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geschrieben von Bernhard Montua.
Veröffentlicht: 11.10.2022. Rubrik: Unsortiert


Der Gast

Der Gast
von
Bernhard Montua


Es war der zweite Sommer hintereinander, der zu heiß und viel zu trocken war. Es gab Waldbrände und die Ernte verdorrte auf den Feldern. Man sah die Not und die Verzweiflung der Menschen in ihren verschwitzten Gesichtern. Es waren nur zwei Personen, denen aus den Unbilden der Natur ein Vorteil erwuchs. Da war der Geistliche, dessen Kirche an den Sonntagen wieder gut gefüllt war und Joe, der Wirt vom »Goldenen Horn«, in dem die Männer ihre Angst und ohnmächtige Wut in Alkohol zu ertränken versuchten.
Um diese Zeit war das »Goldene Horn« noch leer. Die Uhr, deren Zeiger kaum noch durch das, vom Zigarettenrauch stark gelblich verfärbte Glas, zu erkennen waren, zeigten ein Uhr am Mittag. Die Sonne stach senkrecht vom Himmel und fraß gierig den meisten Schatten von den staubigen Straßen. Die Luft fühlte sich dick an. Sie brannte in der Kehle, wenn man sie einatmete. Während Joe die Gläser polierte, schaute er auf die gleißend heiße Straße. Zuerst bemerkte er den Gast nicht und erschrak, als er eine Stimme vernahm, die fast flüsternd ein Bier bestellte.
Joe kniff die Augen zusammen und ließ seinen Blick durch den im halbdunklen liegenden Schankraum schweifen. Dann entdeckte er die dunkle Gestalt an dem kleinen runden Tisch, der hinten im Raum, nahe dem Notausgang und der Tür zu den Toiletten stand. Joe zapfte das verlangte Bier, legte das Geschirrtuch über die Schulter und schlurfte zu dem Gast hinüber. Er stellt das Bier vor ihm auf den gescheuerten Holztisch und murmelte: « Na dann, auf ihr Wohl! «
Der Fremde antwortete nicht, nickte stattdessen nur kurz mit dem Kopf. Joe versuchte, ein Gespräch zu beginnen, in dem er fragte, woher der werte Herr denn kommen würde und was er wohl zu dieser Zeit, hier in dieser von Gott vergessenen Gegend, zu tun habe? Der Fremde sagte nichts, sah ihn noch nicht einmal an. Er stierte auf den, wegen der Hitze, schnell schrumpfenden Schaum im Glas. Kopfschüttelnd wandte sich Joe ab. Er ging zurück hinter seinen Tresen und dachte, während er fortfuhr die Gläser zu polieren, ja, so sind die Fremden eben! Im Laufe des Nachmittags bestellte der unbekannte Gast noch drei weitere Biere. Joe versuchte nicht mehr, ein Gespräch zu beginnen, sondern stellte stumm das gewünschte Bier vor ihm hin. Es wurde Nachmittag und die ersten verschwitzten Stammgäste kamen. Sie setzten sich an den großen runden Tisch in der Mitte des Raumes und kippten die ersten Biere gierig herunter.
Joe hörte das heisere Flüstern des Mannes, der ein weiteres Bier verlangte. Joe zapfte das Bier und brachte es zu dem Tisch des Fremden. Die Stammgäste, die sich alleine in der Kneipe wähnten, fragten:« Joe warum willst du das Bier auf der Toilette trinken? «
Sie lachten und machten Bemerkungen über den Grad der Verwirrung ihres Wirtes. Als Joe auf dem Weg zurück zu seinen Zapfhähnen war, sagte er zu den Stammgästen gewandt:« Ihr habt nicht alleine Durst, wie ihr seht, habe ich noch einen Gast, « dabei nickte er in die Richtung des kleinen Ecktisches. Die die Männer am Stammtisch versuchten, den unbekannten Gast zu erspähen, aber sie konnten nur das Bierglas erkennen, welches golden aus der Dämmerung leuchtete. Sie nahmen an, dass der Unbekannte kurz die Toilette aufgesucht hatte und wendeten sie der neuen Runde Bier zu. Nach langen sorgenvollen Gesprächen, wie es wohl mit dem Wetter und der Ernte weiter gehen würde, drehte sich Karl, ein Bauer aus dem Nachbarort, um und versuchte den Gast in der Ecke auszumachen. Er konnte ihn jedoch nicht erkennen. Karl wuchtete seinen schweren Körper von Stuhl, stand auf und stapfte durch den Schankraum, um den Fremden in Augenschein zu nehmen. Als er den Tisch erreicht hatte, sah er außer einem leeren Bierglas und fünf Dollar, die auf dem Tisch lagen, nichts. Karl grölte in Richtung von Joe, der mit dem Zapfen der nächsten Runde beschäftigt war:« Joe, dein Gast ist ohne Gruß gegangen, aber immerhin hat er bezahlt! «
Weder Joe noch einer der Stammgäste hatte ihn gehen sehen, obwohl er an ihnen vorbeigekommen sein musste. »Vielleicht ist er durch den Notausgang verschwunden«, bemerkte Ben, der Frisör. Joe schüttelte den Kopf und musste eingestehen, dass er die Notausgangstür verschlossen hatte, seit einige Gäste sie ohne zu bezahlen benutzt hatten.
Karl wankte zurück auf seinen Platz am Stammtisch und kippte den Rest aus seinem Glas herunter und rief: «Joe ich will zahlen! «
Alle anderen Stammgäste taten es ihm nach, keiner wollte bleiben. Hätte man sie gefragt, warum sie die Kneipe verlassen wollten, sie hätten keine Antwort gewusst.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Joe hatte die Bar schon früh geöffnet, denn nach dem Kirchgang, kamen die Männer auf einen Schluck vorbei. Kaum das er die Tür aufschloss und hinter den Tresen ging, hörte er die flüsternde, leicht krächzende Stimme, die nach einem Bier verlangte. Als er zu zapfen begann, vernahm er eine zweite Stimme, die ebenfalls ein Bier bestellte. Joe beschlich ein unbestimmtes Gefühl der Angst und am liebsten wäre aus der Bar gerannt. Doch riss er sich zusammen und brachte die Gläser an den kleinen Tisch in der Ecke, an dem nun zwei fremde Gäste saßen. Sie glichen einander aufs Haar. Verwaschene, teigige, unpersönliche Gesichtszüge, dunkelgraue Anzüge und Hemden, die trotz der hohen sommerlichen Temperaturen bis obenhin geschlossen waren. Joe stellte die Gläser vor die Männer auf den Tisch und zog sich eilig hinter seinen Tresen zurück. Dann kamen die ersten Gäste von der Sonntagsmesse und er hatte viel zu tun. Als sich gegen Mittag die Bar leerte, bemerkte er erst, dass der Tisch mit den Stammgästen leer geblieben war.
Joe servierte den beiden Fremden weitere acht Gläser Bier. Als er gegen Abend aufräumte, sah er, dass die beiden Fremden immer noch an ihrem Tisch saßen und keine Anstalten machten, zu gehen. Er trat vor ihren Tisch und räusperte sich: » Meine Herren, ich schließe am Sonntag schon um acht. Ich muss sie also bitten, jetzt zu gehen. «
Die Männer sahen ihn mit ihren wässrigen, weißlichen Augen - wie sie manchmal Blinde haben - an, oder besser gesagt, sie sahen durch ihn durch. Weder sagten sie etwas, noch bewegten sie sich von ihren Plätzen. Joe stand ratlos vor dem Tisch und überlegte, was er tun sollte. Mit Gewalt würde er die beiden nicht aus der Bar bekommen. Sie waren zu zweit und er war ein kleiner, dicklicher und schwächlicher Mann. Er konnte den Sheriff rufen, aber das würde diese Gäste sicher für immer vertreiben. Er gab auf und sagte:« Na gut, bleiben sie noch ein wenig, ich lasse die Tür auf. Wenn sie gehen, brauchen sie die Tür nur zu ziehen. «
Die Fremden schauten ihn an und er redete sich ein, sie hätten genickt.
Als er die staubige Straße vor der Bar erreichte und die dicke, heiße Luft, die immer noch in den Straßen waberte, gierig einsog, kam sie ihm wie eine kühlende Meeresbrise vor. Am darauf folgenden Montag blieb die Bar geschlossen, es war sein Ruhetag.
Joe war nicht wirklich erstaunt, als er die Bar am Dienstagmittag geöffnet hatte und drei Fremde an dem Ecktisch sitzen sah. Irgendwie hatte er es schon geahnt.
In den nächsten Tagen stieg die Zahl der Fremden weiter an. Seine anderen Gäste mieden die Bar, aber das störte Joe nicht, er hatte mehr als genug damit zu tun, seine neue, stetig wachsende Kundenzahl mit Bier zu versorgen. Bald waren alle Plätze mit den grauen Fremden besetzt und die Neuankömmlinge reihten sie an den Wänden entlang und an der dem Bartresen standen sie in Viererreihen. Der Raum war erfüllt von dem summenden, fordernden Flüstern der Fremden, die nach Bier verlangten. Joe kam seit längerer Zeit schon nicht mehr dazu alle, Bestellwünsche, auch nur zu einem kleinen Teil, zu erfüllen. Dies schien die Fremden aber nicht zu stören, ihre Zahl wuchs weiter. Bald besetzten sie die Tische, saßen übereinander oder lagen auf dem Boden.
Für Joe blieb nur ein winziger Raum hinter den Zapfhähnen übrig. Die auf dem Boden einen Platz gefunden hatten, wurden zuerst zerquetscht. Wenn jemand von außen die runden Butzenscheiben betrachtet hätte, so währen dem Betrachter die Gesichter aufgefallen, deren Geometrie sich langsam, aber unaufhaltsam auflöste. Übrig blieb matschiger, grauer Kleister, aus dem, bei manchen Scheiben, ein milchiges Auge gleichgültig starrte.
Der Boden im »Goldenen Horn« war mit einer grauen, zitternden, gallertartigen Masse bedeckt, die stetig wuchs, und immer noch kamen neue Gäste.
Als die Masse Joes Hüfte erreicht hatte und er drohte in dem nach Verwesung riechendem Schleim zu ertrinken, nahm er verzweifelt den alten Trommelrevolver aus dem Schrank, steckte den Lauf in seinen Mund und drückte ab. Sein Blut, Haare, Gewebeteile und die weißlichen Stücke seines Gehirns, die auf den großen Spiegel hinter ihm gespritzt waren, flossen langsam nach unten und vermischten sich mit der Masse am Boden.

Nach Wochen wurde die Tür zum »Goldenen Horn« vom Sheriff aufgebrochen, da der Postbote die Post für Joe nicht mehr zustellen konnte. Der Sheriff fand Joe hinter den Tresen liegend. Seine Hand umklammerte noch immer den Revolver, mit dem er sich erschossen hatte. Die Hälfte seines Kopfes, die seine Mundpartie beherbergte, zeigte ein, zu einen grausigen Schrei, aufgerissenen Schlund. Es war nichts besonderes in jenen Zeiten, dass sich die Menschen in »Small Town City« das Leben nahmen, um dem Elend zu entrinnen.
Man fand in dem leeren Raum keinerlei weitere Spuren. Den süßlichen, nach Verwesung riechenden, Gestank in dem Raum führte man auf den langen Zeitraum zurück, in dem die Bar verschlossen gewesen war und vermutete, dass einige Ratten verendet waren.
In den folgenden Jahren wurde »Small Town City« zu einer Geisterstadt. Die Häuser zerfielen und die Reste wurden vom nächsten Wirbelsturm in alle Himmelsrichtungen verstreut. Nur ein Haus widersetzte sich dem Verfall. Es war das Gebäude, in dem die Bar zum »Goldenen Horn« gewesen war. Nun stand es staubig in einer staubigen Einöde und wartete.
Jahrzehnte vergingen, dann entdeckte man in der Gegend Erdöl. Um die schweren Bohrgeräte in die Stadt zu schaffen und später riesigen Tanklastern den Abtransport zu erleichtern, baute man entlang der alten Bundesstraße einen modernen Highway. Nun stand das Haus plötzlich unmittelbar an der Schnellstraße. Es bot sich förmlich an, es als Rast - und Tankstelle zu neuem Leben erweckt zu werden.
Genau das, dachten sich Betty und Frank Wallberg auch und erwarben das Gebäude. Frank hatte auf den Ölfeldern gearbeitet und gutes Geld verdient. Es war ein Arbeitsunfall, bei dem er sein linkes Bein verlor. Die Versicherung zahlte und so verfügte Frank über ausreichend Kapital, um das Haus, die Einrichtung für die Raststätte und die Tankstelle zu bezahlen. Die Eltern von Betty hatten zu ihrer Vermählung auch noch einen größeren Betrag als Hochzeitsgeschenk beigesteuert.
Zunächst versuchten die beiden, den Besitzer des Hauses ausfindig zu machen, um mit ihm über den Preis zu verhandeln. Trotz aller Bemühungen konnte jedoch kein Eigentümer ermittelt werden. So wurde das Haus als besitzlos an die Eheleute Wallberg übergeben, die sich verständlicher Weise sehr freuten.
Es war der Tag der Eröffnung. Frank legte den Schalter um und das große, rote, weit sichtbare »Esso« Tankstellenschild flackerte auf. Frank und Betty umarmten sich voller Glück. Frank ging hinter die Theke der Raststätte und Betty lief in die Küche und bereitete die angebotenen Gerichte vor.
Obwohl der Raum hell erleuchtet war, hatte er ihren ersten Gast nicht bemerkt. Er saß am hintersten, kleinen Tisch, direkt neben der grün leuchteten Notausgangsschild und der Tür zu den Toiletten.
Frank lächelte freundlich als sagte: « Hallo mein Herr, herzlich willkommen! Ich begrüße sie als meinen ersten Gast, was sie auch bestellen wollen, es geht aufs Haus«. Der Mann schaute ihn aus wässrigen weislichen Augen an und flüsterte :«Ein Bier«.


~ Ende~

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 02.01.2023:

Ich wage es gar nicht, mir auszudenken, wie die Geschichte weiter geht ...

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