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6xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 27.03.2022. Rubrik: Persönliches


Unser Vater

Meine ein Jahr jüngere Schwester Ursula und ich liebten unseren Vater abgöttisch. Und er war stolz auf seine Töchter. Während unsere Mutter auf Sauberkeit und Ordnung in unserer kleinen Wohnung bedacht war, war er es, der uns viele Dinge beibrachte: z.B. verschiedene Karten- und Brettspiele, die regelmäßig abends gespielt wurden, denn einen Fernseher hatten wir noch nicht in den 50er Jahren.

Sonntags kochte unsere Mutter immer etwas aufwändiger als an den anderen Tagen. Es gab Suppe, meist ein Schmorgericht wie Gulasch oder Rouladen und einen Pudding als Nachtisch. Dafür stand sie den ganzen Morgen in der Küche, während wir mit unserem Vater einen Spaziergang im alten Stadtpark unternahmen. Andere Kinder hassten es, im Sonntagsstaat mit den Eltern spazieren gehen zu müssen, Ursula und ich aber liebten diese Sonntagvormittage im Stadtpark, denn wir kehrten regelmäßig in die dortige Gartenwirtschaft ein, wo unser Vater ein Bier trank und wir Kinder uns eine Bluna (Limonade) bestellen durften, die es sonst nie gab.

Auch liebten wir den Spielplatz im Stadtpark. Dort durften wir uns auf der Rutsche oder Schaukel austoben oder Überschläge an einer Turnstange üben.

Doch das Schönste für uns Kinder war, wenn wir an den Armen unseres Vaters zu Hause weiterüben durften, und zwar ging das so:

In unserer Wohnküche standen Spüle, Ofen und Kühlschrank nebeneinander in einer Reihe. Gegenüber befanden sich Sofa, ein Esstisch und Stühle. Unser Vater ging in die Hocke, breitete die Arme aus und hielt sich mit der einen Hand an der Tischkante und mit der anderen am Kühlschrank fest. Wir benutzten seine Arme als Turnstange, jede von uns hatte ihre eigene, wo wir Überschlag üben konnten. Und das taten wir mit wachsender Begeisterung.

Ursula war deutlich gelenkiger als ich. Sie lernte sehr schnell, ein Rad zu schlagen oder einen Handstand zu machen. Ich war ängstlicher und brauchte wesentlich länger, schaffte es aber ebenfalls, weil Papa mir erst half und dann, als ich es allein konnte, beschützend neben mir stand.

Irgendwann bekamen wir Rollschuhe geschenkt. Das war toll, doch wieder war ich vorsichtiger und ängstlicher als meine Schwester. Doch Papa passte auf, er lief neben mir her, während ich mich auf den Rollschuhen zu halten versuchte. Und dann klappte es!

Auf die gleiche Art lernten wir das Radfahren. Auf Vaters altem Herrenrad! Wir waren noch so klein, dass wir die Beine unter der Querstange hielten, um in die Pedalen treten zu können. Unser Vater lief neben uns her, wenn wir mit dem Rad fuhren, um uns halten zu können, falls wir das Gleichgewicht verlören. Das tat er so lange, bis wir uns sicher auf dem Rad bewegen konnten.

Später hatte ich - ich war inzwischen 8 Jahre alt - in der Schule Schwimmunterricht. Dieser fand im alten Gelsenkirchener Hallenbad statt. Wir Kinder standen hintereinander auf einer Treppe, die ins Wasser führte. An der untersten Stufe angekommen, begann einer nach der anderen unter den wachsamen Augen einer Lehrerin mit den Schwimmbewegungen. Theoretisch wusste ich, wie ich mich im Wasser bewegen musste. Doch sobald ich dort angekommen war, geriet ich in Panik und schlug völlig ohne System Arme und Beine hin und her. Ich war deswegen ganz unglücklich.

Papa tröstete mich und meinte, dass ich es schaffen würde. Ich solle erst einmal „trocken“ üben. Ich legte mich bäuchlings auf unseren großen Esstisch und machte unter seiner Anleitung koordinierte Schwimmbewegungen. Er übte mehrere Abende mit mir, bis ich dieses Trockenschwimmen verinnerlicht hatte. Dann gingen wir ins Hallenbad. Er versprach, mich am Stoff meines Badeanzugs festzuhalten, dann könne ich nicht untergehen.

So drehte ich ruhig und voller Zuversicht meine Runde im Wasser genau mit den Bewegungen, die ich zu Hause tagelang eingeübt hatte. Danach sagte Papa, er habe meinen Badeanzug nach kurzer Zeit losgelassen, so dass ich ohne seine Hilfe geschwommen sei. Von da an konnte ich schwimmen und habe es etwas später zum Frei- und Fahrtenschwimmer gebracht.

Doch ohne die Unterstützung meines Vaters hätte ich das Schwimmen wohl nie erlernt.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Andreas Mühlkamp am 04.04.2022:
Kommentar gern gelesen.
Ihr hattet einen Vater, den ich auch gern gehabt hätte.




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 01.11.2022:
Kommentar gern gelesen.
Eine Hommage an den Vater. Glücklich, wer so etwas schreiben kann.

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