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8xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 22.06.2022. Rubrik: Unsortiert


Die Göttliche

Der Name Greta passt zu ihr, dachte er. Nicht wegen Greta Thunberg. Sondern wegen Greta Garbo.

So schön und so unnahbar wie die berühmte „Göttliche“ erschien sie ihm, die Frau, die er auf einer Veranstaltung kennengelernt hatte. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, Greta zu erobern, aber das war überhaupt nicht einfach gewesen.

Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen, dass sie nun mit ihm in eine gemeinsame Wohnung ziehen wollte. Vorher musste er ihr jedoch noch etwas sagen. Als sie mit ihm in seiner Küche saß, begann er:

„Greta, ich habe ein Geheimnis. Erst dir kann ich es verraten, denn inzwischen ist die Sache verjährt –“

„Welche Sache?“, unterbrach Greta ihn angstvoll.

„Mir ist nachts auf einer einsamen Straße jemand vors Auto gelaufen. Ein junger Mann. Er war sofort tot, ich hätte ihm nicht mehr helfen können. Da bin ich weitergefahren, ohne die Polizei zu benachrichtigen. Es ist auch nie jemand dahintergekommen.“

„Du hast also einen jungen Mann totgefahren und danach Fahrerflucht begangen“, sagte Greta tonlos. „Wann war das?“

Er nannte ihr das Datum und fügte hinzu: „Seit vierzehn Tagen verjährt.“

„Nein!“, schrie sie. „Du irrst dich! Zufällig kenne ich mich mit Verjährungsfristen aus! Erst in zwei Jahren ist es verjährt!“

Sein Gesicht wurde weiß. „Greta! Wenn das tatsächlich stimmt… sag es bitte niemandem! Dadurch würde der Mann nicht wieder lebendig! Und ich käme in den Knast! Ich will doch mit dir glücklich sein!“

Greta schwieg. Dann erhob sie sich. „Ich sage es keinem. Aber ich kann auch nicht mit dir zusammenbleiben. Leb wohl!“

Als er hörte, wie sie die Tür seiner Wohnung hinter sich ins Schloss fallen ließ, brach er in Tränen aus.

*

Zwei Jahre waren seitdem vergangen. Greta hatte offenbar geschwiegen. Doch sie hatte sich auch nie wieder bei ihm gemeldet.

Jetzt war die Verjährungsfrist tatsächlich vorbei. Er schrieb Greta einen Brief, in dem er ihr für ihr Stillschweigen innig dankte und sie anflehte, es noch einmal mit ihm zu versuchen. Der Brief kam ungeöffnet zurück mit Gretas handschriftlichem Vermerk Annahme verweigert.

Ein Jahr später erfuhr er aus den Medien, dass Greta die Autorenlaufbahn eingeschlagen und ihren ersten Roman veröffentlicht hatte. Er kaufte sich das Buch. Auf der hinteren Klappe des Umschlags erblickte er Gretas Foto. Sie erschien ihm noch immer so schön wie ihre Namensvetterin Garbo. Unterhalb des Bildes stand eine Kurzbiografie der Schriftstellerin. Ihre Erfolge wurden genannt, aber auch der Schock, den sie erlitten hatte, als ein Autofahrer ihren Bruder totgerast hatte und danach Fahrerflucht beging.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Christelle am 22.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Ich kann Gretas Reaktion so gut verstehen!




geschrieben von Stephan Heider am 23.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Feinsinnige und geschliffen elegante Geschichten, die uns absolut fehlerfrei zum Genuss serviert werden, dafür schätzen und mögen wir Dich sowieso sehr, Christine. Bei dieser Story gefällt mir persönlich aber die Portion emotionaler Wucht nochmal besonders. Mag ich sehr! LG Stephan




geschrieben von Novelle am 23.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Auch mir gefällt die Geschichte. Nachdem der Mann mit seinem Geheimnis herausgerückt, schien mir der dramatische Ausgang der Story vorgegeben. Gut finde ich den Schluss, wie der Leser bestätigt bekommt, was er sich dachte. Nebenbei: Ich machte mir Gedanken über die Verjährungsfristen im juristischen Sinne.




geschrieben von Gari Helwer am 23.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Wie immer, prima zu lesen, Christine! Bestimmt konnte sich Greta auch denken, dass ER ihr Buch kaufen wird und damit erfährt, dass ihr Bruder von IHM getötet wurde. Verjährungsfrist hin und her, was ER gemacht hat, ist eh unverzeihlich! LG

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