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geschrieben 2018 von Carl-Paul Hénry (Carl-Paul Hénry).
Veröffentlicht: 06.02.2018. Rubrik: Historisches


Machtansprüche zweier Türme

Unterhalten sich ein Kirchturm und ein Minarett. Sagt der Kirchturm: "Wenn ich meine Glocken läute, dann rufe ich die Menschen auf, die Wahrheit zu hören." Sagt das Minarett: "Wenn der Muezzin von meiner Empore ruft, dann tut er dasselbe." Meint der Kirchturm: "Dann könnten wir uns doch eigentlich zusammen tun." Und das Minarett darauf: "Das wäre gut, dann hätte ich endlich auch ne Uhr."

Nicht nur Moscheen haben ihre Türme (Minarett), sondern seit dem 6. Jahrhundert (Italien) auch die christlichen Kirchen. Zunächst waren es vereinzelt freistehende Glockentürme. Es gibt für Kirchtürme KEINE theologische Begründung. Die christlichen Baumeister ließen sich jedoch von den mesopotamischen Zikkurats (Turmbau zu Babel) inspirieren, wobei es um die Idee des himmelhohen Turms ging. Die Mythologie sagt: Ein Turm verbindet die Erde mit dem Himmel, er ist ein Stein gewordener Heiliger Lebensbaum. Mit dem Turmbau versuchen Menschen, dem Himmel möglichst nahe zu kommen.

Der Kirchturm hatte aber nicht nur die Funktion des Glockenturms. Besonders in den Deutschen und Niederländischen Pfarrkirchen der Spätgotik wurde der Turm zum Symbol kommunalen Ehrgeizes, bei dem die profane Ruhmsucht sich mit dem Gotteslob verbindet, bis hin zu doppeltürmigen Kirchen in der Zeit des Barocks in Süddeutschland (Zwiefalten), oder am Rhein (Köln). Dass der Kirchenturm als repräsentatives Symbol von Macht und Größe kritisch wahrgenommen wird, zeigt sich darin, dass die auf Demut und Bescheidenheit zielenden Orden der Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner ein Verbot von Kirchtürmen für ihre Klöster erließen. Mit der Neogotik wurden Türme wieder zu herausragenden, städtebaulich wirksamen Symbolbauten der christlichen Gesellschaft, die zunehmend in Konkurrenz mit profanen Hochbauten für Industrie und Wirtschaft traten. Turmvollendungen gotischer Kathedralen, wie Kölner Dom und Ulmer Münster, führten zu einer Kirchturmblüte.

Der Kirchturm als solcher entwickelte sich erst richtig in romanischer Zeit, als mit der Rekonquista (Zurückeroberung muslimisch besetzter Gebiete in Spanien und Portugal) und den Kreuzzügen der Baukörper des Minaretts in die Kirchenarchitektur aufgenommen wurde. Im Grunde ist der christliche Kirchturm nichts anderes, als die Antwort auf das muslimische Minarett.

Während in einigen Religionen der Penis offensichtlich als Symbol verwendet wird, wie etwa als Lingam im Buddhismus, wehren sich westliche Religionen gegen die Interpretation im Rahmen des Symbolismus, dass Kirchtürme und die Minarette etwas mit einer Phallusdarstellung zu tun hätten und man es mit "höher, zu Gott" und dem akustischen Vorteil für Glocken und dem Muezzin bei hohen Bauwerken erklärt.

Seit Sigmund Freud ist es in Mode gekommen, den Turm als Phallussymbol zu erkennen. Er wird seitdem exklusiv mit männlichen Eigenschaften verknüpft und steht für Schutz, Mut, Machbarkeit, Machtanspruch aber auch Größenwahn und Technikherrlichkeit. Er ist das Bauwerk schlechthin, welches für patriarchale Architektur steht. Der älteste Turm stammt aus der ältesten Stadt der Menschheit: Jericho (Tell es-Sultan).

Günter Walraff sagte: "Ein in den Himmel ragender Kirchturm signalisiert doch auch einen Anspruch. Moscheen mit Kuppel wirken ohne Minarett auf mich bedrohlicher als mit, weil sie mich immer an Atommeiler erinnern. Da ist mir das Minarett deutlich lieber. Und wenn die Muslime meinen, auch sie bräuchten ihr steinernes Phallus-Symbol - sollen sie es doch haben! Über Penisneid können sich die Minarett-Gegner ja dann gerne bei Sigmund Freud schlau machen. Dieses Hin und Her um die Minarette ist ohnehin die völlig falsche Diskussion. Was in den Moscheen gepredigt wird. Darum geht es."

Die Länge des Phallussymbols ist – auch für Religionsgemeinschaften – entscheidend: derzeitiger Stand: Das Ulmer Münster wurde 1890 gebaut und hat mit dem 161,53 m hohen Turm den höchste Kirchturm der Welt. Das mit 210 Metern höchste Minarett der Welt befindet sich in Casablanca als Bestandteil der Hassan-II.-Moschee. Mit einer Höhe von 127 Metern soll Phra Pathom Chedi in Thailand der höchste Stupa der Welt sein. In Polen steht seit 2010 die größte Christus-Statue der Welt: sie ist mit 36 Metern höher als das bekannte Vorbild in Rio de Janeiro. Split (Kroatien) plant diese mit einer 39 Meter hohen Statue zu übertrumpfen.

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