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geschrieben von Sonja Dowrzak.
Veröffentlicht: 01.12.2021. Rubrik: Kinder und Jugend


Nussknacker in Not

Endlich war es wieder so weit. Aus den Schränken im Keller wurden schwere Kisten hervorgeholt. Vorsichtig hob die sechsjährige Luise den Deckel an. Sie konnte nichts sehen, denn, was in den Kisten versteckt war, lag in Zeitungspapier eingewickelt und mit Luftpolster Folien umgeben im Inneren. Luise´s Vater trug zwei dieser Kisten nach oben ins Wohnzimmer. Luise war gerade in die Schule gekommen, konnte aber vorher schon lesen, weil sie einen Freund hatte, der nebenan in der kleinen Wohnung wohnte. Es war Basti, der schon in die dritte Klasse ging und für sie wie ein Bruder war. Basti hatte ihr die Buchstaben beigebracht. Luise las laut:"Adventschmuck". Erstaunt blickte ihr Vater sie an, sagte aber nichts. Mit großen Augen sah Luise, wie ihr Vater die Schutzhüllen abnahm und Stück für Stück zum Vorschein kam. Behutsam wickelte er alles aus und stellte die Schätze auf den Tisch. Es waren bemalte Figuren aus Holz, daneben Engelsfiguren aus Porzellan und Spieluhren. Ganz zum Schluss stellte ihr Vater grimmige Gestalten in roten, blauen und grünen Röcken auf den Tisch, die einen Säbel in der Hand hielten und einen riesigen Mund hatten. “Was sind das?”, fragte Luise ihn. “Nussknacker”, erwiderte er. “Schau, hier hinten ist ein Hebel, der öffnet den Mund. Dahin legt man eine Walnuss, drückt hinten an den Hebel und ”Knacks", die Nuss ist geknackt! Unbemerkt war Tommy unter den Tisch geschlichen. Ihm hingen beim Gehen die Schlappohren fast bis zum Boden und mit einem Satz stellte er die Vorderpfoten auf die Tischplatte, er wollte schließlich sehen, was da vor sich ging, weil niemand sich um ihn kümmerte. Luise hatte momentan nur Augen für die lustigen Gestalten. Unterdessen vergrößerte sich das Heer der Nussknacker. Luises Vater baute eine Schlachtreihe auf, vorne die kleineren, dahinter anwachsend die großen Nussknacker Offiziere. “Wo kommen die alle hin?” Luise blickte fragend ihren Vater an. “Überall dort, wo jetzt Mama keine Blumentöpfe stehen hat, auf alle Fensterbänke und hier am Tisch rund um den Adventkranz.” Und so geschah es. Liebevoll stellte er die lackierten Gesellen an verschiedenen Plätzen auf, es waren so viele, dass manche eng aneinander gereiht standen. Tommy verfolgte die Aktion, lief einmal hinter Luise her, dann hinter ihrem Vater, bis er ein raschelndes Geräusch aus der Küche hörte und davontrabte. Vorsichtshalber drehte er sich noch einmal, man konnte ja nicht wissen, wer noch hier einzog. Frauchen, Luises Mama, hatte seinen Fressnapf gefüllt, was zu diesem Zeitpunkt ihm wesentlich wichtiger erschien als dieses seltsame Getue um die Holzmänner. Nachdem die Weihnachtsdekorationen auf alle leeren Stellen am Bücherregal, auf Beistelltischen und Ablagen verteilt waren, trug Luises Vater die Kisten zurück in den Keller, während sie mit ihren kleinen Fingern über die Münder der Nussknacker strich.
An vielen Stellen in der Wohnung begann es zu blinken. Lichterketten, wohin man schaute. “Luise”, komm, ich zeige dir etwas!", rief Margarethe, Luises Mutter. Luise lief zu ihr, ihre Mutter hielt in der geöffneten Hand eine Spieldose. Sie zog sie auf und eine kleine Eisprinzessin drehte sich tanzend im Kreis. “Wie schön, darf ich sie aufziehen, fragte Luise. Ihre Mama nickte und reichte ihr die Spieluhr. “Ganz langsam und vorsichtig, damit du sie nicht überziehst, nur bis zum Anschlag.” Luise fasste mit Daumen und Zeigefinger den Drehknopf. Es machte ein schnarrendes Geräusch, das nach vier Umdrehungen aufhörte. “Genug”, sagte die Mutter. Da ließ Luise den Knopf los und die Eisprinzessin zog zum Klang von “Kling, Glöckchen, klingelingeling” ihre Kreise. Tommy stupst mit der Schnauze das tanzende Püppchen und bellte unterdrückt. “Lass das”, fuhr Luise ärgerlich Tommy an. Er winselte kurz, wedelte ein, zweimal unglücklich mit dem Schwanz und zog ab. "Tommy weiß nicht, warum du jetzt lieber mit den Nussknackern und Weihnachtsspielsachen spielst", erklärte Margarethe ihrer Tochter. “Nimm dir auch Zeit für ihn, er ist dein Hund. Wenn Weihnachten vorbei ist und wir alles wieder verräumt haben werden, dann willst ihn ja auch wieder bei dir haben. Also verstoß ihn jetzt nicht! "Damit lächelte sie Luise an und ging in die Küche.
Wie jedes Weihnachten überlegte sich Margarethe, welche neuen Kekskreationen sie diesmal backen werde. In einer Zeitschrift fand sie eine Schablone von Nussknackern, die sie ausschnitt und als Vorlage verwendete. “Willst du mir helfen?” Luise war gerade hereingekommen mit Tommy im Schlepptau, den sie am Kopf kraulte. Luise nickte, zog sich einen Stuhl an die Arbeitsfläche und stieg hinauf. Tommy folgte ihr neugierig mit den Augen. Der angerührte Teig stand in einer breiten Rührschüssel vor ihr. Sie beobachtete, wie ihre Mutter den Teig auf das Kuchenblech verteilte und mit der Schablone die Umrisse der Nussknacker mit der Messerspitze formte. Den restlichen Teig gab sie in die Rührschüssel zurück und knetete ihn nochmals durch. So belegte sie Blech für Blech mit den Figuren und schob sie in den Ofen. Nach kurzer Backzeit nahm sie sie heraus. Und jetzt war Luise an der Reihe. Mit Zuckerglasur und den Streuseln bemalte und verzierte sie die Nussknacker. Tommy hielt die Schnauze in die Luft und schnupperte. Es roch köstlich nach den Keksen. Die Nussknacker, die bei der Verschönerung zerbrachen, landeten in Tommys Maul. Er konnte gar nicht genug bekommen von den Leckerlis. Endlich, nach drei Stunden war die Arbeit getan. Voller Stolz betrachtete Luise ihr Werk. “Wir stellen die gebackenen Kollegen zu Papas Nussknacker auf Teller", forderte Margarethe Luise auf. "Oh ja, Papa schau!" Luise war begeistert. Sie hüpfte vom Stuhl, schnappte die noch lauwarmen Keks-Nussknacker und lief zu den anderen hin. Unauffällig folgte ihr Tommy.
Mittlerweile war es stockdunkel geworden. Luise gähnte, sie war nach dem aufregenden Tag früher als sonst zu Bett gegangen. An ihren Haaren hing der Duft der gebackenen Kekse. Tommy trollte hinter ihr her und legte sich zu ihr am Bettrand. Vor Müdigkeit fielen ihr schnell die Augen zu, während ihr Kinder CD- Player leise Weihnachtslieder spielte. Sie träumte von kleinen Engeln, die Lichterketten in der Hand hielten, von Hunden, die auf ihrem Kopf Mützen von Weihnachtsmännern trugen und von Nussknackern, die wild mit ihren Säbeln kämpften. Sie klappten zähnefletschend ihre großen Münder auf und zu, warfen mit Walnüssen um sich und rauften sich um eine Eisprinzessin, die auf einem Bein tanzend in Kreisen den Nussknackern auswich. Im Schlaf drehte sich Luise aufgeregt einmal nach links, dann wieder nach rechts, schleuderte die Decke von sich und brabbelte vor sich hin. Tommy wiederum zuckte mit allen vier Pfoten und bellte in hohen Tönen vor sich in. Luises Mutter bemerkte die Unruhe im Zimmer ihrer Tochter und sah nach. Sie lächelte, als sie beide traumerlebt sah. Sie ließ die Türe einen Spalt offen, als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte. Kurz danach schlief sie wieder ein.
Auf einmal waren seltsame Geräusche in der Wohnung zu vernehmen. Tommy spitzte die Ohren, erhob sich langsam und machte ein paar Schritte zur Tür. Dann schob der die Schnauze durch den Türspalt und schlich hinaus. Rums, dann ein Knarren, flackerndes Licht, dann wieder Stille, als ob jemand den Atem anhielt. Plötzlich “Sch….”, ein schiebendes Geraschel, schließlich auffällige Ruhe. Luise und ihre Mutter trafen sich unter der Zimmertüre. Margarethe deutete Luise an, nichts zu sagen. Auf Zehenspitzen tasteten sich beide in die Richtung, aus der der Krach kam. Mit lautem Knall fiel etwas auf den Boden. Luise zuckte zusammen und griff nach der Hand ihrer Mutter. Knurren und kehliges Grollen war hinter der Wohnzimmertüre zu hören. Margarethe riss mit einem Ruck die Türe auf, machte Licht und sah die Bescherung. Mann und Hund waren über die gebackenen Nussknacker hergefallen, Tommy biss in die Köpfe der hölzernen Figuren und warf sie mit schüttelnden Bewegungen hin und her. Luises Vater aß mit Genuss die frisch gebackene Nussknackergarde, wobei er Tommy Bruchstück hinwarf. Zuerst war Luise wie gelähmt, dann warf sie sich tobend auf ihren Vater, trommelte auf seine Schultern und schlug mit den Beinen nach Tommy. Nur mit Mühe konnte Margarethe ihr Kind beruhigen, nahm sie auf den Arm und trug sie in die Küche. "Schau, Liebes", dabei streichelte sie ihr das Haar, “ich kenne doch Papa und Tommy zu gut, um nicht zu wissen, dass in der ersten Nacht die Kekse keine Chance zu überleben haben. Aber -sie machte eine Pause- ich habe ein Versteck!” Luise sah sie groß an. Margarethe holte einen Schlüssel aus der Zuckerdose, mit dem sie eine Schranktüre aufsperrte. Vor Luise lagen ihre köstlichen Nussknacker. Sie griff danach und steckte sich freudig grinsend einen in den Mund. Keine Tränen mehr, dann schlief sie selig auf Mamas Schulter ein.

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