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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2020 von Josef Blind (Josef Blind).
Veröffentlicht: 16.07.2020. Rubrik: Lustiges


Der Baukranfahrer

Früher war der Job eines Baukranfahrers einer der coolsten überhaupt: der jeweilige Mensch saß an der höchsten Stelle der Baustelle, thronte quasi über dem ganzen wuseligen Geschehen am, im und um das Bauwerk. Unerreichbar für käsige Ansprachen wie „Mach doch mal...“, oder „Schneller, Mann!“. Fein abgeschottet von erdgebundenen Kalamitäten zog er an seinen Hebeln, drückte seine Schalter, bohrte bisweilen ungeniert in der Nase oder vertilgte die mitgebrachten Salamistullen, manchmal von der fürsorglichen Baukranfahrergattin aufgepeppt mit Resten des Kartoffelsalats vom Vorabend, oder einem feinen würzigen Gürkchen.

SatirepatzerSatirepatzerGesättigt und zufrieden saß er in seiner winters gut geheizten Baukrankabine und selbst ein
verdauungsbedingtes Flatülenzchen konnte er wohlfeil in die laue Morgenluft entlassen, ohne sich um naserümpfende sinnlos umherstehende Baurüpel Gedanken machen zu müssen.
Freilich: eine gewisse Zäsur stellte die Einführung des Sprechfunkverkehrs dar. Die physische Unerreichbarkeit verzeichnete eine erste Technikdelle, aber in keinster Weise vergleichbar dem, was noch folgen sollte.
Sprechfunk ließ sich problemlos durch ständig umhervagabundierende Funklöcher einschränken. Urplötzlich auftretende unergründliche Verständigungsschwierigkeiten unterbrachen den Redeschwall des Kapos. Es war fast wie zuhause, wenn die emsige Gattin mit dem Aufgabenverteilen fürs Wochenende begann.


Doch dann, eines unseligen Tages, brach mit aller Macht des Faktischen das denkbar Undenkbarste über den Berufsstand des Baukranfahrers herein. Mit der Gewalt eines allumtosenden Gewittersturmes zerstörte es die kleine aber heile Welt einer ganzen Berufsgruppe:
die Einführung der kabellosen Funkfernbedienung für Kräne aller Art.
Was in den heimischen, sorgsam durch die Hände der Baukranfahrergattin dekorierten vier Wänden, noch als Wohltat galt, das gewölbte Bäuchlein vor unnützer Bewegung schützte, nämlich das allabendliche Fernsehprogramm bequem und vom Sofa aus mittels Fernbedienung umzuschalten, entpuppte sich in der Berufswelt als tödlicher Schlangenbiss jeglicher Arbeitsplatzkultur.


Mochten Gewerkschaftsfunktionäre und Standesvertreter noch so jammern und schreien, täglich, gar stündlich den Untergang der westlichen Demokratien prophezeien, nichts half: der Baukranfahrer musste seine geliebte Kabine verlassen und stand nun, allen Unbilden der Witterung schutzlos ausgeliefert neben seinem Kran. Vor seinem Bauch ein grober Kunststoffkasten, der allerlei Hebel und Schalter barg, mittels eines ebenso groben Textilfasergurtes um den Hals des Baukranfahrers geschlungen und dadurch vor dem Niederfallen geschützt.


Als ob alleine diese Unbilden nicht genügten, zwang ihn die unselige Technik zur persönlichen Verfolgung seines angehobenen Frachtguts. Waren in den guten alten Zeiten mehrere Bauhilfsarbeiter alleine dafür abgestellt, ihm mittels wochenlang eingeübter Hand- und Winkzeichen zu signalisieren, in welche Vertikale oder Horizontale er das Frachtgut zu verbringen hatte, hechelte heute nur noch er selbst seiner Fracht hinterher, musste dabei Hindernisse und Höhenunterschiede überwinden.
Glich in der Vorfernbedienungs-Ära, im alten Proservidistantium, das Absetzen der Bauteile, Rüstzeuge, Werkzeuge und Baumaschinen noch einem ausgeklügelt inszenierten Ballett, sah es heute aus , als übe ein grenzdebiler Hindernisläufer für die nächste Altenheimmeisterschaft im Sackhüpfen. Bei Regenwetter sah er zum Feierabend aus, als habe er die Matschvariante des Sackhüpfens gewählt.


Hier wäre die Menschenrechtskommission der Bundesregierung gefordert aufs Energischste einzuschreiten und mit einem unüberhörbar donnernden Bariton ein „Stop doing silly things!“ übers Land zu rufen.
Aber nichts dergleichen geschah! Das Land hatte seine Baukranfahrer, die dieses Land schließlich und endlich groß gebaut hatten, schlichtweg vergessen.


Ein kleiner Trost blieb ihm jedoch: ein im Vergleich zu einem Baukran winziges Virus, zwang die Menschen in den letzten Monaten im eigenen Heim zu bleiben. Ein erklecklich Teil davon arbeitete gar von zuhause aus im „Home-Office“.
So labte sich unser guter Baukranfahrer an der Vorstellung, wie er demnächst in seinem multigemütlichen Ohrensessel in seinem Wohnzimmer säße, um Punkt 8 Uhr in der Früh seinen Fernseher einschülte, Kaffee und Kekse in greifbarer Nähe deponieren würde, die Baukran@home-App starten und seinen Baukran mit der Kennung 1234 anwählte.
Auf die Rufe seiner Baukranfahrergattin aus der Küche, er möge doch den Rasen mähen, bevor er wieder nur den ganzen Tag vor dem Fernseher rumsäße, würde er nur cool bis ins Mark antworten:
„Oh nein Schatz! Ich kann jetzt nicht Rasenmähen, ich muss eben den Berliner Flughafen fertig bauen!“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Susi56 am 15.03.2021:

Hübsch! 👍🏻😀

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