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geschrieben von M.A.H..
Veröffentlicht: 29.10.2025. Rubrik: Unsortiert


Die Erhebung der Rahel

„Und das Totsein ist mühsam und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig Ewigkeit
spürt.“
- Duineser Elegien, 1. Elegie

1. Kosmischer Auftakt

Durch den purpurnen Äther hindurch, von den höchsten Höhen des zitternden Gewölbes durch die sphärischen Grenzen gleitend, die sturmgepeitschte Stratosphäre verlassend und in die entsetzliche Endzeit des Menschengeschlechts eindringend, fiel Rahel, die gehörnte Tote, in die verwüstete, durch Bombenkrater zerrissene und von glut-heissem Staub bedeckte Welt hinab. Im unaufhaltsamen Abstieg durchbrach sie nicht zuletzt, in gehetzter Eile, die Grenzen der tauben, raumlosen Weite und näherte sich nun, formlos und schattengestaltig, der Stadt der geschlossenen Tore. Durch eine höhere Gewalt angezogen, fand sich die Schattengestalt nach ihrem Himmelssturz an dem Ort ihrer Hinrichtung wieder und hätte wohl als Erstes ihre zersplitterten Knochen und die entstellende Deformierung ihrer Glieder gespürt, wenn sie denn etwas hätte spüren können. Ihren irdischen Körper hatten sie zerquetscht, verstümmelt und
zerfetzt, und ihre fleischlichen Überreste in grotesker Unkenntlichkeit den verhungernden Straßenhunden hinterlassen.

Frevel zu strafen, so schwer sie auch wiegen mögen, hatten die Höheren gemeinsam mit der
Aussicht auf ein höriges Volk von Erwählten längst aufgegeben und hatten die Lämmer von den Wölfen reißen lassen, denn ihrer gab es in allen Zeiten weitaus mehr. Doch die Ermordung der
jungen Rahel, diese wörtlich unmenschliche, denn mechanische und pervers-verdrehte Niedermachung konnte selbst den höchsten Ohren nicht unerhört bleiben, sodass die oberen Ränge, als sie ihrer aufsteigenden Seele ansichtig wurden, in eine heftige Raserei verfielen,
donnergrollend tobten und riefen: „Erhebt Sie! Zerstampfen soll sie die Welt, versengen mit dem Feuerhauch ihrer Nüstern, ausdörren und verderben die Flur!“

Diese Erhebung, zornesschreiend verfügt durch himmlisches Drängen, war nun freilich umgekehrter, also ebenfalls pervertierter Natur, vollzog sich diese Erhebung doch nicht aufwärts, sondern in einem Herabstürzen von dem kosmischen Schopf der bekannten Grenzen bis ins Tiefenreich der Menschen hinab.

So erhob sich Rahel als lodernder Stern und gleißender Schatten brennenden Lichts erneut und
die Erde bebte.

2. Die Erde, dieser Friedhof

Durch die Trümmer und den Schutt zerstörter Tempelhallen, durch das zersplitterte Straßenpflaster hindurch und an den vernarbten Häuserschluchten hinauf, erhob sich dieser Schattenbrand aus seinem steinernen Grab. Er glitt über die rauchenden Straßen und Plätze
hinweg und ergoss seine flammenden Wogen hinter den Stadtgrenzen auf dem Richthof der Alten und Prüfstein der Neuen, auf dem Friedhof der Verdammten dieser Erde.

Dieser Friedhof schwelte dumpf. Tausende Seelen, wie sie einst eine war, lagen hier geknebelt und vergraben, vergessen von der Welt. Die finsteren Feuer ergossen sich über die Steppe und brannten sich in die kahle Erde hinein, tief hinunter, bis in die untersten Schächte der Unterwelt, hin zu den grauen Klippen Scheols.

Der lodernde Stern zerriss indes den einstmals weiten Himmel und gewann in seinem von Feuerstürmen umtanzten Funkenflug noch an sengender Kraft. Er ließ die Erde unter sich vergehen. Verbrannte Felder wie Narben eines Wesens, größer als jeder Gott, brannten unter dem Sturm erneut auf, verdorrte Steindornbüsche vergingen in den Flammen und leblose Hirschkäfer fielen in Todesreigen von den Olivenzweigen herab.

In kometenhafter Bahn neigte sich der Stern vor dem dunklen Gestirn und ein fernes Dröhnen von Posaunen röhrte aus den glühenden Schluchten.

3. Die Löwin aus dem Stamm Juda

In ihren Stahlzelten und Panzerwägen hockten die Mörder wie lauernde Ghule, die Grimassen zu grinsenden Fratzen verzogen, und pfiffen dabei teuflische Litaneien. Keiner von ihnen ahnte das Drangsal jenes Sterns, der sie suchte und der sie, seine Erhebung erfüllend, finden würde. Siehe, sie kommt mit den Wolken und jedes sündige Auge wird sie sehen.

Die Mörder blickten in Richtung der bluterdfarben glänzenden Sonne, die den Horizont zerschnitten hatte und nun in die kochende Bucht zu stürzen drohte, und gewahrten dabei den lodernden Stern im zornigen Sturzflug. In ihnen stieg die düstere Ahnung auf, dass die Höheren durchaus manchen Frevel noch zu strafen wussten und mit einem Mal verschwand ihre Hoffnung auf einen Platz im Himmel. Eine vage Erinnerung tiefster Schwärze schien ihnen die Eingeweide zu zerreißen und ließ sie auf ihre Knie stürzen, wobei sie ihre hohlen Wangen mit heißen Schamestränen übergossen. So kauerten und winselten die Hunde und die Zauberer,
die Unzüchtigen und die Mörder, die Götzendiener und jeder von ihnen, der die Lüge liebte und
tat.

Gewaltige Krater rissen den Boden entzwei, brennende Fluten bäumten sich grollend auf und
fielen daraufhin, das einstige Heilige Land endgültig in die Tiefe zerrend, auf die Sünder hinab. Die einstige Rahel, dieser lodernde Stern und Schattenbrand, dieses alttestamentarische Gericht und siebenköpfige Unheil der Ungerechten fegte durch die Reihen der Mörder hindurch
und begrub sie unter Feuer und Rauch.

Als sich der Rauch lichtete und eine fahle Sonne die zerstörte Weite entblößte, waren die
Posaunen bereits verklungen, die Feuer verbrannt und der Himmel für einen flüchtigen Moment
von einem Gleißen erfüllt, das kein Schatten mehr durchdrang.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von lys am 30.10.2025:
Kommentar gern gelesen.
Das ist düster, aber sehr schön geschrieben.
Liebe Grüße
Lys

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