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geschrieben 2021 von Bettina Santer (Bettina Santer).
Veröffentlicht: 11.04.2021. Rubrik: Lustiges


Superhelden

In der feuchten Nachtluft trottete Herlinde über den Gehsteig, dessen Klinkersteine im Licht der Laterne glänzten. Sie fühlte sich beobachtet. Ständig glaubte die Kakerlake, irgendein Schatten würde hinter ihr her jagen. Doch drehte sich Herlinde um, so war nichts und niemand zu sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Straßenlaternen erloschen.
Sie blieb stehen und verschnaufte kurz. Der Nebel zog den Hauswänden entlang immer tiefer in die Gasse. Herlinde hatte noch einige Meter vor sich, bis sie ihr Schlupfloch erreichen würde. Dort erwarteten sie wieder die ganze Sippschaft von Brüdern, Tanten, Nichten und Neffen. Eine gefräßige Bagage, deren einziger Lebensinhalt das Erbeuten von Essensresten war. Sie dagegen war wählerisch was die Nahrung betraf. Sie fraß ausschließlich Low Carb Abfälle, wollte sie doch nicht so fett und scheußlich wie ihre Tante Mina werden. Nein, sie wollte eine hübsche und schlanke Kakerlake sein.
Doch heute fiel ihr irgendwie das Gehen schwer, vermutlich hatte sie etwas Falsches gefressen. Sie trottete weiter und da war wieder dieses Geräusch hinter ihr. Inständig hofft sie, dass es nicht Alfred war. Dieser lästige Typ aus ihrer Nachbarschaft stellte ihr schon länger nach. Sie mochte ihn nicht, da er ständig nach Abfall und nach unverdauten Essensresten roch. An seine schmutzigen Beine wollte sie gar nicht erst denken. Während sie weiter trippelte, wurde der fremde Schatten über ihrem eigenen zunehmend größer. Herlinde begann zu laufen, versuchte der Bedrohung zu entkommen. Sie blickte gehetzt nach links und rechts in der Hoffnung, ein Schlupfloch zu finden. Angsterfüllt wagte sie einen Blick über die Schulter. Doch im selben Moment war es schon zu spät. Der faule Atem der Ratte strömte über Herlinde, ihre Zähne kratzten mehrmals an ihrem Panzer. Die Kakerlake flog in die Luft und landete mit einem Aufprall rücklings am Boden. Die Ratte hielt sie mit ihrem Fuß fest während sie mit ihrer Nase die Beute beschnupperte. Die borstigen Schnurrhaare kratzen an Herlindes feingliedrigen Beinen. Wie konnte sie sich nur aus dieser misslichen Lage befreien?
„Hey du stinkendes Ungeheuer. Hast du heute wirklich nichts Besseres auf deinem Speiseplan, als mich? Ich fresse schon seit einem Jahr nur Low Carb Produkte und 0%-Fett-Abfall. Was denkst du wohl wie ich schmecke? Ich habe seit Ewigkeiten kein Fleisch mehr gefressen. Das heißt, ich bin hundert Prozent Veggie. Willst du dir das heute wirklich einverleiben?"
Die Ratte hob nachdenklich eine Augenbraue und tippte mit dem Zeh vorsichtig auf den Bauch der Kakerlake welcher etwas hohl klang. Erneut schnupperte sie an ihr. Nach einer abermaligen Überlegung schnippte sie das Ungeziefer von sich und machte kehrt. Herlinde überschlug es einige Male bis sie schwindlig und orientierungslos auf dem Kopfsteinpflaster liegen blieb. Noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, rissen sie zwei kräftige Gliedmaßen hoch. Ein starker Abfallduft schlug ihr ins Gesicht.
„Oh Herlinde, oh liebste Herlinde, wie froh bin ich doch, dich gerettet zu haben. Diese Ratte hätte dich doch wirklich verspeist, wäre ich nicht dein rettender Held gewesen." Alfred drückte sie mit aller Kraft an seinen fetten, übelriechenden Körper, dass ihr die Luft weg blieb. Was hatte der Typ doch für einen Knall, dachte sie. War er hier, als die Ratte auf ihr kniete? Immer noch hielt er sie fest umschlungen und knutschte ihren eingedellten und zerkratzten Panzer ab. Die Aussicht auf weitere Zärtlichkeiten mit Alfred bekam ihr gar nicht. In ihrem Augenwinkel bemerkte Herlinde, dass die Ratte immer noch in der Nähe lauerte.
„Liebster Alfred, da fällt mir ein, dass ich am Ende der Gasse noch ein Stück Sahnetorte liegen gelassen habe. Würdest du noch einmal mein Held sein, und dieses Stück für uns holen?" zirpte sie betörend an seiner Brust. Alfred gab sie nur ungern frei, doch er war ein Held, er war eine Superkakerlake und er würde das Sahnestück für sie holen.
„Hey Baby, ich bin doch dein Superheld!" Er drehte sich um und spähte in die neblige Gasse, versuchte mit zusammengekniffenen Augen eine mögliche Gefahr zu erspähen. Da er jedoch etwas kurzsichtig war, entdeckte er die Ratte, welche am Hauseingang lauerte, nicht. Auf Zehenspitzen trippelte er ängstlich über das Pflaster. An der Hausmauer angekommen stellte er sich auf die Hinterbeine, drückte seinen Rücken an die Hausmauer und schlich in James Bond Manier die Wand entlang. Nach wenigen Metern, kurz vor dem Hauseingang, wagte er nochmals einen Schritt auf den Gehsteig und dreht sich zu Herlinde um. Siegessicher streckte er eine Faust in die Nacht während die andere auf seinen Panzer trommelte. „Vergiss nicht, ich bin dein Superman" brüllte er in die Gasse. Die Ratte nutzte die Gelegenheit und sprang aus ihrem Versteck. Mit einem weiteren Satz landete sie auf der Kakerlake. Sie drückte Alfred zu Boden und spürte, dass sein kraftvoller Panzer nahrhaft sein würde. Aber jetzt schnell fressen, dachte die Ratte, bevor mir wieder ein Ernährungsvortrag gehalten wird.
Herlinde seufzte, setzte jedoch ihren Weg nach Hause fort. Kurz vor ihrem Schlupfloch lag ein fettes Stück duftender Speck neben dem Gehsteig. Superhelden, dachte sie und schob sich das Stück in den Mund.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Susi56 am 12.04.2021:

Niedliche Idee und schön umgesetzt. 👍🏻

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