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5xhab ich gern gelesen
geschrieben 1986 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 21.06.2025. Rubrik: Spannung


Das Gebet

Hansen war nun seit zwei Wochen unterwegs. Das Schiff, auf dem er eine dreiwöchige Kreuzfahrt über das Rote Meer gebucht hatte, glitt ruhig und souverän durch das spiegelglatte Wasser. Die nächtliche Stille wurde nur von dem Fauchen der Abgase, die aus dem gewaltigen Schlot der Passagier-Fähre in die klare Abendluft stiegen, und von der gedämpften Musik aus dem großen Festsaal, gestört. Dort feierte man gerade den Geburtstag von sieben Fahrgästen, und Hansen war einer von ihnen.

Er hatte den gesamten Abend mit einer hübschen brünetten Frau getanzt, die er beim Abendessen kennen gelernt hatte und sich eine Zigarettenpause redlich verdient. Er kramte eine Schachtel 'Kamel mit Filter' hervor und zündete sich eine Kippe an. Während er den Rauch tief inhalierte, lehnte er sich gegen die hüfthohe Reling. Plötzlich durchlief ein Beben das
Schiff, der gewaltige 12-Zylinder-Dieselmotor hatte eine augenblicklange Störung. Hansen verlor den Halt. Überrascht wurde er sich bewusst, dass er über Bord gegangen war.

Als er in das lauwarme Wasser hinein tauchte, hatte er die Zigarette noch im Mund. Voller Panik begann er, mit Armen und Beinen zu schlagen und strampeln. Sekunden später hatte er sich zurück an die Wasseroberfläche gearbeitet.
„Hilfe, Mann über Bord!“ brüllte er verzweifelt! "Einmal trifft es jeden von uns, mein Schatz," schallte wie zum Hohn der Refrain eines Liedes vom Schiff aus zu ihm herüber, "einmal kommt das Glück auch zu dir". „Hilfe, Mann über Bord“, kreischte er wieder verzweifelt. Der Ozeanriese hatte
sich bereits mehrere hundert Meter von ihm entfernt, "...einmal... jeden...mein Schatz".

Der Refrain war nunmehr nur noch bruchstückhaft zu vernehmen und ihm wurde klar, dass man sein Verschwinden erst beim Einlaufen in Asmara bemerken würde, wenn überhaupt! Es sei denn... ach nein, seine Tanzpartnerin war zu betrunken gewesen, als dass sie etwas von seinem Verschwinden hätte bemerken können.

„Ruhig, Hansen, ruhig,“ sagte er zu sich und begann dann, dem Schiff mit langen Zügen nach zu schwimmen. Das salzige Wasser trug ihn gut, so dass er sich nur darauf konzentrieren musste, vorwärts zu kommen. Nachdem er zwanzig Minuten gekrault war, wurde ihm die Hoffnungslosigkeit seines Bemühens bewusst. Bis nach Asmara waren es noch gut 250 Kilometer gewesen. Diese Distanz würde er niemals zurücklegen können, wenn er auch durch seine Leidenschaft für Fußball- und Handball-Sport einen hervorragend gut trainierten Körper hatte, dem er einiges zumuten konnte.

Er zwang sich, nicht mit seinem Unglück zu hadern. So hatte er in den nächsten Stunden nur die endlose Weite des offenen Meeres und den sternklaren Himmel vor Augen. 'Unser Planetensystem', dachte er, als sich Sekunden lang eine Sternschnuppe am Himmel abzeichnete. Um sich ein wenig von seiner ausweglosen Situation abzulenken, versuchte er sich die Namen der 9 Planeten ins Gedächtnis zu rufen. 'Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn. Uranus, Neptun... ' und dann war da noch irgend etwas mit einem Comic-Hund gewesen, doch sein verzweifeltes Gehirn kam nicht auf den Namen.

Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und strahlte glühend heiß auf ihn hinab. Bald lag ihm seine Zunge wie ein trockener Schwamm im Mund und seine Sinne begannen sich zu verwirren. 'Wenn ich jetzt sterbe, dachte er, 'komme ich dann in den Himmel oder in die Hölle? Quatsch', beantwortete er sich selbst seine Frage. 'Die Hölle ist nur eine Erfindung der Kirche, damit die im Mittelalter ihre Ablass-Gutscheine verkaufen konnte. Und den Himmel gibt es genauso wenig. Was bleibt mir da noch übrig? Jawohl, der bittere Tod, aber der ist immer noch besser, als sich hier das Hirn von der Sonne vertrocknen zu lassen!' Er stieß die Luft aus seinen Lungen.

Sofort ging er in dem warmen Wasser unter. Nach einer Minute fing sein Körper schmerzhaft an, nach Luft zu schreien, nach zwei Minuten war der Schmerz unerträglich.
Er strampelte und paddelte hektisch mit seinen brennenden Armen und Beinen, hatte so schnell die Oberfläche wieder erreicht.

Er schnappte nach Luft. "Oh mein Gott," rief er mit einem Blick um sich, "warum willst du mich nicht erlösen?" Tränen der Wut und Verzweiflung rannen ihm über die
verbrannten Wangen, von denen sich die Haut in großen Fetzen löste und dem unbarmherzigen, salzigen Meerwasser das rohe Fleisch freilegte. Noch eine Stunde kämpfte er unfreiwillig den quälenden Kampf ums Überleben.

Dann endlich sah er sie. Sie strebten schnurgerade auf ihn zu.
Zwei Haifischflossen. Gott hatte ihn erhört!

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 21.06.2025:
Kommentar gern gelesen.
Meine absolute Lieblingsgeschichte aus deiner Feder, Rautus.
LG Babuschka




geschrieben von Rautus Norvegicus am 21.06.2025:

Danke, für das Lob, so fasse ich es auf, liebe Babuschka ☺️

Ich ärgere mir gerade ein Loch in den Bauch, dass ich alle Geschichten gelöscht habe. Weiß gar nicht mehr, warum ich das gemacht habe, hatte irgendwie eine Frust-Attacke und Zerstörungswut. Hatte sie aber zum Glück alle auf DVD, ja, so etwas hab und benutze ich noch, gesichert.

Liebe Grüße
🙂
Ratte Rautus




geschrieben von Babuschka am 21.06.2025:
Kommentar gern gelesen.
Ja, es ist so schade, dass du sämtliche Geschichten mitsamt allen Kommentaren gelöscht hast, lieber Rautus. Zunächst dachte ich, du willst in ein anderes Schreibforum wechseln. Dies wäre ein rechter Verlust für uns gewesen.

Gut, dass du deine Stories gespeichert hast und hier nach und nach wieder hochlädst.
LG Babuschka

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