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geschrieben 2014 von Rosemarie Benke-Bursian (Rosemarie).
Veröffentlicht: 22.07.2015. Rubrik: Unsortiert


Verrechnet!

Diese Tür zu öffnen war ihm strengstens verboten. Ohne Ausnahme. Und wie um dem Verbot Nachdruck zu verleihen, war die Tür stets abgeschlossen.
Heute stand sie offen.
Benni starrte auf den schmalen Spalt, der einen begrenzten Blick in das Innere des verbotenen Schrankes gewährte. Weiße Papierstapel schimmerten ihm entgegen. Die Lösung seines Problems.
Wie ein Geschenk und zum Greifen nah.
Sein Vater war längst in der Schule. War davon gehastet und hatte vergessen die Türe zu schließen. Ein aufgeschlagener Ordner mit geöffneten Ringen sowie einige lose Dokumente auf dem Schreibtisch erzählten von der Eile des Vaters, der heute ausnahmsweise noch einmal zurückgekommen war, da er etwas Wichtiges vergessen hatte. Ausgerechnet heute, da Lehrerkonferenz war.
Sein Vater hasste Unpünktlichkeit.
Die Mutter war einkaufen. Es würde etwas länger dauern, bis sie zurück kam, denn sie wollte nach dem Supermarkt noch zur Apotheke. Ein paar Medikamente für Benni besorgen. Denn Benni war krank. Seit zwei Tagen quälten ihn Magen-Darm-Beschwerden. Doch die Lösung seiner Magen-Darm-Grippe lag nicht in irgendwelchen Medikamenten, sondern hier in diesem Schrank.
Dass der Erreger seiner Beschwerden kein Virus war, sondern ein Mitschüler, hatte Benni wohlweislich verschwiegen. Nicht auszudenken, was sein Vater in der Schule für eine Wirbel veranstaltet hätte. Nein, einen Lehrer als Vater zu haben, der sich in alles einmischte, machte die Sache nicht einfacher.
Oder doch?
Immerhin hatte Benni nun Zugang zu den gewünschten Papieren. Den Matheaufgaben für die Klasse 9a; die Klasse in die Niclas ging.

Niclas war groß, kräftig und niemand legte sich gerne mit ihm an, denn er war auch nicht zimperlich, wenn er seine Interessen durchsetzten wollte. Da er zudem ein gefährlicher Torjäger beim Fußball war, wollten seine Mitschüler ihn lieber zum Freund als zum Feind haben.
Benni, der nicht zuletzt wegen seiner schmächtigen Figur, körperlichen Auseinandersetzungen gerne aus dem Weg ging, war froh, wenn Niclas ihn mit Nichtbeachtung strafte. Doch nun drohte Niclas wegen Mathe durchzufallen und Benni rückte in den Mittelpunkt seines Interesses. Unter Androhung von Schlägen, hatte er versucht von Benni Tipps für die nächsten Prüfungsaufgaben zu bekommen. Doch dieser hatte keine Ahnung, was für Aufgaben sein Vater sich erdacht hatte. Die lagen fest verschlossen samt Lösungen im verbotenen Schrank. Und der war ja immer abgeschlossen.
Dann kam der letzte Montag, an dem Benni allein im Zimmer der Biologie-Materialsammlung gewesen war. Er interessierte sich sehr für die Naturwissenschaften. Deshalb hatte er sich freiwillig gemeldet, die Materialsammlung in Ordnung zu halten. Begeistert hatte er mit Professor Schill die Präparate der Spinnentiere sortiert. Dabei hatte es ihm vor allem der kleine Bücherskorpion angetan. Ein nützliches Tier für Bücherfreunde, denn er fraß nicht die Bücher, sondern die Staubläuse, welche die alte Bücher zerstören konnten. Der kleine Pseudoskorpion namens Chelifer cancroides war in einer großen Glasbox untergebracht und wann immer Benni ihn betrachtete, stellte er sich vor wie Hunderte, nein Tausende, dieser Tierchen in den Bibliotheken die Bücher von Staubläusen befreiten.
Professor Schill war für eine Woche verreist und Benni hatte sich den Schlüssel von der Sekretärin besorgt. Er hatte ein paar Fotos von Zitterspinnen auf vorbereitete Textvorlagen geklebt und dann in den passenden Ordner sortiert. Als er den Ordner zurück ins Regal stellte, hörte er hinter sich ein Geräusch. Irritiert drehte er sich um. In der Tür stand Niclas. Breit grinsend.
„Bis Freitag brauche ich die Aufgaben.“
„Ich kann Dir aber nicht helfen.“
„Wetten das?“ Niclas öffnete seine rechte Hand. Zum Vorschein kam Chelifer cancroides. Der Bücherskorpion.
„Was soll das? Gib den sofort wieder her!“
„Was glaubst du wohl, wen man verdächtigt, wenn er fehlt? Mich hat niemand gesehen. Ich bin offiziell bei Max zum Lernen. Er ist mein Zeuge!“ Niclas schob die Glasbox in seine Jackentasche. „Also dann. Wenn Du mir die Lösungen bringst, bekommst Du Deinen Freund wieder.“
Niclas drehte sich um und verschwand.
Viele Minuten verstrichen bis Benni sich wieder rühren konnte. Wie er es auch drehte und wendete, er sah keine Chance, seinen Mitschüler des Diebstahls zu beschuldigen. Jetzt um diese Uhrzeit, war außer der Sekretärin und der Klasse, die Nachmittags Sport hatte, niemand in der Schule. Wenn Niclas nicht gesehen werden wollte, war es keine Kunst, das zu verhindern.
Am Abend wurde Benni übel. Am nächsten Tag meldete die Mutter ihn krank.

Langsam ging Benni in das Arbeitszimmer seines Vaters. Eigentlich hatte er einfach einen Stift holen wollen. Doch jetzt hatte er nur noch Augen für den geöffneten Schrank.
Die Tür quietschte leise, als er sie ganz aufschob und Benni wich erschrocken zurück. Das Gefühl etwas ganz und gar Verbotenes zu tun, schlang sich wie ein Würger um seinen Hals. Vor ihm lagen die Aufgaben für die 5c, für 8- und 9b, und für 9- und 10c. Fein säuberlich nebeneinander auf beschrifteten Regalbrettern. Benni streckte die Hand aus, berührte die Papiere. Im gleichen Moment überrollte ihn die Erkenntnis, dass er sich von nun an nie mehr frei und ungezwungen bewegen können würde, denn Niklas hatte eine Möglichkeit entdeckt, wie er Benni erpressen konnte.
Wut und Verzweiflung ließen seine Hand sinken. Das war einfach nicht gerecht!
Aber hatte er eine Wahl?
Gab es eine andere Lösung?

                     ***

„Es ist doch unglaublich!“ Bennis Vater polterte zum Esszimmer herein und wedelte mit einem Din A4 Bogen wild durch die Luft. Benni, der seiner Mutter beim Tischdecken half, schielte auf das Papier. Bevor sein Vater das Blatt verdecken konnte, hatte er den Namen Niklas erhascht. Schnell beugte er den Kopf nach unten, damit sein Vater sein Gesicht nicht sehen konnte, und legte sorgfältig Messer und Gabel neben die Teller, die seine Mutter hinstellte.
„Was ist denn? Spuck´s schon aus“, sagte seine Mutter und behielt den letzten Teller in der Hand.
„Also entweder ist da ein Schüler strohdumm, oder er hält mich für strohdumm. Es ist unglaublich! So eine Unverfrorenheit ist mir noch nie untergekommen.“
„Ich verstehe immer noch nicht.“
„Dieser Schüler hier, der steht wegen Mathe auf der Kippe und muss dann vermutlich die Schule verlassen. Denn er ist schon letztes Jahr durchgefallen. Doch das wusste er lange genug und hätte sich ja vielleicht mal auf den Hosenboden setzen können, um zu lernen. Aber nein, er schreibt eine Fünf nach der anderen. Ich habe ihm gesagt, dass er eine Chance bekommt, wenn er wenigstens einmal eine Vier schreibt.
Und nun hat er doch tatsächlich alles wunderbar gelöst. Keine einzige Rechnung ist falsch.“
„Na wunderbar. Was ist daran dumm?“ Die Mutter stellte nun doch den Teller auf den Tisch. „Und wieso unverfroren?“
„Was daran dumm ist? Oder sogar unverfroren? Das will ich Dir sagen! Dumm ist, dass dieser Schüler in der 9b sitzt. B wie Berta! Aber die Lösungen, die er mir anzudrehen versucht hat, gehören zu den Aufgaben, die ich schon letzte Woche in der 9c geschrieben habe! War er nun so blöd zu denken, dass ich die noch mal genauso stelle? Oder hat er mich für so blöd gehalten, dass ich nicht merke, wenn er mir Lösungen für Aufgaben unterjubelt, die zwar ähnlich aber eben doch nicht gleich sind?
Das ist jetzt also nicht nur eine sechs, das ist im Grunde Betrug. Aber damit muss ich mich jetzt nicht mehr rumschlagen. Und wenn ich ehrlich bin: Ich werde ihn nicht vermissen.“
„Ich auch nicht!“, murmelte Benni und dachte an den Chelifer cancroides. Seit Donnerstag lag er wieder an seinem Platz. Und dass er jemals fort war, würde für immer ein Geheimnis bleiben.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Svenson am 11.02.2017:

Der Konflikt hat bei mir Wut über den Erpresser erzeugt. Wenn sich aus einer Geschichte Emotionen auf mich übertragen, ist die Geschichte überaus gelungen. Danke für die Freude.




geschrieben von Susi56 am 03.02.2021:

Gut gemacht!

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