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geschrieben von Myrtelbaum.
Veröffentlicht: 20.10.2017. Rubrik: Persönliches


Ohrfeigen und Ziegenmilch.

Ohrfeigen und Ziegenmilch.
Diese Geschichte ist eine Begebenheit aus der Zeit, als uns etwa zehnjährigen Schülern im Religionsunterricht der Katechismus und die kirchlichen Lehren nähergebracht wurden. Für diesen Unterricht mussten wir das Schulgebäude verlassen, um in einen nahe gelegenen Raum zu gelangen, der eigens zu Unterrichtszwecken von der Kirche unterhalten wurde. Dieser Unterricht schloss sich unmittelbar an die letzte Schulstunde an. Die Religionslehrerin wartete bereits vor dem Schulgebäude, um uns Schüler in den kirchlichen Versammlungsraum zu geleiten. Hierbei kam es schon mal vor, dass der eine oder andere Mitschüler das Schulgebäude durch einen zweiten Ausgang
verlassen hat, um sich so dieser Religionsstunde zu entziehen.
Frau H., eine resolute Dame im fortgeschrittenen Alter war sehr darauf bedacht, die Meute von 30 Schülern in Reih und Glied zu formieren. Ihre Erscheinung war mit einprägsamen Eigenheiten ausgestattet. Das Einprägsamste war ihre Frisur, welcher sie mit recht vielen Utensilien einen dauerhaften Halt geben wollte. So war das Gesamtbild durch einige Spangen und kleine Kämme zu einem eigenartigen Gebilde geformt, wobei hier und da doch einige Haarsträhnen der Zwangsformierung nicht standhielten. Sie trug immer ein streng wirkendes Kostüm in stets dunklem Farbton. So ging sie der Gruppe zielstrebig voran, mit ihren Pumps, deren Absätze hier und da mal am holprigen Pflaster des Weges einen ungeschickt wirkenden Eindruck hinterliessen. Unter dem Arm trug sie eine etwas gross wirkende Aktentasche, die wegen des reichhaltigen Inhaltes nicht verschlossen war und somit etwas unordentlich wirkte. Es war zu erkennen, dass sich ausser Büchern auch noch Strickzeug mit grossen langen Stricknadeln darin befand. Ihre immer wieder, mit einem Blick zurück ertönende Ermahnung, man möge doch anständig in Reih und Glied gehen, wurde schlichtweg überhört. Nach kurzer Zeit erreichte man das Kirchengebäude, indem sich der Unterrichtsraum befand.Hier wurde auch Unterricht für Preparanden und Konfirmanden abgehalten, sowie andere kirchliche Informationsabende. Wir standen jetzt als ungeordneter Haufen herum und schauten zu, wie Frau H. in ihrer überfüllten Aktentasche umständlich, bis auf den Grund dieser Tasche, nach einem Schlüsselbund suchte. Nach einer heillosen Kramerei kam unter befreiendem Ausruf,...ach da ist er ja schon, mit einem beseelten
Lächeln im Gesicht, der Schlüsselbund zum Vorschein. Ob sich wohl manch einer von uns dachte, dass die Suche nach dem Schlüssel ruhig noch einige Zeit in Anspruch hätte nehmen können? Nachdem dieses Utensil ans Tageslicht befördert war, wurde die grosse Eingangstür geöffnet. Im Inneren der Vorhalle empfing einen sogleich ein Flur mit Steinfussboden, dem eine dumpfe Kühle anheim war, aber auch der Geruch nach altem Kellergemäuer. Im schlicht ausgestattetem Unterrichtsraum gab es keine festgelegte Sitzordnung, sodass man
sich nach Belieben seinen Nachbarn aussuchen konnte. Es waren Sitzbänke, die sich in der Bequemlichkeit von denen in der Schule nicht unterschieden. Der anfängliche Lärmpegel im Raum verebbte, nachdem mit Nachdruck Ruhe gefordert wurde. Danach öffnete Frau H. ihr Gesangbuch an einer Stelle, welche mit einem Lesezeichen markiert war. Wir mussten wieder einmal die Strophe eines gängigen Kirchenliedes intonieren, so gut es eben möglich war. Musikalische Begleitung auf dem Harmonium war nicht möglich, da dieses Instrument offenbar nicht zur Verfügung stand und wohl unter Altersbeschwerden zu leiden hatte. Es muss sich für einen Aussenstehenden sicherlich sehr gewöhnungsbedürftig angehört haben, wenn wir nur nach den Armbewegungen des Dirigierens von Frau H. zumindest eine Strophe des Liedes zu Ende brachten. An diesem Unterrichtstag wurde uns die Begebenheit um die "Posaunen von Jericho" nähergebracht. Während man doch aufmerksam den Worten lauschte, brachte es ein Schüler fertig, um mit vor dem Mund gehaltenen Händen einen Trompetenton nachzuahmen. Wer sich dessen erdreistet hatte, das war durch das
aufkommende Gelächter nicht auszumachen. Frau H. schob entrüstet ihren Stuhl zurück, erhob sich ungestüm und lenkte ihre Schritte auf mich zu, denn in der vorderen Reihe sitzend, war ich am ehesten zu erreichen. Ich hatte offenbar grossen Gefallen an der Einlage gefunden und schüttelte mich vor lachen. Das hat mir rechts und links eine schallende Ohrfeige eingebracht, deren Schubkraft noch lange zu spüren war. Das Ergebnis war ein dauerhafter Respekt gegenüber der Religionslehrerin. Dieser Zwischenfall war freilich keineswegs dazu geeignet, um sich darüber bei den Eltern zu beklagen. Es waren nicht nur die schallenden Ohrfeigen, die ich hinnehmen musste, nein, es kam noch schlimmer. Einige Tage darauf hörte ich von meiner Mutter, dass eben die besagte Frau H. von unserer Ziege, die wir als zusätzliche Milchlieferantin hielten, jeden Tag eine kleine Menge Ziegenmilch haben wollte. Auf Grund einer Mangelerscheinung sollte sie täglich diese Milch zu sich nehmen. Es fiel jetzt selbstverständlich in meinen Aufgabenbereich, gegen Abend eines jeden Tages diese Milchmenge
dort abzugeben, wohin mich meine Füsse freiwillig nur ungerne hintragen würden. Es half nichts, ich musste mich dem Schicksal fügen. So trat ich den ersten schweren Weg an und näherte mich mit gemischten Gefühlen dem Haus, in dem Frau H. lebte. Mir schien, als würde die Schloßstrasse immer länger werden und dennoch stand ich nun vor der Tür. Ich spürte ein grosses Unbehagen, als ich die schwere Tür öffnete, wobei ein lautes Knarren zu hören war. Nachdem ich die ersten Steinstufen betreten hatte, fiel die Tür hinter mir ungestüm ins Türschloss zurück. Es war ein fast herrschaftlich wirkendes Treppenhaus, dessen Wände mit grünen Kacheln ausgestattet waren. Jede Etage des Hauses hatte ihren ganz eigenen Geruch, während es hier Bohnerwachs war, so war es anderswo undeffinierbarer Essensgeruch. Nachdem ich im obersten Stockwerk angekommen war, musste ich nun die Klingel betätigen, was jedoch so geschah, das gerade noch ein schwacher Ton im Inneren der Wohnung zu hören war.
Was passiert nur, ...wenn gleich die Person vor mir steht, die mir ein paar Tage zuvor schallende Ohrfeigen verabreicht hat? Ich lauschte mit Bangen auf die Geräusche, die vom Flur der Wohnung zu vernehmen waren. Was ich hören konnte, das waren jedoch nicht die Trittgeräusche, die von forsch auftretenden Pumps verursacht werden, wie sie Frau H. gewöhnlich trug. Es öffnete der Ehemann von Frau H., der sofort einen freundlichen Eindruck vermittelte, ein hochgewachsener hagerer Mann, der mir etwas versonnen zu sein schien. Aha, da kommt ja die Ziegenmilch, sagte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht und nahm mir die kleine Milchkanne ab. Er verschwand mit meinem Milchbehältnis, indem er wie beiläufig seine Hosenträger in die richtige Form brachte. Währenddessen verschwand Herr H. in der kleinen Küche, um ein passendes Gefäss zu finden, was mit vielen Geräuschen verbunden war. Es machte den Anschein, als würde der gesamte Geschirrberg auf der Spüle in der Küche umgestapelt. Ich lauschte an der Tür stehend, angespannt in den schmalen Korridor hinein, ob ich wohl eine weitere Person ausmachen konnte. Frau H. schien offenbar nicht anwesend zu sein, sodass sich der Ehegatte umständlich um die Aufbewahrung der Milch kümmern musste. Unterdessen wünschte ich insgeheim, dass nicht doch noch Frau H. erscheinen würde, was sich dann auch so ergab. Zu meiner grössten Zufriedenheit war es an allen folgenden Tagen der Milchlieferung so, dass ich mit der Gegenwart
der Ehefrau, die mir schallende Ohrfeigen verabreicht hatte, nie konfrontiert wurde. Ich hatte Ohrfeigen für einen Lacher bekommen und Frau H. bekam nun täglich ihre Ziegenmilch gegen Blutarmut.
In allen weiteren Religionstunden liess ich mich nie wieder zu einer Ungehörigkeit hinreissen.
Ende

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