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geschrieben 1998 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 02.12.2013. Rubrik: Satirisches


Ein Kindlein unterm Weihnachtsbaum

Ein Kindlein unterm Weihnachtsbaum

Da war sie fort. Die Frau mit dem Pferdegebiß hatte sich für das kleine Mädchen mit der lustigen Schleife im Haar entschieden, das ich so gerne mitgenommen hätte.
   Die Auswahl war nun nicht mehr sehr groß. Da war der Junge mit den roten Haaren. Er hatte niedliche Sommersprossen und lustige Ohren, aber seine Nase tropfte. Das war eklig.
   Dann waren da noch das Kind mit dem verunstalteten Gesicht, ich wußte nicht, ob Junge oder Mädchen – und der dünne Bimbo-Bub.
   "Aus Afrika?", wollte ich wissen.
   Der Wärter schüttelte den Kopf. "Nein, das glaube ich kaum. Wir haben ihn an der Autobahnraststätte gefunden. Wahrscheinlich ein US-Army Kind."
   "Army, heh?"
   "Kein Problem, mein Herr. Er hat bereits Erfahrung und ist nicht schwer zu führen. Letztes Jahr war man sehr zufrieden mit ihm."
   "Nun, die Auswahl ist ja nicht mehr groß." Es war bereits vierzehn Uhr. "Die Schnäppchen sind wohl schon alle weg."
   Der Wärter verzog die Augenbrauen. "Ach, sagen Sie soetwas nicht. Negerbuben sind recht beliebt. Stellen Sie sich doch mal vor: Der Kleine unter Ihrem Tannenbaum. Das hat doch etwas ungeheuer Soziales."
   Ich willigte ein.

SatirepatzerSatirepatzer"Sehen Sie, wenn Sie ein bißchen an der Leine rucken, dann folgt er Ihnen ganz von selbst." Der Bub trottete hinter dem Wärter her. "Hier nehmen Sie." Er gab mir die Leine.
   Ich ging ein paar Schritte zu meinem Auto hin. Der Junge folgte mir wie von alleine.
   "Sehr gut machen Sie das."
   "Und wenn er plötzlich stehen bleibt?"
"Mein Gott, der Bub wiegt doch nichts. Den können Sie überall hin mitschleifen."

Ich öffnete die Autotüre und schob den Jungen auf den mit Zeitungen ausgelegten Sitz. Er leistete überhaupt nicht viel Widerstand und setzte sich in Fahrtrichtung. Eigentlich hätte ich ihm auch den Gurt anlegen müssen, aber ich war froh, daß soweit schon alles so gut gegangen war und wollte es nicht beim erstenmal nicht übertreiben.
   Ich fuhr los.
   Die Fahrt verlief recht unproblematisch. Er blieb ruhig sitzen und faßte nichts an. Ich hatte nicht den Eindruck, daß er die Zeitungen beschmutzte. Auch sein Körpergeruch war erträglich. Ich konnte mir zunehmend vorstellen, daß der Junge gebadet und mit Drogen ruhiggestellt worden sein konnte. Der Service war zufriedenstellend.
   Als der Junge aussteigen sollte, wurde er ein bißchen bockig. Als ich an der Leine zog, drehte er den Kopf zur Seite und blieb sitzen. Schnell ruckte ich an der Leine und beförderte den Jungen aus dem Wagen. Als kleine erzieherische Maßregel zog ich das Halsband etwas enger an. Der Junge schnappte ein bißchen nach Luft, folgte mir dann aber bereitwillig in die Wohnung.
   Gerne hätte ich den Buben einfach im Wohnzimmer abgestellt, um den Tannenbaum aus dem Schuppen zu holen, aber dann hätte ich damit rechnen müssen, ihn niemals wieder zu sehen und die ganze Mühe, die ich mir mit ihm gemacht hatte, wäre umsonst gewesen.
   Als ich die Leine an der Heizung anbinden wolle, begann der Junge zu zappeln. Ein paar gedrückte Laute kamen aus seiner eng geschnürten Kehle. Das war verständlich. Der Kleine war noch etwas ängstlich und all die vielen fremden Dinge in meiner Wohnung mußten ihn doch arg nervös gemacht haben. Ich hatte so etwas schon befürchtet und ein großes Glas voll Baldrian vorbereitet. Das Schlucken fiel ihm etwas schwer.

"Nun schau mal, was ich hier habe.", sagte ich, als ich den Tannenbaum ins Wohnzimmer schleppte. "Ooooh! Ein Tannenbaum!"
   Der Junge saß an die Heizung gelehnt und blickte mit verdrehten Augen zur Decke.
"Na guck doch mal, wie schön der ist!"
   Der Junge reagierte nicht. Mit einem Paar strahlender Kinderaugen hatte ich in diesem Moment schon gerechnet. Ich begann zu verstehen, daß sich die Augen von schwarzen Kindern nicht besonders zum Strahlen eigneten.
   "Na dann wollen wir mal anfangen, den Baum zu schmücken." Der Bengel starrte weiter aphatisch zur Decke. Sein Gesicht hatte eine dunkelgrüne Farbe angenommen. Ich ließ mich nicht provozieren und öffnete die Schachtel mit den Weihnachtskugeln. "Ooooh, wie schön die funkeln."
   Das Lametta hatte einen lila Farbton. Das verlieh dem Baum etwas geradezu spirituelles und bildete einen lustigen Kontrast zu den blauen Elektrokerzen.
   "So, jetzt schau aber mal her." Ich schaltete die Kerzen ein. "Das ist doch mal ein Anblick. Na was sagst du?"
Als ich zur Heizung blickte, stellte ich fest, daß der Junge inzwischen mit dem Rücken auf dem Fußboden lag. Anstelle mir zu antworten, gab er ein heiseres Röcheln von sich. Meine Geduld war aufs Äußerste strapaziert. Ich löste die Leine von der Heizung, packte ihn und setzte ihn unter den Tannenbaum. Mehr konnte ich nicht mehr tun. Er kippte zur Seite und legte sich aufs Ohr.

Ich hatte aufgehört, mich zu ärgern. Mit einem Gläschen Wein und einem Teller voller Weihnachtsgebäck machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich. Ein wenig Licht im Dunkel des Lebens dieses Buben hätte es werden sollen, aber mir wurde immer bewußter, daß das schwachsinnige Kind sein Schicksal nicht anders verdient hatte. Wäre es mein Sohn gewesen, ich hätte ihn ebenfalls an der Autobahnraststätte abgesetzt.
   Ich legte eine Cassette mit Weihnachtsmusik in den Recorder und schenkte mir ein weiteres Glas ein. Ich ging nicht mehr davon aus, daß der Junge dazu zu bewegen gewesen wäre, selbst ein Liedchen anzustimmen. "Was habt ihr überhaupt für Weihnachtslieder in Afrika?" Es war mir längst egal.

Es war dem Wein zu verdanken, daß trotzdem ein wenig sentimentale Weihnachtsstimmung aufkommen konnte. Als mir das süße Weihnachtsgebäck überdrüssig geworden war, nahm ich den Teller und legte ihn vor den Jungen unter den Tannenbaum. Es war ein so armselig dünnes Bimbo-Kind. Sollte auch er sich einmal richtig sattessen.
   Er aß nicht. Schüchtern blieb er unter dem Tannenbaum liegen.
   Da wurde es mir warm ums Herz. Ich brach einen Keks in kleine Teile, tunkte ihn in den Wein und fütterte den armen Wurm. Er konnte sein Glück kaum fassen, nagte und saugte ein bißchen an dem Gebäck und schob es mit der Zunge wieder aus dem Mund, so daß es langsam an seinem Kinn hinunterschleimte und dann zu Boden fiel. Das konnte meine Weihnachtsstimmung nicht mehr trüben. Mir wurde klar, was die selbstlose Liebe eines Erwachsenen für ein Kind bedeuten konnte. Wäre er kein schwarzes Kind gewesen, ich hätte ihn drücken können.

"Und, hat Ihnen der Junge Freude bereitet?"
   "Das kann man wohl sagen. So ein Bimbo-Kind unter dem Tannenbaum macht wirklich sehr viel Weihnachtsstimmung."
   "Na, sehen Sie", der Wärter lächelte. "Was habe ich Ihnen gesagt."
   "Ich glaube, man muß es einfach selbst erlebt haben, was Kinder einem für eine Freude bereiten können."
   "Mit Sicherheit, so wird es sein."
   Voller Vorfreude dachte ich bereits an das nächste Jahr. "Kann ich ihn für das kommende Weihnachtsfest schon einmal reservieren lassen?"
Der Wärter blickte ein wenig verstohlen zur Seite. "Ich fürchte, das wird kaum möglich sein." Er faltete seine Hände. "Aber mit Sicherheit läßt sich ein anderes Negerkind für Sie finden."
   "Wissen Sie, ich habe ihn aber schon so richtig ins Herz geschlossen.", entgegnete ich.
   "Sie werden den Unterschied kaum merken. Bei den Negern ist ein Kind wie das andere."
   Ich rieb mir die Hände. "Nun gut", sagte ich. "Abgemacht!"

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Titelbild: selbst gemalt

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Trudl am 05.01.2014:

Lieber Andreas, ich bin erst seit heute hier und habe - nachdem ich meine drei Kurzgeschichten eingegeben hatte - Deine Geschichte gelesen. Also auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Toll geschrieben. Liebe Grüße Gertraud alias Trudl




geschrieben von Metti am 06.01.2014:

Die Geschichte ist von 1998 und ich war jüngst selbst verwundert, wie kompromisslos ich sie damals formuliert hatte.

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