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2xhab ich gern gelesen
geschrieben von Eléna Walda.
Veröffentlicht: 26.08.2019. Rubrik: Unsortiert


Träume

Ich sehe dich, du siehst mich. Du bist anders, als die anderen. Du stichst aus der Menge heraus. Ich sah dich hier, am Bahnhof, als du, wie tausend Andere, auf die Züge wartest, die uns nach Hause bringen würden. Deine Augen glänzen, ich würde gerne wissen, was du siehst, was dich so erfreut. Ich fange jeden einzelnen deiner Blicke, merke, dass ich den Drang nicht widerstehen kann, dich anzusehen. Fast hätte ich vergessen, warum ich hier bin, fast hätte ich vergessen, was ich zu tun habe, dass ich fahre, um meinen Traum zu verwirklichen. Fast hätte ich vergessen, dass du nicht von hier bist, dass dein helles Haar und deine großen, wachen Augen gar nicht hierher passen. Fast hätte ich übersehen, dass du verzweifelt versuchst, dich hier zurechtzufinden, obwohl du nicht einmal unsere Sprache sprichst. Fast hätte ich dir geholfen, doch ich kann deine Sprache nicht sprechen, sondern nur verstehen. Fast hätte ich vergessen, in den Zug einzusteigen, der gerade vorgefahren ist. Fast hätte ich dir zugewinkt, dir eine gute Reise gewünscht und wieder vergessen, dass du nicht hierhergehörst, dass du anders bist. Und fast hätte ich vergessen, warum ich eigentlich hier bin. Fast hätte ich vergessen, dass ich dich vergessen sollte. Ein Blick in meine Unterlagen und du warst verschwunden, als hätte es dich niemals gegeben.

Ich übe, stundenlang. Tagelang. Monatelang. Ich will besser werden, weiterkommen, mein Ziel erreichen. Die Zeit vergeht viel zu schnell, ein Tag hat zu wenige Stunden, schlafen kann ich kaum noch. Es gibt für mich nur das eine, nur dieses Ziel, ich darf mich nicht von etwas anderem ablenken lassen. Freunde sehe ich nur wenig, aber die verstehen mich alle sowieso. Jeder lernt, arbeitet oder übt. Doch einmal habe ich von etwas anderem geträumt, von der Freiheit, von der Liebe. Von hellen Haaren und wachen Augen, in denen man das Leben sehen konnte. Es konnte nichts anderes sein als ein Traum, weil die Realität anders sein muss. War. Jeden Tag, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich immer dieses eine Bild, dieses Bild voller Harmonie und Ruhe, so als würde die Welt um mich herum stehen bleiben, es nur mehr mich und sie geben. Als wäre die Musik, die spielt, endlos. Wäre es nicht schön, wenn es wirklich so wäre? Wäre es nicht schön, wenn ich nur noch Liebe spüren könnte? Mit dieser Frage schlafe ich jede Nacht ein, doch wenn ich aufstehe, ist mein erster Gedanke, dass ich weitermachen muss. Es ist schließlich nur ein Traum.

Ich bin fast am Ziel, es fehlt mir nur mehr wenig. Wenige Tage noch bis zur finalen Prüfung, wenige Tage noch bis zu meinem großen Auftritt. Ich renne aus der Wohnung, das Stiegenhaus hinab, aus der Haustür hinaus und da, auf einmal sehe ich sie, mitten im Regen stehen. Allein, völlig durchnässt. Ich sehe nichts anderes, nur noch sie. Alles um mich herum scheint verschwunden zu sein. Ich höre nur mehr meinen Herzschlag und meinen Atem und sehe nur mehr ihre engelsgleiche Gestalt, die auf der anderen Straßenseite steht. Fast hätte ich meinen Koffer fallen lassen, fast wären meine Unterlagen vom Regen durchnässt worden. Als ich dann wieder in die Richtung blickte, in der sie gestanden war, sah ich nichts mehr. Sie war verschwunden. Einfach weg. Als hätte es sie nie gegeben, als wäre dies doch alles nur ein wunderschöner Traum gewesen.

Jahre sind vergangen, seit ich endlich mein Ziel erreicht habe. Ich habe die Welt bereist, zahlreiche Auftritte gehabt und habe viele kennengelernt, doch keine war wie sie. Keine hatte mich je so fasziniert wie diese eine, rätselhafte Frau. Ich war ihr nie wieder begegnet, obwohl ich gehofft habe, sie irgendwo zu sehen. Irgendwo auf der Welt musste sie doch sein. Hier irgendwo. Doch nun fange ich an, zu spielen, vergesse sie für einen kurzen Augenblick und konzentriere mich ganz auf die Musik. Und als ich den Kopf wieder hob, sah ich die Menge vor mir klatschen und in mitten dieser, man glaubt es kaum, sie stehen. Sie lächelte mich an, strahlte von innen heraus und gab mir das Gefühl, endlich angekommen zu sein, endlich Ruhe zu finden. Ich stieg von der Bühne und nahm mir vor, zu ihr zu gehen und sie nach ihrem Namen zu fragen. Denn es war schließlich doch Realität und kein Traum.

Zwei Jahre vergingen, die schönsten meines Lebens. Sie begleitete mich, lachte mit mir, weinte mit mir. Ich war glücklich, hatte meine innere Ruhe gefunden. Doch eines Tages blickte ich wieder auf den Koffer, der in letzter Zeit nicht so viel Verwendung fand und fühlte mich schuldig. So, als hätte ich denn Sinn meines Lebens auf den Boden geschmissen und dort liegen gelassen. So fing ich wieder an, bis spät in die Nacht zu üben, zu komponieren und ging erst ins Bett, als sie schon längst schlief. Essenseinladungen schlug ich aus, ließ sie allein gehen, und als sie von der Arbeit nach Hause kam, war ich zu beschäftigt, zu konzentriert, um mit ihr zu lachen, zu reden, zu lieben. So war sie allein, versuchte am Anfang zu mir durchzudringen, doch mit der Zeit wurden ihre Versuche, mit mir ein Gespräch anzufangen, Nähe zu mir aufzubauen, immer seltener, bis sie schlussendlich kaum einmal mehr als ,,Hallo‘‘ und ,,Bis später‘‘ sagte. In der Nacht schliefen wir voneinander abgewandt, sahen uns nicht mehr bis tief in die Nacht gegenseitig in die Augen, hörten kaum noch den Atem des anderen. Dann bekam ich das Angebot, worauf ich schon so lange gewartet hatte, in einer weit entfernten Stadt auf einem anderen Kontinent. Ich dachte nicht einmal nach, sondern sagte sofort zu und kam vor Freude pfeifend nach Hause, erwartete, dass sie diese Freude teilte, doch sie sah mich mit traurigen Augen an und stimmte mit monotoner Stimme zu, die gemeinsame Wohnung aufzugeben und weg von ihrer Familie und ihren Freunden zu ziehen. Für mich war es, als wäre mein großer Traum in Erfüllung gegangen, doch war ich nicht ganz glücklich. Was, wenn die Realität nicht meinem Traum entspricht?

Eine neue Stadt, ein neues Leben. Mein Ehrgeiz wurde größer, ich verbrachte die meiste Zeit in der Arbeit, komponierte, gab Konzerte. Am Anfang besuchte sie jedes, obwohl sie am Morgen früh in der Kanzlei anfing oder aufs Gericht musste. Doch schließlich wurde sie zu müde, sie ging lieber früher schlafen, um ihre Klienten besser betreuen zu können. Manchmal wartete sie mit dem Abendessen, bis ich nach Hause kam, doch als ich anfing, mit meinen Kollegen nach Auftritten noch auf ein Getränk zu gehen, fand ich nur mehr das hergerichtete Essen auf den Tisch mit einem Zettel, auf dem ,,Gute Nacht und Mahlzeit‘‘ stand, vor. Sie stand auf, wenn ich noch tief und fest schlief. Ich sah sie immer weniger und bemerkte so kaum ihre traurigen Augen, ihre Zurückhaltung mir gegenüber und dass ihre Sachen langsam weniger wurden. Ich musste schließlich arbeiten, meinen lang ersehnten Traum erfüllen, egal was in der Realität passierte.

Ich kam voll betrunken nach meinem größten Auftritt nach Hause, war einerseits sehr glücklich, dass ich es endlich geschafft hatte, aber andererseits fragte ich mich, warum sie nicht gekommen war, warum sie an diesem besonderen Tag nicht neben mir stand, warum sie mir nicht zugewunken und zugejubelt hatte. Ich betrat das Haus und sah, dass es leerer wirkte. Sie war fort, hatte alles mitgenommen, was ihr gehörte, aber die gemeinsamen Fotos hatte sie hiergelassen. Ich rief nach ihr, suchte sie im ganzen Viertel, aber niemand hatte sie gesehen. Nirgendwo hörte ich ihre schöne Stimme, sah ihre engelsgleiche Gestalt. Sie war verschwunden, einfach weg, vom Erdboden verschluckt. Ich brach zusammen, weinte, rief ihren Namen, bis ich mich irgendwann schweren Herzens nach Hause schleppte, mich ins Bett legte und die schlimmsten Albträume mich überkamen.

Ich wachte auf, drehte mich auf die Seite und du warst nicht da. Ich hörte deinen ruhigen Atem nicht mehr, konnte dir nicht mehr über die samtweiche Haut streicheln, dir keinen Kuss mehr auf die Wange hauchen. Ich stand auf, rief mit leiser Stimme deinen Namen und sank schließlich auf dem Boden zusammen und weinte, bis es an der Tür läutete. Ich sprang auf, hoffte, du würdest zurückkommen, doch als ich die Tür aufmachte, sah ich Polizisten, die mir sagten, du wärest gestern Abend in einem bewaffneten Aufstand geraten, als du versucht hattest, zum Flughafen zu gelangen, um nach Hause zu fliegen. Ich hörte ihre Stimmen kaum, es war, als hätte mir jemand mein Herz, meine Seele aus der Brust gerissen. Sie erzählten mir, dass es viele Opfer gegeben hat. Als sie weg waren, fand ich einen Zettel auf dem Stand ,,Vergiss mich nicht''. Ich sah aus dem Fenster, umklammerte den Zettel mit meinen Fingern und sah, wie sich der Himmel langsam rot verfärbte, wie sich mein Traum in einen düsteren Albtraum verwandelte.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Dan Prescot am 27.08.2019:

Die Geschichte hat mir gefallen. Eine schöne, traurige Kurzgeschichte.

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