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geschrieben von As'a hel.
Veröffentlicht: 28.03.2022. Rubrik: Unsortiert


Der Reiter

Ich reite und kämpfe, ich streite und siege, ich trete und stampfe. Mein Ross und ich sind ein Geist, ein Wille, eine Kraft. Kein Hindernis ist mir zu hoch, kein Feind ist mir zu mächtig und keine Beute ist mir zu schwierig. Mein Ross ist stark und sein Name ist Selbstherrlichkeit.

Ich führe ein spitzes Schwert und ich trage eine prächtige Rüstung. Ich bin ein Held und ich erlege kostbare Tiere, und die Tiere heißen Reichtum, Vergnügen, Ruhm. Ich reite und jage auf einem breiten Weg und der Name des Weges ist Hochmut. Auf diesem Weg sind viele Reiter, doch keiner ist so glanzvoll wie ich.

Da sehe ich ein kostbares Tier mit dem Namen Wahrheit. Ich wittere große Beute und verfolge das Tier bis zu einer Weggabelung, die heißt Entscheidung. Ich sehe die Gestalt des Tieres in der Ferne, aber es ist gar kein Tier, sondern die Gestalt ist wie von einem Mann. Er strahlt heller als die Sonne, seine Augen sind wie Feuerflammen und seine Beine sind wie die Säulen der Erde. An seiner Hüfte trägt er ein scharfes zweischneidiges Schwert mit dem Namen: das Wort. In seinen Händen hält er einen Bogen, mit dem er auf mich zielt, und der Name des Bogens ist: der Bund.

Er schießt auf mich mit einem Pfeil, dessen Name ist Leid. Wie der Blitz durchschlägt der Pfeil meine prächtige Rüstung, die da heißt Selbstgerechtigkeit. Der Pfeil geht mitten in mein Herz, meine Kraft verlässt mich und wird ersetzt durch Verwirrung, Ohnmacht, Furcht und Pein. Ich falle von meinem hohen Ross in den Staub der Erde; mein spitzes Schwert, mit dem Namen Irrtum, zerbricht und mein starkes Ross verrät mich und flieht. Mein heldenhaftes Blut ergießt sich in den Staub, die Finsternis verschlingt mich und ich sterbe.

Es beginnt zu regnen und die Regentropfen reinigen meinen Leichnam. Blut, Schweiß, Schmutz werden langsam weggewaschen und der Regen heißt Hoffnung. Obwohl ich tot bin, kann ich fühlen; ich spüre in meiner rechten Hand ein Stück Holz, das zu einem Stab wird und der Name des Stabes ist Glaube. Durch den Regen kann ich wieder sehen, aber anders als zuvor. Und gestützt auf meinen Stab, kann ich aufstehen und gehen, aber anders als zuvor.

Ich stehe an der Weggabelung der Entscheidung und links ist der breite Weg mit den vielen Reitern. Ich möchte wieder diesen Weg gehen, doch ich kann es nicht, denn dort ist das Streiten, Treten und Stampfen groß und ich habe kein Ross. Da erkenne ich zum ersten Mal einen anderen Weg, rechts von der Weggabelung. Dieser Weg ist schmal und steinig und er heißt Demut. Viele Hindernisse sind dort: finstere Wälder, stürmische Klippen, rutschige Grate, tückische Sümpfe. Der schmale Weg ist ganz anders als der breite.

Da sehe ich ein vertrauensvolles Tier, es ist ein Esel mit dem Namen Gewissen. Gereinigt durch den Regen, gestärkt durch meinen Stab und getragen von meinem treuen Begleiter, folge ich dem schmalen Weg. Viele gefährliche Tiere muss ich überwinden, die da heißen Weltklugheit, böse Lust, ungerechtes Richten, Ehrsucht. Doch schließlich sehe ich in der Ferne das Ende des schmalen Weges.

Dort ist ein Tal, aus dem ein sanftes, wohliges Licht strömt und es dringen zu mir herrliche Düfte von allerlei Bäumen und Gräsern, und der Name des Tales ist Leben. Am Eingang des Tales sehe ich den Bogenschützen, er hebt den rechten Arm zum Gruß und er ruft meinen Namen und er winkt mich zu sich. Ich halte meinen Stab fest in der rechten Hand und ich klammere mich eng an meinen Esel und ich reite ins Leben.

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