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7xhab ich gern gelesen
geschrieben von Ernst Paul.
Veröffentlicht: 19.09.2022. Rubrik: Unsortiert


Liebeskummer lohnt sich doch

Seit ich mir ein neues Küchenradio gekauft habe, höre ich zum Frühstück den Sender „Nostalgie“ auf DAB+. Kürzlich sang Siw Malmkvist den Song „Liebeskummer lohnt sich nicht, mein Darling“. Das stimmt nicht immer, fiel mir ein. In meinem Leben habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Liebeskummer auch lohnen kann.

Liebeskummer lohnt sich doch

Damals, als zum Jugendtanz noch eine Band aufspielte und die jungen Burschen in Hosen mit Bügelfalte und geputzten Schuhen, die jungen Damen, die frisch frisiert und manikürt, oft in aufreizenden Miniröcken und schwach durchsichtigen Blusen an ihren Tischen saßen, zum Tanz mit einem „Darf ich bitten“ aufforderten, um sie nach dem Tanz an die Bar einzuladen oder, was häufiger vorkam, an ihren Platz zu begleiten, ihr den Stuhl zurechtzurücken und sich mit einem Diener für den Tanz bedankten, genau an solch einem Tanzabend lernte ich Lucie kennen.
Sie war die Schönste an diesem Abend im Saal. Zu jedem Tanz wurde Lucie aufgefordert. Ich kam, weil ich abseits saß, immer zu spät, um sie zum Tanz aufzufordern. Der jeweils Erfolgreiche, den Lucie einen Tanz gewährte, schaute überlegen auf die Anderen und führte diese Schönheit auf die Tanzfläche. Lucie genoss es, so begehrt zu sein. Notgedrungen forderte ich andere Mädchen zum Tanz auf, tanzte mit ihnen immer in der Nähe von Lucie und suchte ihren Blickkontakt. Sie erwiderte meine Blicke immer scheu einladend. Als die Band zur Damenwahl aufrief, suchte Lucie den Blickkontakt zu mir, lächelte, zeigte mit dem Zeigefinger auf ihre Brust, und weil ich erleichtert nickte, stand sie auf, schritt elegant über den Saal zu meinem Tisch und bat mich um den Tanz. Zwei Mädchen, die sich um mich bemühten, bevor Lucie einherschritt, gab ich einen Korb. Ich wollte mit Lucie tanzen. Wir verbrachten von nun ab den Abend gemeinsam, tanzten und tranken Sekt an der Bar. Auf dem Nachhauseweg erzählte ich ihr, dass ich noch zwei Wochen Urlaub habe und dann meinen Grundwehrdienst bei der NVA antreten muss. Die kommenden 18 Monate können wir uns dann nur noch gelegentlich sehen. Wir nutzten diese wenigen Tage bis zu meiner Einberufung, um uns ganz der Liebe hinzugeben. Lucie war eine Meisterin der Liebeskunst und sie genoss meine Unerfahrenheit und meine Unersättlichkeit. Täglich übte sie mit mir und versetzte mich in einen unstillbaren Liebeshunger, in eine Liebestrance, von der ich mich nicht mehr erholen sollte. In diesem Zustand des Verliebtseins trat ich auch den Grundwehrdienst an. Der Dienst eines Soldaten hatte mich nie interessiert und jetzt in meinem Zustand hatte ich erst recht keine Lust auf dem Übungsgelände zu robben, mich in Schützengräben zu verstecken, mit den Waffen zu hantieren und das hirnlose Geblöke großkotziger Unteroffiziere zu befolgen. Ich war froh, wenn ich wieder in der Kaserne war und auf dem Zimmer Briefe schreiben durfte. Täglich schrieb ich Briefe an Lucie. Ich hatte eine krankhafte Sehnsucht nach ihr. Doch auf meine Briefe erhielt ich keine Antwort. Nach jedem Abendappell, bei dem die Post ausgeteilt wurde, ging ich missmutig auf das Zimmer. Ich machte mir Sorgen um Lucie, glaubte, dass sie erkrankt sei oder dass ihr etwas Schlimmes passiert ist. Dieser Zustand der Ungewissheit schlug sich auf meinen Magen. Mir schmeckte nichts mehr und ich verweigerte schließlich die Nahrungsaufnahme. Den Anforderungen auf dem Übungsgelände war ich nicht mehr gewachsen und so blieb ich eines Tages kraftlos in einem Schützengraben liegen. Schwarze Augenringe und ein eingefallenes Gesicht ließen die Vermutung einer schweren Erkrankung aufkommen. Die Unteroffiziere meldeten mein Kranksein dem Hauptfeldwebel. Dieser machte sich Sorge um meinen Gesundheitszustand und wies mich in das Lazarett ein. Der Feldscher, der die Aufnahmeuntersuchung durchführte, konnte keine sichere Diagnose stellen und übergab mich dem Stationsarzt. Auch er konnte, trotz gründlicher Untersuchung und Studium einschlägiger Fachliteratur, keine sichere Diagnose stellen. Die Verantwortung wollte auch er nicht übernehmen und so wurde ich dem Stabsarzt vorgestellt. Auch er konnte nach gründlicher Untersuchung keine organischen Erkrankungen feststellen. Da ich aber wahrlich abgemagert war, schwarze Augenringe hatte und den Eindruck eines Suizidgefährdeten machte, entschloss er sich mich für dienstuntauglich zu erklären. Er setzte ein Schreiben für meinen Hausarzt auf, indem er ihm seine Diagnose und seine Befürchtungen mitteilte und gab mir den Rat, nichts Unüberlegtes zu tun. „Das Leben wird dem Menschen nur einmal gegeben“, sagte er zu mir. Ich bekam die Entlassungspapiere, packte meine Sachen und fuhr nach Hause. Mein Hausarzt las den Brief sorgfältig, untersuchte mich nicht nur gründlich, sondern suchte auch das Gespräch. Er fragte mich, wie ich die Tage vor meiner Einberufung verbracht habe. Ich erzählte ihm die Geschichte von Lucie. Dabei lächelte er immer mehr. „Sei der Lucie nicht gram“, sagte er, „sei ihr dankbar und nimm diese Erfahrung als Geschenk. Geh wieder zum Tanz und verliebe Dich neu. Nutze Dein Leben jetzt, Du hast nur ein Leben“.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 19.09.2022:
Kommentar gern gelesen.
Wie immer, Ernst: reines Lesevergnügen!




geschrieben von Marlies am 25.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Herrlich, Was war das für eine schöne Zeit. So schön geschrieben , beschrieben. Viele eigene Erinnerungen werden dadurch wach. Ich sitze lächelnd in der Küche und lese statt zu kochen, s gefangen von der Erinnerung.

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