben....und du bist dran!!!“
Unfähig auch nur einen Muskel zu bewegen, starrte Kavie auf die Klinge, dann auf wieder auf das Gesicht der ihr unbekannten Frau. Sie war ein Schattenwesen, aber jedes Schattenwesen hatte sein eigenes Revier und dieses hier gehörte Maric. Was zum Teufel tat sie also hier?
Die Frau schwang ihren Arm nach hinten und Kavie wappnete sich gegen den Schmerz den sie erwartete.
Doch statt des Schmerzes veränderte sich das Gesicht vor ihr. Die gerade noch so haßerfüllten Augen stellten Fragen. Die über die Zähne gespannten Lippen formten Worte. „ Was?...“
Der Dolch fiel, kam mit dem Griff auf, prallte von der Straße ab und hängte sich in die Luft. Die Spitze nach oben geneigt.
Kavie und Lühr sahen sich in die Augen und dann gleichzeitig auf Lührs Brust. Zwischen ihren Brüsten ragte eine silberne, stumpfe Spitze heraus.
Kavie wich zurück und schlug sich die Hand vor dem Mund. Sie sah sich um.....doch die Auren der Menschen blieben unverändert bunt. Immer noch stand die Taube in der Zeit und immer noch glitzerten die Tropfen des Regenmantels im Licht der Sonne.
Lührs Konturen begannen zu verschwimmen. Schwarzer Rauch stieg aus ihrer Nase, ihren Ohren und ihrer Wunde.
Sie sah aus, als wäre sie Teil einer Fatamorgana. Ihre Konturen vermengten sich mit der Umgebung, zerrten an der Wirklichkeit und dehnten sie.
Dann fielen sie in sich zusammen. Komprimierten sich zu einen schwarzen Ball aus negativer Energie und wie ein sterbender Stern platze er in unendlich viele Teile auseinander.
Kavie war beeindruckt. Sie hatte noch nie ein Schattenwesen vergehen sehen. Nichts von Lühr war noch da. Nur der Dolch in der Luft und Kälte, die sich auf den Punkt, wo sie einst stand, konzentrierte. Aber auch die verging so langsam.
Jetzt erst registrierte sie Maric, der mit dem Regenschirm hinter Lühr gestanden hatte.
Er hielt den Schirm immer noch wie ein Schwert. Kavie legte die Hand auf die Spitze des Schirms und senkte ihn.

In dieser Sekunde schlug die Taube kräftig mit den Flügeln und erhob sich. Das Lachen des Kindes erklang laut in der gerade noch herrschenden Stille und die Tropfen, die noch vor Sekunden in der Luft standen, benetzten ihr Gesicht. Der Dolch krachte klirrend zu Boden.
Maric betrachtete den Regenschirm.
Kraftlos glitt er aus seiner Hand.
„ Was hast du getan?“ fragte sie.
Was hast du getan?, wiederholte sein Verstand.
Maric schüttelte den Kopf. Seine Gedanken waren träge. Nur Kavie war da, das Bild von ihr, das er sah.
Wie sie ihn fassungslos anstarrte, die schwimmenden Augen. Die Stupsnase. Ihr Goldhaar und die Zahnlücke, die dem hübschem Gesicht trotze.
Niemals in den Monaten, seit sie sich kannte, hatte es zwischen ihnen mehr als schüchterne Berührungen flüchtiger Art gegeben.
Seine Hand legte sich wie Automatisch auf ihre Wange. Sie war warm wie ein Frühlingstag und er kalt wie die Nacht.
Sie kamen sich näher, er konnte ihren Busen an seiner Brust spüren, das Herz, das darunter schlug. Ihre Arme legte sich um seinen Nacken, seine umschlagen ihre Taille und ihre Lippen fanden die Seinen.
Und während sich ein Mann verwirrt nach seinem Regenschirm umschaute, küssten sie sich.


Nach einer Ewigkeit lösten sie sich voneinander und Kavie blickte versonnen in den Himmel, wohin sich die kleine Leuchtkugel aus ihrer Hand aufgemacht hatte, um dann irgendwo durch die dünne Membran, die All und Atmosphäre der Erde voneinander trennte, in die andere Welt zu brechen.
„ Ich habe meine Seele verloren,“ Sie sprach langsam, beinahe bedächtig. Der Schock der Ereignisse der letzten Minuten saß ihr noch in den Knochen. „ Meine Erste seit zwanzig Jahren.“, stellte sie fest.
Maric streifte ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und grinste.
„ Scheiß drauf, die kann auch noch später ihre Reinkarnation durchmachen.“
Er folgte ihren Blick nach oben. „ Bekommst du Ärger?“
„ Ja“ antwortet sie, „ aber nicht deswegen.“


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Kapitel 3

Die Welt der Menschen
Lutz war nicht überrascht, als er von Lührs vergehen hörte. Doch das hätte nicht passieren dürfen. Unbeachtet der Tatsache, dass sie eine fleißige Mitarbeiterin war, war sie ein Dreckstück ohne jeden Humor und ohne jeden Sinn für die Welt der Menschen. Aber eine solche Verbindung durfte es nicht geben. Vor allen dann nicht, wenn es zu Mord unter seinen Kindern kam. Lühr war eine von ihnen.
Er schätze sie, weil sie schnell und produktiv war. Aber er verachtete sie, weil sie keine Achtung kannte. Doch er liebte sie nahezu wegen ihrer Art zu sein. Sie war keine seelenlose Hülle. Sie füllte ihren Körper ganz mit ihrer wirren und abstrakten Art.
Ihr Job als Schattenwesen war es, die dunklen Seelen in die ungeboren Körper der Menschen zu bringen. Und dafür sollten und mussten die Menschen ob ihrer Funktion geachtet werden, wenn nicht sogar geliebt werden. Auch von Lühr...die das in der Regel aber nicht tat.
Lutz liebte die Menschen. Sie waren sein Lebensinhalt. In ihnen lag die Gabe der Geburt und des Lebens. Ihre ungeborenen Körper waren ungeschliffene Diamanten. Und mit den Seelen, die ihnen die Schattenwesen...aber auch die Lichtwesen brachten, bekamen sie Schliff.
Nein, niemand sollte je glauben, dass er die Lichtwesen nicht schätze. Ganz im Gegenteil. Jede ihrer wundervollen Gestalten bereicherte die Welt...und natürlich auch jede Andere.
Lutz wusste um das Gleichgewicht. Doch hier war das Gleichgewicht gestört. Etwas hatte es aus der Waage geschmissen und der gemeinsame Nenner war Maric.
Lutz, der, der das Licht einst brachte, seufzte und drückte den Knopf der Gegensprechanlage auf seinen Schreibtisch, der seine Chefsekretärin zu sich kommen ließ.
Die Frau, ihr Name war Jüley, die man in der Welt der Menschen als Mitte fünfzig schätzen könnte, betrat ohne zu Klopfen den großen Raum. Die mit edlen Holz verkleideten Wände verschluckten das Echo ihrer Schritte.
Sie hatte graues Haar, das sie zu einem ordentlichen Dutt zusammen gebunden hatte. So lange, wie er sie kannte....und verdammt, das war eine beachtliche Zeit, sah sie immer gleich aus. Sie hatte immer diesen geschäftsmäßigen Ausdruck in den Augen, immer die Haare züchtig hoch gesteckt und trug immer einen bis unter den Knien reichenden Rock. Meist in gedeckten Farben.
„ Ja?“ fragte sie, als sie vor seinem Schreibtisch stand.
Lutz kratzte sich hinterm Ohr, dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das dunkle, doch an den Schläfen schon leicht ergrauten Haar und rückte schließlich seine Brille zurecht. Er machte ein nachdenkliches Gesicht.
„Wir brauchen jemanden, der sich um Maric Taves kümmert. Es gibt da Probleme.“
Seine Stimme klang nach Bedauern und Enttäuschung.
Sie notierte es und nickte. Sie sagte nichts, verzog auch nicht die Miene, die trotz ihrer steinernen Art immer freundlich und beinahe gütig wirkte.
„ Es macht mich wirklich sehr traurig“ sagte Lutz und schaute aus jenem Fenster, das einen wundervollen Blick auf ein wabernd Meer kreischender, verzerrter Gesichter unheiliger Seelen freigab, die nur darauf wartete, von einem Fänger gefangen und dann in eine Flasche gefüllt zu werden. Bereit, ein neues Leben zu beginnen. Bereit, das Gleichgewicht her zu stellen. Schatten in der Welt voll Licht zu sein. So, wie es immer war.

„ Es macht mich sehr traurig,“ wiederholte er. „ Vater sein ist ein undankbarer Job.“
Jüley schürzte ein wenig die Lippen, eine sehr seltene Regung , ging dann und kam zehn Minuten später mit einem halbhohem Glas voll gelblich- trüber Flüssigkeit rein.
Wortlos stellte sie das Glas auf den Tisch.
Lutz, der immer noch am Fenster stand, lächelte dankbar und Jüley wußte das, obschon sie schon wieder auf dem weg in ihrem Vorzimmer war.

***

Kavie nahm Maric mit zu sich nach Hause. Sie wusste, dass es zu gefährlich für ihn war, wenn er zu sich gehen würde. Obschon es auch nicht gut wäre, wenn man ihn bei ihr erwischte. Aber darüber konnte sie sich Sorgen machen, wenn es soweit war.
Sie stand im Wohnraum, der gleichzeitig Küche und Schlafzimmer war und ging in Gedanken all ihre Schubfächer und Kramkisten durch.
Vor vielen Jahrzehnten, als sie diesen Job bekam, gab ihr die Chefin ein Artefakt, das jedes Lichtwesen eigentlich bei sich tragen musste. Es baute einen Schutzwall aus positiver Energie um den Träger auf, um es vor den Schattenwesen zu schützen.
Aber seit sehr, sehr langer Zeit hatte es keine Übergriffe mehr gegeben und nach und nach legten die Lichtwesen die Artefakte ab, weil sie trotz des Schutzes ein jedes Wesen als solches auswiesen.
Die Erfahrung zeigte, dass man sicherer ohne war, da man unerkannt blieb.
Doch jetzt machte das keinen Sinn mehr. Sie war erkannt, er außerdem auch und sie brauchten Schutz.
Maric hatte sich erschöpft und müde auf das Sofa gesetzt und beobachtete sie.
Wieso tat er das alles?
Er hatte sein schier endloses Leben quasi schon weggeworfen, hatte seinen guten Ruf ruiniert und seine Kollegen und Kolleginnen verraten.
Was noch schlimmer war. Er hatte seinen Boss verraten. Lührs Vergehen würde nicht unbemerkt bleiben. Sicherlich waren sie schon auf der Suche nach ihm....und nach ihr.
Er ärgerte sich plötzlich, dass er Kavie nicht getötet hatte, als er sie das erste Mal sah. Als er die Chance dazu hatte.
Ganz im Ernst, was hatte ihn eigentlich abgehalten??
Gar nichts. Er wäre viel schneller als sie gewesen, er hätte sie ohne Probleme auslöschen können und seiner Ware wäre gar nichts passiert.
Aber sie war so witzig, wie sie schimpfte und mit den Füßen stampfte, als er in ihre Haare faste. Oder wenn sie diesen speziellen Gesichtsausdruck hatte, weil sie empört zu sein versuchte, wenn er etwas sagte das...sagen wir mal...nicht Koscher war.
Entspannt blickte er auf seine Hände.
Ich hab mich verliebt, dachte er.
Da schon, schon in diesem Moment.
Liebe.
Das ist ja furchtbar. Dazu bin ich nicht ausgelegt.
Gott steh mir bei, dachte er zusammenhangslos und lachte heiser über diesen Gedanken.


***

Der Jäger, der von Lutz hinter Maric hergeschickt wurde, war routiniert und wusste was er zu tun hatte. Er hatte sich schon auf den Weg zur Wohnung seines Zieles gemacht, aber das Schattenwesen, dessen Name Maric war, hatte seine Zuflucht verlassen.
Er konnte den Geruch des Wesens noch in dessen Stätte wahrnehmen, aber der Jäger wusste aus Erfahrung, dass Maric nicht zurück kehren würde.
Sicher doch, es war nicht anders zu erwarten gewesen.
Leider hatte der Chef ihn nicht vollends aufklären wollen. Er wusste nur, es gab Probleme und der Chef wollte das Schattenwesen. Lebend.
Was er dann mit ihm tat, darüber wollte der Jäger nicht einmal nachdenken. Aber er wusste um die Zuneigung des Chefs zu den Schattenwesen, die er seine Kinder nannte. Und er konnte schlecht, sehr schlecht eine Enttäuschung wegstecken. Da war er wohl wie jeder Vater.

Nun schloss der Jäger die Tür von Marics Wohnung hinter sich und der laue, warme Wind zauberte ein Lächeln auf das markante Gesicht des Mannes.
Eine Frau mit einem Kind an der Hand lief an ihm vorbei und das Kind drehte sich mit angstvollen Augen zu ihm um. Im Gegensatz zu manch anderen Wesen seiner Art, einzig und allein zu dem Zweck geschaffen, Leben von anderen Wesen zu nehmen, versuchte er gar nicht, unbemerkt durch die Menschen zu schreiten. Er warf dem Kind einen schnellen Blick zu und ließ fröhlich durch die menschliche Maske, die er in der Welt der Menschen trug, einen Teil seines waren Gesichtes durchschimmern. Hätte es jemand beschreiben können, hätte derjenige wohl erklärt, es handele sich bei dem Geschöpf um den Teufel. Doch derjenige hätte völlig falsch gelegen.
Das Kind drückte die Hand seiner Mutter und tapste schneller. Die Hose des Jungen hatte sich im Schritt dunkel verfärbt.
Hätte der Jäger die Aura des Kindes erkannte, so wäre sie Grau gewesen. Doch die Auren der Menschen waren für ihn nicht sichtbar.
Er war nur ein niederes Wesen, das seine Pflicht zu erfüllen hatte. Die schöne Welt der Auren war nur den Kindern des Chef vorbehalten. Und natürlich den Lichtwesen.
Der Jäger streckte seine Nase in die Luft und nahm die Witterung auf. Der Geruch des Wesens, den er überall in dessen Wohnung wahrgenommen hatte, lag wie ein Schleier über den Straßen dieser Stadt. Er brauchte ihn nur zu folgen. Für ihn war es sein persönlicher Wegweiser. Sein Navigator.

***

Kavie fand, wonach sie sucht. Triumphierend hielt sie die Kette mit dem zylinderförmigen Anhänger in den Händen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und Maric wurde warm bei dem Anblick.
„ Du weißt, ich kann es nicht tragen,“ bemerkte er. Kavie krabbelte zu ihm aufs Sofa und lehnte sich an ihn. Die Kette lag auf dem Tisch vor ihnen.
„ Das brauchst du nicht,“ sagte sie und fuhr mit der Hand unter sein Hemd. Sie strich über seinen Bauch und eine Regung seinerseits blieb von ihr nicht unbemerkt.
„ Ich werde es tragen und nicht von deiner Seite weichen.“
Seine Arme legten sich um sie und sie spürte einen Kuß auf ihrem Haar. Ihre Hand auf seinen Bauch brachte ihn fast um den Verstand.
„ Liebe macht blöd wie Brot,“ stellte er tonlos fest und sie lachte entzückt.
Ihr Lachen drang hell und klar bis auf die Straße, wo Menschen verzückt nach oben schauten.
Ihre Auren tanzten hell und lachten mit, als Maric und Kavie begannen, sich ihrer Kleidung zu entledigen, um sich atemlos zu lieben.
Für Menschen mochte das seltsam aussehen.
Zwei so verschiedenen Wesen verschmolzen zu einer kaum zu ertragenen einheitlichen Energie, die noch Kilometer weit in der Umgebung zu spüren war.

**

Dreißig Minuten später lagen sie regungslos auf dem Sofa. Kavie hielt ihre Augen geschlossen und lauschte dem Atem ihres Freundes, der sich als warmer Hauch im Rhythmus seines Herzschlages auf ihrem Haar legte. Sie rührte sich erst wieder, als ihr Handy mit einem nervtötenden Alarmton die Ankunft einer E-Mail signalisierte.
Beinahe träge stand sie auf und klappte ihr Handy auseinander.


Dort stand :

°°Sehr geehrte Außendienst Mitarbeiterin Kaverie.
Mit Erstaunen mussten wir die Rückkehr einer Seele aus ihrem Bestand feststellen.
Da uns auch seid geraumer Zeit weitere Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind, möchten wir sie auf unsere Beratungsstelle für Mitarbeiter im Außendienst hinweisen.
Sollten Sie Unmut verspüren, oder Probleme jeglicher Art haben, scheuen sie sich nicht, uns davon in Kenntnis zu setzten.
Unsere Mitarbeiter stehen ihnen jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung und helfen ihnen gerne weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr HSS ( Human Soul Saver ) Team. °°

Maric richtete sich etwas auf. „Ist es etwas Wichtiges?“
Kavie schüttelte den Kopf, dann besann sie sich eines Besseren und nickte doch.
„Meine verlorene Seele ist schon bemerkt worden.“
Sie sah ihn an und zuckte mit den Schultern.
„Das ist mir schon mal passiert. Dann bekommt man immer Hilfsangebote. Sie stellen einen Begleiter zur Verfügung, wenn man einen wünscht.“
Maric lächelte schräg.
„Was willst du einem Begleiter erklären?“
Kavie wusste es nicht, aber sie stellte sich das Gesicht des Mitarbeiters vor, wenn sie erzählte, dass sie verliebt war. Nicht in irgendjemanden, sondern in ein Schattenwesen.

Ja, meine Damen und Herren,
hier und heute zum Angebot,
zwei Verwirrte zum Preis von einem.

Sie kicherte bis ihr zum Weinen zumute war und legte das Amulett um ihren schlanken Hals.


***

Auch wenn Kavie dieses Hilfsangebot aus verständlichen Gründen für zwecklos hielt, so war es nicht auf Luft gebaut.
Tatsächlich überlegte man in der Zentrale nicht sehr lange, ob man nun einzuschreiten hatte oder nicht. Vor allen, nachdem sich "Außendienstmitarbeiterin Kaverie" nicht zurück gemeldet hatte, was im Regelfall sogar als eine Ordnungswidrigkeit angesehen wurde.
Die Außendienststelle warteten vier Stunden. Nachdem Kaverie nicht auf die Mail geantwortet hatte, schickte die Human Soul Saver Gesellschaft, wie sich sich in der modernen Welt der Menschen nannte, einen ihrer Leute, um nach dem Rechten zu sehen.
Eine Standardprozedur, die erst in den letzten 15 Jahren eingeführt wurde.
Hätte Kavie an den letzten beiden internen Fortbildungen für Lichtwesen teilgenommen, hätte sie es gewusst.
Hatte sie aber nicht, tat sie also nicht.
Denn dann hätte sie ebenso gewusst, dass man nun nach Standard ein Leitwesen zur Audition schickte.

Ihr Name war Legna, und sie las erst kurz vor ihrer Ankunft, ihrer ersten Ankunft auf der Welt der Menschen überhaupt, noch alles, was es über diese fremde, geheimnisvolle Welt in Erfahrung zu bringen gab. Natürlich hatte sie ihre Pflichtstunden in der Simulationswelt absolviert und verfügte auch über die genetischen Voraussetzungen, aber tatsächlich in der Welt der Menschen war sie noch niemals.
Sie war zwar jung und unerfahren, aber irgendwann musste sie ja beginnen und da man in der HSS Gesellschaft das Problem der Außendienstmitarbeiterin Kaverie für nicht sehr relevant hielt, glaubte man, dass Leg nun ihren ersten Auftrag bekommen könnte.
Man ging allgemein davon aus, dass es sich bei den Unregelmäßigkeiten des jungen Lichtwesens um einen natürlichen Vorgang handelte, der in der Welt der Menschen allgemein auch als Pubertät betitelt wurde. Freilich wurde dies bei einem Lichtwesen anders benannt, aber es galt die Veranschaulichung. Und im Grunde war es das Selbe.

Und auch Leg glaubte von ganzen Herzen, dass sie bereit war, um in die Menschenwelt ein zu treten. In den letzten Jahrhunderten hatte sie auf diesen Moment gewartet. Endlich ein eigenes, ihr zugeteiltes Lichtwesen zu begleiten. Doch die Welt der Menschen war voller Geheimnisse und Sonderheiten.
Am meisten erschreckte sie die Ausführungen „ Regeln und Verhaltensweisen im Menschlichem Verkehrs Systems.“
Sie wollte nicht `Überfahren ` oder gar Opfer eines `Unfalls ` werden.
Zu diesem Zweck sagte sie immer wieder den Satz „ bei rot bleib stehen, bei grün kannst gehen“ wie ein Gebet auf.
Natürlich gab es laut Handbuch noch weitere Gefahren zu beachten.
Das Kapitel :“ Hygiene auf öffentlichen Sanitäranlagen“ sowie „Umgangs und Verhaltensweisen gegenüber Radfahrer und Fahrer von Kleinstfahrzeugen auf Gehwegen.“ hatte sie indes nur überflogen.
Man legte ihr das Kapitel :“ Gebaren und Verhalten geschlechtsreifer männlicher Menschen.“, besonders ans Herz.
So glaubte sie also, auf so ziemlich alles vorbereitet zu sein.
Doch nach ihrem ersten Schritt durch eines der vielen Tore, welche die Welten miteinander verbanden, kam ihr alles, was sie gelernt hatte, wie ein Witz vor.


Ausschnitt aus dem Handbuch für Leitende zur Orientierung in der Menschenwelt.
Kapitel 6
Das menschliche Verkehrssystem.
Das menschliche Verkehrssystem ist ein kompliziertes Zusammenspiel aller im Verkehr beteiligter Personen, Vehikel, Hinweisschilder, Richtungsweiser und befahrbare, sowie begehbare, labyrinthartige Pfade, die, je nach Zustand und Ordnung, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Vehikel genutzt werden können.
Da für Leitende keine Erlaubnis zur Führung eines Vehikels besteht, muss sich diese zu Fuß bewegen. Hierfür wird von den Menschen der „Gehweg“ verwendet. Er befindet sich zumeist recht und/oder links vom Vehikelpfad, welcher dunkel abgesetzt ist und zur Orientierung weiße und / oder gelbe Begrenzungen aufweist, welche in der Mitte, an den Seiten und Absätzen und / oder Kreuzungen auf den Boden aufgezeichnet sind. (Siehe Zeichnung unten)
Der „Gehweg“ ist in der Regel nicht am Boden abgesetzt und dadurch zu erkennen, dass er von Menschen ohne Vehikel verwendet wird.
Um von einem Gehweg zum gegenüber dem Vehikelpfad liegenden Gehweg zu gelangen hat man mehrere Möglichkeiten. Was man jedoch tunlichst vermeiden sollte, ist die Überquerung der Vehikelpfades an nicht dazu gekennzeichneten Punkten.
Dies hat folgenden Grund.
Menschen innerhalb ihrer Vehikel, vor allen junge Menschen, büßen durch das Führen der Vehikel einen Großteil ihrer Sehkraft ein, sowie ihres logischen Denken. Ebenso scheinen dem Hirn wichtige Impulse zum Vernunfthandeln zu fehlen, was die Zahl der „Unfälle“ im menschlichen Verkehrssystem erklärt.
Bei solch einem Verkehrsunfall prallen die Beteiligten mit hoher Geschwindigkeit aufeinander und fügen sich so grobe bis tödliche Verletzungen zu.
(….....)
Es ist daher im Sinne der Sicherheit darauf zu achten, den Vehikelpfad lediglich an Ampeln oder Zebrasreifen zu überqueren. Eine Ampel ist der sicherste Übergang von einem Gehweg zum Nächsten. Sie gibt den Menschen durch ihre Lichtimpulse die entsprechenden Befehle.
Rot bedeutet „Warten“
Grün bedeutet „Gehen.“
Sofern man sich an diese einfache Regel hält, sollte man unbeschadet von Punkt A nach Punkt B kommen.
Eine Ampel funktioniert automatisch. Es ist keine Interaktion mit dieser erforderlich.


**

Man, war das ein Trubel hier. Unglaubliche viele Menschen tummelten sich auf dem Platz, wo ein Springbrunnen stand, indem die Menschen ihre Zahlungsmittel schmissen. Legna vermutete, dass diese wohl abgelaufen waren.
Nun, wenn man bedachte wie viele Seelen ja auch Tag für Tag in der Zentrale landeten, dann hätte sie eigentlich nicht ob der Menge der Menschen überrascht sein dürfen. Aber um diese Menge zu wissen und sie dann zu sehen, war ein großer Unterschied.
Allein die vielen bunten Auren waren schwer von ihrem Verstand zu fassen.
Es war sogar schwer, sie wirklich zu sehen. Es war, als versuche man aus hundert Fremdsprachen ein Wort zu verstehen, dass man kannte.
Selbst der Boden vibrierte, bei Gott (Sie wirds mir verzeihen), echt unter den Füßen. Verzückt blieb sie stehen und genoss das Gefühl, dass sich kribblig bis zu ihren Hüften vor tastete und ihre Fingerspitzen kitzelte.
Von sich selber kaum bemerkt, gluckste sie vergnügt, versuchte sich dann wieder zu fassen und rief sich ihre Aufgabe in ihren überforderten und völlig überladenen Verstand.
Verwirrt suchte sie nach Orientierung.
Ein kleiner Mensch mit Glas vor den Augen und einem Fahrgerät mit drei Rädern grinste sie fröhlich an.
Sie grinste zurück und in dem Moment war ihr eines ganz deutlich, wie nie zuvor in ihrem jungen, nicht mal 780 Menschenjahre andauerndem Leben.
Dieser Ort war das Wunder, auf das die Menschen ihr Leben lang warteten.
Sie schaute , immer noch breit grinsend , nach links, dann nach rechts und fand, wonach sie gesucht hatte. Eine `Ampel`, die in ihrem Handbuch genau beschrieben wurde.
Sie forderte durch Farben die Menschen dazu auf, zu gehen oder zu stehen. Vor Selbstbewusstsein trotzend erinnerte sie sich, an ihr stilles Gebet.
Wie sich all die Menschen das merken konnten war ihr ein Rätsel. Sie stellte sich stolz zu der Ampel an den Straßenrand. Sie stand dort gut und gerne zehn Minuten und sie hätte vermutlich noch Stunden später breit grinsend dort gestanden, wenn nicht irgend ein Passant, der über die Straße wollte, den Knopf an der Ampel gedrückt hätte.

***

Der Jäger hatte seine Spur nun ganz deutlich aufgenommen. Seine und noch eine Andere. Die Andere kannte er zu gut. Er roch sie schon unzählige Male in seinem Dasein und wieder und wieder genoss er es, diesen Gestank aus der Welt der Sterblichen zu tilgen.
Es gab nichts befriedigenderes als diese beschissenen Lichtwesen dahin zu schicken, woher sie gekommen waren. Allerdings verstand er nicht, wieso die Gerüche sich an bestimmten Punkten vermengten.
Sollte das Undenkbare geschehen sein?
Und wenn dem so wäre, dachte er sich, dann würde er eine hohe Belohnung erhalten. Nicht eine, die sein Herr ihm geben würde, sondern eine, die er sich selbst verschaffen würde.
Der Tot eines Lichtwesens geilte ihn mehr auf als Pestilenz und Krieg.
Plötzlich verspürte er etwas, das er schon verstorben glaubte.
Freude,
Bittere, kalte Freude.


Er passierte eine Stelle, die besonders intensiv war. Zuerst konnte er nichts damit anfangen, doch von Neugierde getrieben wagte er sich in ihren Mittelpunkt. Ein kalter Hauch lag hier an diesem Ort in der Atmosphäre. Der Jäger sog den Atem ein und schmeckte die Luft. Das Erste, was er schmeckte, war Angst, dann Mut und schließlich Tod. Doch da war noch Etwas.
Er schmeckte das Lichtwesen und das Schattenwesen, näher, als sie sich je waren.
Er schmeckte Leidenschaft.
Noch Schlimmer, er schmeckte Liebe.
Wie ein bitter süßer Saft legte sie sich auf seine Zunge und drohte ihn zu vergiften. Er erschauderte und eine Gänsehaut überzog seine uralte, von Narben überzogene Haut.
Unbehagen breitet sich in seinen Venen aus und durchzog seinen Körper.
Liebe war stark, das wusste er und deswegen fürchtete er sie.
Er ballte die Hände zu Fäusten und folgte der Witterung. Sein kaltes Herz flehte ihn an, immer wachsam zu sein. Dass das Schwert Namens Liebe in nicht durchstoßen möge.
Er schritt in der Witterung wie auf einer Straße. Hindernisse gab es nicht auf seinem Weg, schließlich konnten die Wesen ja auch nicht durch die Wände der Häuser gehen. Sie waren hier den gleichen physikalischen Gesetzen untergeordnet, wie die Menschen auch.
Diese Welt hatte sie sterblich und schwach gemacht.
Sicher, sie besaßen noch die Gabe des ewigen Lebens und der Jugend. Und sie hatten das Sehen, um das er sie aber nicht beneidete. Er konnte sich gar nicht vorstellen wie wirr es sein musste, ständig die Auren der Menschen zu sehen und zu spüren. Ihr sinnloses Geplapper zu hören, reichte ihm völlig aus, um zu wissen, was für eine minderwertige Rasse sie doch waren. Er konnte den Aufwand, der um diese Vehikel der Seelen gemacht wurde, gar nicht nachvollziehen. In seinen Augen waren und blieben sie für immer Vieh.

***

Legna fragte sich durch die Stadt nach der Adresse, die ihr die HSS gegeben hatte. Sie genoss jede noch so knappe Antwort der Menschen. Ihre Stimmen faszinierte sie. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie in belangloses Bla, bla, bla abschweifte, ehe sie sich wieder daran erinnerte, was sie hier wollte. Es dauerte gar nicht mal allzu lange, bis sie vor den Apartments stand, von denen eines Kavie bewohnte.
Ehrfürchtig wanderte ihr Blick an der Hauswand entlang bis nach ganz oben.
Die Häuser der Menschen waren beeindruckend, aber sie waren durchaus mit den Gebäuden in ihrer Welt zu vergleichen.
Legna konnte Kavies Fenster ausmachen. Sie waren mit leuchtend weißen Gardinen behangen und sie sah Blumen im Fenster. Die unerfahrene Leitende senkte die Arme, richtete die Handflächen nach unten und sprang einmal. Völlig verwirrt über die Tatsache, noch mit den Füßen am Boden zu sein, probierte sie es gleich noch einmal. Doch wieder war es, als würde sie an einem Gummiband wieder hinunter gezogen.
Stutzig zog sie die Stirn kraus, doch dann erinnerte sie sich.
Sie konnte hier nicht fliegen!

Ausschnitt aus dem Handbuch für Leitende zur Orientierung in der Menschenwelt.
Kapitel 12.
Levitation. : Aus nachvollziehbaren Gründen ist eine Levitation in der Menschenwelt nicht gestattet. Jeder/ Jedem Leitendem wird die Fähigkeit zur gravitationsfreien Fortbewegung beim Durchschreiten der Tore automatisch genommen.
Es muss davon ausgegangen werden, dass eine gravitationsfreie Fortbewegung eines einzelnen Körpers in der Menschenwelt zu Verwirrung bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen führen kann. Da eine Leitende nicht über die Erlaubnis zur Führung eines Fahrzeuges verfügt, muss sie sich zu Fuß durch die Menschenwelt bewegen, bzw öffentliche Verkehrsmittel benutzen, sofern sie über menschliche Zahlungsmittel (Siehe Kapitel 24, Abs. 3a) verfügt.

**

Als ihr bewusst wurde, was sie tat, lachte sie herzhaft, aber mit hochrotem Kopf.
Eine junge Frau, die aus einem der Fenster schaute legte die Stirn in Falten und schmunzelte. Keine Frage, sie hielt Leg. für eine Verrückte. Aber für eine sympathische Verrückte.
„Ich nehm doch die Treppe!“, rief Legna ihr zu und ging zum Hauseingang.
Die Frau hielt das für eine gute Idee.

Das Treppenhaus war angenehm kühl, aber als sie die Stufen hinauf sah, stöhnte sie innerlich. Sie wünschte sich wirklich, sie könnte einfach hoch fliegen.
Sie war es kaum gewohnt, ihre Füße so intensiv zu beanspruchen und sie merkte deutlich jetzt schon ihre Waden. Als sie nun die Treppen hoch schaute, glaubte sie, dass sie ihre Muskeln danach nicht nur spüren, sondern verfluchen würde. Legna holte einmal tief Luft, schickte ein Stoßgebet gen Himmel, der in ihrem Fall lediglich die Decke des Hausflures war und machte sich auf den Weg.


Als sie oben angekommen war, rang sie nach Atem. Kavie wohnte im achtem Stockwerk.
Sie lehnte sich also in Kavies Etage an die Wand, schloss die Augen und holte ein paar Mal tief Luft.

Legna mochte wenig Erfahrung haben und vielleicht gehörte sie auch nicht zu den Schlauesten., aber als sich in der Wand neben der Treppe eine kleine, eiserne Kabine öffnete und eine Frau, beladen mit schweren Taschen daraus entstieg, wusste sie, was es bedeutete. Mit offenem Mund klatschte sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
Sie hatte sogar einen leisen Fluch auf den Lippen.
Allerdings hätte sie sich die Mühe, die Treppen hinauf zu steigen, nicht machen müssen. Kavie war schon auf dem Weg, eine Seele auszuliefern. Sie wollte auf gar keinen Fall mehr auffallen, als es nötig war. Die Mail bewies, dass sie sie im Auge hatten und das konnte sie gar nicht gebrauchen. Die Seele, die sie verloren hatte, war nicht das Problem, da konnte sie sich raus quatschen. Wie sie sich aus einer Affäre mit einem Schattenwesen raus reden sollte, dass wusste sie wirklich nicht. Und wenn Maric und sie entdeckt wurden, konnte sie sich auf Einiges gefaßt machen.
Gedanklich ging sie ein paar Ausreden durch.
`Ach, er ist ein Schattenwesen? Das ist mir gar nicht aufgefallen. All die Monate.
Oder
`Wie, ich darf keine Beziehung zu einem Schattenwesen haben? Wir haben doch verhütet!!
Oder auch..
`Der Typ da? Oh, das ist der Postbote....`
Sie lächelte und versuchte sich das Gesicht von ihrem Boss vorzustellen.
Sicher, ihr Boss war Güte und Liebe und so weiter.
Aber vor allen pochte sie auf Regeln und Gebote.
Die Menschen hatten ihre Zehn, an die sich kein Schwein hielt und die Lichtwesen hatten ihre Eigenen.
Und wer sich nicht daran hielt, konnte sich auf lebenslänglich „Zwangsarrest“ gefasst machen. Und Lebenslänglich hatte für sie nun wahrlich eine andere Bedeutung als für einen Sterblichen Sie würde Maric nie wieder sehen.
Und sie war doch das erste Mal in ihrem Leben als Lichtwesen verliebt.
Sicher, als sie noch ein Mensch war, liebte sie. Aber es war lange her. Verdammt lange.
Kavie war fast am Ziel. Die junge Frau, fast noch ein Kind, kam gerade aus der Praxis eines Gynäkologen.
Fassungslos starrte sie auf das erste Ultraschallbild in ihrer Hand und überlegte bestimmt, wie sie es ihren Eltern beibringen sollte.
Kavie hatte keine Mühe mit der Seele. Das Mädchen war mit ihren Gedanken ihrerseits ebenfalls bei ein paar Ausreden, die sie ihren Eltern aufzutischen gedachte.
Als Kavie die Seele geliefert hatte, hellte sich die Miene des Mädchens auf und sie strich sich mit der Hand über den Bauch.
Kavie fühlte sich gut und verliebt.


__________

Kapitel 4

Das Wunder
Legna stand an Kavies Tür, räusperte sich, klopfte dann und wartete.
Erst passierte gar nichts und sie war schon versucht, einfach wieder um zu kehren um das Lichtwesen in den Straßen dieser Stadt zu suchen, als ein einziges Wort durch die verschlossene Tür gebellt wurde.
„ Ja!?“
Diese Stimme konnte unmöglich von einem weibliches Lichtwesen kommen. Legna sah noch einmal auf den Zettel mit der Adresse und stellte fest, dass sie hier richtig war.
„ WAS?!“ brüllte die Stimme zornig aus der Wohnung, nachdem sich Legna nicht geregt hatte.
„ Ich suche Kaverie.“ , erklärte sie. Sie sprach ein bisschen lauter, damit man sie verstehen konnte.
Nun schließlich öffnete sich die Tür.
Legna hatte mit allem gerechnet, mit Jedem. Aber als ein Schattenwesen, nur in Jeans und Socken bekleidet im Türrahmen stand und sie mit funkelnden blauen Augen ansah, blieb ihr echt die Spucke weg.
Sie blinzelte verdutzt.
„ Wieso? Wer? Wo?.....“stotterte sie und trat automatisch mehrere Schritte zurück. Ihr Körper war auf Abwehr gegangen. Sie fühlte es in ihrem Nacken.
„ Lange Geschichte, Maric, Seele ausliefern....“
beantwortete Maric trocken die Frage in der Reihenfolge, wie sie gestellt wurden.
Er betrachtete das Wesen an der Tür eine Weile und seufzte dann.
„ Am besten Du kommst rein,“ schlug er vor und trat einen Schritt beiseite, damit Legna an ihn vorbei gehen konnte.
Als sie an ihm vorbeiging, wurde ihr das erste Mal in ihrem Dasein schlecht.
Sie hätte hier zwischen Tür und Hausflur kotzen können.

***

Maric sah die Frau vor der Tür stehen und wusste, dass er hier jemand besonderen vor sich hatte. Er hätte nicht einmal genau sagen können, was es war, dass diese Frau in seinen Augen so einzigartig machte. Sie war hoch gewachsen, für seinen Geschmack sehr dünn und sie hatte kaum Busen.
Ihre Haare waren unauffällig. Ein dunkles, beinahe aschkötterblond und sie waren gerade lang genug, um sie hinter den unauffälligen Ohren zu klemmen.
Sie trug Kleidung, die nicht zum zwei Mal hinschauen animierte.
Eine kurze, dunkelbraune Lederjacke, Jeans und Snaeker, die offensichtlich keiner bekannten Marke angehörten.
Sie trug keinen Schmuck, zumindest nicht, soweit er es erkennen konnte.
Nichts war wirklich beeindruckend... und doch.
Er war sich sicher. Hier handelte es sich um eine Persönlichkeit. Um eine große, vermutlich sogar ewige Persönlichkeit.
Er konnte ihre Aura nicht ausmachen, was sie eindeutig als "Nichtmensch" auswies.
Dennoch ging eine gewaltige Kraft von ihr aus. Irgendetwas, dass ihn ehrfürchtig werden ließ. Und das war wirklich selten der Fall.
Etwas verschämt sah er an sich herunter und stellte fest, dass er kein Shirt trug. Zaghaft verschränkte er die Arme vor der Brust.
"Wer bist du?", fragte die Frau und ihr stechender und eindringlicher Blick bereitete ihm Kummer.
Bevor er die Frage beantworten konnte, ehrlich gesagt hätte er auch länger dazu gebraucht, legte sie den Kopf schief und sagte :" Du bist ein Schattenwesen."
Es war keine Frage, sie stellte es einfach fest.
Eine Tatsache, in den Raum gestellt wie eine Kanne Kaffee und ein Stückchen Kuchen.
Dann traf es ihn wie ein Blitz. Es war die einzige Erkenntnis.
Sie kam von Oben, von der oberen Sphäre.
Sie war eine, war ein, nun ja....sie war eine Leitende. Eine jener Wesen, die die Menschen als Engel bezeichneten. Er selbst hatte niemals eine gesehen. Bei allem, was es gab....er glaubte sogar, es gäbe diese Wesen gar nicht.
"Ja," sagte er leise.
"Ich bin ein Schattenwesen."
Sie betrachtete ihn von unten nach oben, heftete ihren Blick an seiner Hose, wanderte dann weiter zu seinem Gesicht und ging dann wieder tiefer um an seinen Socken haften zu bleiben.
Angewidert zog sie die Mundwinkel nach unten.
"Was tust du hier?"
Sie stellte ihre Fragen knapp und hart. Sie spie sie aus wie alten Kaugummi.
Maric trat von einem Fuß auf den Anderen und fühlte sich schrecklich nackt. Er hätte jetzt wahnsinnig gerne ein paar Stiefel angehabt, oder ein Shirt....oder ein Schneckenhaus.
Er hatte sich schon lange nicht mehr so unbeholfen, so verletzlich und angreifbar gefühlt.
"Also ich..." begann er und holte tief Luft.
"Ich und Kavie,...also wir...also quasi gemeinsam," brachte er stotternd hervor und konnte nichts dagegen tun als er unter ihren Blicken rot zu werden.
Sie sah ihn ganz ruhig an, veränderte nicht ihre Miene oder ihre Haltung.
"Gemeinsam," wiederholte sie langsam als müsste sie das Wort schmecken. „Gemeinsam....“ Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille,...dann
"Du und Kavie..."
Stille....
"Gemeinsam?", schon fast eine Frage.
Sie drehte sich um, setzte sich wortlos auf das einzige Sofa im Raum , schlug die viel zu schlanken Beine übereinander und lehnte sich lässig zurück, wobei sie sich gemütlich in das dicke, rote Kissen drückte, das Kavie auf dem Sofa liegen hatte.
"Erkläre mir das. Jetzt."
Es duldetet keinen Widerspruch.
Also holte Maric Luft und erkläret.

***

Als Kavie etwa dreißig Minuten später nach Hause kam, stellte sie die Taschen in den Flur, schlenderte gemütlich ins Wohnzimmer begrüßte Maric und zuckte dann zusammen, als sie Legna dort sitzen sah.
"Wir müssen reden," sagte Leg tonlos.
Und obschon sie diese Frau noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, wusste sie, im Gegensatz zu Maric sofort, wen, oder besser was sie vor sich hatte.
Ihr war echt flau im Bauch, aber reden musste sie jetzt wohl. Das sah sie genauso.

***

Leg hörte die Geschichte auch noch mal in Kavies Version. Sie unterschieden sich tatsächlich lediglich von den Sichtweisen, nicht vom Inhalt an sich. Und wenn sie sich recht erinnerte und im allgemeinen hatte sie ein Recht gutes Gedächtnis, wurde das Vergehen eines Schattenwesens immer ziemlich direkt auch von oberster Stelle bemerkt und dem auch nachgegangen. Zumindest hatte sie es so gelernt.
Sie hatte so das doofe Gefühl, dass sich ziemlich große Probleme auf sie zubewegten und ganz egal, wie seltsam ihr auch die Sache mit dem eigenartigem Schattenwesen vorkam, an allererster Stelle hatte sie Kavie zu schützen.
Der Verrat, den Maric begangen hatte, konnte ihr im Grunde egal sein.
Aber wenn sie ihn ansah, wenn sie in seine Augen sah, dann glaube sie darin Ehrlichkeit und , dass war das Erstaunlichste an der ganzen Sache, auch Liebe darin zu erkennen.
Sie hatte ihr ganzes Dasein, oder zumindest so lange, wie sie in der Ausbildung einer Leiterin war, nie etwas Gutes über die geheimnisvollen Schattenwesen gehört.
Der Teil des ewigen Kreislaufes, der die dunkle Seite des Lebens repräsentiert.
Der die dunklen Seelen wieder ins Leben warf und damit waren sie und die Lichtwesen ewige Konkurrenten.
Sie wußte, dass es auch einmal andere Zeiten gab. Zeiten, in denen die Licht und Schattenwesen eine Art waren und das Gleichgewicht des Lebens an erster Stelle stand.
Doch dann kam der große Krieg und alles änderte sich.
Dieses Schattenwesen, dass da vor ihr auf dem unförmigen Sitzsack saß, war anders als die Anderen.
Aber, so kam es ihr in den Sinn, vielleicht war es auch nicht so. Vielleicht war es auch wie alle Anderen Schattenwesen und sie wusste es einfach nicht besser.
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. All diese Gedanken machten sie nahezu schwindelig.

Leg stöhnte hörbar.
"Das Einzige, dass ich weiß ist, dass wir Kavie erst mal in die Sphäre bringen müssen. Zum Einen ist das, was ihr getan habt....nun ja.....ähm. Sagen wir mal, es besteht Handlungsbedarf und zum anderen wir dein Boss mit Sicherheit schon nach dir suchen lassen. Oder doch wenigstens wird er wissen wollen, was mit deiner Kollegin passiert ist."
Kavie verschränkte trotzig die Arme über der Brust.
"Ich gehe nicht ohne Maric."
Leg stieß ein heiseres Lachen aus.. Es klang viel bitterer, als es beabsichtigt war.
"Wie stellst du dir das vor? Wir können ihn schlecht mitnehmen!"
"Ich kann auch nicht mitkommen," warf er ein und versuchte ihr zu erklären.
"Legna hat recht, mit absoluter Sicherheit ist jemand auf dem Weg um zu schauen, was Sache ist. Glaub mir, mein Boss hat auf jeden Fall sofort gemerkt, als ich Lühr...." Er stockte und rief sich noch einmal das Bild von Lühr vor seinem geistigen Auge.
Aber nicht das, das er zu Letzt gesehen hatte, auch nicht das, als sie in seiner Wohnung saß und sich auf seinem Sessel breitgemacht hatte.
Plötzlich kam ihn ein ganz anderes Bild in den Sinn.
Lühr und er, am Fluss Tagate, in dem die Seelen schwammen.
Sie mit einer zum Schreien komischen Dauerwellenfrisur, wie sie in den 80èr Jahren modern war. Er mit Rastazöpfen die an den Enden alle rot gefärbt waren.
Beide hatten sie etwas zu Essen in der Hand.
An Seines konnte er sich nicht mehr erinnern, aber er wußte noch sehr genau, was Lühr in der Hand hatte.
Es war ein Pfirsich.
Sie saßen beide am Fluß, sahen in den Fluten die Gesichter, beobachteten den Fährmann und lachten, hatten Spaß, rangelten ein wenig.
Maric fühlte bei dieser Erinnerung einen schmerzhaften Stich in der Magengrube.
Wieder fragte er sich, was er getan hatte.
Fragte sich, was Kavie mit ihm gemacht hatte, dass er in der Lage war......
"Mein Boss schickt jemanden, früher oder später. Du musst weg.", beendete er seinen Satz.
„Du musst deine Sachen erst mal in Ordnung bringen.“

***

Wie recht Maric damit hatte, dass sein Boss bestimmt jemanden hinter ihn her geschickt hatte, konnte er nicht ahnen. Hätte er es geahnt, hätte er nicht mehr lange mit Kavie diskutiert. Der Jäger hatte sie bereits gefunden. Er konnte ihre Energien riechen, sie fühlen. Sie krochen unter seine Haut wie Maden. Wollten sie von seinem Muskelfleisch lösen und ihn schälen.
Er war nervös. Die Dinge hatten sich geändert. Und das nicht zu seinem Vorteil. Nicht nur, dass das Schattenwesen an negativer Energie verlor, was er prinzipiell als Bedrohung empfand, es hatte sich noch eine weite positive Energie zu ihnen gesellt. Eine starke, große Macht. Er fühlte seine Angst. Er konnte sie schmecken. Da war ein mächtigeres Wesen zu ihnen gestoßen und damit hatte er nicht gerechnet. Aber neben seiner Angst war er auch aufgeregt. Oh, er hatte so lange nicht mehr gejagt und noch länger nicht mehr gekämpft. Sein Verlangen danach war so groß geworden, dass er davon träumte, wieder in seiner Zeit zu sein. Und mit dem Schwert das Fleisch seiner Opfer von deren Knochen zu lösen. Ganz nebenbei bemerkte er, wie er schwitze und grinste.
Der Jäger sah an der Hauswand des Apartmenthauses hinauf, so, wie Legna es keine Stunde vor ihm gemacht hatte.
Nur, das er ganz sicher nicht das Bedürfnis hatte, dort hoch zu fliegen.
Die innere Stimme, die fortwährend zu ihm sprach, warnte ihn abermals, wachsam zu sein.
Er kniff die Augen zusammen und forderte sie auf, still zu sein.
Der Jäger öffnete den Hauseingang.......doch im Ggensatz zu Legna, nahm er den Fahrstuhl. Er kannte sich in der Welt der Menschen bestens aus.
Nicht nur, dass er sie unzählige Male betreten hatte, um seinen Herrn zu Diensten zu sein.
Er zerrte auch von ihr.
Ja, meine Herrschaften, er war das Monster, nach dem jedes Kind unter dem Bett suchte. Er war der Schatten an der Wand, der anscheinend nicht zuzuordnen war.
Er war die Schritte, die einen in eine dunkle Gasse folgten.
Er war die Angst.
Und er war der Tod.


***


Kavie war noch in Diskussionen mit Legna über ihre Abreise verwickelt, als ihr ein stechender Schmerz durch den Körper jagte , ausgehend von der Stelle, an der das Artefakt ihre Haut berührte, bis zu Ihren Schulterblättern. Sie schrie und Maric hechtete zu ihr. Die Stelle der Bluse, unter der das Artefakt lag, begann zu schwelen. Maric packte sie , riss die Bluse auf und packte das glühende Ding. Sofort versenkte es seine Haut in der Handinnenfläche. Erschrocken zog er sie zurück. Eine Blase hatte sich gebildet.
„Nicht! Fass es nicht an.“, brüllte Legna ihn an. Innerhalb von Sekunden war sie bei Kavie und führte ihre Hände unter die Kette am Hals. Sie stieß ihre Hände auseinander und die Kette riß. Das Artefakt lag glimmend am Boden und brannte ein Loch in den Teppich.
„ Scheiße“, fluchte Legna, „ Wir sind nicht mehr allein.“
Kavie rieb sich die schmerzende Stelle auf ihrem Brustbein.
„Aber das verstehe ich nicht. Es sollte uns doch beschützen. Wieso tut es so was?“
Leg sah sie an: „ Weil es kein Schattenwesen ist. Es muss etwas größeres sein. Etwas, dass so viel Energie abverlangt, dass es auch für dich nicht mehr zu tragen ist."
Sie sah Maric an.
„Denk mal nach, du komisches Schattenwesen. Was ist hinter dir her?“
Maric schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht genau.....das Einzige, was mir einfallen würde, wäre ein Jäger. Aber...“
„Aber was?“, bellte Leg.
Maric zuckte mit den Schultern. „Mein Boss würde nicht gleich einen Jäger hinter mir her schicken.“
Leg schnaufte. „Weißt du, dein Boss ist nicht umsonst dort, wo er ist.“
Legna erinnerte sich an viele Geschichten, die sie über Jäger gehört und gelesen hatte. Und keiner von denen war ihr positiv in Erinnerung.
„ Was ist ein Jäger?“ Kavie war verwirrt und der Schmerz auf ihrem Dekolleté trieb sie an den Rand des Wahnsinns.
„ Frag nicht,“ zischte Legna und nach einem Blick auf Kavies zerrissener Bluse fügte sie hinzu. „ Zieh dich an und verliere keine Zeit dabei.“ Sie warf einen Blick auf Maric, in dessen Augen sie lesen konnte, das er um die Gefahr wusste, auch wenn er einen gekränkten Eindruck machte.
Er nickte.
„ Ich versuche ihn aufzuhalten. Verschwindet, aber schnell.“ sagte er.
Kavies Augen weiteten sich: „ Was?! Das kommt gar nicht in Frage, wir gehen alle, oder keiner!“
Maric legte seine Arme um ihre Taille und zog sie dicht an sich. Sie zitterte und ihre Augen nahmen fast ihr ganzes Gesicht ein. Ihre Lippen bebten und waren trocken.
„ Der Jäger ist hinter mir her,“ begann er zu erklären, „ Ich habe eine meiner Schwestern getötet. Habe sie ausgelöscht, als sie dich erkannte. Es ist mein Fehler, alles hätte nie passieren können. Weißt du, was im Gesetz der Schatten steht, wie man sich zu verhalten hat, wenn man ein Lichtwesen erkennt?“
Sie schüttelte den Kopf in Zeitlupe.
„ Töte es!“ preßte er zwischen seinen Zähnen hervor.
Eine Träne schwoll an ihrem Wimpernkranz und löste sich.
Legna packte sie und zerrte sie aus seinen Armen.
„ Keine Zeit für so was. Hey Schattenwesen! Benutze das Artefakt!“ rief sie ihm zu und legte eine Jacke über Kavies bloßen Schultern.
„ Ach und noch was....“ Legna suchte nach den richtigen Worten für das dunkle Wesen, das sich so sehr von den Anderen unterschied, fand aber keine.
„ Viel Glück,“ wünschte sie ihm schließlich nur und schleifte Kavie zur Tür.

***

Der Jäger fühlte die hellen Präsenten als kribbelndes Feuer in seinem Kopf, als der Fahrstuhl zum Stillstand kam. Sie waren nahe. Sehr, sehr nahe.
Die Stimme in seinem Innern kreischte und zeterte, doch er ignorierte sie. In ihm brannte Mordlust und Blutgier.
Die Türen schoben sich zur Seite und fast hätte er geschrien vor Überraschung. Die Lichterwesen standen direkt vor ihm.
Eines, jung, klein und schwach. Und ein Anderes von enormer Stärker und, zumindest in seinen Augen, von immenser Schönheit. Wie eine Kriegerin blickte sie starr in sein altes Gesicht.
Er konnte beinahe fühlen, wie sein Herz schlug.
Oh Freude, dachte er und spannte seine dünnen Lippen wie Riemen über seine Zähne.

***

Legna legte gerade einen Finger auf dem Knopf am Fahrstuhl, als dieser sich öffnete.
Sie tat einen Schritt in seine Richtung und erstarrte.
Ein erstickter Laut drang aus ihrer Kehle, doch sie bemerkte es kaum.
Es war zu spät, zu spät.
Die kalte, dunkle Macht ergoss sich wie ein Platzregen über sie.
Sie stolperte zurück, immer noch Kavie am Arm haltend und zog sie mit sich.
Der Jäger schritt aus der Kabine des Fahrstuhls und folgte sie mit seinen Blicken.
Ein widerliches Lächeln, das verzerrt und krank wirkte, saß in seinem Gesicht wie ein Alarmsignal.
Legna drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf das Treppenhaus zu. Kavie kam ihr wie ein Sack mit nasser Kleidung vor, schwer und unhandlich.
Sie schwang sie nach hinten, sammelte alle Kraft die sie hatte und schleuderte Kavie wie ein Diskuswerfer nach vorn auf die Treppe.
Kavie sah die Stufen auf sich zukommen und ruderte, nach Halt suchend, mit den Armen.
Vergebens.....der Boden unter ihr fiel ab, ihre Schuhe verloren den Kontakt und sie stürzte.
Mit Schrecken sah sie die Stufen auf sich zukommen. Und das ziemlich schnell.
Sie knallte mit unglaublicher Wucht auf den kalten Stein.
Dann war alles schwarz.

***


Der Jäger war überrascht, als er das Vorhaben des Lichtwesens durchschaute Zwar versuchte er sie zu packen, als er sie vor sich stehen sah, doch sie war schneller und zog sich zurück wie ein Wiesel.
Als er aus der Kabine kam, sah er verwundert, wie das stärkere Lichtwesen das Andere die Treppe hinunter warf.
Nun rannte das Lichtwesen zu einer Wohnungstür.
Der Jäger ging zwei Schritte zur Treppe, blieb stehen und schaute zurück.
Die Stimme erinnerte ihn. Sein primäres Ziel war das Schattenwesen , welches für seinen Verrat zu büßen hatte, nicht das Lichtwesen, das er von oben auf den Stufen liegen sah.
Er konzentrierte seine Sinne und spürte die Energie des Schattens. Sie drang durch die Tür, durch die das starke Lichtwesen gerade verschwunden war.
Er merkte, wie er sich zerrissen fühlte.
Das hilflose Lichtwesen auf den Stufen, um dessen Kopf sich schon eine beachtliche Blutlarche gebildet hatte, war ein lohnendes Ziel.
Doch hinter der Tür lauerte große Gefahr. Das starke Lichtwesen, das einer Kriegerin glich, war schlau. Sie war nicht erfahren, das sah er auf den ersten Blick. Er erkannte es an IHREM Blick, aber das tat ihrer Gefährlichkeit keinen Abbruch.
Ob Erfahren oder nicht. Sie war, wer sie war und vor allem, was sie war.
Konzentriere dich auf sie. Töte sie, bevor es zu spät ist. Bevor sie zu viel Macht bekommt, mahnte ihn seine Stimme.
Er stimmte ihr zu.

***

Maric hatte ein Handtuch um seine Hand gewickelt und versuchte das Artefakt damit zu greifen. Definitiv kein leichtes Unterfangen. Immer wieder rutschte das heiße Ding von der Frotteschlaufe, die er sich gebastelt hatte, ab.
„ Gott verfluchte, bepisste Schei....“ fluchte er vor sich hin, als die Tür zum Apartment aufgestoßen wurde.
Maric schnellte in die Höhe und baute sich mit geballten Fäusten auf.
Seine Gedanken führten eine interessante Konversation mit ihm.
Was hab ich hier eigentlich vor?
Lächerlich, zu glauben ich hätte eine Chance.
Renn lieber, bevor es zu spät ist!!
Guter Gedanke!

Doch er blieb stehen.
Legna stolperte in den Wohnraum und gestikulierte heftig mit den Armen.
„ Da! Er kommt. Wir konnten nicht weg.!!“
Um Maric wurde die Welt dunkel.
Kavie war nicht bei ihr!!!
Unbändige Verzweiflung, die er niemals empfinden zu können erwartet hatte, schloß sich wie Stahlklammern um sein Herz.
„ WO!?“ brüllte er und packte Legna am Kragen ihres Pullovers und zog ihn wie eine Schlinge zusammen.
Sie schnappte nach Luft
„ In....Sicher.....heit....LUFT!“
Maric lockerte seinen Griff. Sie japste.
„ Na? Was ist nun?“ fragte er und schüttelte sie. Ihr Kopf flog hin und her wie ein Luftballon an einer kurzen Schnurr.. Er war kräftig und hatte alle Hemmungen verloren. Legnas Dasein bedeutete ihm gar nichts. Er würde sie jederzeit töten wenn er seine und Kavies Lage als hoffnungslos empfinden würde.
Legna stieß sich mit aller Kraft von ihm ab und plumpste rittlings auf den Boden.
„ Sie liegt im Treppenhaus,“ keuchte sie und rieb sich den Hals, an den sich schon rote Striemen bildeten.
Maric stieg über sie hinweg.
Sein rationelles Denken hatte sich soeben in Luft aufgelöst.

***

Kavie rappelte sich hoch und ein ziehender Schmerz krabbelte ihre Wirbelsäule hoch. Ihr Schädel pochte und vor ihrem Blickfeld hatte sich ein roter Schleier gebildet. Sie blinzelte mehrmals, bis er verschwunden war.
Sie stöhnte. Senkte den Oberkörper und stütze sich dabei auf ihre Knie.
Nachdem sie das Gefühl hatte, der Schmerz würde nachlassen, richtete sie sich langsam und mit verzerrtem Gesicht wieder auf. Ihre Stirn pochte immer noch dumpf und aus der langen
Platzwunde floß immer noch Blut in ihr Auge .
Sie war desorientiert und drückte sich die Handballen auf die Augen, um den Kopf wieder klar zu kriegen. Die Verbrennungen auf ihrem Dekolleté machten die Sache nicht gerade einfach. Ihre Gedanken kreisten und immer wieder wollte der Schwindel sie übermannen.
„ Nein!“ rief sie sich selbst zur Ordnung. „ Sei stark und standhaft.“
Sie zwang ihren geschundenen Körper die Stufen hinauf.
Immer mit einer Hand tastend an der Wand lang.
Sie erklomm die letzte Stufe und fühlte sich wie Reinhold Messmer nach der Ersteigung des Mount Everest.
Oh Gott, dachte sie, ich kann nicht mehr.
Sie konzentrierte sich krampfhaft und immer, wenn ein neuerlicher Schwindel von ihrem Geist Besitz ergreifen wollte, biss sie sich kräftig auf die Zunge, bis sie merkte, dass sich auch ihr Mund mit Blut füllte. Der Geschmack war grauenvoll metallisch aber er half ihr, bei Bewusstsein zu bleiben.
Irgendwo konnte sie Legna und dann Maric etwas rufen hören.
Sie wünschte sich so sehr, stärker zu sein.

***

Maric hatte die Tür noch nicht erreicht, als sie sich erst nach innen bog, sich dann zu dehnen schien und schließlich aus den Angeln platzte.
Sie flog mit einem Zischen an ihm vorbei und spaltet den Wohnzimmertisch, donnerte gegen die Wand und holte einige der kitschigen Bilder von der Wand.
Maric stellte mit Überraschung fest, das er kurze Dankbarkeit dafür empfand. Er hasste diese Dinger, seit er die Wohnung betreten hatte. Die Tür polterte zurück und kippte wie in Zeitlupe nach hinten Richtung Boden,
Legna, immer noch am Boden liegend, kreischte und zog die Knie an die Brust, um nicht getroffen zu werden.
Durch aufgewirbeltem Holzstaub betrat der Jäger ohne Hast Kavaries Wohnung.
„ Dein Daddy hat Sehnsucht nach dir, du kleiner Judas.“ Seine Stimme war rauh und ohne jedes Gefühl.
Maric grinste und senkte seinen Kopf wie ein Wolf, der kurz vor einem Angriff steht. Seine blauen Augen durchbrachen jede Schwelle seiner Heimat, rissen alle Mauern ein und befreiten sich aus dem Sumpf, indem er zu ertrinken drohte.
„ Ich hab aber gar kein Heimweh,“ flüsterte er und löste die Anspannung seiner Muskeln, indem er sprang. Er glich einem Raubtier.
Er knurrte sogar wie eines. Ein dunkler kehliger Laut, der tief aus seinem Innern zu kommen schien.

***

Nie zuvor hatte der Jäger solchen Widerstand gespürt, nie zuvor so eine Kraft. Diese kleine Schlange sollte sich winden und nicht beißen.
Aber er griff an, er griff tatsächlich an. Er sprang ihn an wie ein räudiger Hund!!!
Ohne das der Jäger die Zeit gehabt hätte zu reagieren, schleuderte sich das Schattenwesen mit aller Kraft gegen ihn.
Der Jäger taumelte rückwärts und prallte gegen die Wand hinter ihm. Mit vor Verwunderung geöffnetem Mund verfolgte der Jäger, wie Maric, ohne den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, ausholte, um ihn zu schlagen. Ihn zu schlagen, verdammt noch mal!! Er faste es nicht!!
Verblüfft nahm er den ersten Schlag mit voller Wucht wahr. Er traf ihn ins Gesicht uns ließ seinen Hinterkopf gegen die Mauer hinter ihm knallen. Benommenheit suchte sich einen Weg in seinen Verstand.
Der zweite Schlag war nicht so heftig wie der Erste, aber auch nur, weil er ihn kommen sah.
Doch es war nicht so sehr die Tatsache der Schläge, die ihn benommen machte. Es war der Anblick des Schattenwesens, das über ihn stand.
ICh hab dich ja gewarnt!!!, kreischte die Stimme in seinem Kopf.
Ich hab dich gewarnt!!!

***

Legna war in den Flur gekrabbelt und sah Maric über den gestürzten Jäger stehen. Er holte aus und schlug mit einer Gewalt zu, die sie nie für Möglich gehalten hätte. Sie konnte den Aufschlag unter ihren Händen und Knien fühlen. Der Boden vibrierte.
Dann den Nächsten, und den nächsten Schlag. Jeder Hieb erschütterte den Boden.
Der Kopf des Jägers bestätigte die Aussage von Ursache und Wirkung und wurde von einer Seite auf die Andere geschleudert.
Dann gegen die Mauer und wie ein Wackeldackel wieder nach vorne. Sehr dunkles Blut schwoll wie ein aufgehender Teig aus seiner Nase und aus einigen Wunden im Gesicht.
Er machte nicht mal Anstalten sich zu wehren.
Aber Legna war klar, dass es sich nur um eine Frage der Zeit handeln konnte, bis der Jäger seine Benommenheit abgeschüttelt hatte.
Sie musste sich um Kavie kümmern.
So furchtbar es auch war, sollte Maric es nicht überstehen, würde sie nicht eine Träne weinen. Ihre Aufgabe war Kavie und nicht das sonderbare Schattenwesen.
Wieder wurde der Boden erschüttert, als sie versuchte, auf die Beine zu kommen.
Maric brüllte bei jedem Schlag.


***


Kavie hörte Maric brüllen und es schnürte ihr die Kehle zu.
„ Maric, oh nein, nein,“ dachte sie. Sie schaffte es, ihre Beine ihren Willen zu unterwerfen, damit sie schneller liefen.
Sie wankte um die Ecke und rief seinen Namen.

***

Der Jäger wusste nicht wieso, aber dieser stinkende Sack Scheiße hörte auf ihn zu schlagen und schaute den Flur runter.
Er nutze die Gelegenheit und trat ihn mit aller Wucht in den Bauch. Maric flog zurück und knallte gegen das, was mal ein Türrahmen war, bevor der Jäger die Tür daraus sprengte. Nun hatte der Rahmen ganz klar seine Funktion verloren und war nur noch ein Loch in der Wand. Maric sackte zusammen und flehte in Gedanken seinen Geist an, wach zu bleiben.
Die Nebel in seinem Kopf zu vertreiben.
Der Jäger rappelte sich auf. Tränen standen in seinen Augen. Nein, nicht wegen des Schmerzes, der seine Lippen und sein Gesicht taub machte. Auch nicht wegen des Blutes, das aus deiner Wange geronnen war und wie Rotz aus seiner Nase tropfte.
Sondern wegen seines Stolzes.
Der Stolz, der die kleine Stimme in ihm immer zum Schweigen brachte.
Nie war er so grundlegend verletzt worden.
Nie so erschüttert in seinen Grundfesten.
Er betrachtete das Wesen und seine Augen färbten sich von dem Blut der Jahrhunderte schwarz.
Er war der Jäger und er würde nicht zur Beute werden.
Er sah das andere Lichterwesen nicht, das blutend im Flur stand und mit seinen Händen Energien sammelte, indem sie ihre Hände wie eine Schale hielt.
Maric sah sie aber und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
Der Jäger war irritiert.
Angst suchte sich einen Platz in seinem Herzen.
Als Legna sah, was Kavie vorhatte, sprang sie auf und schmiss sich durch die Tür. Sie rollte sich geschickt ab und baute sich in gleicher Position wie Kavie einige Schritte neben dem Jäger auf.
Ihre Kraft war um einiges mächtiger, als die von Kavie und so versuchte sie, ihre Energien wohl zu dosieren. Lichtfluten brachen durch die Wände. Lichtfluten strömten aus den Steckdosen, jagten durch die geöffneten Fenster und brachten die Glühbirnen der Deckenbeleuchtung zum platzen.
Wie Wellen floss es an Decken und Wänden auf sie zu. Auf Kavie und auf Legna, die das erste Mal in ihrem Dasein das hohe Licht rief.
Sie fühlte sich göttlich.
Und seinen wir mal ehrlich, sie war es ja.

***


Der Jäger achtet nicht auf sie.
Sein ganzer Zorn galt dem Schattenwesen. Er beugte sich zu ihm und Maric roch seinen Atem.
Jetzt, dachte Kavie
„JETZT!“ schrie Legna ihr zu und entließ das Licht, gebündelte Energie aus purem Leben, Liebe und Glaube, geliehen aus den Seelen der Menschen, dessen Macht stärker war, als das Dasein selbst.
Ewiger, als die Zeit und mächtiger als Götter und Dämonen.
Es war das Leben.
Bei Gott und allem,
es war das Leben.

***

Kavie ließ die Kraft aus ihren Händen entweichen und wie ein Geschoss ging es seine Bahn.
Sie verfehlte ihr Ziel diesmal nicht.
Die Energien der Beiden vereinigten sich stürzend in den Nacken des Jägers.
Es brannte sich durch seine Haut und entzündete ein Feuer in ihm. Er warf den Kopf in den Nacken und seine Stimme schwoll zu einem Chor aus Wut, Schmerz ,Angst und Verwirrung an.
Er wirbelte herum, drehte sich und brüllte, während sein Rumpf aufbrach und Feuer aus seinen Eingeweiden an seinem Hals leckte.
Feuer und Licht brach aus seinen Armen und Beinen.
Es leckte über sein Gesicht und die Hitze warf Blasen auf seine Haut.
Sich wie wild drehen und kreischend bohrte er seine Finger in seine Augen als wollte er sich an sein Hirn krallen.
Er bäumte sich, wand sich in dem glühendem Unvermögen seinem Schmerz Einhalt zu gebieten.
Eine grausame Erkenntnis zerriss den dünnen Faden, der ihn an sich selbst hielt. Die unentwegte Stimme in seinem Kopf schrie und lachte dann ein grausiges, hohles Lachen.
Sie wusste es und er wusste es nun auch.
Diese Welt der Menschen hatte auch ihn verletzlich und schwach gemacht.


***


Maric konnte mit stummen Entsetzten sehen, wie der Jäger sein Gesicht aufriß und das brodelnde Fleisch in Lappen von seinen Wangen zog.
Er konnte es riechen!
Sein Körper stieg wirbelnd auf, um dann an der Decke des Flurs zu ruhen.
Flammen züngelten aus seinem Rumpf und schwarzer Rauch färbte das Weiß der Decke in dreckigem Grau.
Fleischige, beinahe wohlriechende Brocken lösten sich von seinem Körper und fielen mit einem schmatzendem Geräusch zu Boden.
Zusammenhangslos registrierte Maric, das er Hunger hatte.
Er krallte sich an der Decke und sein Schreie war nunmehr ein Wimmern.
Dann wurde Maric von Legna gepackt und in die Wohnung gezerrt.
„ Hey...ich will das sehn,“ protestierte er unbewusst.
Kavie kam direkt hinter ihnen in die Wohnung. Sie kauerte sich zusammen mit Legna und Maric in eine Ecke und presste sich die Hände vor die Ohren. Legna tat das selbe.
Maric stutze.
Aber es dauerte nicht lange, bis er verstand.
Aus dem Flur war ein donnernder Knall zu hören, der das Gebäude erschütterte.
Der Boden wankte. Gläser fielen aus den Regalen und Bilder von den Wänden.
Ein Sturm aus gleißendem Licht jagte durch die Tür und zog in seinem Schatten die Stühle, Reste des Tisches und die Tür mit sich.
Er bohrte sich durch die Hauswand und Kavie hatte jetzt einen wundervollen Ausblick auf den hinter dem Haus liegendem Busbahnhof.
Die Tür hörte er Sekunden Später auf der Straße aufschlagen.
Dann war es still.
Bis auf das Klingeln in seinen Ohren hörte er nichts mehr.
Maric suchte nach Kavies Hand und küßte sie.

***


Lutz war nicht begeistert von den Ereignissen. Man musste wohl sagen, dass er enttäuscht war.
Er drückte den Knopf auf der Gegensprechanlage.
„ Streichen sie Maric von der Lieferliste,“ sagte er knapp.
„ Möchten Sie noch weitere Maßnahmen ergreifen?“ fragte die Stimme am andern Ende.
Lutz überlegte.
Dann lachte er.
„ Nein, lassen wir es gut sein. Ich hab ja nun nicht unbegrenzt Personal.“
Er dachte noch einen Moment nach.
„ Gehen Sie doch mal die Liste der Neuzugänge durch, ich brauche einen neuen Mitarbeiter für den Bezirk.“
Dann ließ er sich auf seinem gemütlichen Lederstuhl fallen und legte die Füße auf den Schreibtisch.
Und wieder ein Kind aus dem Haus, dachte er und lächelte versonnen. Sie werden ja so schnell erwachsen.

***

Legna verabschiedete sich weinend.
Sie war nicht nur traurig, weil sie Kavie ins Herz geschlossen hatte, sonder auch, weil sie diese Welt nun verlassen musste.
„ Wein doch nicht,“ sagte Kavie und puhlte in ihrer verdreckten Jeans nach einem Taschentuch. „ Du kannst uns ja besuchen.“
Menschenmengen hatten sich vor dem Haus versammelt und schauten wie ein Mann nach oben. Vor irgendwo hörte sie Feuerwehr und Polizeisirenen.
Legna nickte und wischte sich die Tränen von den Wangen.
Sie hatte Schmerzen, sie war müde, sie stank aber das war ok so.
Sie hatte ihre Aufgabe wirklich ziemlich gut erledigt.
"Eigentlich wollte ich nur mal nach dem Rechten sehen," gab sie leise von sich.
Kavie wollte lachen, doch die Schmerzen in ihrem Körper rieten ihr dringend davon ab. Sie brachte nur ein Schnaufen zustande.
Maric stupste sie an und sein Mund verzog sich zu einem breitem Grinsen.
„ Wenn du uns besuchen kommst, komm besser zu mir. Ich glaub, Kavie fliegt hier raus.“
Er sah die Straße hinunter und betrachtete die Menschenmenge.

Legna sah zu dem riesigem Loch in der Hauswand, dann auf die Straße, wo die Tür lag.
Ein paar Kinder standen darauf und wippten lachend.
Unbekümmert schaukelten sie auf dem verbranntem Holz auf und nieder während ihre Mutter aufgebracht umher liefen und sie ein zu fangen versuchten.
Ihre Stimmen klangen glockenklar und hell.
Diese Welt ist das Wunder, auf das die Menschen ständig warten, dachte sie verwundert. Und sie wissen es nicht mal.
Wahrlich.
Dies ist das Wunder.

counterhab ich gern gelesen

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