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4xhab ich gern gelesen
geschrieben von Leandra.
Veröffentlicht: 06.11.2022. Rubrik: Persönliches


Babysitter

Es würde sicher spät werden, hatte mir Marion angekündigt.
Ihre Wohnung lag nicht weit von der Bahnstrecke. Immer wieder hielten S-Bahnzüge quietschend an dem heruntergekommenen Bahnhof, den ich vom Fenster im 2ten Stock gut beobachten konnte. Viele Züge fuhren auch durch.
Susi schlief tief. Ich schaute immer wieder, wie sie ruhig atmend bäuchlings in ihrem Bettchen vor sich hin schnorchelte, eine Wangenseite auf das pastellfarbengestreiften Kissen gedrückt, und im Atemrhythmus hob uns senkte sich die gleichgemusterte kleine Bettdecke.
Ich beschloß, mich auch hinzulegen, auf das Sofa nicht weit von Susis Gitterbettchen, wo ich schon Laken und Wolldecken ausgebreitet hatte. Die Nähe dieses träumenden kleinen Mädchens ließ eine Sehnsucht in mir aufkommen... ich hatte kein Kind, oder noch keines. Wenigstens für ein paar Stunden war ich allein mit diesem kleinen Menschenwesen, war nur da für Susi, hatte ihr Schlaflieder gesungen und zur guten Nacht auf die warmen Bäckchen geküßt.
Marion traf sich mit einer Internetbekanntschaft, mal wieder. Schließlich sollte Susi auch einen Papa bekommen, fand Marion.
Ich tat Marion gern einen Gefallen. Sie war eine gute Seele und half selbst immer dort, wo sie gebraucht wurde. Aber sie hatte keinen Blick für Männer, ich meine, sie fiel einfach auf jeden herein, der einigermaßen aussah und ihr ein paar nette Worte sagte.
Ich sah Marion so um 1 Uhr vom S-Bahnhof nach Hause kommen. Ihr Schritt war nicht gerade zügig, aber auch nicht sichtbar unsicher. Außer Marion konnte ich keine lebende Seele beobachten, die um diese Zeit mit der S-Bahn angekommen war.
Als sie die Etagentür aufgeschlossen hatte, war es, als ob der letzte Rest Spannkraft dahin wäre. Und ich war mir auch nicht sicher, ob sie sich freute, daß ich im Flur ihre Ankunft begrüßte.
Marion hatte mehr Alkohol im Blut, als ihr gut tat. Sie begrüßte mich bemüht fröhlich, schmiß ihren Rucksack unter die Garderobenhaken und ließ sich gleich am Küchentisch nieder.
„Alles ok mit Susi?“
„Susi schläft ruhig. - Und -wie wars?“
Marion grinste. „Wir waren erst was spazieren, dann haben wir beim Italiener gegessen...“
„...und dann bald im Bett?“
„Ja, jedenfalls bald darauf - warum nicht?“
„Du hast ihn heute zum ersten Mal getroffen.“
„Irgendwie kamen wir gut miteinander klar...“
„Und trefft ihr euch bald wieder?“
„Bestimmt!“
Marion blickte ein paar Minuten vor sich auf den Tisch. Ob sie mit Mühe über etwas nachdachte oder eine Episode des Abends revuepassieren ließ, konnte ich nicht ergründen.
Ohne aufzuschauen kam es dann wie ein nachdrücklicher Vorsatz aus ihr heraus: „Ich will auch manchmal was vom Leben haben. Ich bin doch jung und will ab und zu spüren, daß ich eine Frau bin. Ich bin doch nicht nur Mutter.“
Ich schwieg.
Mit etwas unsicheren Bewegungen machte sich Marion auf ins Bad. Als sie nach einigen Minuten herauskam, trug sie nur ein rosafarbenes T-Shirt für die Nacht und einen grün gewürfelten Slip, den sie auf links angezogen hatte. Ich umarmte sie und spürte ihren Alkoholatem kurz in meinem Gesicht.
Ich hatte Dienst am nächsten Morgen, es war Sonntag, und mein Wecker piepte um 5.30 Uhr. Zur S-Bahn um 6.17 Uhr schaffte ich mit routinierter Zeitpräzision. Durchs schmuddelige Bahnfenster sah ich die Fenster von Marions Wohnung davongleiten.
Sie taten mir leid, Marion und Susi. Warum eigentlich... Marion liebte Susi über alles, und beide waren doch fast immer glücklich und zufrieden.

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